Читать книгу Lübeck - ausgeplaudert - Eckhard Lange - Страница 10
8. Noch einmal: Lübeck als Stadt des Reiches
ОглавлениеJa, nichts währt ewig, auch keine Großmächte. Warum mußte König Waldemar II auch auf einsamer Insel nach einem Jagdausflug in einer schönen Mainacht unbewacht in sein Zelt kriechen? Der Graf von Schwerin hatte allen Grund, diesen Mann zu kidnappen, schließlich war sein Schwerin von den Dänen besetzt worden. Aber einen Ort, ihn einzusperren, fand er dennoch. Zwei Jahre lang feilschte der Graf um den Preis, den König wieder freizulassen, und eine große Koalition von Feinden des Dänen stand ihm bei. Als die dann auch noch ein dänisches Heer besiegte, mußte Waldemar (sicherlich zähneknirschend) nicht nur 45.000 Mark Silber auf den Tisch legen, sondern auf alle Gebiete verzichten, die zum heiligen römischen Reich gehörten – Mecklenburg, die Grafschaften Schwerin und Holstein. Da hatten auch die Lübecker schon die Zeichen der Zeit erkannt und die dänische Burgmannschaft sicherheitshalber davongejagt.
Doch sogleich wuchs die Gefahr, dass ein anderer die leere Burg besetzen könnte. Also rissen sie erst einmal die gegen die Stadt gerichteten Mauern dieser Festung nieder.
Außerdem ließen sie sich in einer gewichtigen Urkunde von den fürstlichen Gegnern Waldemars bescheinigen, dass ihre Unterstützung auf eigene Rechnung geschehen sei und ganz und gar freiwillig. Aber letztlich konnte jetzt jeder Anspruch auf die Stadtherrschaft erheben, und Adolf IV, Graf im gerade wiedergewonnenen Holstein, würde sicher bald darauf zurückkommen.
Die Herren des Rats sannen auf Abhilfe, und die sah so aus: Man holte die alte Urkunde Kaiser Barbarossas aus der Truhe, und da sie schon ein wenig vergilbt war, schrieb der Notar des Rates namens Marold sie fein säuberlich ab – und gleich ein paar weitere wichtige Dinge mit hinein. Schließlich hatte ja Waldemar den Lübeckern ebenfalls einiges zugestanden. Aber etliche ganz neue Wünsche tauchten ebenfalls dort auf, die man dabei dem Kaiser als vorhandenes Privileg unterschieben konnte: So sollte der Rat Verstöße gegen seine eigenen Erlasse auch bestrafen können, und er hätte das Recht, die Pfarrer seiner Ratskirche St. Marien selber zu wählen. Schließlich sei die Stadt von der Heerfolge befreit. Und – vorsichtig, wie Geschäftsleute eben sind – die alte Vorlage landete im offenen Kamin. Und dort brannte zufällig das Feuer. Daneben aber listete man noch weitere Punkte auf, die der Kaiser gewähren sollte und die man schlecht zurückdatieren konnte.
Mit diesen geschönten Dokumenten machten sich zwei Herren aus dem Rat auf, um über die Alpen ins ferne Italien zu reisen, wo Friedrich II. sich aufhielt. Im Mai 1226 trafen sie in Borgo bei Parma ein, und der Kaiser empfing sie freundlich. Die Barbarossa-Urkunde war rasch unterschrieben, doch mit den anderen Forderungen ließ er sich Zeit. Zwei Wochen mussten die lübischen Abgesandten ausharren, ehe sie das Pergament mit dem Reichssiegel und den Unterschriften vieler gewichtiger Zeugen, darunter drei Erzbischöfe, acht Bischöfe und etliche weltliche Fürsten, in den Händen hielten.
Doch das Zittern hatte sich gelohnt: Lübeck erhielt die Burg von Travemünde und den Priwall zugesprochen sowie weitere Bereiche längs der Trave, die bisher dem Holsteiner gehörten. Verboten war es allen Nachbarn, entlang der Trave eine Burg zu errichten und damit den Lübecker Handel zu gefährden. Auch sonst gab es allerlei Vorteile für die Lübecker Kaufleute, wenn sie im Reich unterwegs waren. Vor allem aber: Lübeck sollte frei sein, nur dem deutschen König, also dem Kaiser, unterstellt, es sei „Reichsgut“ – und es sollte auch in aller Zukunft nicht aus dem Besitz des Reiches herausgenommen werden, wenn es wieder einmal einem Kaiser in den Sinn kommen sollte, einem Fürsten die Stadtherrschaft abzutreten.
Das alles konnte Kaiser Friedrich zwar überhaupt nicht durchsetzen, aber es war ein unbestreitbarer Rechtstitel für die Stadt, und als die Sendboten mit ihrem kostbaren Dokument zurückgekehrt waren, legte man es in der Trese ab, der Schatzkammer der Stadt unter dem Dach von St. Marien – und bis 1940 war es dort wohlverwahrt, bis es nach manchen Irrungen 1986 wieder nach Lübeck zurückkehrte. Nur das goldene Siegel des Kaisers – die Bulle – hatte es dabei eingebüßt. Gold findet eben immer einen Käufer.
Noch aber war die Freiheit Lübecks nur ein Versprechen, für dessen Einlösung die Stadt erst selbst sorgen mußte. Zwar hatte Waldemar feierlich auf Rache verzichtet, doch bald versuchte er, das Verlorene zurück zu gewinnen. Schließlich hatte ihn der Papst höchst persönlich von seinem erzwungenen Eid gelöst.