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7. Lübeck – Boomtown des 13. Jahrhunderts

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Als König Knut in Lubeke einzieht, bedeckt die Civitas gerade einmal ein Viertel des Hügels – eben jenen Teil, der sich von der Höhe herab etwa zwischen Mengstraße und Holstenstraße zum Traveufer hinabzieht. Und auch der – umschlossen von der hastig aufgezogenen Mauer Herzog Heinrichs – ist immer noch weitläufig bebaut. Hier steht ein Holzhaus mit in den Boden vertieften Pfosten, dort ein Ständerbau, dessen Ständer und Bohlen auf einem Ringbalken sitzen und oben ebenfalls mit Balken beschlossen werden. Viele Häuser haben bereits Keller, meist mit einem Zugang von außen, und manche auch ein Obergeschoß. In den Höfen sieht man gelegentlich Blockhütten für das Vieh. Steinbauten außer Mauer und Kirchen zählen dagegen zu den Raritäten im Stadtbild. Und dennoch: Der Besitz dieser Stadt, die mehrere Landwege aus dem Reich bündelt, um über die untere Trave sie dann wieder weit zu fächern in den Weiten der Ostsee – ihr Besitz also bedeutet, den größten Teil des Handels in Nordeuropa zu kontrollieren und entsprechend sich einen guten Anteil an dessen Gewinnen zu sichern.

Als die Stadt sich dann gut zwanzig Jahre später wieder der dänischen Herrschaft entzieht, bietet sie ein völlig anderes Bild: Der Hügel ist jetzt weitgehend bebaut, schmale und tiefe Grundstücke entlang der Straßenzüge sind die Regel, und zumindest die Hauptgebäude darauf haben steinerne Mauern und Dächer aus gebrannten Ziegeln. Auf dem einst leeren Gelände zwischen Civitas und Burg erhebt sich nun an einem weiten Platz der imposante Bau der Jakobikirche, und auch zwischen Dombezirk und Johanniskloster auf dem südöstlichen Hang reihen sich die Häuser vieler Handwerker, allerdings eher in Fachwerk errichtet, um eine vierte Kirche, dem heiligen Ägidius geweiht und von den Lübeckern deshalb Tilgenkark genannt.

Wie ist es dazu gekommen? Begleiten wir einmal den Sohn unseres erdachten Johann von Bardowick, Elver von Bardewik. Einen Mann dieses Namens hat es übrigens wirklich gegeben, auch wenn wir nur das von ihm erfahren: Er war im Jahre 1200 einer der Bürgermeister der Stadt, hat also mindestens seit dieser Zeit im Rat gesessen. Mit diesem Wissen lassen wir ihn teilhaben am Geschehen, rücken ihn als Vertreter des Rats einfach ganz in die Nähe zum dänischen Stadtvogt Albrecht von Orlamünde. Der aber hat einen ehrgeizigen Plan König Waldemars auszuführen: Lübeck gleichsam zur Großstadt zu machen.

Die leeren Flächen auf dem Stadthügel an Siedlungswillige zu vergeben, war keine große Kunst: Immer mehr Menschen drängten sich in die Stadt an der Trave – Fernhändler aus Westfalen und sogar aus dem Rheinland mit guten Beziehungen nach Flandern und England, Kaufleute aus Lüneburg und Braunschweig, aber auch wagemutige Männer aus dem Westen des Reiches, Kleinhändler und vor allem Handwerker wie Helmschmiede und Plattner, Nagelschmiede und Böttcher, Knochenhauer und Bäcker. Dazu kamen die vielen Schifferknechte und die Schiffsführer, die nicht nur Kapitäne, sondern meist auch Reeder waren – nach unseren Begriffen. Und überall brauchte man Knechte und Gesellen, Träger, Handlanger und Gelegenheitsarbeiter – und natürlich auch Mägde für den Haushalt. Unser Elver hatte viel zu tun, allen einen Bauplatz zuzuweisen, soweit nicht die Großkaufleute sich die Grundstücke längst gesichert hatten und nun selber vermieteten.

Bald jedoch war der gesamte Hügel besiedelt, soweit er festen Baugrund bot. Auch die eher bäuerlich-weitläufigen Gehöfte im ältesten Viertel der Stadt wurden nun aufgeteilt, immer häufiger sah man dort steinerne Häuser mit einem großen Saal im Obergeschoß und gewölbten Kellern, auch mancher Speicher wich nun einem turmähnlichen Gebäude aus Backstein. Doch der Platzmangel blieb. Und jetzt lassen wir unseren Elver von Bardewik einfach einmal aktiv werden!

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Wie so oft, geht der Bürgermeister Elver die Mengstraße zum Hafen hinunter, um das Entladen seiner Waren zu beaufsichtigen. Doch diesmal schweifen seine Gedanken ab. Es herrscht wieder einmal unübersichtliches Gedränge an der kurzen Kaimauer, die man am Ufer gezogen hatte. Schließlich ist sie gerade einmal knapp vierhundert Schritte lang, denn rechts und links dehnt sich sumpfiges Gelände, schilfbewachsen bis weit zum Fuß des Stadthügels. Nicht umsonst haben unsere Vorfahren die Straßen dort fossae, Gruben, genannt, denkt Elver. Und wieder kommt ihm dieser Gedanke, der ihn schon lange bewegt: Man müßte den Hafen dorthin verlängern, den morastigen Boden trockenlegen. Doch das würde nicht reichen, jedes Hochwasser im Frühling wird ihn überschwemmen. Das Ufer muß auch hier höher werden. Plötzlich bleibt er stehen: Und wenn nun gleich das ganze Gelände bis hinauf zum Hügel aufgeschüttet würde? Das gäbe viel Raum für neue Häuser, neue Grundstücke.

Ja,“ sagte er leise vor sich hin: „So könnte es gehen.“ Entschlossen wendet er sich um, geht wieder die Straße hinauf, wendet sich nach links und eilt über den Koberg auf das prächtige Haus des Stadtvogtes zu, läßt sich Herrn Albrecht von Orlamünde melden.

Erstaunt über den unerwarteten Besuch, läßt Graf Albrecht den Gast in sein Schreibgemach bitten. „Ihr scheint etwas Wichtiges im Schild zu führen, Bürgermeister,“ sagt der Stadtvogt. „Entschuldigt, wenn ich so unangemeldet erscheine, Herr Albrecht, es mag nicht eilig sein, aber wichtig ist es in der Tat.“ - „So laßt mich hören!“ Der Stadtvogt lädt seinen Gast ein, sich zu setzen.

Ihr wißt selbst, wie eng es unten am Hafen geworden ist. Es wäre gut, das Bollwerk zu verlängern. Dazu müßte man allerdings den feuchten Torfboden befestigen und aufschütten.“ Der Däne schaut sein Gegenüber erstaunt an: „Das ist ein hochfliegender Plan, Bürgermeister!“ Elver holt tief Luft, ehe er antwortet: „Könnten wir dieses Gelände trockenlegen, hätten wir für Jahre hinaus ausreichend Bauland, und außerdem würde nicht nur der Hafen um ein Vielfaches verlängert. Auch der Bereich jenseits unserer Brücke über die Trave ließe sich aufschütten. Dort könnten die Prähme anlegen, die vor allem das Lüneburger Salz über die Stecknitz heranschaffen.“

Graf Albrecht hört mit wachsendem Interesse zu. Damit würden sich auch die Einnahmen aus der Stadt wesentlich steigern lassen. Doch er erkennt ebenso, welchen Aufwand ein solches Vorhaben kosten würde, und so fragt er zurück: „Das ist ein gewaltiges Unternehmen, Bürgermeister, wie wollt Ihr es in die Tat umsetzen?“ Elver von Bardewik spürt, dass Graf Albrecht neugierig geworden ist, und wagt, seinen Plan genauer zu erläutern: „Es gibt zwei Dinge zu bedenken: Das eine ist – wir benötigen viele Hände für ein solches Werk, auch wenn wir es nur nach und nach verwirklichen. Das bedeutet Frondienst der Bürger über eine lange Zeit, und nur, wenn er die sonstige Arbeit in der Stadt nicht hindert, und wenn jeder einzelne sich auch einen Vorteil davon versprechen darf, wird er auch ohne großes Murren geleistet werden. Das zweite ist dies: Wir bauen dort auf dem Torf des Flusses, darum muß die Schicht darüber mächtig genug sein, um die Last auch von steinernen Häusern zu tragen. Wir werden viele Last Erdreich heranschaffen müssen, und nur ein kleiner Teil steht uns auf dem Stadthügel zur Verfügung – dort, wo nun immer häufiger Keller, Brunnen und Kloaken ausgehoben werden. Der weitaus größere Rest kann nur von den Feldern und Wiesen in der Umgebung stammen.“

Albrecht von Orlamünde beugt sich vor: „Ihr sagt selbst, dass der Boden dort ein wahrer Sumpf ist. Glaubt Ihr, er könnte Häuser tragen, wieviel Erde Ihr auch herbeischaffen würdet?“

Elvers hebt beide Hände: „Ihr habt recht, Herr Albrecht, es wird nicht reichen, nur Erde aufzuschütten. Ich stelle mir vor, dass wir dort eine Art bodenlose Holzkisten versenken, dicht an dicht und miteinander verbunden, auch mehrfach übereinandergeschichtet, um den Boden stabil zu halten. Erst dann können wir diese Kisten verfüllen – übrigens auch mit allem Unrat, der in der Stadt anfällt und sowieso fortgeschafft werden müsste. Für die Kisten lässt sich sicher manche Bohle verwenden, die von den Holzhäusern stammt, die bald den Steinhäusern weichen werden. Dennoch werden wir kräftig Holz einschlagen müssen, und auch dafür brauchen wir weitere Schenkungen Eures königlichen Herrn.“ - „Ich sehe, Ihr habt alles bereits wohldurchdacht, und König Waldemar wird das alles sicher mit großem Wohlwollen prüfen. Doch seid Ihr sicher, Ihr könnt auch den Rat und die Bürgerschaft überzeugen? Ihr werdet damit nicht nur Freunde gewinnen. Aber Ihr habt recht: Lubeke braucht dieses Wachstum, und spätere Geschlechter werden es Euch danken.“

War es so? Oder war es doch so ähnlich? Vielleicht.

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Es war ein gewaltiges Vorhaben, und es gelang, dank der straffen Anordnungen von Rat und Stadtvogt, es in wenigen Jahrzehnten zum Abschluß zu bringen. Unsere gründlichen Historiker haben genau nachgerechnet und staunenswerte Zahlen geliefert: Im Schnitt waren es fünf Meter, um die das Niveau angehoben werden mußte, um nicht mehr vom Hochwasser erreicht zu werden. Die so gewonnene Fläche betrug etwa 40 Hektar, also ist ein Drittel der heutigen Altstadt damals hinzugewonnen worden. Und auch die Mengen lassen sich dadurch errechnen: Etwa zwei Millionen Kubikmeter Füllmaterial wurden gebraucht und mußten zumeist draußen vor den Toren abgebaut werden. Zweihunderttausend Kubikmeter Holz sind damals verbaut worden. Alle Achtung, lieber Elver von Bardewik! Oder wer auch immer dafür die Verantwortung getragen hat.

König Waldemar setzte dem Werk dann den Kronreif auf – man kann es fast wörtlich nehmen: Auf seinen Befehl hin wurde nun die gesamte Halbinsel mit einer durchgehenden Mauer umgeben, Tore und Wehrtürme eingefügt. Noch einmal also eine große gemeinschaftliche Anstrengung der Stadtbewohner. Damit war nicht nur ein Schutz gegen äußere Feinde geschaffen, sondern auch ein einheitlicher Siedlungsraum vom Burgtor im Norden bis zur Mühle an der Mündung der Wakenitz in die Trave – eine Stadt, ein Rechtsraum, ein gemeinsamer Rat an der Spitze. Nein, nicht ganz! Denn der Domhof und die Kurien der Kapitelherren unterstanden ihm nicht, das war bischöfliches Gebiet und nur der hatte hier das Sagen. Und der königliche Stadtvogt in seiner Burg war natürlich ebenfalls sein eigener Herr. Dafür baute auch er dort nun ein repräsentatives Haus, natürlich in Backstein. Und – es steht noch immer, eingebaut in die Gebäude des späteren Klosters. Wer wollte nun noch sagen, die Dänen seien nur ungeliebte Besatzer gewesen?

Lübeck - ausgeplaudert

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