Читать книгу Lübeck - ausgeplaudert - Eckhard Lange - Страница 5
3. Lübeck und die hohe Politik
ОглавлениеNeben all den Luxuswaren gab es seit langem ein Handelsgut, das nicht nur bei den Reichen begehrt war im Reich: Getrockneter oder gesalzener Fisch. Denn er konnte jene Nahrungsmittel aus dem Fleisch von Tieren ersetzen, deren Genuß allen Christenmenschen an den Fastentagen untersagt war – und davon gab es viele, nicht nur die vierzig Tagen vor dem Osterfest, sondern auch zu anderen Zeiten und an jedem Freitag ohnehin, weil er an die Kreuzigung des Herrn erinnerte. Schon lange war auf dem Handelsweg von Bardowiek, der letzten großen Stadt des Frankenreiches, über Liubice und die Ostsee Hering in großen Mengen nach Süden verbracht worden. Aber er wollte zunächst einmal gesalzen werden, und dieses wichtige Produkt mussten die Skandinavier aus dem Reich, genauer: aus Lüneburg einführen. So wanderten tausende Salztonnen hin und her – mit dem weißen Gold nach Norden und den gut gesalzenen Fischen zurück nach Süden. Und bald lief Lübeck dem sächsischen Bardowiek den Rang ab: Denn hier trafen nun Land- und Seeweg zusammen, hier wurde umgeschlagen und entsprechend Gewinn gemacht.
Herzog Heinrich sah es mit wachsendem Unmut, denn die entsprechenden Steuern kassierte jetzt nicht mehr der herzogliche Vogt in Bardowiek, sondern Graf Adolf als Stadtherr von Lübeck. Nun war der Schauenburger zwar Lehnsmann des Herzogs, doch teilen wollte er den Gewinn nicht, im Gegenteil: Im nahen Oldesloe fanden sich Salzquellen, so wurde auch Lüneburg und damit wiederum der Herzog geschädigt. Aber Heinrich hatte ein wirksames Mittel in der Hand, ohne dass er zur Waffe greifen mußte: die Privilegien Lübecks. Er hatte sie ausgestellt in Vertretung des Kaisers, also konnte er sie auch wieder zurücknehmen. So verbot er 1156 der Stadt den Fernhandel, ob auf dem Markt oder am Hafen. Der Graf verlor viel Geld, die Lübecker aber noch mehr: nämlich die Grundlage ihrer Existenz. Als dann im Jahr darauf eine gewaltige Feuersbrunst die gesamte Stadt niederbrannte, schien ihr Ende nach nur wenigen Jahren besiegelt.
Die Häuser hätte man wieder aufbauen können, aber was ist ein Kaufmann, wenn er nicht handeln darf? Also schickten die Lübischen zum Herzog: Wenn er etwas gegen den Grafen habe, dann würden sie ja bitte schön auch da ihre Stadt anlegen, wo er das Sagen habe. Heinrich wies ihnen einen Platz an der Wakenitz zu, dort, wo ihre Schiffe allerdings nicht mehr hin segeln konnten angesichts der Wasserstände, und wir dürfen vermuten, genau das war auch gewollt.
Denn weder Herzog noch Graf hätten dabei letztlich etwas gewonnen. Verhandlungen folgten, die beiden feilschten, aber endlich trat Graf Adolf seine Rechte an Lübeck, jetzt nur noch ein wertloser Trümmerhaufen, an seinen Herzog ab, gegen gutes Geld, versteht sich, und der Löwe gründete die Stadt von neuem, jetzt also zum vierten Mal, eben dort, wo sie hingehörte: auf dem Hügel Buku. Das war im Jahre 1159. Nun saß also ein herzoglicher Vogt in der Burg von Lubeke. Aber wichtiger war, dass alle alten Privilegien bestätigt wurden, dass der Handel wieder florierte. Und dass man jetzt einen weitaus mächtigeren Schutzherren hatte.
Doch der wurde irgendwann zu mächtig – zunächst in den Augen vielen Fürsten des Reiches und vor allem der sächsischen Adligen, endlich jedoch auch seines Kaisers Friedrich I, genannt Barbarossa. Die beiden waren zwar Vettern, und der Rotbart hatte den Löwen lange Zeit gewähren lassen, sicherte er doch das Heilige Römische Reich gegen die Dänen und die slawischen Obotriten. Aber als der Herzog ihm die Heerfolge verweigerte bei seinen Kämpfen in Oberitalien, war der Bogen überspannt: Der Kaiser ließ den Unbotmäßigen auf dem Hoftag in Gelnhausen 1180 verurteilen und ächten, sein Herrschaftsgebiet wurde aufgeteilt und anderen übertragen. Doch noch gab der Löwe sich nicht geschlagen, also mußte der Kaiser ihn mit Waffengewalt vertreiben.
Und so war Lübeck plötzlich hineingezogen in die große Politik: 1181 erschien Barbarossa mit Heeresmacht vor den kürzlich errichteten Mauern der Stadt und ließ schon einmal einige Bliden heranschaffen, um große Steine gegen die Mauern und darüber hinweg auch in die Stadt zu schleudern - damals eine gefürchtete Waffe. Nicht jede Stadt ließ sich schließlich mit einem trojanischen Pferd erobern.
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Im Saal über der Tuchhalle am Markt versammelten sich die Ratsherren, allesamt Fernkaufleute. Man war besorgt, sehr besorgt sogar. „In wenigen Tagen wird der Kaiser mit seinen Truppen vor dem Burgtor stehen,“ sagte Herr Gerhard und nahm auf dem Stuhl des Bürgermeisters Platz. „Graf Simon wird die Tore nicht freiwillig öffnen, schließlich vertritt er den Herzog.“
„Dem wir einen feierlichen Treueid geschworen haben,“ ergänzte Herr Albrecht, der Älteste unter den Ratsherren. „Wir werden wohl oder übel unsere Stadt verteidigen müssen.“ - „Um dann von den Kaiserlichen erstürmt zu werden! Nein, Albrecht, das wird nicht gut ausgehen. Wir sollten die Sächsischen samt dem Grafen in der Burg einschließen und den Kaiser würdig empfangen,“ schlug ein anderer vor. „Die römische Majestät ist schließlich Lehnsherr auch des Herzogs, und sie hat ihn in die Acht getan.“
„Und wie wollt Ihr einst vor den himmlischen Richter treten - als Eidbrüchige?“ erregte sich Albrecht, der wahrscheinlich als erster diesen Gang anzutreten hatte.
Bürgermeister Gerhard hob beide Hände: „Das mit dem Schwur bei allen Heiligen ist eine Sache, da mag jeder sein Gewissen befragen. Aber wir sollten auch etwas anderes bedenken in dieser Stunde: Wir alle sind Kaufleute, jeden Tag schließen wir Verträge mit Käufern und Kunden, und nicht nur mit Händlern, sondern auch mit Städten und Fürsten, leisten einen Eid, um uns für den Vertrag zu verbürgen. Ich frage Euch, ihr Herren: Wer wird uns noch trauen, uns für ehrbare Kaufherren halten, wenn wir einen so wichtigen Eid leichtfertig brechen? Und wissen wir, ob der Herzog nicht einmal zurückkehren wird? Was wird er dann mit dieser Stadt tun? Denkt nur an Halberstadt! Das hat er grausam niederbrennen lassen, als er mit Bischof Ulrich in Streit geraten war.“
Nun mischte sich Herr Johann ein. Er war weit herumgekommen mit seinen Schiffen, war welterfahren und klug: „Gerhard hat recht,“ sagte er, „aber es gibt einen Weg: Wir sollten Herzog Heinrich bitten, uns von diesem Eid zu entbinden. Bitte, haltet das nicht für einfältig! Er wird einwilligen, eine vom Rotbart zerstörte Stadt nützt ihm wenig. Noch hofft er ja, gegen die kaiserliche Majestät zu gewinnen. Und wir sollten den Kaiser um Waffenruhe bitten - und um Erlaubnis, dass wir Boten nach Stade zum Herzog schicken mit diesem Anliegen. Sind sie zurück, würden wir ihn mit allen Ehren in unserer Stadt begrüßen.“
War es so? Oder war es so ähnlich? Vielleicht.
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Zum ersten Mal war also hohe Diplomatie gefragt. Und die übernahm ein anderer Heinrich: Lübecks Bischof, aus dem fernen Oldenburg inzwischen an die Trave übergesiedelt und mit dem Herzog seit langem freundschaftlich verbunden. Er handelte mit dem Kaiser eine Waffenpause aus, damit der Lübecker Rat nach Stade schicken konnte. Der Kaiser mag gerührt gewesen sein über so viel Biederkeit - da war er aus den eigenen Kreisen anderes gewohnt - Heinrich war da das beste Beispiel. Doch der geschasste Herzog gewährte gnädigst das Erbetene.
So empfingen nun die Bürger Lubekes den hohen kaiserlichen Herrn mit aller Ehrerbietung: Feierlich wurde er in die Stadt geleitet, mit Hymnen und Lobgesängen, wie die Chronik vermeldet, und das nicht ohne Grund: Denn was würde mit all den wichtigen Privilegien geschehen, die Heinrich gewährt hatte, wenn es nun keinen Sachsenherzog mehr gab? Wer würde Stadtherr werden, Schutzherr in gefährlichen Zeiten? Und der Kaiser gab sich großzügig: Nicht nur all diese Rechte gewährte er, sondern auch manches mehr. Vor allem Land rings um die Stadt und Besitzrechte auf dem Wasser übertrug er den Bürgern Lübecks – ein unschätzbarer Gewinn im Dauerstreit mit den Holsteiner Grafen.
Und 1188 legten ihm Lübecks Gesandte dann noch einmal eine schöne Urkunde vor, die man eigens für ihn aufgeschrieben hatte, mit alledem, was er zugesagt hatte – und vielleicht noch ein bisschen mehr? Schaden könnte das ja nicht, und das Original wäre schließlich nur in Lübeck einzusehen. Jedenfalls bestätigte Friedrich Barbarossa feierlich, dass Lübeck nicht etwa den Grafen von Holstein, sondern allein dem Kaiser unterstellt sei. Die Verwaltung aber blieb dem Rat vorbehalten, er konnte ordnen, was es zu ordnen gab, zum Besten der Stadt und ihrer Bürger. Lübeck war eine freie Stadt des Reiches geworden – aber nur, wenn das Reich stark genug und willens war, das auch durchzusetzen.