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8. Der Ausweg

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Günther Niebel war in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, aber er ging nicht zu seinem Schreibtisch, sondern trat an das Fenster und schaute hinaus. Auf dieser Seite des Hauses war der Kranz der Bäume, die es umgaben, weiter zurückgetreten und gab so Raum für eine kreisrunde Rosenrabatte, umsäumt von einem geharkten Kiesweg, der einen Zugang zur Treppe von der Terrasse herab hatte. Eine Rasenfläche schloß sich an, in die weitere hochstämmige Rosenstöcke eingestreut waren. Günther liebte diesen Anblick, erinnerte er ihn doch an jene Zeit, als er dort als Kind herumgetollt war, mit der Schwester Versteck gespielt und - ja, das hatte er damals tatsächlich - von heldenhaften Abenteuern geträumt hat. Immer wieder hatte ihn der Blick aus dem Fenster beruhigt, wenn ihn komplizierte Sachverhalte oder unangenehme Telefonate aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten.

Heute aber reichte die Wirkung dieses Panoramas nicht aus. Das lag weniger an den Erkenntnissen, die Hagen nun zweimal vorgetragen hatte, als an den Unterlagen auf seinem Schreibtisch, die die Geldgeschäfte der letzten Zeit dokumentierten. Und es waren beunruhigende Nachrichten. Das Bankhaus Niebel war, verglichen mit den anderen Banken und ihren internationalen Verflechtungen, ein kleines Institut, angewiesen auf das Vertrauen von einigen Dutzend Großkunden, mittelständischen Unternehmen aus der Region und eine größere Zahl betuchter Privatanleger, die ihr Geld bei ihm sicher wußten. Und der Juniorchef war alles andere als ein Spekulant, der schnelle Gewinne anstrebte. Aber auch er hatte sich dem Trend nicht verschließen können, den Anlegern möglichst einträgliche Renditen zu garantieren. Die Niebels waren keine Investmentbanker, sondern ein solides, eher konservatives Kreditinstitut, aber Günther und Hagen hatten durchaus auch Wertpapiergeschäfte vermittelt und bisher gut daran verdient.

Doch die Ereignisse in den Vereinigten Staaten hatten den Wert dieser Papiere in letzter Zeit rapide sinken lassen, und sie wurden zunehmend von verunsicherten Kunden befragt, wieweit die empfohlenen Anlagen noch sicher seien. Bislang hatte man sie beruhigen können, er selbst jedoch war in höchstem Maße beunruhigt über die Entwicklung auf dem Wertpapiermarkt, die das Bankhaus nicht nur das Vertrauen seiner Kunden in seine Seriosiät kosten konnte, sondern auch die eigene Bonität, wenn es weiter Verluste abschreiben müßte und irgendwann selbst in Zahlungsschwierigkeiten kommen könnte.

Noch war alles unter der Decke, der Vater wußte hoffentlich nichts von den riskanten Käufen, die sie getätigt hatten im Vertrauen auf die Ratingagenturen, die ihnen die amerikanischen Kreditgeschäfte als praktisch risikolos empfohlen hatten. Aber die Abwärtsentwicklung war inzwischen zu offensichtlich, als daß sie nur als eine Delle im Trend gewertet werden konnte, und einige Banken hatten bereits akute Schwierigkeiten. Soweit war es mit ihrem Institut dank ihrer Zurückhaltung glücklicherweise noch nicht. Auf staatliche Stützungskredite jedoch, wie sie den systemrelevanten Häusern unter der Hand schon zugesichert wurden, konnte Niebel nicht hoffen. Die Bank mußte schon selbst sehen, wie sie die Krise durchstehen könnte.

Aber Günther wußte: Früher oder später war eine Kapitalspritze auch bei ihnen nötig, um die Bank liquide zu erhalten. Noch bürgte das private Vermögen der Familie, aber das war für diese Größenordnung nicht geschaffen. Irgendwie mußte er an Sicherheiten herankommen, sonst war das Haus auf Dauer wohl nicht zu retten.

Heute nun plötzlich diese unerwartete Nachricht: Dieser Siggi, eben noch ein verdächtiger oder doch unwillkommener Eindringling in die Familie, besaß offensichtlich beträchtliche Vermögenswerte - ein Vielfaches von dem, über das die Niebels verfügten. Wenn..., ja wenn es hier zu einer Annäherung käme, zu einer Geschäftsverbindung, zu einer Verbindung überhaupt, sagen wir auch über Hilla, dann wäre das Haus erst einmal aus dem schlimmsten heraus, man könnte zuwarten, bis der Markt sich beruhigte und diese Papiere irgendwann auch wieder an Wert gewönnen. Aber die Zeit drängte, bis Jahresende müßte hier wohl Klarheit herrschen. Siegfried de Castro - was für ein exotischer Name für diesen schlaksigen, schlecht gekleideten Burschen! - wäre die Rettung.

Doch der Kerl war nicht wieder aufgetaucht, und Hilla lief herum wie eine trauernde Witwe. Hilla - sie mußte ihn finden! Wir wissen ja nun Name und Adresse, wissen um seine Beziehung nach Xanten. Gut - der Vater hatte verlangt, Hilla nicht zu informieren. Im Prinzip und unter normalen Umständen wäre das auch Günthers eigene Haltung gewesen. Und so ganz offensichtlich wollte er diese Weisung nicht mißachten. Aber einen Tipp, wie sie ihn vielleicht finden könnte, einen brüderlichen Rat so ganz nebenbei, den könnte er doch geben.

"Du suchst ihn noch immer, Hilla? Ich kann dich ja verstehen. Es ist schon schlimm, wenn man wirklich verliebt ist. Keine Widerrede! Man sieht es dir doch an, und es ist doch auch keine Schande. Er war schließlich ein ganz netter Kerl, ein wenig unkonventionell vielleicht, aber doch sympathisch. Ja, doch! Weißt du, ich habe da läuten hören, er soll einen spanischen Nachnamen haben, komisch, nicht wahr? Ein Bekannter hat es mir gestern gesagt, ganz zufällig kamen wir auf ihn zu sprechen. Aber wenn es stimmt, müßte er doch zu finden sein. Wenn nicht hier, dann drüben in Mannheim. Vielleicht über das Studentenwerk. Oder er wohnt im Studentendorf. Geh doch einfach mal vorbei. Die werden einen auffälligen Namen doch finden können. Bevor du hier herumhängst und dir noch die Augen ausweinst - entschuldige, aber ich sehe doch die dunklen Ringe um deine hübschen Augen – da solltest du lieber ganz gezielt vorgehen. Naja, ist nur ein Rat von deinem großen Bruder. Und das kann ja auch ganz unter uns bleiben, Schwesterchen. Versprochen!“

Ja, so ähnlich könnte es gehen. Hilla muß ihn finden. Und Hilla muß ihn binden. Es geht schließlich um uns alle, die Familie, die Bank, unsere Existenz.

Die Niebelsaga

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