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6. Der Vater

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Ulrich Niebel blieb regungslos an seinem Schreibtisch sitzen, nachdem die beiden jungen Männer - Hagen und Günther waren fast gleichaltrig - den Raum verlassen hatten. Er fühlte instinktiv, daß sich irgendein Unheil zusammenzog üªber dem Bankhaus und auch über der Familie - und er wußte, daß sein Instinkt ihn selten getäuscht hatte. Das war eines der Geheimnisse des Erfolges, die er und das Haus zweifellos gehabt hatten in den Jahren, die er nun schon die Bank leitete. Und es waren schließlich nicht immer leichte Jahre gewesen, weiß Gott nicht.

Erinnerungen an manche Krise kamen plötzlich zurück. Er brauchte nur den Blick zu heben. Da war dieses Oberlicht über der Eingangstür im schönsten Jugendstil, das schon mancher Kunstliebhaber unter den Besuchern lobend erwähnt hatte. In all den so typischen floralen Elementen aber versteckte sich ein eigenartiges, hier eher unpassendes Objekt: ein angedeuteter siebenarmiger Leuchter in mattem Ocker. Damals, als er gerade zum Juniorchef aufgestiegen war, hatte er seinen Vater gehindert, das Glas entfernen zu lassen. Er konnte nicht nachvollziehen, was den alten Herrn plötzlich daran störte. Später erst wurde es ihm bewußt: Es war dieses lange Zeit uneingestandene, aber stets vorhandene Gefühl von Schuld, das Friedrich Niebel umtrieb.

Und es war auf einmal zutage getreten, als in den siebziger Jahren diese gezielte Pressekampagne gegen das Unternehmen einsetzte und alte Wunden bloßlegte. Das Bankhaus, und mit ihm auch diese schöne alte Villa in bester Wohnlage einst und jetzt, firmierte bis 1936 als Privatbank Jakob Grünbaum und Sohn, und Friedrich Niebel war einige Jahre zuvor dort eingetreten und hatte es bis zum Leiter der Kreditabteilung gebracht. Doch die Grünbaums waren zwar Protestanten der Konfession nach, aber eben jüdischer Abstammung, und es waren schlimme Zeiten damals für Juden in Deutschland.

Ulrich Niebel wußte nur wenig von den Vorgängen, der Vater sprach selten darüber. Jedenfalls sah sich der alte Grünbaum genötigt - von wem auch immer - die Bank zu veräußern, und Friedrich Niebel, im Besitz einer kleinen Erbschaft, übernahm das Haus. Der Preis war gering und sicher weit unter Wert, aber der Vater hat immer wieder betont, er habe mehr gezahlt als in solchen Fällen üblich, aus Achtung gegenüber seinem ehemaligen Chef, und der hätte das Haus auch lieber ihm übertragen als einem jener Aasgeier in ihren braunen Uniformen, die nur auf billige Beute warteten. So konnte der Alte auch dem Sohn - Jakob junior - nach jener verhängnisvollen Novembernacht 1938 die Ausreise aus Deutschland erkaufen. Er selbst aber blieb, und seine Spur verliert sich in irgendeinem Transport in ein Lager im Osten.

Das alles war längst vergessen, als irgendein Journalist die Geschichte wieder ausgrub, von Arisierung schrieb, von Bereicherung an jüdischem Eigentum, ja von Enteignung zugunsten unserer Familie. Der Vater hat dazu eisern geschwiegen, und das war sicher die beste Strategie, aber es hat die Familie doch viel an Ansehen gekostet und das Bankhaus manchen solventen Kunden. So sind einige Jahre vergangen, ehe das Unternehmen wieder die früheren Umsätze erreichte.

Für Ulrich Niebel war das alles Geschichte, geschehen vor seiner Geburt in jenen turbulenten Monaten des endgültigen Zusammenbruchs, als die siegreichen Alliierten Friedrich Niebel und seine hochschwangere Frau aus dem Haus trieben und es für einige Zeit zum Offizierskasino machten. Doch als seine ersten Erinnerungen einsetzen, lebten die Niebels längst wieder in der alten Villa, und für Ulrich war sie mit ihrem Park die Heimat seiner Kindheit. Und er ahnte lange nichts von der verborgenen Last, die sein Vater zeitlebens trug.

"Ich bin nicht schuld," hatte er noch auf dem Sterbelager geflüstert, und der Sohn mußte eine Zeit überlegen, woran seine Gedanken hingen. "Ich bin nicht schuld. Sonst hätte es ein anderer gemacht. Wir sind in Freundschaft geschieden. Ich habe ihm so sehr geraten, ebenfalls das Land zu verlasssen. Aber er sagte: „Das ist mein Land, und ich habe es vor Douaumont verteidigt. Das können sie doch nicht vergessen“. Ach Junge, es wird so viel vergessen."

Ulrich Niebel schaute hinüber zur Fensterwand. Da hing zwischen den weinroten Vorhängen das goldgerahmte Portrait seines Vaters und blickte streng herab auf den Sohn, der nun selber Vater war und sich um seine Tochter sorgen mußte. "Nein, du warst nicht schuld an diesem Wahnsinn", sagte er leise. "Ich glaube dir. Viele haben es gemacht, aus purer Habgier. Für dich war diese Bank Heimat, Aufgabe, Lebensziel. Du warst im Recht." Und weil Ulrich Niebel das glaubte, blieb auch das Glas im Oberlicht. Langsam lösten sich seine Gedanken aus der Vergangenheit, sein Blick fiel auf die Notizen auf seinem Schreibtisch, und er war wieder der Banker, und er wußte, es kommt eine Krise auf uns zu, und wir müssen sie meistern. Wie alle früheren.

Die Niebelsaga

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