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Die Augenbrauen

So gern hätte der junge Reiner schöne Augenbrauen gehabt. Nicht solche, die Frauen schön finden, die rasiert, gezupft oder gestylt sind, nein, wilde, ungepflegte, buschige Augenbrauen, die aus schwarzen, drahtigen, wuchernden Haaren bestehen. Das gefiel ihm.

Es ist eine ganz alltägliche Geschichte wie es zu diesem außergewöhnlichen Schönheitssinn kam.

In seinem Dorf war eigentlich jeder Junge Messdiener. Wenn die Eltern das nicht wollten, hatten sie und ihre Kinder in der Dorfgemeinschaft ein schlechtes Ansehen.

Mädchen als Messdiener gibt es erst, seitdem nicht mehr genügend Eltern und Jungen für die Kirche zu begeistern sind. Die einzige Voraussetzung zum Eintritt in diese Gruppe war, dass man einigermaßen gut lesen konnte.

Da die Texte bei der lateinischen Messe wie ein deutscher Text gelesen und ausgesprochen werden, nicht wie im Englischen oder Französischen eine besondere Aussprache benötigen, waren sie auch für die jüngeren Volksschüler kein Problem. Je öfter sie den Text abgelesen hatten, umso sicherer ratterten sie diesen später herunter, ohne allerdings zu wissen, was die genaue Übersetzung bedeutete.

Als einziger Lateinschüler der ganzen Gruppe, von der Sexta an, war Reiner natürlich dazu prädestiniert, ihr Anführer zu werden. Nur machte er sich über die Bedeutung des heruntergelesenen lateinischen Textes genau so wenig Gedanken wie die, die das Gymnasium nicht besuchten.

Es schien ihm ein anderes Latein zu sein.

Das hätte er seinem Pfarrer aber nicht einmal bei der Beichte anvertraut.

Obermessdiener wurde immer einer der Ältesten. Da aus dem Dorf fast jeder Junge nach Abschluss der Volksschule, also nach der achten Klasse, in eine Lehre eintrat, gleichzeitig als Messdiener ausschied, kam der Sprecher immer aus der achten Klasse, war also 14 Jahre alt.

Der erste Pfarrer, bei dem Reiner seine Messdienerkarriere startete, war ein sehr barocker, extrovertierter Mensch. Bei jedem Familienfest, ob Kommunion, silberne oder goldene Hochzeit, beanspruchte er nach der Messfeier einen ihm gebührenden Platz an der Festtafel.

Bei jeder Feier im Dorf, beim Schützenfest, der Kirmes oder beim 30jährigen Bestehen der Jungfrauenkongregation war er dabei.

Und immer in der ersten Reihe.

Ganz anders war sein Nachfolger, das krasse Gegenteil im Aussehen und Wesen. Normal groß, eher schlank, fiel er mehr durch Nachdenklichkeit und Schweigen auf. Aber er hatte etwas ganz Besonderes: Buschige Augenbrauen.

Genau solche gefielen Reiner und möglichst bald sollten die seinen auch so aussehen.

Vermutlich waren es die ersten präpubertären Regungen, die diesen Wunsch in ihm entfachten.

Der Wunsch, anders auszusehen als die meisten Männer mit normalen Augenbrauen, war so groß, dass er es nicht der Natur überlassen wollte, ob es so käme, nein, er wollte die Natur dazu überlisten.

Mehr durch Zufall hatte er gehört, dass Haare durch häufiges Schneiden und Barthaare durch regelmäßiges Rasieren schneller wachsen und härter würden.

Barthaare hatte er noch keine, nicht mal einen Flaum, aber seine Haare auf dem Kopf waren schon ziemlich kräftig.

Seine Augenbrauen waren zwar angelegt, aber im Vergleich zum Pfarrer war das noch gar nichts. Das musste unbedingt besser werden.

Der alte Rasierapparat, der mit den Rasierklingen, wurde von seinem Vater nicht mehr benutzt, seitdem dieser zu Weihnachten einen elektrischen Rasierer geschenkt bekommen hatte.

Das war seine Chance.

Er hatte beobachtet, dass sein Vater zum Rasieren mit Rasiercreme und Pinsel die Nassrasur vorbereitete. Beide Utensilien konnte er nicht mehr finden, nur das alte Rasiergerät mit den noch darin steckenden Klingen, die bereits etwas Rost angesetzt hatten. Damit rasierte, nein kratzte er sich die weichen Härchen an den Augenbrauen weg. Leider dermaßen intensiv, dass an diesen Stellen in der Folgezeit überhaupt keine Haare mehr wuchsen. Lediglich einzelne Haar-Wurzeln, die nicht vollständig zerstört waren, konnten sich im Laufe der Jahre wieder erholen. Es waren aber nur so wenige, dass man sie zählen konnte.

Damit hatte Reiner genau das erreicht, was er nicht wollte.

Später wunderte er sich darüber, dass er nie von jemandem auf seine fehlenden Augenbrauen angesprochen wurde. Darüber war er zwar nicht traurig, eher schon darüber, dass die Umsetzung einer verrückten Idee, eine Albernheit, seinen Traum von schönen Augenbrauen auf Lebenszeit verhindert hat.

Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

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