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Weiße Hühnereier

Reiners Vater stammte von einem Bauernhof am Niederrhein, war eins von zehn Kindern und muss in der Schule wohl auffällig gut gewesen sein. Der Pfarrer und der Lehrer in der Dorfschule waren zu dieser Zeit – ganz zu Beginn des 20. Jahrhunderts – diejenigen, die die Eltern ansprachen, wenn sie meinten, ein Schüler wäre wohl für anspruchsvollere Aufgaben als die des Landwirts geeignet.

Die Pfarrer hatten dabei wohl auch den Nachwuchs neuer Geistlichkeit im Sinn.

Während nun Vaters Geschwister alle irgendwie in der praktischen Landwirtschaft unterkamen, ging er als Einziger auf das etwa 20 km entfernte Gymnasium, machte Abitur, absolvierte seine Zeit beim Militär und studierte danach in Bonn Landwirtschaft. Der berufliche Werdegang führte ihn mit seiner Familie nach Oberschlesien, vom westlichsten Teil Deutschlands in den damals östlichsten. Dort wurde Reiner geboren, sein Vater leitete die landwirtschaftliche Warenzentrale so lange, bis zum Ende des zweiten Weltkriegs der Einmarsch der russischen Armee kurz bevorstand. Die Mutter floh mit den Kindern im Februar 1945 im Viehwagen der Reichsbahn bei klirrender Kälte über die Tschechei zunächst nach Süddeutschland, später durch die verschiedenen Besatzungszonen weiter auf den großelterlichen Hof in Vynen bei Xanten, wo sein Vater mit seiner Familie aufgenommen wurde.

Reiner und seine Familie lebten also als Flüchtlinge auf dem Hof bei Verwandten, wenn auch bei sehr nahen. Seinen Erbteil hatte der Vater durch die Finanzierung seines Studiums schon bekommen.

Der Hof gehörte inzwischen einem Bruder von ihm, der nicht geheiratet hatte. Eine unverheiratete Schwester führte ihm den Haushalt. Diese Schwester des Vaters, inzwischen schon etwa 50 Jahre alt, hatte es nie verwunden, dass sie trotz hervorragender Schulnoten nicht hatte studieren dürfen.

Pfarrer und Lehrer fühlten sich für intelligente Mädchen wohl nicht zuständig.

Diese Tante erbte nach dem frühen Tod ihres Bruders nach kurzer Zeit den Hof, womit ihr – wie sie meinte – Genugtuung wegen ihrer verpassten, besseren Ausbildung geschehen war.

Der Hühnerstall war in dieser Zeit neben dem bäuerlichen Haushalt und dem Gemüsegarten unter anderem ihr Aufgabengebiet; für die Landwirtschaft hatte sie einen Verwalter eingestellt. Über den wusste sie genauso Bescheid, wie über jedes Huhn und jedes Ei. Ihre Hühner legten weiße Eier, sie gehörten zur Rasse der Weiße Leghorn.

Für die Verpflegung der Familie brauchte Reiners Mutter täglich Eier und jedes wurde, genauso wie die vom Hof frisch bezogene Milch, in einem Schuldbuch festgehalten. Am Monatsende bezahlte der Vater bei seiner Schwester die vom Hof bekommenen Nahrungsmittel.

Irgendwann wurde ihm das wohl zu teuer und er suchte deswegen ein Gespräch mit seiner Schwester.

Als studierter Landwirt wusste er wohl, dass es Hühnerrassen gab, die braune Eier legten, die seinerzeit am Niederrhein aber überhaupt nicht bekannt waren. Die Hühner der Rasse seiner Schwester hatten als Merkmal ein weißes Ohrläppchen unter dem Gehörgang, legten weiße Eier. Hühner mit roten Ohrläppchen legen braune Eier.

Rhodeländer und Barnevelder zum Beispiel. Wie viel Futter so eine Henne pro Tag verkonsumierte und wie viel das kostete, konnte er in seinen schlauen Büchern nachschlagen und seiner Schwester präsentieren. Das wollte er ihr bezahlen und nicht mehr jedes einzelne Ei. Auch für den anfallenden Hühnermist fanden sie eine beide Seiten zufriedenstellende Lösung.

Unter diesen Umständen genehmigte die Tante die Anschaffung fremder Hühnerrassen auf ihrem Hühnerhof. Vielleicht hatte sie aber auch andere Hintergedanken. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes bauernschlau.

Die Eltern schärften den Kindern ein, dass nur die braunen Eier ihnen gehörten; niemals sollte sich eins von ihnen an einem weißen Ei der Tante vergreifen. Außerdem würden die braunen auch noch viel, viel besser schmecken. Das meinte auch die Tante. Eigentlich hätte Reiner sie fragen sollen, woher sie das wusste.

Das Weiße-Eier-Verbot begleitet ihn das ganze Leben.

Beim Einkaufen im Supermarkt öffnet er heute noch jede Eierschachtel, bevor er ausschließlich braune in den Einkaufskorb legt.

Wenn er im Hotel übernachtet, verzichtet er auf das morgendliche Frühstücksei, wenn dieses – wie meistens – von der schlechten, der weißen Sorte ist.

So wie es in großen Religionsgemeinschaften Vorschriften gibt, zum Beispiel das Verbot von Schweinefleisch, so hindert Reiners Jugendverbot ihn daran, weiße Eier überhaupt zu mögen.

Mit Rassismus hat das nichts zu tun.

Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

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