Читать книгу Goodbye, McK... & Co. - Benjamin Schulz, Edgar K. Geffroy - Страница 7
Der Reiz der Macht
ОглавлениеDas typische Bild, das heute jeder beim Wort »Berater« vor Augen hat, ist ein Mann im maßgeschneiderten (und somit teuren) Anzug und Designerschuhen, mit gegelten Haaren, Notebook unterm Arm und Aktentasche in der Hand. Dieses Erscheinungsbild spiegelt die Arbeitsweise des Beraters wider, nämlich analytisch, strukturiert und straight. Denn für einen Berater ist es extrem wichtig, mit seinem Äußeren einen Vorgeschmack auf sein Können zu suggerieren. Schließlich ist es seine Expertise, die Unternehmen suchen – und auch erwarten.
Doch darüber hinaus verbindet man mit dem typischen Erscheinungsbild eines Beraters vor allem eins: Macht. Diese Ausstrahlung von Macht ist für viele ein Anreiz, diesen Beruf zu ergreifen. Ebenfalls nicht zu verachten ist der Reiz des Geldes. Auf Festgehälter und Jahresboni wollen wir an dieser Stelle gar nicht genauer eingehen, erwähnenswert ist jedoch, dass bereits Studenten, die schon während ihrer Studienzeit beratend in Unternehmen tätig sind, ein attraktives Tagesgeld erhalten und diesen Beruf als entsprechend lukrativ erleben. Unterm Strich gesehen ist die Bezahlung zu Beginn einer Beraterkarriere allerdings alles andere als gut. Das ist ganz einfach zu erklären: Vergleicht man die Anfangsvergütung eines Junior-Consultants – also eines frisch gebackenen Beraters – mit der einer Sekretärin oder eines Bürokaufmanns, ist der Junior-Consultant relativ günstig. Denn ein durchschnittlicher Angestellter leistet erheblich weniger Stunden, während ein Consultant keinen Feierabend kennt, auch beim Essen mit Kollegen über das Projekt spricht und sich abends weiter in Analysen vergräbt. Während der Bürokaufmann längst seinem Hobby nachgeht oder seine Füße vor dem Fernseher hochlegt, scannt ein Berater das World Wide Web nach aktuellen Zahlen, die er auf jeden Fall noch vor Morgengrauen gefunden haben muss, damit er sein Pensum am nächsten Tag schafft. Überstunden, wie sie gemeinhin verstanden werden, existieren in dieser Branche also nicht. Es ist sogar vertraglich festgehalten, dass ein Mehr an Arbeitseinsatz erwartet wird und bereits durch das Entgelt abgedeckt ist. Bekämen Consultants ihre Überstunden bezahlt, wäre das für deren Brötchengeber viel zu teuer. Außerdem würde das die Stunden- bzw. Tageshonorare von Beratungsleistungen weiter in die Höhe treiben, weshalb die Unternehmen als Kunden wiederum noch engere Zeitlimits vorgeben würden, nach denen sie Ergebnisse sehen wollen. Doch Anwärter, die in die Beraterbranche einsteigen wollen, übersehen oft das Thema Überstunden, denn das Gehalt pro Monat ist, absolut gesehen, extrem hoch. Die bekannten Häuser, deren Namen auch einen gewissen Stellenwert unter den Anwärtern haben, wissen genau, mit welchen Mitteln sie ihren Nachwuchs an die Leine bekommen.
Weil es besonders bei großen Beratungsunternehmen einen hohen Bedarf an »Frischfleisch« gibt, der jedes Jahr von Neuem gedeckt werden muss, werden Studienabgänger mit Top-Noten vor allem mit zunächst überwältigend anmutenden Summen und späteren Aufstiegsmöglichkeiten gelockt. Fragt man Berater, die schon länger aktiv im Markt tätig sind, raten diese jedoch jedem Neueinsteiger davon ab, sich ausschließlich aufgrund der Entlohnung für diesen Beruf zu entscheiden. Harte Arbeitswochen mit 70 Stunden oder mehr gehören für einen Berater zum Standard. Vor allem als Mitarbeiter von großen Beratungsunternehmen ist man von Montag bis Donnerstag praktisch mit dem Projekt verheiratet: vor Ort beim Kunden, mit Übernachtungen im Hotel – und auch nach Feierabend werden bei einem Bier oder Wein noch Strategien besprochen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Das ist nicht jedermanns Sache, was sich darin zeigt, dass erfahrungsgemäß nach etwa fünf Jahren der Arbeitgeber gewechselt wird. Einem Beratungsunternehmen als Arbeitgeber macht das wenig aus, denn auf durchschnittlich 40 Abwanderungen pro Jahr kommen 100 neue Leute,7 die diesen Job als großes Sprungbrett für ihre Karriere sehen. Diese Fluktuation ist in der Branche üblich. Offenbar scheinen mit der Zeit andere Dinge interessanter zu werden als Geld und Ansehen. Irgendwann erkennt auch der engagierteste Berater, dass das Leben aus dem Koffer nicht alles sein kann.
Auf Dauer so flexibel zu sein, wie es erwartet wird, fällt besonders dann schwer, wenn die Familie involviert ist. Insbesondere für Beraterinnen ist es oft ein steiniger Weg, sich in der Branche zu etablieren, während dies einigen männlichen Kollegen scheinbar mühelos gelingt. Aus diesem Grund sind vorwiegend junge Frauen, die sich primär ihrer Karriere widmen, als Beraterinnen anzutreffen. Sobald ein Kind ins Leben tritt, fällt es vielen Beraterinnen schwer, die Wünsche der Kunden und die Ansprüche der Familie weiterhin unter einen Hut zu bekommen.
Doch zurück zum Reiz der Macht, der viele zunächst über die Schattenseiten dieses Berufs hinwegsehen lässt. Die Macht des Beraters äußerst sich auch in der Tätigkeit selbst: Der Berater kann Schicksal spielen, denn er arbeitet immer am »offenen Herzen« – dem Problem des Unternehmens. Es liegt in seiner Hand, Ursachen zu ergründen, einen Lösungsweg zu erarbeiten und dabei Neues zu entwickeln.
Schon Praktikanten erkennen nach kürzester Zeit: Der Einfluss auf das zu beratende Unternehmen ist enorm hoch. Der Auftraggeber legt nicht nur seine Karten offen auf den Tisch, sondern gewährt den hinzugezogenen Experten meist auch absolute Freiheit in der Vorgehensweise. Für viele Junior-Consultants ist es äußerst reizvoll, hinter den Kulissen die Fäden ziehen zu können, ohne dabei die direkte Verantwortung zu haben. Die Bedeutung der (fehlenden) Verantwortung darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden: Führt die Strategie das Unternehmen aus der Misere, fällt das auf den Berater zurück, der dann offensichtlich gute Arbeit geleistet hat. Funktioniert dagegen etwas nicht nach Wunsch, ist das zwar ärgerlich (»Shit happens!«), aber der Berater ist aus dem Schneider, denn die Verantwortung für die richtige Umsetzung seines »Werkes« liegt voll und ganz auf Seiten des Auftraggebers. Doch dieser hat zwar die Theorie schwarz auf weiß vor sich, aber niemand hat ihm gesagt bzw. gezeigt, wie er sie in die Praxis überführen kann. Zum Zeitpunkt der Umsetzung sind die meisten Berater längst wieder verschwunden – unverständlich für die Auftraggeber, gang und gäbe bei den Unternehmensberatern.
■ Dass Unternehmen im Ernstfall viel Geld für nichts investieren, illustriert der Fall der Baumarktkette Praktiker aus dem Jahr 2013. Insgesamt 300 Filialen mit über 15.000 Angestellten wurden damals dem Untergang geweiht. Darunter fielen auch 132 Filialen der Marke Max Bahr, die im Jahr 2007 als Tochtergesellschaft übernommen worden war, um damit einen Grundstein für einen Neuanfang zu legen. Doch nachdem Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten, musste im Juli 2013 schließlich Insolvenz angemeldet werden. Gläubiger sagten aus, dass sich der Vorstand der Baumarktkette bis zum Schluss darum bemüht habe, etwa 35 Millionen Euro aufzutreiben, um den Konzern retten zu können. Doch es fand sich kein Investor. Demgegenüber standen jedoch über 80 Millionen Euro, die seit 2011 in die Kassen von Unternehmensberatern, Finanzdienstleistern und Rechtsanwälten geflossen waren.8 Interne Dokumente belegten, dass allein vier große, bekannte Beratungsunternehmen damit beauftragt worden waren, die Baumarktkette wieder auf Kurs zu bringen (die Namen, die immer wieder durch die Medien gingen, wollen wir hier nicht erneut aufgreifen). So entstand u. a. die Idee, die praktizierte Billigstrategie »einzustampfen«. Als die Umsätze deswegen jedoch weiter zurückgingen, sah sich das Management gezwungen, wieder zu den »20 Prozent auf alles« zurückzukehren. Doch das nutzte nichts. Während der Schuldenberg in den zwei Jahren bis zur Insolvenz ständig anwuchs, wurden wichtige Personen in Führungspositionen ersetzt, Strategien radikal geändert und falsche Konzepte erstellt. Besonders einige Großaktionäre von Praktiker machten öffentlich ihrem immensen Ärger Luft und beschuldigten die ehemaligen Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns, zwei Jahre lang nur »den eigenen Arsch gerettet« zu haben. Daraufhin entbrannte ein erbitterter Streit zwischen Managern und Investoren darüber, wer den Untergang von Praktiker zu verantworten hatte. Die Unternehmensberater vielleicht? Fehlanzeige.
■ Ein weiteres Beispiel: Gleich zwei große Beratungsunternehmen waren und sind auch beim Untergang des Medienriesen Bertelsmann involviert. Mit dem einen hat Bertelsmann schon Mitte der 1980er-Jahre den ersten geschäftlichen Kontakt geknüpft, das andere ist im Jahr 2006 dazugestoßen, um alle Unternehmensbereiche auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu untersuchen. Mit ersterem wurden seit Langem schon Strategien entwickelt, der Erfolg des Unternehmens wuchs damals rasant und weitere Aufträge folgten. Das ging so weit, dass sich die Berater an vielen Stellen regelrecht »festsaugten«. Ehemalige Berater nahmen entscheidende Positionen im Konzern ein. Sogar die Kinder der Bertelsmann-Gründer Liz und Reinhard Mohn erlernten das Berater-Handwerk in eben dieser Unternehmensberatung. Den Höhepunkt des Erfolgs erlebte Bertelsmann Anfang der 1990er-Jahre mit sieben Millionen Mitgliedern, 320 Filialen und einem Umsatz von 700 Millionen Euro. Doch das Buchgeschäft ging mit Aufkommen der digitalen Medien immer weiter zurück. Man denke nur an den großen Brockhaus, der nun kaum noch Kunden fand, da niemand mehr fast 3000 Euro (Stand 2006) für 24.500 Stichwörter ausgeben wollte, während fast 1,6 Millionen deutsche Begriffe kostenlos auf Wikipedia nachzulesen waren (Stand 2001). Auch der Kaufzwang für Clubmitglieder innerhalb eines ziemlich eingeschränkten Angebotssortiments – das jedoch anfänglich noch 10 bis 20 Prozent günstiger war als im Laden – stieß mehr und mehr auf Ablehnung. Wer will schon von einem Anbieter abhängig sein? Die Mitglieder kündigten. Besonders schwer betroffen waren die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz. Nach Angaben der Bertelsmann-Tochter DirectGroup gingen die Mitgliederzahlen auf eine Million im Jahr 2014 zurück, mit einem Umsatz von nur noch 100 Millionen Euro und nur noch 52 Filialen. Die Haus-und-Hof-Unternehmensberatung von Bertelsmann wurde beauftragt, ein Kosteneinsparungsprogramm von mehreren hundert Millionen Euro auszuarbeiten.9 Ende 2009 waren dort konzernweit noch 106.000 Menschen beschäftigt, deren Arbeitsplätze letztlich verloren gingen.
Das sind nur zwei Beispiele, die das allgemeine Bild eines Beraters heute sehr gut veranschaulichen: Er ist nichts anderes als ein Leiharbeiter im Anzug oder Teil einer Berater-Feuerwehr, die von den Bossen meist erst dann geholt wird, wenn das halbe Stockwerk bereits in Flammen steht. Betroffene, aber auch Außenstehende, sehen die Schuld für Niederlagen überwiegend auf Seiten der Geschäftsführung, die wiederum gerne ihre Fehler auf fremden Schultern ablädt, um später sagen zu können: »Wir haben alles Mögliche getan!« Von Mitarbeitern argwöhnisch beobachtet, erarbeitet die »Berater-Feuerwehr« dann fieberhaft Strategien, die den Brand löschen und idealerweise die bereits vernichteten Stockwerke Stück für Stück wiederaufbauen sollen. Die Geschäftsführung versucht, diese Vorschläge mit ihren Mitteln und ihrem Können umzusetzen. Ist aber die Grundsubstanz bereits zerstört oder hat sich der Markt maßgeblich verändert, nützt die beste Strategie nichts.
■ In Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt hat man das am eigenen Leib erfahren. Dort machte die billige Konkurrenz aus Asien dem Solarunternehmen Q-Cells immer mehr zu schaffen, sodass es 2012 schließlich Insolvenz anmelden musste. Dabei liest sich die Erfolgsgeschichte von Q-Cells-Boss Anton Milner zunächst wie ein American Dream: Im Jahr 2000 errichtete er mit drei Mitgründern eine Fabrik für die Produktion von Solarzellen. Das war eine Zeit, in der die deutsche Ökostromförderung noch in Kinderschuhen steckte, aber auch genauso schnell laufen lernte. 2008 war Q-Cells der weltweit größte Hersteller von Solarzellen, bot zu Peak-Zeiten 2200 Arbeitsplätze und hatte einen Börsenwert von drei Milliarden Dollar bei rund 80 Euro pro Aktie. Doch dann kamen die Asiaten, und der Kampf ums Überleben begann. 2011 schrieb der Konzern schon einen Verlust von 846 Millionen Euro bei einem Umsatz von einer Milliarde Euro. Zwischen September 2011 und April 2012 bemühte sich neben zwei großen, bekannten Unternehmensberatungen auch ein kleines Restrukturierungsteam einer deutschen Wirtschaftskanzlei um das stark angeschlagene Unternehmen. Nachdem die Aktie auf 14 Cent gefallen war und der Insolvenzantrag unweigerlich folgte, schürte die Durchsicht der Bücher die Kritik an den Honoraren, die an diese kleine Kanzlei geflossen waren. Insolvenzverwalter Henning Schorisch warf den Beratern vor, auch dann noch an einer Sanierung gearbeitet und dafür kräftig Honorare einkassiert zu haben, als schon längst feststand, dass Q-Cells nicht mehr zu retten war. Eine Klage folgte.10
Wem muss man hier die Schuld geben? Natürlich ist ein Vorstand dafür verantwortlich, dass sein Unternehmen den bestmöglichen Weg geht. Doch tragen nicht auch die Berater Verantwortung? Sollte ihnen nicht das Wohl des Auftraggebers am Herzen liegen?
Q-Cells konnte noch gerettet werden – dafür sorgte der Insolvenzverwalter. Im Oktober 2012 wurde die Firma von dem südkoreanischen Konzern Hanwha übernommen. Zwar gingen dabei rund ein Drittel der Jobs in Deutschland verloren, aber der Standort Bitterfeld-Wolfen blieb erhalten.
Was sagen diese Beispiele darüber aus, wie die Berater ihre Macht nutzen? Das verdeutlicht wohl am besten die Sicht der Betroffenen: Für sie ist die Aktivität der Berater nichts anderes als eine große, leere Blase. Von der Geschäftsführung unterstützt, treiben die Berater das Unternehmen nur noch weiter in die Abwärtsspirale. Man hört wenig schmeichelhafte Bezeichnungen wie »hoch bezahlte Besserwisser«, »erbarmungslose Killer«, »Blender«, »Bluffer«, »Hilfstruppe des Managements«, »Clowns im schwarzen Anzug« oder »Nieten in Nadelstreifen«. Harte Worte – und doch verständlich. Der Berater geht, das Gebäude wird unbewohnbar. Dann war es einfach zu spät.
Aber der nächste Kunde scharrt bereits mit den Hufen. Denn – machen wir uns da nichts vor – das Outsourcen von Problemen ist bequem. Und warum auch nicht? Warum sollte das Management nicht eine Hilfe auf Zeit in Anspruch nehmen? Schließlich geht es ja nicht immer gleich um den drohenden Untergang. Was aber passiert hier auf oberster Ebene? Sind die Manager heutzutage nicht in der Lage, selbst auf neue Ideen zu kommen, Strategien für neue Produkte oder Märkte zu entwickeln und Wege aus festgefahrenen Situationen zu finden? Haben sie sich vielleicht selbst in die Misere geritten, indem sie zuvor zu umfassend und zu lange auf Lean Management gesetzt haben, bis auch die letzte Abteilung ihre Leistungsgrenze überschritten hat? Wir wissen es nicht. Was Berater bieten, scheint jedenfalls praktisch zu sein: Qualität auf Abruf.