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1. Der Urmensch
ОглавлениеDurch die Schatten des nächtlichen Urwalds schlich die große Bestie. All ihre Muskeln waren gespannt und fiebernd auf das Abenteuer der Jagd gerichtet. Wo der Mond den Dschungel an kleinen, natürlichen Lichtungen durchbrach, wich die große Katze behutsam in die tiefen Schatten zurück. Ihr Weg führte sie durch dichtes Grün, über einen Teppich von Blättern, unzähligen Zweigen und gebrochenen Ästen, aber kein Laut verriet ihre Bewegungen. Das ungeübte menschliche Ohr hätte den unsichtbaren Feind niemals gehört.
Das gejagte Wild war nur etwa hundert Schritte von der gelbbraunen Bestie entfernt. Obwohl es sich genau so leise vorwärts bewegte wie der Löwe, war es doch offensichtlich weniger vorsichtig. Statt den Strahlen des Mondes auszuweichen, überquerte es die erhellten Lichtungen. Im Gegensatz zu seinem grimmigen Verfolger ging es aufrecht - es ging auf zwei Beinen und außer einem Büschel schwarzer Haare auf dem Kopf war es völlig unbehaart. Seine Arme waren gut geformt und muskulös, die Hände stark und schlank mit langen, schmal zulaufenden Fingern. Die Daumen reichten beinahe bis an das oberste Gelenk des Zeigefingers. Auch seine Beine waren gut geformt, aber seine Füße wichen von der Norm aller menschlichen Rassen ab. Wie bei den primitivsten Urmenschen standen die großen Zehen beinahe im rechten Winkel zum Fuß. Einen kurzen Augenblick verweilte das Geschöpf im vollen Licht des prächtigen afrikanischen Mondes, das lauschende Ohr nach hinten gewandt. Sein Kopf hob sich. Die Züge lagen klar und deutlich im Mondlicht. Es waren starke, scharf gemeißelte und ebenmäßige Züge - Züge, die in ihrer männlichen Schönheit in jeder Großstadt der Erde Aufmerksamkeit erregt hätten. Aber war dies Geschöpf ein Mensch? Als es sich wieder auf den Weg machte und über den silbernen Teppich eilte, den das Mondlicht auf dem Boden des düsteren Urwalds ausgebreitet hatte, wäre diese Frage für einen Beobachter in den nächsten Bäumen der Lichtung schwer zu beantworten gewesen. Dieses Wesen trug einen schwarzen Pelz um die Hüften, aus dem hinten ein langer, haarloser weißer Schwanz hing.
In einer Hand hielt das seltsame Geschöpf einen starken Knüppel. Über die linke Schulter lief ein Riemen, an dem ein Messer in einer Scheide hing, während ein anderer Riemen an seiner rechten Seite einen Beutel befestigte. Diese Riemen und der schwarze Pelz wurden von einem breiten Gürtel gehalten, der im Mondlicht glänzte, als sei er mit Gold bedeckt. In der Mitte des Gürtels saß eine riesige Schnalle, deren Ornamente gleißten und glitzerten, als seien sie voller Edelsteine. Näher und näher schlich Numa, der Löwe, an sein Opfer heran. Doch dieses war offenbar nicht im Ungewissen über die drohende Gefahr, denn es drehte sich immer häufiger um und lauschte, während seine schwarzen Augen in die Richtung blickten; wo die Wildkatze auf seiner Spur folgte. Seine Geschwindigkeit vergrößerte sich nicht bedeutend, denn das Messer saß lose in der Scheide, und der Knüppel war jederzeit zum Zuschlagen bereit.
Das Menschenwesen bahnte sich seinen Weg durch eine enge Stelle des dichten Dschungels und kam auf eine breite Lichtung. Einen Augenblick zögerte es und blickte rasch nach hinten und nach oben, wo der Schutz in den Zweigen der Bäume winkte. Aber sein Entschluss wurde offensichtlich nicht von Furcht oder Vorsicht bestimmt, denn es nahm seinen Weg über die Lichtung und ließ den Schutz der Bäume hinter sich. In größeren und kleineren Abständen ragten belaubte Schutzwinkel aus dem Gras der Wildnis vor ihm auf. Das gehetzte Menschenwesen lief von einer dieser Baumgruppen zur anderen und zeigte so, dass es nicht auf die gebotene Vorsicht völlig verzichten wollte. Aber nachdem es den zweiten Baum hinter sich gelassen hatte, war die Entfernung bis zum nächsten ziemlich groß. Soeben schlich Numa, der Löwe, aus dem Schutz des Dschungels, in dem er sich bisher versteckt hatte. Als er seine Beute so weit von jedem Zufluchtsorte hilflos vor sich sah, reckte er den Schwanz und griff an.
Zwei Monate - zwei lange ermüdende Monate, erfüllt von Hunger, Durst, Mühsal, Enttäuschung und mehr als dies, von nagendem Schmerz - waren vergangen, seit Tarzan aus dem Tagebuch des toten Hauptmanns erfahren hatte, dass seine Frau noch lebte. Eine kurze Untersuchung, bei der ihn die Kolonialpolizei unterstützte, ergab, dass man den Versuch unternommen hatte, Lady Jane im Innern des Landes zu verbergen. Die Gründe dafür waren wohl nur dem dortigen Oberkommando bekannt.
Unter dem Schutz eines Lieutenants und einer Abteilung eingeborener Truppen war sie über die Grenze gebracht worden.
Tarzan, der sich allein auf die Suche gemacht hatte, war es gelungen, das Dorf zu finden, in dem man sie gefangen gehalten hatte. Dort erfuhr er jedoch, dass sie vor etlichen Monaten entflohen und dass jener Offizier zur gleichen Zeit verschwunden war. Außer dieser Tatsache waren die Angaben des Häuptlings und der Krieger, die er befragte, ungenau und widersprechend. Auch die Richtung, welche die Fliehenden eingeschlagen hatten, konnte Tarzan nur aus den verschiedensten Angaben erraten.
Einige Beobachtungen, die er in dem Eingeborenendorf machte, ließen ihn Schlimmes befürchten. Einmal war dies die unwiderlegliche Erkenntnis, dass die Eingeborenen Menschenfresser waren, zum anderen befanden sich die verschiedensten Uniform- und Ausrüstungsgegenstände der Banditen-Soldaten im Dorf. Obwohl der Häuptling seine Zustimmung verweigerte, nahm er das Wagnis auf sich, jede Hütte genau zu untersuchen. Das gab ihm neue Hoffnung, denn er fand nichts, was seiner Frau gehört haben konnte.
Er verließ das Dorf in südwestlicher Richtung und überquerte unter unbeschreiblichen Mühen und Beschwerden eine nahezu unendliche, wasserlose Gegend, die meist von dichtem Dornengestrüpp bedeckt war. Die Steppe, die er nun erreichte, hatte wahrscheinlich noch kein Weißer betreten. Sie war auch nur in den Erzählungen der Stämme bekannt, die an ihrem Rande wohnten. Hier gab es steile Gebirge, wild bewachsene Hochländer, tiefe Ebenen und ausgedehnte Sümpfe. Aber es erwies sich, dass ihm weder die Ebenen, noch die Hochländer, noch das Gebirge zugänglich waren. Erst nach anstrengenden Wochen fand er eine Stelle, an der er die Sümpfe überqueren konnte. Es war ein abschreckender Streifen Morast, der von giftigen Schlangen und noch größeren gefährlichen Reptilien heimgesucht wurde. Gelegentlich erspähte er in der Feme oder bei Nacht Gestalten, die gewaltigen vorsintflutlichen Ungeheuern glichen. Da es aber in dem Morast Nilpferde, Nashörner und Elefanten in großen Mengen gab, war er nie sicher, ob er nicht diese für unbekannte Ungeheuer angesehen hatte.
Als Tarzan den Sumpf durchquert hatte und wieder auf festem Boden stand, wurde ihm klar, warum dieses Gebiet vielleicht seit unerdenklichen Zeiten dem Mut und den Anstrengungen der Menschen widerstanden hatte, die nach unzähligen Niederlagen und unglaublichen Leiden doch fast jedes andere Gebiet von Pol zu Pol besiegt und erobert hatten.
Die Unmenge und die Verschiedenheit des Wildes schienen sämtliche bekannten Rassen von Vögeln, Reptilien und wilden Tieren zu umfassen, die hier einen Zufluchtsort vor den Ansturm der Menschen gesucht hatten. Es war ein letztes Stück Urwelt, das sich gegen die Menschen behauptet hatte, die sich über die Erde ausgebreitet und den niedrigeren Rassen die Jagdgründe entrissen hatten.
Die zwei Monate voller Anstrengungen ergaben nicht den geringsten Beweis, dass seine Frau dieses herrliche, aber wilde Land betreten hatte. Seine Fragen bei den Kannibalen und den Nachbarstämmen hatten ihm jedoch die Gewissheit gebracht, dass Lady Jane, falls sie noch am Leben war, in dieser Richtung gesucht werden musste. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, wie sie den Sumpf überquert hatte, aber er glaubte doch, dass sie in dieser wilden Welt zu finden war. Falls sie noch lebte, musste er hier nach ihr suchen. Die unbekannte Wildnis war von riesigen Ausmaßen. Steile Gebirge versperrten jeden Weg. Gebirgsbäche stürzten aus den felsigen Höhen und hemmten das Vorwärtskommen. Außerdem war Tarzan immer wieder gezwungen, seinen Geist und seine Kraft mit den großen Bestien zu messen, die sein Leben bedrohten.
Immer wieder belauerten Tarzan und Numa, der Löwe, die gleiche Beute. Abwechselnd trug der eine oder der andere den Sieg davon. Nur selten litt der Affenmensch Hunger, denn das Land war reich an jagdbaren Tieren, Vögeln und Fischen. Auch gab es Früchte und tausenderlei Pflanzen, von denen der Dschungelmann leben konnte.
Oft fragte sich Tarzan, warum er in so einem reichen Land keinerlei menschliche Spuren fand und kam immer wieder zu der Überzeugung, dass die ausgetrocknete, dornige Steppe und die schrecklichen Sümpfe einen ausreichenden Schutz vor dem Eindringen der Menschen gewährten.
Nach tagelanger Suche hatte er endlich einen Weg durch das Gebirge gefunden. Auf der anderen Seite der Berge fand er das völlig gleiche Land. Die Jagd war gut. Bei einem Wasserloch am Ausgang einer Schlucht, die auf eine baumreiche Ebene führte, fiel Bara, der Hirsch, der List des Affenmenschen zum Opfer und wurde seine leichte Beute.
In der Dämmerung erhoben sich von Zeit zu Zeit die Stimmen der großen vierfüßigen Jäger, und da die Schlucht keinen ausreichenden Schutz gewährte, um dem Affenmenschen ein bequemes Nachtlager zu sichern, legte er sich den erlegten Hirsch über die Schulter und schritt der Ebene zu. Am entgegengesetzten Ende erhoben sich die Gipfel der Bäume. Der Affenmensch ging darauf zu, aber als er in der Mitte der Ebene war, sah er einen einsamen Baum, der ihm für sein Nachtlager geeignet erschien. Mühelos schwang er sich in seine Zweige und fand sehr bald einen behaglichen Ruheplatz.
Hier verzehrte er das Fleisch von Bara, dem Hirsch, und als er satt war, trug er den Rest seiner Beute auf die andere Seite des Baumes und legte es an eine sichere Stelle. Dann kehrte er zu der Astgabelung zurück und legte sich zum Schlafen nieder. Kurz darauf trafen das Gebrüll der Löwen und das Heulen der kleineren Katzen nur taube Ohren.
Der übliche Lärm des Dschungels störte den Affenmenschen nicht, er beruhigte ihn, aber jedes ungewöhnliche Geräusch, mochte es noch so leise - dem Ohr eines wachen, zivilisierten Menschen kaum vernehmbar - sein, nahm der Affenmensch wahr, selbst wenn er fest eingeschlafen war.
Als der Mond hoch am Himmel stand, weckte das Geräusch hastiger Tritte auf dem Grasteppich in der Nähe seines Baumes den Affenmenschen auf und brachte ihn sofort in Alarmbereitschaft. Denn Tarzan erwachte nicht vom Schlummer befangen mit trübem Geist und trübem Auge. Würden die Tiere der Wildnis so erwachen, wäre es bald um sie geschehen. Als sich Tarzans Augen öffneten, waren sie hell und klar, und ebenso hell und klar alarmierten sie die Nervenzentren seines Gehirns. Sie reagierten sofort auf die verschiedenen Wahrnehmungen aller seiner Sinne.
Beinahe unter ihm lief etwas auf seinen Baum zu, was zunächst ein fast nackter, weißer Mann zu sein schien. Aber schon der erste Blick verfehlte nicht, die Aufmerksamkeit des Affenmenschen auf den langen weißen Schwanz zu lenken, der dieses Geschöpf von den Menschen unterschied.
Numa, der Löwe, war im Angriff und bereits so dicht hinter der fliehenden Gestalt, dass seine Beute ihm nicht mehr entkommen konnte. Kein Laut kam von dem Opfer, kein Laut von dem Jäger. Wie zwei Geister in einer toten Welt bewegten sich die beiden mit schweigender Eile dem Höhepunkt dieses grausamen Wettlaufes zu.
Als sich Tarzans Augen geöffnet hatten und das Bild unter sich erblickten, erfolgte seine Reaktion so schnell, dass der Affenmensch sogleich mitten im Sprung war, als er die Beute auf der Flucht und seinen Erzfeind Numa im Angriff sah. Der Löwe war so dicht an das fliehende Wesen herangekommen, dass Tarzan keine Zeit blieb, seinen Angriff zu planen. Wie ein Taucher mit dem Kopf zuerst in das vor ihm liegende Wasser stürzt, so warf er sich, auf Numa, den Löwen. Unbekleidet, in seiner rechten Hand das Messer seines Vaters, das schon so oft in Löwenblut getaucht worden war.
Eine ausgestreckte Kralle fuhr Tarzan in die Seite und riss eine lange, tiefe Wunde. Aber dann war der Affenmensch auf dem Rücken Numas, und seine Klinge sauste immer wieder in die Seite der Bestie. Auch das fremde Wesen floh nicht weiter. Auch es, ein Geschöpf der Wildnis, hatte sofort die Bedeutung des Wunders, welches seine Rettung brachte, erkannt, wandte sich um und sprang mit erhobener Keule Tarzan zur Hilfe. Ein einziger schrecklicher Schlag auf den Schädel der Bestie ließ sie bewusstlos umfallen. Dann, als Tarzans Klinge das wilde Herz traf, zeigten ein paar krampfhafte Zuckungen und eine jähe Entspannung den Tod des Löwen an.
Der Affenmensch sprang auf, setzte den Fuß auf seine Beute und hob sein Gesicht zu Goro, dem Mond. Aus seinem Mund erscholl der wilde Siegesschrei, der so oft das Echo des Heimatdschungels geweckt hatte.
Als der entsetzliche Schrei von den Lippen des Affenmenschen ertönte, trat das fremde Wesen in plötzlicher Furcht zurück. Aber nachdem Tarzan das Jagdmesser wieder in die Scheide gesteckt hatte und sich ihm zuwandte, sah es keine Ursache zu Befürchtungen mehr. Eine kurze Weile standen sich die beiden gegenüber und musterten sich. Dann sprach das fremde Geschöpf. Tarzan erkannte, dass die Kreatur vor ihm artikulierte Laute ausstieß, aber es war eine Sprache, die Tarzan unbekannt war. Tarzan begriff bald, obgleich die Kreatur, die vor ihm stand, den Schwanz, die Daumen und Ziehen eines Affen hatte, dass sie doch, nach allen anderen Anzeichen zu schließen, ein Mensch war. Er musste einer viel früheren Entwicklungsstufe angehören, er war in Tarzans Vorstellung ein lebender Urmensch. Das Blut, welches an der Seitenwunde Tarzans herunterlief, erweckte die Aufmerksamkeit des anderen. Aus seiner Seitentasche nahm er einen kleinen Beutel und näherte sich damit Tarzan. Durch Zeichen gab er ihm zu verstehen, Tarzan möge sich hinlegen, damit er die Wunde behandeln könne. Dann öffnete er die Ränder der Wunde und bestreute das rohe Fleisch mit einem Pulver aus einem Beutel. Der Schmerz der Wunde war klein im Verhältnis zu der Qual, die das Heilmittel verursachte. Aber da der Affenmensch an körperlichen Schmerz gewöhnt war, hielt er still. In wenigen Augenblicken jedoch hatten nicht nur die Blutungen, sondern auch die Schmerzen aufgehört.
Um auf die weichen und sehr angenehmen Laute des anderen zu antworten, sprach Tarzan sowohl in den verschiedenen Dialekten der Eingeborenen als auch in der Sprache der großen Affen zu ihm, aber es war offensichtlich, dass der Mann keine dieser Sprachen verstand. Da er sah, dass sie sich nicht verständigen konnten, ging der Urmensch auf Tarzan zu und legte seine linke Hand auf das eigene Herz, während er die rechte Handfläche auf das Herz des Affenmenschen legte. Tarzan schien dies eine Art freundschaftlichen Grußes zu sein. Da er mit den Gewohnheiten wilder Stämme vertraut war, tat er das gleiche, wie es zweifellos von ihm erwartet wurde. Sein Verhalten schien seinem neugefundenen Bekannten zu gefallen und ihn zu befriedigen, denn er begann sogleich wieder zu sprechen. Plötzlich warf er seinen Kopf zurück und sog den Geruch ein, der vom Baum zu ihnen herunter kam. Er zeigte auf den Rest von Bara, dem Hirsch, und berührte dann seinen Magen. Dies war eine Geste, die auch der Dümmste verstehen musste. Mit einer Handbewegung lud Tarzan seinen Gast ein, an seiner Mahlzeit teilzuhaben. Sogleich schwang sich der andere leicht wie ein Äffchen in die Zweige des Baumes und kletterte rasch zu dem Fleisch, wobei er auf seinem Weg von dem langen, starken, muskulösen Schwanz unterstützt wurde.
Der Urmensch schnitt sich mit seinem scharfen Messer schmale Streifen von der Lende des Hirsches und aß schweigend. Von seiner Astgabel aus beobachtete Tarzan seinen Gefährten und beobachtete das Übergewicht menschlicher Merkmale, die zweifellos gegenüber dem großen Daumen, den großen Zehen und dem Schwanz ins Auge fielen.
Er fragte sich wieder, ob dieses Wesen der Vertreter einer seltsamen Rasse war oder, was ihm wahrscheinlicher schien, ein Mensch der Urzeit. Jede dieser Annahmen wäre widersinnig genug erschienen, wenn er diese Kreatur nicht selbst vor sich gesehen hätte. Aber da saß in der Tat ein Mann vor ihm, der einen Schwanz und die Hände und Füße hatte, die auf das Leben in den Bäumen hinwiesen. Seine Ausrüstung war mit Gold bedeckt, und mit Edelsteinen verziert. Dies konnte nur die Arbeit erfahrener Künstler sein. Aber ob es das Werk des Menschen vor ihm oder anderer, die ihm glichen, war, oder vielleicht einer ganz anderen Rasse, konnte Tarzan natürlich nicht beurteilen.
Nachdem er sein Mahl beendet hatte, wischte sich der Gast die Finger und Lippen mit den Blättern, die er von einem nahen Aste abstreifte. Dann schaute er Tarzan mit einem befriedigten Lächeln an und entblößte dabei eine Reihe starker, weißer Zähne. Seine Eckzähne waren nicht größer als die Tarzans. Dann sprach er ein paar Worte, von denen Tarzan annahm, dass sie der freundliche Dank für die Mahlzeit bedeuten sollten. Wenig später hatte auch der andere einen Platz für seine Nachtruhe gefunden.
Die Erde war noch in die Dunkelheit getaucht, die der Dämmerung vorausgeht, als Tarzan durch eine heftige Erschütterung des Baumes wieder geweckt wurde. Als er die Augen öffnete, sah er, dass sein Gefährte ebenfalls wach war und rasch um sich schaute, um die Ursache der Störung zu finden. Der Affenmensch war erstaunt über den Anblick, der sich ihm bot.
Der trübe Umriss einer gewaltigen Gestalt war dicht am Baum zu erkennen, und er sah, wie der riesige Körper sich an den Ästen scheuerte, wodurch der Baum ins Schwanken gebracht wurde. Dass solch ein gewaltiges Tier so nahe an ihn herangekommen war, ohne ihn aufzuwecken, erfüllte Tarzan mit Staunen und Kummer. In der beginnenden Dämmerung wollte es dem Affenmenschen scheinen, als sei das Tier ein Elefant. Doch wenn dies ein Elefant war, so übertrafen seine Ausmaße bei weitem die aller anderen Elefanten. Als die trüben Umrisse weniger unklar wurden, sah Tarzan in Augenhöhe, etwa zwanzig Fuß über dem Boden, den Umriss eines grotesk gezackten Rückens. Es sah so aus, als ob jeder Rückenwirbel des Tieres einen dicken, schweren Hornkamm trug. Leider konnte der Affenmensch nur einen Teil des Rückens sehen, da der Rest des Tieres sich in dem Schatten des Baumes verlor. Von unten hörte er das Kaugeräusch gigantischer Backen, welche Fleisch und Knochen zermalmten. Die Gerüche verrieten ihm, dass jenes gewaltige Tier den Löwen verspeiste, den sie in der vergangenen Nacht erschlagen hatten.
Während Tarzan seine Blicke neugierig durch die dunklen Schatten schweifen ließ, fühlte er eine leichte Berührung auf seiner Schulter. Er wandte sich um und sah seinen Gefährten, der versuchte, Tarzans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der andere hielt einen Finger auf die Lippen gepresst, um sich Tarzans Schweigen zu versichern. Dann zog er Tarzan am Arm und bedeutete ihm, dass sie sofort von hier fort müssten.
Da es ihm klar geworden war, dass er sich in einem fremden Land befand, das augenscheinlich von gigantischen Ungeheuern bewohnt wurde, mit deren Gewohnheiten und Eigenschaften er nicht im geringsten vertraut war, ließ sich Tarzan von seinem Gefährten fortziehen. Äußerst vorsichtig stieg der Urmensch den Baum an der Seite hinunter, die dem nächtlichen Störenfried gegenüber lag. Von Tarzan dicht gefolgt, überquerte er die Ebene.
Es passte dem Affenmenschen an sich wenig, die Gelegenheit aufzugeben, ein Tier zu beobachten, welches so ganz aus dem Rahmen seiner bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse herausfiel. Aber er war klug genug, zu wissen, wann die Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist. Jetzt wie auch in der Vergangenheit unterwarf er sich dem Gesetz, das alles Leben in der Wildnis regiert. Es verhindert, dass die Geschöpfe der Wildnis ihr Leben sinnlos aufs Spiel setzen, das ohnehin täglich von tausend Gefahren umlauert ist, wenn sie ihren natürlichen Notwendigkeiten wie Fressen und Fortpflanzung der Art nachgehen.
Die aufgehende Sonne zerstreute die Schatten der Nacht und Tarzan fand sich am Rande eines großen Urwaldes, in den sein Gefährte eindrang. Er schwang sich auf die Äste der Bäume und verfolgte hier seinen Weg mit der Leichtigkeit langer Gewohnheit und ererbten Instinktes. Obgleich er auf seinem Weg sowohl von dem zugreifenden Schwanz, den großen Fingern und Zehen unterstützt wurde, kam der andere nicht rascher und leichter durch den Wald als der Affenmensch.
Während ihrer Kletterei erinnerte sich Tarzan an die Wunde, die ihm in der vergangenen Nacht von Numas Krallen gerissen worden war. Er untersuchte sie und bemerkte erstaunt, dass sie keinerlei Schmerzen verursachte und dass sich auch an den Rändern nirgends eine Entzündung zeigte, was zweifellos auf das Pulver zurückzuführen war, mit dem sein seltsamer Gefährte ihn behandelt hatte.
Sie waren etwa ein» oder zwei Meilen vorangekommen, als sich Tarzans Gefährte auf einem Rasenhügel niederließ, wo unter den schattigen Zweigen eines Baumes ein klarer Bach floss. Hier tranken sie. Tarzan fand das Wasser nicht nur köstlich rein und frisch, es war auch von einer eisigen Kälte. Der Bach musste den Weg von seiner felsigen Gebirgsquelle bis hierher sehr rasch zurückgelegt haben.
Tarzan legte sein Lendentuch und seine Waffen ab und stieg in den kleinen Teich unter dem Baum. Nach kurzer Zeit kam er bedeutend erfrischt wieder heraus und fühlte heftigen Appetit auf ein Frühstück. Als er aus dem Teich kam, bemerkte er, dass sein Gefährte ihn mit erstauntem Gesichtsausdruck musterte. Der andere nahm den Affenmenschen bei der Schulter und drehte ihn herum, so dass Tarzan mit dem Rücken zu ihm stand. Dann berührte er das Ende von Tarzans Wirbelsäule mit seinen Fingern und rollte seinen eigenen Schwanz über die Schultern. Dann drehte er den Affenmenschen wieder um und deutete zuerst auf Tarzan und danach auf seinen Schwanz, und mit einem fragenden Gesichtsausdruck begann er aufgeregt in seiner eigenen Sprache zu reden.
Der Affenmensch erkannte, dass sein Gefährte erst jetzt entdeckt hatte, dass er nicht durch einen Unfall seinen Schwanz verloren hatte, sondern von Natur aus schwanzlos war. Daher lenkte er die Aufmerksamkeit seines Gefährten auf dessen großen Zehen und auf die Daumen, um ihm noch deutlicher zum Bewusstsein zu bringen, dass sie verschiedenen Rassen angehörten.
Der Bursche schüttelte zweifelnd den Kopf. Er schien keineswegs begreifen zu können, wie es möglich war, dass sich Tarzan so sehr von ihm unterschied, aber er gab es achselzuckend auf, das Problem zu lösen. Nachdem er seine Sachen abgelegt hatte, stieg auch er in das Wasser.
Als er sein Morgenbad beendet hatte, legte er seine Ausrüstung wieder an, die kärglich genug war, ließ sich am Fuße des Baumes nieder und bedeutete Tarzan, sich zu ihm zu gesellen. Dann öffnete er die Tasche, welche an seiner rechten Seite hing, und entnahm ihr einige Streifen getrockneten Fleisches und ein paar Hände voll Nüsse mit dünnen Schalen, die Tarzan unbekannt waren. Er beobachtete, wie der andere die Schalen mit den Zähnen zerbiss und den Kern verzehrte und folgte seinem Beispiel. Der Kern war nahrhaft und schmeckte ausgezeichnet. Auch das getrocknete Fleisch war schmackhaft, obgleich es offenbar ohne Salz zubereitet worden war. Salz war jedoch ein Luxus, den man in dieser Gegend kaum erwarten konnte. Während sie aßen, deutete Tarzans Gefährte auf die Nüsse, das getrocknete Fleisch und verschiedene andere Gegenstände, die sich in ihrer Umgebung befanden und wiederholte jedes Mal die einzelnen Worte, die Tarzan als die Namen der Dinge in der Sprache seines Gefährten erkannte. Der Affenmensch lächelte bei diesem offensichtlichen Wunsch seines neuen Bekannten, ihm sein Wissen mitzuteilen, um so gelegentlich zu einer Verständigung zu kommen. Da er bereits mehrere Sprachen und eine Vielzahl von Dialekten beherrschte, fühlte der Affenmensch, dass er leicht noch eine dazu erlernen konnte, obgleich die Sprache seines Gefährten keinerlei Ähnlichkeiten mit irgendeinem der anderen Dialekte hatte.
Sie waren so sehr mit ihrem Frühstück und dem Unterricht beschäftigt, dass keiner der beiden die runden glitzernden Augen bemerkte, die auf sie hinunter sahen. Tarzan war sich keiner drohenden Gefahr bewusst, als urplötzlich eine große haarige Gestalt sich aus den Zweigen auf seinen Gefährten stürzte.