Читать книгу TARZAN IN GEFAHR - Edgar Rice Burroughs - Страница 8
2. Bis zum Tode
ОглавлениеSofort sah Tarzan, dass diese Kreatur beinahe das Gegenstück zu seinem Gefährten war. Sie ähnelten sich in Größe und Gestalt. Aber der Körper des Angreifers war mit einem dichten Pelz zottiger Haare bedeckt, welcher seine Züge fast verbarg, während seine Ausrüstung und seine Waffen völlig denen seines Gefährten glichen. Bevor Tarzan es verhindern konnte, hatte die Kreatur seinem Gefährten mit seinem dicken Knüppel einen Schlag auf den Kopf versetzt, der ihn ohnmächtig zu Boden sinken ließ. Sie konnte jedoch dem wehrlosen Opfer keinen weiteren Schaden mehr zufügen, denn Tarzan hatte den Kampf aufgenommen. Es wurde ihm sehr schnell klar, dass er mit einem Geschöpf von beinahe übermenschlicher Stärke kämpfte. Die sehnigen Finger der mächtigen Hand suchten seine Kehle, während die andere den Knüppel über seinem Kopf schwang. Mochte die Stärke des haarigen Feindes noch so groß sein, war doch die Kraft seines glatthäutigen Widersachers nicht geringer. Ein einziger schrecklicher Schlag der geballten Faust gegen das Kinn brachte den Angreifer ins Wanken. Dann schlossen sich Tarzans eigene Finger um die zottige Kehle, während die andere Hand den Arm packte, der den Knüppel hielt. Mit der gleichen Geschicklichkeit fuhr sein rechtes Bein hinter das zottige Geschöpf. Wuchtig warf er das Gewicht seines starken Körpers nach vorn und schleuderte die Kreatur über seine Hüfte und auf den Boden. Sein eigener Körper lag auf der Brust des anderen.
Durch die Wucht des Aufpralls entfiel der Knüppel der Hand des Angreifers und Tarzans Griff an seiner Kehle lockerte sich. Augenblicklich wurde ihre Lage für beide in gleicher Weise bedrohlich. Obgleich die Kreatur um sich biss, erkannte der Affenmensch sofort, dass er diese Angriffsart nicht fürchten musste. Die Eckzähne seines Widersachers waren kaum stärker entwickelt als seine eigenen. Hauptsächlich musste er sich jedoch vor dem muskulösen Schwanz in Acht nehmen, der ständig seine Kehle zu umschlingen drohte und gegen den seine Erfahrung noch kein Mittel zur Abwehr kannte. Zähnefletschend und keuchend rollten die beiden auf dem Rasenteppich unter dem Baum hin und her. Einmal lag der eine oben, mal der andere, aber beide waren so sehr damit beschäftigt, ihre Kehlen vor dem würgenden Griff des anderen zu schützen, dass sie keinen neuen Angriff unternehmen konnten. Plötzlich aber sah der Affenmensch eine Chance. Während sie fest umschlungen über den Boden rollten, zwang er die Kreatur immer näher an den Rand des Teiches, an dessen Ufer sich der Kampf abspielte. Als sie endlich den Rand des Wassers erreicht hatten«, wollte Tarzan einen Weg finden, um sie beide so ins Wasser zu stürzen, dass er an der Oberfläche und auf seinem Gegner blieb.
In diesem Augenblick sah Tarzan hinter der reglosen Gestalt seines Gefährten einen jener teuflisch aussehenden, gestreiften, säbelzahnigen Bastarde kauern, der ihn bösartig anstierte.
Fast gleichzeitig erkannte auch Tarzans zottiger Gegner die drohende Gefahr durch die große Katze. Sofort ließ er von Tarzan ab. Keuchend versuchte er sich aus Tarzans Griff zu lösen. Die Art und Weise, wie er dabei vorging, ließ erkennen, dass für ihn der Kampf zu Ende war. Der Affenmensch sah die Gefahr, in der sein ohnmächtiger Gefährte schwebte, und da er ihn vor dem Angriff des Säbelzahners beschützen wollte, ließ er seinen Widersacher frei. Beide erhoben sich schnell. Tarzan zog sein Messer und ging langsam auf seinen ohnmächtigen Gefährten zu. Er erwartete, dass sein vorheriger Gegner diese Gelegenheit zur Flucht ergreifen würde. Zu seiner Überraschung jedoch nahm die zottige Kreatur ihren Knüppel auf und ging an seiner Seite mit.
Die große Katze blieb reglos etwa fünfzig Fuß vom Körper des Urmenschen entfernt liegen. Nur ihre Zähne fletschten und der Schwanz bewegte sich unruhig hin und her. Als Tarzan über den Körper seines Gefährten stieg, sah er dessen Augenlider zucken und sich langsam öffnen. Er empfand eine seltsame Erleichterung darüber, dass der Urmensch nicht tot war. Dabei wurde ihm bewusst, dass ohne sein Wissen ein Gefühl der Zuneigung zwischen ihm und diesem seltsamen neuen Freund in seiner wilden Brust entstanden war.
Unaufhaltsam näherte sich Tarzan dem Säbelzahner. Die zottige Kreatur zu seiner Rechten blieb keinen Schritt hinter ihm zurück. Sie hatten sich auf etwa zwanzig Fuß genähert, als das Tier zum Angriff überging. In raschem Lauf rannte es auf den zottigen, affenähnlichen Menschen zu, der stehengeblieben war und mit erhobenem Knüppel den Angriff parieren wollte. Tarzan jedoch sprang vorwärts. Seine Geschicklichkeit gab der schnellen Bewegung der Bestie in nichts nach. Wie ein Rugby-Spieler sprang er vor. Sein rechter Arm glitt von vorn über die rechte Schulter der Bestie und umklammerte das Genick. Sein linker Arm griff hinter die linke Vordertatze. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass beide sich mehrmals überschlugen. Während die Katze brüllte und ihre Krallen gebrauchte, um sich zu befreien und den Angreifer zu vernichten, hielt sich Tarzan verzweifelt fest.
Es schien, als sei der Angriff von einer sinnlosen Wildheit und weder von Vernunft noch Erfahrung gelenkt. Das war aber keineswegs so. Jeder einzelne Muskel in der gigantischen Gestalt des Affenmenschen gehorchte den Befehlen eines gewitzten Verstandes, der, durch eine lange Reihe von Erfahrungen geschult, wusste, worauf es bei einer solchen Begegnung ankam. Obgleich die langen kräftigen Beine hoffnungslos mit den Hinterläufen der Wildkatze verschlungen schienen, wichen sie jedes Mal wie durch ein Wunder den scharfen Krallen der Bestie aus. Immer waren sie zur rechten Zeit wieder da, wo sie zur Verteidigung des Affenmenschen nötig waren. Jedes Mal, wenn der Bastard bereits glaubte, den Sieg über seinen Widersacher errungen zu haben, wurde er plötzlich wieder hochgerissen. Da erhob sich Tarzan und presste den gestreiften Rücken eng an seinen Körper, bis seine Krallen nur noch hilflos hinter seinem Rücken in die Luft ragten.
Sofort war der zottige Schwarze mit gezogenem Messer zur Stelle und stieß es in das Herz der Bestie. Tarzan hielt das Tier noch eine Weile in seinem Griff, bis der Körper sich nach der letzten Zuckung entspannt hatte. Dann stieß er den Kadaver von sich, und die beiden, die noch kurz vorher um Tod oder Leben gekämpft hatten, standen sich über der Leiche des gemeinsamen Feindes gegenüber.
Tarzan war jedoch nicht sicher, wie sich der Urmensch jetzt verhalten würde. Da aber hoben sich zwei zottige schwarze Hände. Die linke legte sich auf das eigene Herz, die rechte reckte sich vor, bis ihre Handfläche Tarzans eigene Brust berührte. Es war der gleiche freundliche Gruß, durch den der helle Urmensch seine Freundschaft mit dem Affenmenschen besiegelt hatte. Tarzan, der sich über jeden Verbündeten freute, den er in dieser fremden und wilden Welt gewinnen konnte, nahm die dargebotene Freundschaft willig an.
Am Ende dieser kurzen Zeremonie entdeckte Tarzan, als er zu dem haarlosen Urmensch hinüberschaute, dass dieser das Bewusstsein wiedererlangt und sich aufgesetzt hatte. Langsam erhob er sich. Gleichzeitig wandte sich der zottige Schwarze nach ihm um und richtete ein paar Worte an ihn, die dieser offenbar in der gleichen Sprache beantwortete. Dann gingen die beiden langsam aufeinander zu. Tarzan beobachtete gespannt, wie das Treffen wohl ausgehen mochte. Ein paar Schritte voneinander entfernt blieben sie stehen. Erst sprach der eine, dann der andere schnell ein paar Sätze, aber keiner schien erregt zu sein. Jeder blickte hin und wieder zu Tarzan hinüber oder nickte in seine Richtung, woraus zu entnehmen war, dass sich ihre Unterhaltung bis zu einem bestimmten Grade auch auf ihn bezog.
Daraufhin gingen sie wieder aufeinander zu, bis sie dicht zusammenstanden. Nun wiederholte sich noch einmal die kurze Zeremonie der Verbundenheit, die bereits vorher die Feindschaft zwischen Tarzan und dem Schwarzen beendet hatte. Endlich kamen beide zu dem Affenmenschen und sprachen in ernstem Ton zu ihm, als ob sie eine Botschaft von besonderer Wichtigkeit zu übermitteln hätten. Sie gaben ihre hoffnungslose Aufgabe jedoch sehr schnell auf und bedienten sich der Zeichensprache. Diesmal bedeuteten sie Tarzan, dass sie ihren Weg gemeinsam fortsetzen wollten und dass er sie begleiten solle.
Tarzan hatte die angegebene Richtung noch nicht erforscht und war daher sofort bereit, ihnen zu folgen. Er hatte sich vorgenommen, das unbekannte Land zu durchstreifen, bevor er seine Suche nach Lady Jane, die dort sein konnte, aufgab.
Tagelang führte ihr Weg sie über die Hügel, die sich unter den ragenden Gipfeln des Gebirges entlangzogen. Oft wurden sie von den wilden Tieren dieser entfernten Weiten bedroht. Von Zeit zu Zeit erspähte Tarzan die gigantischen Ausmaße seltsamer Tiere in dem Schatten der Nacht.
Am dritten Tag kamen sie zu einer großen natürlichen Höhle gegenüber einer abfälligen Klippe, zu deren Füßen einer der zahlreichen Gebirgsbäche floss, von denen die Ebene unter ihnen und die Sümpfe in den Niederungen an der Grenze des Landes gespeist wurden. Hier nahmen die drei vorläufig Wohnung und Tarzans Unterricht in der Sprache seiner Gefährten machte nun bessere Fortschritte als während ihres Marsches.
Spuren in der Höhle deuteten darauf hin, dass sie in grauer Urzeit von anderen menschenähnlichen Geschöpfen bewohnt worden war. Überreste einer in den Fels geschlagenen Feuerstätte waren noch vorhanden. Wände und Decke waren schwarz von dem Rauch vieler Feuer. An manchen Stellen konnte man durch den Ruß in dem darunter liegenden Fels eingegrabene Hieroglyphen und Zeichnungen erkennen. Es waren die Umrisse von Tieren, Vögeln und Reptilien, welche an die ausgestorbenen Kreaturen der Kreidezeit erinnerten. Einige der Hieroglyphen waren jedoch neueren Ursprungs. Tarzans Gefährten lasen diese sehr aufmerksam und machten ihre Bemerkungen dazu. Mit den Spitzen ihrer Messer trugen auch sie zu dem wahrscheinlich Jahrhunderte alten Bericht auf den geschwärzten Wänden bei.
Tarzans Neugier war geweckt. Aber die einzige Erklärung, die ihm in den Sinn kam, ließ darauf schließen, dass dies vielleicht das primitivste Gästebuch der Welt war. Wenigstens verstand er nun etwas mehr von der Entwicklung der seltsamen Kreaturen, mit denen ihn das Schicksal zusammengeführt hatte. Hier gab es Menschen mit Affenschwänzen, einer von ihnen behaart wie irgendein anderes Pelztier der niederen Klassen, und trotzdem besaßen beide augenscheinlich nicht nur eine Sprache, sondern auch eine primitive Schrift. Die erstere begann er langsam zu meistern. Dieser neue Beweis einer erstaunlichen Zivilisation bei Geschöpfen, die so zahlreiche tierische Merkmale aufwiesen, stachelte Tarzans Wissbegier nur noch mehr an. Sein Wunsch, ihre Sprache möglichst bald völlig zu beherrschen, verstärkte sich, so dass er sich mit noch größerem Eifer auf die vor ihm liegende Aufgabe stürzte. Er kannte bereits die Namen seiner Gefährten und die gewöhnlichen Bezeichnungen für Tiere und Pflanzen, mit denen sie in Berührung gekommen waren.
Ta-den, der Haarlose mit der weißen Haut, hatte die Rolle des Erziehers übernommen und führte seine Aufgabe mit einem Eifer durch, der seinen Niederschlag in den schnellen Fortschritten seines fleißigen Schülers fand. Om-at, der haarige Schwarze, schien zu fühlen, dass auch auf seiner Schulter ein Teil der Verantwortung für Tarzans Erziehung ruhte. Deshalb bemühte auch er sich, Tarzan mancherlei beizubringen. Das Ergebnis war überaus erfreulich: Bevor einer von ihnen sich dessen recht bewusst werden konnte, war die mündliche Verständigung eine vollendete Tatsache. Tarzan erklärte seinen Gefährten den Zweck seiner Expedition, aber keiner von ihnen konnte ihm den leisesten Hoffnungsschimmer auf Erfüllung seiner Sehnsucht geben. In ihrem Land hatte es niemals eine Frau gegeben, die seiner Beschreibung entsprach, überhaupt hatten sie vor dem Zusammentreffen mit ihm jemals einen Menschen ohne Schwanz gesehen.
»Ich bin von A-lur schon so lange fort wie Bu, der Mond, braucht, um siebenmal zu essen«, sagte Ta-den. »Viele Dinge können in siebenmal achtundzwanzig Tagen geschehen. Aber ich bezweifle, dass deine Frau durch die schrecklichen Sümpfe in unser Land kommen konnte, die selbst du kaum zu bezwingen vermochtest. Und selbst wenn es ihr gelungen wäre, hätte sie die Gefahren überleben können, denen du begegnet bist, ganz zu schweigen von denen, die du noch kennenlernen musst? Nicht einmal unsere Frauen wagen sich in die Wildnis außerhalb der Städte.«
A-lur, Lichtstadt, Stadt des Lichtes, sann Tarzan, indem er das Wort in seine eigene Sprache übersetzte. »Und wo liegt A-lur?«, fragte er. »Ist es deine Stadt, Ta-den und die von Om-at?«
»Es ist meine«, erwiderte Ta-den, der Haarlose. »Aber nicht die Stadt Om-ats. Die Waz-don haben keine Städte - sie leben in den Bäumen des Waldes und den Höhlen der Berge - nicht wahr, schwarzer Mann?«, sagte er und wandte sich an den haarigen Riesen neben ihm.
»Ja«, gab Om-at zurück. »Wir Waz-don sind frei - nur die Ho-don sperren sich selbst in Städte ein. Ich möchte kein weißer Mann sein!«
Tarzan lächelte. Sogar hier gab es den Rassenunterschied weiß und schwarz - Ho-don und Waz-don. Auch nicht die Tatsache, dass sie in ihrer Entwicklung und ihren Fähigkeiten ebenbürtig waren, machte einen Unterschied - der eine war weiß, der andere schwarz, und es war nicht schwer zu erraten, dass sich der Weiße dem anderen überlegen fühlte - man konnte es in seinem ruhigen Lächeln lesen.
»Wo liegt A-lur?«, fragte Tarzan nochmals. »Du kehrst dorthin zurück?«
»Sie liegt jenseits der Berge«, erwiderte Ta-den. »Ich kehre nicht zurück - noch nicht. Ich kehre zurück, wenn Ko-tan nicht mehr ist.«
»Wer ist Ko-tan?«, fragte Tarzan.
»Ko-tan ist König««, erklärte ihm der weiße Urmensch. »Er regiert das Land. Ich war einer seiner Krieger. Ich lebte im Palast Ko-tans und traf dort seine Tochter Sonnenlicht. Wir liebten uns, Sonnenlicht und ich. Aber Ko-tan wollte mich nicht haben. Er schickte mich fort, um mit den Männern eines Dorfes im Dschungel zu kämpfen, die ihm den Tribut als König verweigerten. Er hoffte, dass ich dabei getötet würde. Es gab harte Kämpfe, aber ich wurde nicht getötet. Siegreich kehrten wir zurück und brachten den Anführer der Aufständischen selbst als Gefangenen mit. Aber Ko-tan war nicht zufrieden, denn er sah, dass Sonnenlicht mich nun noch mehr liebte als zuvor. Mein Vater, Ja-don, der Löwenmensch, ist mächtig. Er ist der Häuptling des größten Dorfes außerhalb von A-lur. Ko-tan wagte nicht, ihn zu beleidigen. Daher konnte er nicht anders, er musste mich meiner Verdienste wegen loben, obgleich er es nur mit einem zwiespältigen Lächeln tat. Aber du verstehst nicht! Wir nennen es ein Lächeln, das nur die Muskeln des Gesichtes bewegt und kein Licht in die Augen bringt - es bedeutet Heuchelei und Doppelzüngigkeit. Ich musste gelobt und belohnt werden. Wie hätte er mich besser belohnen können, als mit der Hand von Sonnenlicht seiner Tochter? Aber nein, er hebt Sonnenlicht für Bu-lot auf, den Sohn von Mo-sar, dem Häuptling, dessen Urgroßvater König war. Dieser bildet sich ein, er müsste von Rechts wegen König sein. So hoffte Ko-tan, Mo-sar zu besänftigen und auch die Freundschaft derer zu gewinnen, die wie Mo-sar selbst durchsetzen wollten, dass Mo-sar König wurde.
Aber welche Belohnung sollte Ko-tan mir für meine treuen Dienste aussprechen? Wir verehren unsere Priester sehr. Im Tempel beugen sich die Häuptlinge und sogar der König vor ihnen. Keine größere Ehre konnte Ko-tan einem Untertan erweisen - denn die meisten wünschen nichts mehr, als Priester zu werden, aber ich nicht. Alle Priester, der höchste Priester ausgenommen, müssen Eunuchen werden, da sie nicht heiraten dürfen.
Sonnenlicht selbst warnte mich zur rechten Zeit. Der Befehl ihres Vaters sollte den Beginn der Tempelzeremonien veranlassen. Ein Bote war bereits unterwegs, um mich zu Ko-tan zu rufen. War die Priesterwürde erst einmal vom König angeboten, so wäre ihre Zurückweisung eine Beleidigung des Tempels und der Götter gewesen, die meinen Tod bedeutet hätte. Da ich jedoch nicht vor Ko-tan erschien, brauchte ich daher nichts zurückzuweisen. Es war besser, mit einer geringen Hoffnung im Herzen zu fliehen, als zu bleiben und mit der Priesterschaft die letzte Hoffnung zu begraben.
Im Schatten der großen Bäume, die den Palast umgeben, drückte ich Sonnenlicht zum letzten Male an mich. Dann kletterte ich über die hohe Mauer, die den Palast umschließt, damit nicht der Zufall mich dem Boten begegnen ließ und floh durch die dunkle Stadt. Mein Name und Rang öffneten mir die Tore. Seither habe ich mich fern von den Plätzen der Ho-don aufgehalten, aber die Sehnsucht bedrängt mich sehr. Und wäre es nur, um außerhalb ihrer Mauern auf die Stadt zu blicken, in der sie lebt, die mir teuer ist. Wäre es nur, um wieder das Dorf zu besuchen, in dem ich geboren wurde, um Vater und Mutter wieder zu sehen. Ich möchte zurückkehren!«
»Aber das Wagnis ist zu groß?«, fragte Tarzan.
»Es ist groß, aber nicht zu groß«, gab Ta-den zurück. »Ich werde gehen.«
»Und ich werde mit dir gehen, wenn du erlaubst«, sagte der Affenmensch, »denn ich muss die Stadt des Lichtes sehen, dein A-lur, um auch dort nach meiner verschollenen Frau zu suchen, obwohl du glaubst, dass ich sie dort nicht finden werde. Und du, Om-at, kommst du mit uns?«
»Warum nicht?«, fragte der Haarige. »Die Höhlen meines Stammes liegen in den Klippen über A-lur, und obwohl mich Es-sat, unser Häuptling, vertrieben hat, möchte auch ich gern wieder dorthin zurückkehren. Dort lebt eine Frau, die ich wiedersehen möchte, und die sehr froh wäre, auch mich zu sehen. Ja, ich werde mit euch gehen. Es-sat hatte Furcht, ich könnte Häuptling werden und vielleicht hatte Es-sat recht, wer weiß? Aber diese Frau, Dunkle Blume, ist mir wichtiger als das Häuptlingsamt.«
»Wir drei werden also gemeinsam gehen«, sagte Tarzan.
»Und gemeinsam kämpfen««, fügte Ta-den hinzu, »drei wie einer«, und während er sprach, zog er sein Messer und hielt es über seinen Kopf.
»Drei wie einer«, wiederholte Om-at, zog seine Waffe und folgte Ta-dens Beispiel. »Es ist gesagt.«
»Drei wie einer!«, rief Tarzan. Bis zum Tode!« Und seine Klinge leuchtete in der Sonne.
»Lasst uns gehen«, sagte Om-at. »Mein Messer ist trocken und schreit durstig nach dem Blut des Häuptlings.«
Der Pfad, den Ta-den und Om-at verfolgten und dem man kaum die schmeichelhafte Bezeichnung Pfad zubilligen konnte, war mehr für Affen oder Löwen geeignet als für Menschen. Aber die drei, die ihn entlangschritten, waren an Pfade gewöhnt, die kein gewöhnlicher Mensch gehen konnte. In den tiefen Niederungen ging es durch den dichten Urwald, wo der Boden derart mit gefallenen Bäumen, überhängenden Zweigen und Gesträuch bedeckt war, dass die drei sich meist in den schaukelnden Zweigen hoch über dem Gewirr vorwärts bewegten. Über gähnende Abgründe führte ihr Weg, wo glitschige Felsen nur sekundenlang den nackten Füßen Halt boten. Dort sprangen sie leicht wie Gämsen von einem trügerischen Halt zum andern. Schwindelerregend und grauenvoll war der Weg, den Om-at über dem Gipfel des Gebirges wählte. Er führte sie um eine hoch herausragende Klippe, die sich zweitausend Fuß senkrecht über einem Fluss erhob. Als sie endlich wieder auf verhältnismäßig ebenem Boden standen, drehte sich Om-at um und sah die beiden, besonders Tarzan, bedeutsam an.
»Ihr habt es bestanden«, sagte er. »Ihr seid den harten Anforderungen, die an Freunde Om-ats des Waz-don gestellt werden müssen, gewachsen.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Tarzan.
»Ich habe euch diesen Weg nehmen lassen«, gab der Schwarze zurück, »um zu sehen, ob einem von euch der Mut fehlen würde, dahin zu folgen, wohin Om-at führt. Hierher kommen die jungen Krieger unseres Häuptlings Es-sat, um ihren Mut zu erproben. Doch obgleich wir auf der Klippe geboren und erzogen werden, wird es nicht als Schande angesehen, wenn jemand zugibt, dass ihn der Vater der Berge besiegt hat. Denn von denen, die sich der Probe unterziehen, gelingt es nur wenigen - die Knochen der anderen liegen zu Füßen des Vaters der Berge.«
Ta-den lachte. »Ich dränge mich nicht, diesen Weg oft zu gehen«, sagte er.
»Nein«, gab Om-at zurück.» Aber wir haben unsere Reise mindestens um einen Tag verkürzt. So viel schneller soll Tarzan unsere Heimat sehen. Kommt!«
Und er führte sie aufwärts über den Rücken des Vaters der Berge, bis sich zu ihren Füßen ein Bild voller Geheimnisse und Schönheit auftat - ein grünes Tal, umgeben von ragenden Klippen, die marmorweiß leuchteten - ein grünes Tal mit den Flächen tiefblauer Seen, durchzogen von den Windungen eines Flusses. In der Mitte lag eine Stadt, deren Farbe den Marmorklippen glich - eine weiße Stadt, die selbst aus so großer Feme gesehen eine fremde und doch künstlerische Architektur verriet. Außerhalb der Stadt konnte man im Tal vereinzelte Gruppen von Gebäuden erkennen - manchmal nur eines, dann wieder zwei, drei und vier zusammen - aber überall war die gleiche glitzernde Helligkeit in irgendeiner phantasievollen Form. Am Rande des Tales wurden die Klippen gelegentlich von Abhängen durchbrochen, die von Grün erfüllt waren.
»Jad Pele ul Jad-ben-Otho, murmelte Tarzan in der Sprache der Urmenschen. »Das Tal des großen Gottes - es ist wunderbar!«
»Hier in A-lur lebt Ko-tan, der König, Herrscher über ganz Pal-ul-don«, sagte Ta-den.
»Und hier an diesen Hängen leben die Waz-don«, rief Om-at aus, »die Ko-tan nicht als Herrscher über das .Land des Menschen anerkennen.«
Ta-den lächelte und zuckte die Achseln. »Wir werden uns nicht streiten, du und ich«, sagte er zu Om-at. »Zumal schon seit unerdenklichen Zeiten keine Lösung der Probleme zwischen Ho-dan und Waz-don gefunden werden konnte. Aber ich möchte dir etwas sagen, Om-at. Die Ho-don leben mehr oder minder friedlich unter der Regierung eines Herrschers. Wenn eine Gefahr droht, stellen sie dem Feind alle Krieger entgegen, denn jeder Ho-don ist dann bereit, aber wie steht es bei euch Waz-don? Ihr habt ein Dutzend Könige, die nicht nur mit den Ho-don sondern auch miteinander kämpfen. Wenn einer eurer Stämme auf den Kriegspfad geht, auch wenn es ein Kampf mit den Ho-don ist, muss er genügend Krieger zurücklassen, um die Frauen und Kinder vor den Nachbarn nach allen Seiten zu schützen. Wenn wir Diener für die Tempel und Knechte für unsere Felder und Häuser benötigen, überfallen wir in großer Anzahl eines eurer Dörfer. Ihr könnt nicht einmal entfliehen, denn an allen Seiten seid ihr von Feinden umgeben. Obgleich ihr tapfer kämpft, kommen wir doch immer mit denen zurück, die Diener in den Tempeln und Knechte in unseren Feldern und Häusern werden. Solange die Waz-don so töricht sind, solange werden die Ho-don regieren, und ihr König wird Herrscher im Land des Menschen sein.«
»Vielleicht hast du recht«, gab Om-at zu. »Das ist so, weil unsere Nachbarn Narren sind, von denen sich jeder einbildet, dass sein Stamm der größte ist und die Waz-don regieren sollte. Sie wollen nicht zugeben, dass die Krieger meines Stammes die tapfersten und unsere Frauen die schönsten sind.«
Ta-den grinste. »Jeder von den anderen Stämmen führt genau die gleichen Argumente an wie du, Om-at«, sagte er. »Und das ist das größte Zugeständnis, welches ihr den Ho-don macht, mein Freund.«
»Hört auf!«, rief Tarzan. «Solche Gespräche führen nur zu oft zu Streitigkeiten, und wir drei dürfen uns nicht verfeinden. Natürlich bin ich sehr daran interessiert, möglichst alles über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse eures Landes zu erfahren. Ich würde auch gern etwas über eure Religion erfahren, aber keinesfalls auf Kosten eines Streites zwischen meinen einzigen Freunden im Land des Menschen. Aber vielleicht habt ihr wenigstens den gleichen Gott?«
»Da unterscheiden wir uns allerdings auch«, sagte Om-at bitter und mit erregter Stimme.
»Unterscheiden!«, brüllte Ta-den beinahe. »Und warum sollten wir uns nicht unterscheiden? Wer wäre mit einer derart lächerlichen...«
»Halt!«, rief Tarzan. »Jetzt habe ich wirklich in ein Wespennest gestochen. Es ist besser, wenn wir bei unseren Gesprächen nicht von der Politik und der Religion reden.«
»Das ist sehr klug«, stimmte Om-at zu. Aber ich darf wohl zu deiner Belehrung hinzufügen, dass der einzig wahre Gott einen langen Schwanz hat.«
»Das ist eine Gotteslästerung«, schrie Ta-den und legte die Hand auf sein Messer. »Jad-ben-Otho hat keinen Schwanz!«
»Halt!«, rief Om-at und sprang vorwärts, aber sofort trat Tarzan zwischen die beiden.
»Genug!«, fuhr er sie an. »Lasst uns unseren Schwur der Freundschaft treu und in Ehren halten, damit wir Gott dienen, in welcher Form wir ihn auch immer verehren mögen.«
»Du hast recht, Schwanzloser«, sagte Ta-den. »Komm, Om-at, lass uns nach unserer Freundschaft und uns selber schauen, beruhigt in der Gewissheit, dass Jad-ben-Otho mächtig genug ist, alle diese Fragen selbst zu entscheiden.
»Ja!«, stimmte Om-at zu. »Aber...«
»Kein Aber, Om-at«, forderte Tarzan.
Der zottige Schwarze zuckte die Schultern und lächelte. »Wollen wir in das Tal hinuntersteigen?«, fragte er. »Die Schlucht zu unseren Füßen ist unbewohnt, in der zur Linken sind die Höhlen meines Volkes. Ich möchte Dunkle Blume noch einmal sehen. Ta-den möchte seinen Vater unten im Tal besuchen und Tarzan will nach A-lur, um seine Frau zu suchen, die besser tot als in den Klauen der Ho-don-Priester von Jad-ben-Otho wäre. Was sollen wir also tun?«
»Wir wollen so lange wie möglich zusammenbleiben«, schlug Ta-den vor. »Du, Om-at, musst Dunkle Blume leise bei Nacht besuchen, denn drei, selbst wir drei, können nicht hoffen, Es-sat und alle seine Krieger besiegen zu können. Das Dorf, in dem mein Vater Häuptling ist, steht uns jedoch jederzeit offen, und Ja-don wird die Freunde seines Sohnes immer willkommen heißen. Wie Tarzan nach A-lur kommt, ist eine andere Sache. Aber auch da gibt es einen Weg, und Tarzan ist mutig genug, ihn zu wagen. - Hört, und kommt dicht zu mir, denn unser Gott Jad-ben-Otho hat scharfe Ohren, und dies hier braucht er nicht zu hören.«
Seine Lippen pressten sich dicht an die Ohren seiner Gefährten, als Ta-den seinen kühnen Plan entwarf. Etwa hundert Meilen entfernt bewegte sich zur gleichen Zeit eine schlanke Gestalt, unbekleidet außer dem Lendentuch und den Waffen, über eine dornenbedeckte, wasserlose Steppe, die scharfen Augen und die empfindliche Nase verfolgten eine Spur auf dem Boden vor ihm.