Читать книгу TARZAN IN GEFAHR - Edgar Rice Burroughs - Страница 9

3. Dunkle Blume

Оглавление

Die Nacht hatte sich über das .Land des Menschen« gesenkt. Tief im Westen stand ein fahler Mond und tauchte das weiße Antlitz der ihm zugewandten Kalkklippen in einen warmen, überirdischen Glanz.

Schwarze Schatten lagen über dem Rachen des Löwen, wo der gleichnamige Stamm unter Es-sat, seinem Häuptling, hauste. Aus einer Öffnung, dicht unter dem Gipfel der steilen, hohen Klippe trat eine haarige Gestalt, die mit scharfen Augen nach allen Seiten suchend über die Klippe blickte.

Es war Es-sat, der Häuptling. Er schaute sich rechts und links um, als ob er sich vergewissern wollte, dass ihn niemand beobachtete. Aber keine andere Gestalt bewegte sich auf der Klippe, und es kam auch kein anderer haariger Körper aus einer der zahlreichen Höhlen, die unterhalb der Wohnung des Häuptlings lagen und die den niederen Mitgliedern des Stammes vorbehalten waren. Dann trat Es-sat vor und erschien vor der nackten Fläche der weißen Kalkwand. Im Dämmerlicht des Neumondes schien es, als ob sich der schwere, zottige Körper wie durch ein Wunder an der senkrechten Wand entlang bewegte. Eine nähere Untersuchung hätte jedoch die starken Haken gezeigt, die so groß waren wie das Handgelenk eines Mannes und aus den Löchern der Klippe ragten, in die sie eingeschlagen waren. Es-sats sehr bewegliche Glieder und vor allem sein langer muskulöser Schwanz machten es ihm leicht, sich mit müheloser Geschicklichkeit nach jeder Richtung hin zu bewegen. Er glich einer gigantischen Ratte an einer mächtigen Wand. Während er seinen Weg suchte, vermied er die Öffnungen der Höhlen, an denen er vorüber musste, indem er entweder über oder unter ihnen vorbeikletterte.

Von außen sahen die Höhlen beinahe gleich aus. Öffnungen, die zwischen acht bis zwanzig Fuß lang, etwa acht Fuß hoch und vier bis sechs Fuß tief in den Fels gegraben waren. Hinter diesen großen Öffnungen, die man wohl als Vorplatz beschreiben konnte, lag dann eine andere Öffnung. Diese, ungefähr drei Fuß breit und sechs Fuß hoch, bildete den Eingang zu der inneren Wohnung, den eigentlichen Wohnräumen. Zu beiden Seiten des Einganges waren kleinere Löcher angebracht, welche sehr leicht als Fenster zu erkennen waren, durch die Licht und Luft Zugang zu den Bewohnern fanden. Ähnliche Fenster, welche sich über die ganze Oberfläche der Klippe erstreckten, verrieten, dass der ganze Felsen derartige Wohnungen hergegeben hatte. Von einigen dieser Öffnungen tropften kleinere Rinnsale die Böschung hinunter, während die Wand über anderen von Ruß geschwärzt war. An den Stellen, wo das Wasser tropfte, war die Wand ein paar Zoll tief ausgehöhlt. Man konnte so erkennen, dass einige dieser winzigen Bäche schon seit unerdenklichen Zeiten auf den grünen Pflanzenteppich am Fuß der Klippe hinunter - flossen.

In diese urzeitliche Umgebung fügte sich der Urmensch harmonisch ein. Er war ebenso ein Teil davon wie die Bäume, die auf dem Gipfel der Klippe wuchsen, oder wie die, deren Wurzeln sich unter den wuchernden Farnen am Boden der Schlucht erstreckten.

Jetzt hielt Es-sat, der Häuptling, vor einer der Höhlenöffnungen an und lauschte. Dann verschwand er geräuschlos im Schatten des äußeren Vorplatzes. In dem Gang, der zum Innern führte, hielt er wieder an und lauschte abermals. Leise schob er das schwere Fell zur Seite, welches die Öffnung bedeckte und trat in eine große Höhle, die aus dem Stein gehauen war. Vom anderen Ende drangen trübe Lichtstrahlen aus dem nächsten Gang. Mit äußerster Behutsamkeit schlich er weiter. Seine nackten Füße verursachten nicht das leiseste Geräusch. Nun löste er die wuchtige Keule, die an einem Riemen über seinem Rücken gehangen hatte und packte sie mit der linken Hand.

Jenseits der zweiten Öffnung lief ein Gang parallel zur Vorderseite des Felsens. In diesem Gang waren drei andere Öffnungen, jeweils eine an jedem Ende und eine dritte beinahe derjenigen gegenüber, in welcher Es-sat stand. Das Licht fiel aus einer Höhle am Ende des Ganges zu seiner Linken. Eine flackernde Flamme hob und senkte sich in einem schmalen Steingefäß, welches auf einem Tisch, oder einer Bank, ebenfalls aus Stein gehauen, stand. Die Bank hob sich massiv aus dem Boden, und war mit dem Felsen fest verbunden, also zur gleichen Zeit, als die Höhle entstand, ausgehauen worden.

Hinter dem Tisch war in einer Ecke ein etwa vier Fuß breiter und acht Fuß langer Sitz ausgehauen. Darauf hatte man zahlreiche Felle gestapelt, von denen der Pelz noch nicht entfernt worden war. Am Rande dieses Sitzes hatte sich eine junge Frau niedergelassen. In einer Hand hielt sie ein dünnes Stückchen Metall, offenbar gehämmertes Gold, mit gezackten Spitzen, in der anderen eine kurze steife Bürste. Mit diesen Gegenständen bearbeitete sie gerade ihr weiches, schimmerndes Haar, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer wohlgepflegten Seehund-Haut hatte. Die ebenmäßigen Linien ihres Körpers enthüllten Umrisse voller Harmonie und Schönheit, denn obgleich sie schwarz und völlig mit Haaren bedeckt war, ließ sich ihre Schönheit nicht leugnen.

Es-sat betrat die Höhle. Die junge Frau schaute sofort hoch. Jäh füllten sich ihre Augen mit Entsetzen.

»Was willst du?«, flüsterte sie, obwohl sie es nur zu gut wusste.

»Dunkle Blume«, sagte er, »dein Häuptling ist zu dir gekommen.«

»Darum also hast du meinen Vater und meine Brüder fortgeschickt. Ich will dich nicht sehen. Verlasse die Höhle meiner Ahnen!«

Es-sat lächelte. Es war das Lächeln eines starken, aber schlechten Mannes, der sich seiner Macht bewusst war - es war kein angenehmes Lächeln. »Ich werde gehen, Dunkle Blume«, sagte er. »Aber du wirst mit mir gehen - zu der Höhle Es-sats, des Häuptlings, um von allen anderen Frauen im Tal des Menschen beneidet zu werden. Komm!«

»Niemals!«, rief Dunkle Blume. »Ich hasse dich. Eher noch würde ich mich mit einem Ho-don verbinden als mit dir, du Teufel der Frauen und Mörder der Kinder!«

Eine schreckliche Wut entstellte die Züge des Häuptlings. »Ich werde dich zähmen!«, schrie er. »Ich werde dich zerbrechen! Es-sat, der Häuptling, nimmt sich, was er begehrt. Derjenige, der sein Recht bezweifelt, oder sich seinen Wünschen widersetzt, wird gezwungen und dann so zerbrochen werden, wie ich dies zerbreche. Er nahm eine Steinschale vom Tisch und zerbrach sie mit seinen kräftigen Händen. Du hättest die Erste aller Frauen in der Ahnenhöhle Es-sats sein können. Nun aber wirst du die Letzte und Geringste sein, und wenn ich mit dir fertig bin, sollst du allen Männern in der Höhle Es-sats gehören. So wird es allen ergehen, welche die Liebe ihres Häuptlings abweisen!«

Rasch trat er näher, um sie zu packen. Aber als er mit roher Hand nach ihr griff, schlug sie ihm mit ihren goldenen Brustplatten hart gegen die Schläfen. Lautlos sank Es-sat, der Häuptling, auf den Boden der Höhle. Dunkle Blume beugte sich über ihn, ihre behelfsmäßige Waffe zum Schlag erhoben, falls er das Bewusstsein wieder erlangen sollte. Unter ihrem raschen Atem hob und senkte sich ihre Brust. Plötzlich bückte sie sich und nahm Es-sat den Riemen mit der Scheide und dem Messer ab. Schnell schlang sie den Riemen über ihre eigene Schulter und befestigte dann ihre Brustplatten. Sie ließ die Gestalt des ohnmächtigen Häuptlings nicht aus dem Auge bis sie den Raum verlassen hatte.

In einer Nische der äußeren Höhle, direkt neben der Öffnung, die zum Vorplatz führte, - befand sich ein Stapel runder Haken, etwa achtzehn bis zwanzig Fuß lang. Sie wählte fünf davon und trug die Haken mit sich fort, während sie dem äußeren Ende der Höhle zuschritt. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie beobachten und zurückhalten konnte, eilte sie zu den Haken, die bereits in den Felsen eingeschlagen waren. An diesen kletterte sie mit der Geschwindigkeit eines Äffchens empor, bis sie die oberste Reihe der Haken erreicht hatte, denen sie nun in Richtung auf das andere Ende der Schlucht folgte. Dort war über ihrem Kopf eine Reihe von schmalen runden Löchern eingeschlagen, die in drei Reihen nebeneinander verliefen. Sie klammerte sich nur mit den Füßen fest, entnahm dem Bündel zwei Haken und, mit einem in jeder Hand, reichte sie nach oben, soweit sie eben kommen konnte und steckte die Haken in zwei gegenüberliegende Löcher der äußeren Reihe. An diesen neuen Haken hängend, nahm sie min zwei weitere Haken mit jedem Fuß und hielt den letzten Haken mit dem Schwanz fest. Sie drehte den Schwanz nach oben und steckte den fünften Haken in eines der Löcher aus der mittleren Reihe. Dann, einmal am Schwanz, dann an den Händen oder Füßen hängend, kletterte sie nach oben und brach so ihre Treppe hinter sich ab, um sie vorn wieder aufzubauen. Ein knorriger Baum auf dem Gipfel des Felsens ließ seine uralten Wurzeln nach unten hängen und bildete so die letzten Stufen der Treppe aus der steilen Schlucht zu der Höhe.

Dies war der letzte Fluchtweg für die Mitglieder des Stammes, wenn der Feind sie von unten her bedrängte. Es gab drei Notausgänge aus dem Dorf. Ihre Benutzung war, bei Todesstrafe, auf den Notfall beschränkt. Dunkle Blume wusste das genau, aber sie wusste auch, dass es schlimmer als der Tod sein musste, wenn sie dort blieb, wo der rasende Häuptling Es-sat seine Hand an sie legen konnte.

Nachdem sie die Anhöhe erreicht hatte, eilte Dunkle Blume durch die Dunkelheit zu der nächsten Schlucht, welche das Gebirge etwa eine Meile vom Tal des Menschen entfernt unterbrach. Es war der .Rachen des Wassers«. Dorthin waren ihr Vater und ihre Brüder von Es-sat unter dem Vorwand geschickt worden, diesen Nachbarstamm auszuspionieren. Es bestand die Möglichkeit, eine schwache Möglichkeit, dass sie ihre Angehörigen finden würde. Falls sie nicht mit ihnen zusammentraf, lagen eine Anzahl verlassener Höhlen einige Meilen entfernt. Dort konnte sie sich beliebig lange vor Es-sat versteckt halten, vorausgesetzt, dass sie den entsetzlichen Bestien entkam, von welchen die Schlucht ihren Namen hatte und deren Gegenwart die Höhlen seit Generationen unbewohnbar gemacht hatte. Behutsam schlich Dunkle Blume am Rande der Schlucht entlang. Sie kannte den Platz nicht, an welchem ihr Vater und ihre Brüder lagerten. Manchmal blieben die Kundschafter am Rande, manchmal stiegen sie zum Boden der Schlucht hinunter. Dunkle Blume wusste nicht, was sie tun oder wohin sie sich wenden sollte. Sie fühlte sich sehr klein und hilflos in der unendlichen Dunkelheit der Nacht.

Fremde Laute drangen plötzlich an ihre Ohren. Sie kamen aus den einsamen Weiten des Gebirges über ihr, aus der Feme des unsichtbaren Tales und von den nahen Hügeln. Einmal hörte sie einen Laut, in dem sie das Bellen eines Gryfbullen zu erkennen glaubte. Sie schauderte.

Plötzlich vernahmen ihre scharfen Ohren ein anderes Geräusch. Vielleicht war es ihr Vater oder einer der Brüder. Es kam näher heran. Ihre Augen versuchten das Dunkel zu durchbohren. Sie rührte sich nicht - sie atmete kaum. Und dann, jäh, ganz nahe, leuchteten zwei gelbgrüne feurige Punkte in der Finsternis.

Dunkle Blume war mutig. Aber, wie immer bei primitiven Völkern, barg auch für sie die Nacht endlose Schrecken. Nicht allein die bekannten Gefahren, noch entsetzlicher - die unbekannten! Sie hatte in dieser Nacht schon viel durchgemacht und ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt - Nerven, die auf den geringsten Schock in übertriebener Weise reagieren mussten.

Aber dies war kein geringer Schock. Einen Vater oder einen Bruder suchen und stattdessen den Tod aus der Nacht grinsen zu sehen! Ja, Dunkle Blume war mutig, aber sie war eine Frau. Mit einem Schrei, der von den Hügeln widerhallte, wandte sie sich um und floh den Rand der Schlucht entlang und hinter ihr kam im raschen Lauf der teufelsgesichtige Löwe der Berge.

Dunkle Blume war verloren. Der Tod war unvermeidlich. Darüber konnte es keinen Zweifel geben. Aber unter den reißenden Zähnen dieser Bestie zu sterben, dem eingeborenen Erzfeind ihrer Art - es war unvorstellbar! Aber es gab noch einen Ausweg, dem Löwen zu entrinnen. Er hatte sie schon fast erreicht - noch eine Sekunde und er würde sie packen. Dunkle Blume, wandte sich jäh nach links. Nur ein paar Schritte jagte sie in der neuen Richtung, bevor sie über dem Rand der Schlucht verschwand. Der Löwe war überrascht, er bohrte alle vier Pranken in den Boden und konnte kaum am Rande des Abgrunds stehen bleiben. Er starrte in die schwarzen Schatten der Tiefe und stieß ein zorniges Brüllen aus.

Durch das Dunkel ging Om-at den Weg, der zu den Höhlen seines Volkes führte. Hinter ihm folgten Tarzan und Ta-den. Schließlich blieben sie unter einem großen Baum stehen, der nahe bei den Felsen stand.

»Zuerst werde ich zur Höhle der Dunklen Blume schleichen«, flüsterte Om-at. »Dann werde ich die Höhle meiner Ahnen besuchen und mit meinem eigenen Blute sprechen. Es wird nicht lange dauern. Danach können wir Ta-den zu seinem Volke begleiten.«

Schweigend und lautlos ging er zum Fuß des Felsens, wo ihn Tarzan bald wie eine Maus an der Wand hinaufklettern sah. Im trüben Licht des Mondes konnte Tarzan die Haken nicht erkennen, die in den Stein eingeschlagen waren. Om-at bewegte sich sehr vorsichtig. In der unteren Reihe der Höhlen musste ein Wachtposten sein. Was er jedoch von seinen Stammesbrüdern und ihren Gewohnheiten wusste, ließ ihn vermuten, dass der Wachtposten schlief. Er täuschte sich auch nicht. Dennoch ließ seine Vorsicht nicht nach. Leise und rasch stieg er der Höhle der Dunklen Blume entgegen, während Tarzan und Ta-den ihn von unten beobachteten.

»Wie macht er das nur?«, fragte Tarzan. »Ich kann auf der senkrechten Wand keinen Halt für seine Füße entdecken und doch kommt er mit der größten Leichtigkeit voran.«

Ta-den erklärte ihm die Hakenleiter. »Auch du könntest mit dieser Treppe leicht fertig werden«, sagte er, »obwohl ein Schwanz natürlich eine sehr bedeutende Hilfe wäre.«

Sie behielten Om-at im Auge und konnten keine Anzeichen finden, dass man ihn bemerkt hatte. Er war gerade im Begriff, die Höhle der Dunklen Blume zu betreten, als sie plötzlich einen Kopf in einem der unteren Höhleneingänge erscheinen sahen. Es wurde sehr schnell klar, dass sein Besitzer Om-at entdeckt hatte.

Er kletterte sofort nach oben, um Om-at zu folgen. Schweigend sprangen Tarzan und Ta-den zum Fuß des Felsens. Der Urmensch war zuerst dort, und der Affenmensch sah ihn nach oben klettern, wo der unterste Haken in den Fels geschlagen war. Nun sah Tarzan auch die anderen Haken, die nahezu parallel in Zickzack-Reihen am Felsen nach oben liefen. Er sprang, packte einen Haken mit einer Hand und zog sich nach oben bis er den zweiten mit der anderen Hand ergreifen konnte. Als er weit genug nach oben gekommen war, um auch seine Füße gebrauchen zu können, fand er bald, dass er sehr schnell vorwärts kam. Ta-den war ihm jedoch voraus, denn diese Leitern waren nichts Neues für ihn, und außerdem hatte er den Vorteil, mit seinem Greifschwanz zupacken zu können. Trotzdem hielt sich auch der Affenmensch recht wacker. Plötzlich jedoch musste er seine Anstrengungen noch verdoppeln, da der Waz-don nach unten blickte und seine Verfolger entdeckte. Augenblicklich zerriss ein wilder Schrei das Schweigen der Schlucht - ein Schrei, der sofort von hundert wilden Kehlen wiederholt wurde. Ein Krieger nach dem anderen erschien in der Öffnung der Höhle.

Die Kreatur, die den Warnschrei ausgestoßen hatte, war nun auf dem Vorplatz der Höhle der Dunklen Blume« angekommen. Hier wandte er sich um und machte sich zürn Kampf mit Ta-den bereit. Er nahm seine Keule aus der Schlinge, die bisher um seinen Hals gehangen hatte, und auf dem ebenen Boden vor der Höhle sperrte er den Aufstieg Ta-dens.

Aus allen Richtungen kamen die Krieger auf die Eindringlinge zu. Tarzan, der ein wenig zur Linken Ta-dens auf gleicher Höhe angekommen war, erkannte, dass nur ein Wunder sie retten konnte. Zur Linken des Affenmenschen befand sich eine Höhle, die entweder verlassen sein musste oder deren Bewohner noch nicht wach geworden waren, denn der Vorplatz war leer geblieben. Tarzan war geistesgegenwärtig und blitzschnell war die Reaktion seiner ausgebildeten Muskeln. Obgleich nur wenige Sekunden ihn von seinem nächsten Widersacher trennten, entrollte er in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, sein langes Seil. Er lehnte sich weit zurück und warf die kräftige Schlinge mit der Genauigkeit langer Gewohnheit nach der drohenden Gestalt, die ihre schwere Keule über Ta-dens Kopf erhoben hatte. Eine kleine Weile ruhte die Hand mit dem Seil, während die Schlinge ihrem Ziel entgegensauste, dann erfolgte eine rasche Bewegung des rechten Handgelenks, und die Schlinge zog sich zusammen, als sie ihrem Opfer über den Kopf fiel. Darauf zerrte Tarzan mit beiden Händen an dem Seil.

Mit einem entsetzten Schrei fiel der Waz-don über Ta-den hinweg kopfüber in den Abgrund. Tarzan stemmte sich dem kommenden Ruck entgegen, wenn der Körper der Kreatur die volle Länge des Seils hinabgestürzt sein würde. Dann durchbrach der letzte Schrei des Mannes die augenblickliche Stille. Unerschüttert von der Zugkraft des plötzlich aufgehaltenen Gewichtes am Ende seines Seiles, holte Tarzan den Körper rasch zu sich hinauf, denn er konnte es sich nicht leisten, eine so kostbare Waffe zu verlieren.

Während der wenigen Sekunden, die inzwischen vergangen waren, waren die Waz-don-Krieger regungslos geblieben, als ob sie vor Staunen oder Schrecken versteinert wären. Einer von ihnen fand nun seine Stimme wieder. Er warf dem fremden Eindringling Wutschreie entgegen und kletterte auf den Affenmenschen zu.

Dabei ermunterte er seine Gefährten, anzugreifen. Dieser Mann war Tarzan am nächsten. Wäre er nicht gewesen, so hätte sich Tarzan schnell an die Seite Ta-dens schlagen können, wie dieser ihm zurief. Tarzan hob den Körper des toten Waz-don über seinen Kopf und hielt ihn dort ruhig für ein paar Sekunden. Das Gesicht zum Himmel gewandt, stieß er den schrecklichen Kampfesschrei der großen Affen aus, und dann warf er den Körper mit der ganzen Kraft seiner Muskeln auf den emporkletternden Krieger. Die Wucht des Aufpralls war so gewaltig, dass der Waz-don nicht nur hinabgerissen wurde, auch die zwei Haken, an denen er sich gehalten hatte, brachen aus ihren Sockeln.

Als die beiden Körper, der lebende und der tote, am Fuß des Felsens aufprallten, erhoben die Waz-don ein großes Geschrei. »Jad-guru-don! Jad-guru-don!«, schrien sie, und dann: »Tötet ihn! Tötet ihn!

Jetzt stand Tarzan in der Öffnung neben Ta-den. »Jad-guru-don!«, wiederholte der andere. »Der schreckliche Mann! Tarzan, der Schreckliche! Sie mögen dich vielleicht töten, aber sie werden dich niemals vergessen.«

»Sie werden mich nicht... Was haben wir denn hier?« Tarzan wurde von einem plötzlichen Ausruf unterbrochen, als zwei Gestalten, in enger Umschlingung, durch die Öffnung der Höhle auf den freien Vorplatz rollten. Einer davon war Om-at, der andere wohl ein Geschöpf seines eigenen Stammes. Die beiden waren offensichtlich gleich stark und genauso sicher war die Tatsache, dass jeder beabsichtigte, den anderen zu töten. Sie kämpften nahezu schweigend, nur ließ der eine oder andere ein leises Knurren hören, das eine erlittene Verletzung anzeigte.

Tarzan sprang vor, um seinem Gefährten im Kampf beizustehen, aber ein keuchender Zuruf von Om-at hielt ihn zurück. »Weg!«, schrie er. »Das ist sein Kampf.« Der Affenmensch verstand und trat zur Seite.

»Es ist ein Häuptlingskampf«, erklärte ihm Ta-den. »Dieser Bursche muss Es-sat, der Häuptling sein. Wenn Om-at ihn ohne Hilfe tötet, kann er Häuptling werden.«

Tarzan wusste es. Es war das Gesetz seines eigenen Dschungels - das Gesetz des Stammes von Kerchak, dem Affenbullen - das uralte Gesetz des primitiven Menschen, der den Einfluss der Zivilisation brauchte, um die tückischen Waffen und den Giftbecher einzuführen.

Tarzans Aufmerksamkeit wurde plötzlich an den äußeren Rand des Vorplatzes gelenkt. Über ihm erschien das Gesicht eines Kriegers. Tarzan sprang nach vorn, um den Mann zurückzuhalten, aber Ta-den war schon vor ihm da.

»Zurück!«, schrie er dem Krieger entgegen. »Es ist gund-bar. Der Bursche schaute prüfend auf die beiden Kämpfer und wandte sich dann nach unten zu seinen Gefährten.

Zurück!«, schrie er. Es ist gund-bar - Häuptlingskampf - zwischen Om-at und Es-sat.« Dann sah er wieder auf Ta-den und Tarzan. »Wer seid ihr?«, fragte er.

»Wir sind Om-ats Freunde«, gab Ta-den zurück.

Der Bursche nickte und verschwand dann unter dem vorhängenden Felsen.

Der Kampf zwischen Om-at und Es-sat ging auf dem Vorsprung mit unverminderter Wildheit weiter. Tarzan und Ta-den hatten Mühe, sich aus dem Ringen der beiden herauszuhalten, die mit Händen, Füßen und den starken Schwänzen aufeinander einschlugen. Es-sat war unbewaffnet - dafür hatte Dunkle Blume gesorgt - aber an Om-ats Seite hing sein Messer in der Scheide, welches er jedoch nicht zu ziehen versuchte. Das wäre eine Verletzung ihres wilden und primitiven Gesetzes gewesen, denn der Häuptlingskampf durfte nur mit den Waffen der Natur ausgefochten werden.

Ab und zu trennten sie sich für eine Sekunde, aber nur, um dann mit der ganzen Wildheit und beinahe der Kraft verrückter Bullen aufeinander los zu stürzen. Plötzlich brachte einer den anderen zu Fall, aber in der gegenseitigen Umklammerung konnte nicht einer allein fallen - Es-sat zog Om-at mit zu Boden, als er dicht neben dem Rand des Felsenvorsprunges stürzte. Sogar Tarzan hielt den Atem an. Dort schwankten sie beide ein paar Augenblicke gefährlich hin und her, und dann geschah das Unvermeidliche - beide rollten eng umklammert über den Rand und verschwanden aus dem Blickfeld des Affenmenschen.

Tarzan stieß einen gepressten Seufzer aus, denn er hatte Om-at gern gemocht. Dann sprang er mit Ta-den zum Rand des Vorsprungs und schaute hinunter. Weit unten mussten im trüben Licht der Dämmerung zwei reglose Gestalten liegen. Aber zu Tarzans Verblüffung bot sich ein ganz anderer Anblick seinen Augen: Da waren zwei Gestalten voller Leben, die sich nur ein paar Füße unter ihnen immer noch bekämpften. Mit je zwei Gliedern an die Haken geklammert - eine Hand und ein Fuß, oder ein Fuß und der Schwanz - schienen sie auf der senkrechten Wand ebenso sicher zu sein, wie auf dem ebenen Boden. Jetzt hatte sich nur ihre Taktik ein wenig geändert. Jeder hatte nur ein Ziel: seinen Widersacher von seinem Halt zu lösen, um ihn dem sicheren Tod entgegenzuschleudern. Es stellte sich schon sehr bald heraus, dass Om-at, der jünger war und mehr Ausdauer besaß als Es-sat, im Vorteil war. Der Häuptling konnte sich nur noch auf die Verteidigung beschränken. Indem er Es-sat mit seiner mächtigen Hand beim Gürtel hielt, drängte Om-at seinen Feind von dem Vorsprung. Mit der anderen Hand und einem Fuß brach er schnell erst den einen, dann den anderen Halt Es-sats und unterstützte seinen Angriff mit fürchterlichen Schlägen in die Magengrube seines Feindes. Es-sats Widerstand wurde rasch schwächer. In der Gewissheit des bevorstehenden Todes kam - wie bei jedem Feigling und Tyrann - ein Zusammenbruch der äußeren Fassade, die so lange als Mut und Tapferkeit gegolten hatte, und damit brach die Achtung vor den Gesetzen zusammen. Es-sat war jetzt nicht mehr Häuptling - er war nur noch ein winselnder Feigling, der um sein Leben bettelte. In tödlicher Angst klammerte er sich an Om-at, an die nächsten Haken, und suchte jeden Halt, der ihn vor dem fürchterlichen Fall bewahren konnte. Als er versuchte, die Hand des Todes beiseite zu schieben, deren kalte Finger er schon auf seinem Herzen zu spüren glaubte, suchte sein Schwanz die Seite Om-ats und den Griff des Messers, das dort hing.

Tarzan sah es. Im gleichen Augenblicke, als Es-sat die Klinge aus der Scheide zog, sprang er katzengleich zu den Haken neben den beiden kämpfenden Männern. Es-sats Schwanz holte nach hinten zu dem feigen, tödlichen Stoß aus. Jetzt sahen auch viele andere die verruchte Tat und ein großer Schrei der Wut und der Verachtung hob sich aus den wilden Kehlen. Aber als die Klinge ihrem Ziel entgegensauste, fasste der Affenmensch das haarige Glied, das sie hielt, und im selben Augenblick stieß Om-at den Körper Es-sats mit solcher Wucht von sich, dass der geschwächte Halt vollends gebrochen wurde und er wie ein kurzer Meteor schreiender Furcht dem Tod entgegenstürzte.

TARZAN IN GEFAHR

Подняться наверх