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Andy erzählte Stella bei seinem nächsten Besuch, was er mit Scottie und Mrs. Crafton-Bonsor erlebt hatte.

Er hatte seine Pflicht getan, Mrs. Crafton-Bonsor konnte jetzt nicht mehr im Zweifel, über den wahren Charakter ihres Freundes sein. Aber diese Warnung schien eine unerwartete Wirkung auf die Dame gehabt zu haben.

»Vielleicht versucht sie, ihn zu bekehren«, meinte Stella und zwinkerte mit den Augen. »Schlechte Leute haben immer eine unwiderstehliche Anziehungskraft für romantische Damen. Ich will damit nicht sagen, daß Scottie ein schlechter Mensch oder Mrs. Bonsor besonders phantasievoll ist. Ich kann mich an sie erinnern. Sie kam mit ihrem großen Wagen und fuhr hier zwei schöne Fliederbüsche um. Scottie hat mir später ihren Namen genannt. Es ist doch schließlich auch nichts dabei, wenn er einmal mit ihr zusammen speist.«

»Er ist mittags, zum Tee und zum Abendessen bei ihr«, protestierte Andy. »Soviel ich weiß, frühstückt er auch dort! Ich kümmere mich nicht um Scotties Abenteuer. Die Dame ist gewarnt, und damit ist meine Verantwortung zu Ende. Aber trotzdem ...«

»Vielleicht liebt er sie«, sagte sie lächelnd. »Sei nicht böse, aber Scottie ist mir schon immer ein wenig romantisch vorgekommen.«

»Das kann ich nicht leugnen. Wenn ich nur an sein Alibi denke –«

»Aber Andy! Übrigens wirst du mit der Dame zusammenkommen.«

»Ich werde mit ihr zusammenkommen?« fragte Andy überrascht.

Stella nickte feierlich.

»Scottie hat mir geschrieben und angefragt, ob er sie einmal zum Essen mitbringen dürfe, und ich habe zugestimmt. Ich beschrieb sie meinem Vater, und er schüttelte sich vor Entsetzen. Ich glaube, er wird heute abend irgendeine Verabredung vorschützen. Deshalb ist es um so wichtiger, daß du hier bist.«

»Soll das heißen, daß Scottie die Frechheit hatte, sich mit seiner Juwelendame hier zum Abendessen einzuladen?« fragte er entsetzt.

Es mußte wohl so sein, denn am Abend machte Andrew Macleod die Bekanntschaft der Frau, die er vor Scottie hatte warnen lassen.

Mrs. Crafton-Bonsor trug ein enganliegendes, pflaumenfarbenes Samtkleid, das gefährlich tief ausgeschnitten war. Andy war sehr erstaunt bei ihrem Anblick.

Noch nie hatte er so viel kostbaren Schmuck an einer einzigen Frau gesehen. Von dem Diadem in ihren roten Haaren bis zu den Agraffen ihrer Schuhe war sie einfach überwältigend. Wenn ein Radscha in seiner vollen Staatskleidung mit all seinen Juwelen neben ihr gestanden hätte, wäre er von ihr ohne Schwierigkeiten in den Schatten gestellt worden.

Scottie war sehr guter Laune. Sein Stolz war so aufrichtig und echt, daß Andy lächeln mußte.

»Darf ich Sie meiner Freundin, Mrs. Crafton-Bonsor, vorstellen? Dies ist Doktor Macleod, Mirabel.« – ›Mirabel!‹ wiederholte Andy für sich. Er war sprachlos. – »Doktor Macleod und ich haben manchen Streit, ich möchte fast sagen – Kampf, miteinander ausgefochten. Auf seine Veranlassung hin wurden Sie vor mir gewarnt. Das war ja auch ganz in der Ordnung.«

Er nahm Andys Hand und schüttelte sie kräftig.

Mrs. Bonsor aber sah Andy nur kühl an.

»Darf ich Sie auch mit Miss Nelson bekannt machen, Mirabel?«

»Sehr erfreut«, sagte Mrs. Bonsor ohne große Begeisterung. »Jeder Freund des Professors ist auch mein Freund.« Dabei schaute sie Andy an.

Es war ein etwas steifer und förmlicher Anfang, und Stella hatte doch gehofft, daß es ein vergnügter Abend werden würde. Während des Essens kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß Mrs. Crafton-Bonsor eifersüchtig auf sie war. Inzwischen hatte diese Dame ihren früheren Argwohn und Widerwillen gegen Andy überwunden und plauderte liebenswürdig mit ihm. Dadurch wiederum wurde Scottie von Eifersucht geplagt. Der sonst so nüchterne Mann, dessen Bescheidenheit sein größter Vorzug war, trug heute zwei große Brillantringe. Andy sah nicht zu genau hin, er wußte, daß Scottie keine gestohlenen Juwelen trug, die in der Presse genau beschrieben worden waren.

»Jawohl, nächste Woche werde ich wieder in meine Heimat zurückfahren«, sagte Mrs. Crafton-Bonsor und sah dabei Scottie an. »Es war netter, als ich vermuten konnte, aber ich muß mich doch auch einmal wieder in meinem Heim in Santa Barbara umsehen. Die Rasenflächen sind allein so groß wie der ganze Ort hier. Ich habe dem Professor eine Fotografie gezeigt, er war ganz begeistert davon. Wenn man ein so herrliches Besitztum hat, muß man es natürlich auch ausnützen.« Wieder schaute sie Scottie an, doch der betrachtete das Tischtuch und sah in dem Augenblick so bescheiden aus, daß Andy beinahe laut aufgelacht hätte.

»Ich hoffe, daß Ihnen die Reise nicht zu einsam wird«, meinte Andy. »Sie werden unseren Freund, den Professor, sicher sehr vermissen?«

»O ja.« Mrs. Bonsor räusperte sich.

Scottie sah auf.

»Ich habe eigentlich daran gedacht, auch einmal wieder nach Amerika zu gehen und mich dort umzusehen«, sagte er, und diesmal schaute Mrs. Bonsor bescheiden lächelnd vor sich hin.

»Stanhope und ich ...« begann sie.

»Stanhope – wer ist denn Stanhope?« fragte Andy erstaunt. Aber es war nicht mehr nötig, auf Antwort zu warten, er begegnete den bittenden Blicken Scotties.

»Stanhope und ich sind sehr gute Freunde geworden. Ich dachte, Sie hätten den Ring schon gesehen.«

Bei diesen Worten hielt sie ihre dicke Hand hoch.

Andy zählte ungefähr zehn verschiedene Ringe daran.

»Darf ich Ihnen meine besten Glückwünsche aussprechen? Das ist eine große Überraschung, Mrs. Crafton-Bonsor.«

»Niemand war mehr überrascht als ich selbst«, erwiderte sie glücklich, »aber Sie werden eine Frau in meiner Lage verstehen. Außerdem soll Stanhope ein neues Leben beginnen. Es gibt eine Gegend in der Nähe, wo er ... wie heißt doch gleich das Wort, Stan?«

»Geologie treiben kann«, murmelte Scottie.

»Ja, das meine ich.«

»Sie werden uns also verlassen?« fragte Andy lächelnd. »Und vermutlich haben Sie in einem Monat ganz Beverley Green und Wilmot und diesen fürchterlichen Albert Selim vergessen und –«

Plötzlich sank Mrs. Crafton-Bonsor ohnmächtig vom Stuhl.

*

»Es war die Hitze hier im Zimmer«, sagte sie matt, als sie wieder zu sich kam. Ihre Frisur war in Unordnung geraten, und ihre Brosche saß schief. »Ich glaube, es ist das Beste, daß ich jetzt zurückfahre. Stanhope« – es war rührend, zu sehen, wie sehr sie sich auf ihn verließ –, »würdest du bitte den Wagen bestellen?«

Sie sah alt aus, und ihre geschminkten Lippen bildeten einen sonderbaren Gegensatz zu ihrem Gesicht, Andy erwartete jeden Augenblick, daß sie wieder zusammenbrechen würde. Er war erleichtert, als sie sich mehr und mehr erholte, so daß sie mit seiner und Scotties Hilfe zum Wagen gehen konnte.

»Die Fahrt wird mir guttun«, meinte sie und sah sich mit einem nervösen Lachen um. »Es tut mir sehr leid, daß ich Sie so in Aufregung versetzte. Ich hätte ja gern noch etwas über den Mord erfahren. Wer wurde denn eigentlich getötet? Albert Selim?«

»Nein, ein gewisser Merrivan. Ich hätte diese schreckliche Geschichte überhaupt nicht erwähnen sollen!« sagte Andy.

»Ach, es hat mir nichts ausgemacht. Gute Nacht.«

Andy ging mit Stella ins Haus zurück.

»Albert Selim«, sagte er in Gedanken vor sich hin.

Sie sah ihn nachdenklich an.

»Glaubst du, daß die Erwähnung seines Namens an ihrer Ohnmacht schuld war?«

»Ich zweifle nicht im mindesten daran. Aber warum sollte der Name von Merrivans Mörder eine solche Wirkung auf sie haben?«

Er starrte, in Gedanken versunken, lange vor sich hin, und Stella störte ihn nicht.

»Ich werde Mrs. Crafton-Bonsor aufsuchen und mit ihr sprechen müssen. Wenn ich mich nicht sehr täusche, kann sie uns über den Mord und seine Vorgeschichte mehr erzählen, als der Mörder selbst.«

Edgar Wallace - Gesammelte Werke

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