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4. Auftritt
ОглавлениеVorige. Cyrano, dann Bellerose, Jodelet.
Montfleury [Zu den Marquis]: Kommt mir zu Hilfe, meine Herren!
Ein Marquis [Sorglos]: Na los! Fahrt fort!
Cyrano: Vorsicht, Fettsack, seid gewarnt! Wenn Ihr fortfahrt, sehe ich mich gezwungen, Euch eine Backpfeife zu verpassen!
Der Marquis: Haltet ein!
Cyrano: Und wenn diese Herren ihre Zunge weiterhin nicht hüten, könnte ich mich genötigt fühlen, sie meinen Stock kosten zu lassen!
Alle Marquis [Erheben sich]: Genug! – Montfleury –– .
Cyrano: Wenn er nicht sofort verschwindet, schneid ich ihm die Ohren ab und schlitz ihn auf!
Eine Stimme: Aber – Cyrano – er wird schon gehen!
Eine andere Stimme: Und doch –– .
Cyrano: Ist er noch nicht weg? [Macht eine Geste, als wolle er seine Ärmel hochkrempeln] Gut! Dann werde ich jetzt diese Bühne betreten, sozusagen das Büffet, wo es diese feine italienische Wurst zu tranchieren gilt – also!
Montfleury [Versucht, würdevoll zu wirken] Wenn Ihr mich beleidigt, beleidigt Ihr auch Thalia!
Cyrano [Sehr höflich]: Wenn diese Muse, mein Herr, die Euch überhaupt nicht kennt, Eure Bekanntschaft machen würde –
[Und sähe, was für ein Fass, wie fett und langsam ihr seid]
oh, glaubt nur, dass sie Euch die Sohle ihrer Stiefel spüren ließe!
Das Parkett: Montfleury! Montfleury! Kommt – es geht um Baros Stück!
Cyrano [Zu den Rufern]: Ich bitt' Euch, passt auf, was ihr sagt! Wenn Ihr weitermacht, wird meine Klinge bald aus ihrer Scheide fahren!
[Der Kreis um ihn weitet sich].
Die Menge [Sich zurückziehend]: Passt auf!
Cyrano [zu Montfleury]: Verlasst sofort die Bühne!
Die Menge [Näherkommend und murrend]: Oh –– .
Cyrano: Hat da jemand gesprochen?
[Die Menge zieht sich wieder zurück]
Eine Stimme [Singt im Hintergrund]:
Der Monsieur de Cyrano,
ein Tyrann, so übel und fies.
Aber bleiben wir dennoch froh!
Kommt! Spielt uns "La Clorise"!
Der ganze Saal singt: 'La Clorise!' 'La Clorise!' –– .
Cyrano: Lasst mich nur noch einmal diesen törichten Reim hören, und ich schlachte jeden von euch einzeln ab.
Ein Bürger: Oh! Samson?
Cyrano: Ja, Samson! Möchtet Ihr mir Euren Kieferknochen leihen, mein Herr?
Eine Dame [In den Logen]: Unerhört!
Ein Herr: Skandalös!
Ein Bürger: Das ist höchst verdrießlich!
Ein Page: Ein übler Scherz!
Das Parkett: Psst! – Montfleury – Cyrano!
Cyrano: Schweigt!
Das Parkett [Außer sich]: Ho-o-o-o-o-h! Quack! Kikeriki!
Cyrano: Ich befehle euch zu ––– .
Ein Page: Miau!
Cyrano: Ich befehle euch zu schweigen, und zwar allen! Und ich fordere das gesamte Parkett heraus, jeden einzelnen! Lasst mich eure Namen aufschreiben! Kommt näher, ihr jungen Helden, hierher zu mir! Einer nach dem andern! Ich werde die Reihenfolge ausrufen. Wer von euch will der Erste sein? Ihr, Herr? Nein! Ihr? Nein! Den ersten Duellanten werde ich mit aller gebührenden Ehre erledigen! Alle, die Sehnsucht nach dem Tod haben, sollen ihre Hände heben! [Stille] So bescheiden? Fürchtet ihr, meiner nackten Klinge entgegenzutreten? Nicht ein Name? Nicht eine Hand? Gut, dann werde ich fortfahren! [Zur Bühne gewandt, wo Montfleury immer noch Qualen erleidet] Das Theater ist zu voll, geradezu verstopft – ich sollte es räumen –wenn nicht ––– . [Legt die Hand auf seinen Degen] Aber nun ist Zeit für die Klinge!
Montfleury: Ich ––– .
Cyrano [Verlässt seinen Stuhl, und setzt sich in die Mitte des Kreises, der sich gebildet hat]: Ich werde dreimal in die Hände klatschen, und beim dritten Mal solltet Ihr so unsichtbar sein wie der Neumond!
Das Parkett [Amüsiert]: Aaaaah!
Cyrano [Klatscht in die Hände]: Eins!
Montfleury: Ich ––– .
Eine Stimme [In den Logen]: Bleibt!
Das Parkett: Er bleibt – er geht – er bleibt –– .
Montfleury: Ich glaube – meine Herren –– .
Cyrano: Zwei!
Montfleury: Ich denke, es wäre am klügsten ––– .
Cyrano: Drei!
[Montfleury verschwindet wie durch eine Falltür. Tosendes Gelächter, Pfiffe, Rufe usw.]
Das ganze Haus: Feigling – kommt zurück!
Cyrano [Erfreut; lehnt sich in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme]: Ja, kommt zurück, wenn Ihr Euch traut!
Ein Bürger: Man rufe den Erzähler!
[Bellerose tritt vor und verbeugt sich].
Die Logen: Ah! Da ist Bellerose!
Bellerose [Vornehm]: Meine ehrenwerten Herrn –– .
Das Parkett : Nein! Nein! Jodelet!
Jodelet [Schreitet nach vorne, näselnd]: So viele Kälber!
Das Parkett: Bravo! Gut! Weiter so!
Jodelet: Keine Bravos, bitte! Der fette Schauspieler, den ihr alle so liebt, zog es vor ––– .
Das Parkett: Feigling!
Jodelet: – sah sich gezwungen zu gehen.
Das Parkett: Kommt zurück!
Einige: Nein!
Andere: Doch!
Ein junger Mann [Zu Cyrano]: Bitte, mein Herr, sagt mir, aus welchem Grund Ihr Montfleury so sehr hasst?
Cyrano [Herablassend, immer noch sitzend]: Junger Erpel, wisse, dafür habe ich zwei Gründe, von denen jeder für sich allein ausreichen würde. Primo. Er ist ein miserabler Schauspieler, der nur den Mund aufreißt und die Verse, die eigentlich wie Vögel davonfliegen sollten, heraufwürgt wie einen Eimer, den man aus einem Brunnen hochzieht! Secundo – das bleibt mein Geheimnis –– .
Der alte Bürger [Hinter ihm]: Schändlich! Ihr beraubt uns der 'Clorise'! Ich muss darauf bestehen –– .
Cyrano [Dreht seinen Stuhl respektvoll dem Bürger zu]: Alter Zausel! Die Verse des alten Baro sind keinen Pfifferling wert! Ich bin froh, dass ich diese Vorstellung unterbrechen konnte –– .
Die eleganten Damen [In den Logen]: Unser Baro! Unser Liebster! Wie kann er es wagen –– !
Cyrano [Wendet seinen Stuhl galant den Logen zu]: Ihr Schönsten der Schönen, strahlt, erblüht, haltet unsern Lippen den berauschenden Kelch der Träume hin! Oder versucht, den Tod, wenn er euch ereilen sollte, mit eurem süßen Lächeln zu becircen; haucht unsren Versen Leben ein, aber – kritisiert sie nicht!
Bellerose: Wir müssen die Eintrittsgelder zurückzahlen!
Cyrano [Dreht seinen Stuhl zur Bühne]: Bellerose, das war die erste intelligente Bemerkung heute! Würde ich Thespis' geweihten Mantel zerreißen? Wohl kaum! [Erhebt sich und wirft einen Geldbeutel auf die Bühne] Fangt diesen Beutel und schweigt!
Das ganze Haus [Verblüfft]: Ah! Oh!
Jodelet [Fängt den Geldbeutel geschickt auf und wiegt ihn]: Um diesen Preis habt Ihr die Erlaubnis, 'Clorise' an jedem beliebigen Abend zu beenden, mein Herr!
Das Parkett: Ho –– ! Ho! Ho –– !
Jodelet: Selbst, wenn Ihr uns alle verjagen wolltet –– !
Bellerose: Räumt den Saal!
Jodelet: Schafft alle sofort hinaus!
[Die Leute gehen langsam hinaus, während Cyrano mit Genugtuung zusieht. Aber als sie die folgende Szene hört, bleibt die Menge stehen, wo sie ist. Die Frauen in den Logen, die ihre Mäntel bereits angezogen haben, bleiben stehen, um zuzuhören, und setzen sich schließlich wieder].
Le Bret [Zu Cyrano]: Es ist verrückt –– !
Ein Stänkerer [Geht auf Cyrano zu]:Der Schauspieler Montfleury! Wie schändlich! Immerhin steht er unter dem Schutz des Herzogs von Candal! Habt Ihr einen Schutzherr?
Cyrano: Nein!
Der Stänkerer: Keinen Schutzherr –– ?
Cyrano: Nein!
Der Stänkerer: Was! Kein großer Fürst, der seine Hand über Euch hält?
Cyrano [Gereizt]: Nein, ich habe es bereits zweimal gesagt! Soll ich es nochmal wiederholen? Nein! Ich habe keinen Schutzherrn –– . [Legt eine Hand an sein Schwert] Aber eine Schutzherrin – hier!
Der Stänkerer: Aber Ihr müsst die Stadt verlassen?
Cyrano: Nun, das kommt darauf an!
Der Stänkerer: Der Herzog hat einen langen Arm!
Cyrano: Aber nicht so lang wie meiner, wenn ich den hier –– . [Zeigt seinen Degen] in der Hand habe!
Der Stänkerer: Ihr denkt nicht etwa daran, ihn herauszufordern?
Cyrano: Das war mein Gedanke!
Der Stänkerer: Aber ––– .
Cyrano: Haut ab! Jetzt sofort!
Der Stänkerer: Aber ich ––– .
Cyrano: Oder sagt mir sofort, warum Ihr so auf meine Nase starrt!
Der Stänkerer [Torkelnd] Ich –– .
Cyrano [Geht direkt auf ihn zu]: Was ist denn so merkwürdig an ihr?
Der Stänkerer [Weicht zurück]: Euer Gnaden irrt!
Cyrano: Wie nun? Ist sie etwa weich und hängt herunter wie ein Rüssel?
Der Stänkerer [Immer noch zurückweichend]: Ich habe nie ––– .
Cyrano: Oder ist sie gekrümmt, wie der Schnabel einer Eule?
Der Stänkerer: Ich –– .
Cyrano: Sehr Ihr etwa eine Warze an der Spitze?
Der Stänkerer: Nein –– .
Cyrano: Oder eine Fliege, die auf ihr verweilt? Was gibt es da zu starren?
Der Stänkerer: Oh ––– .
Cyrano: Was also?
Der Stänkerer: Aber ich habe doch ganz bewusst nicht hingesehen – und ich wusste genau, warum.
Cyrano: Und warum wolltet Ihr ganz bewusst nicht hinsehen, wenn ich fragen darf?
Der Stänkerer: Ich war ––– .
Cyrano: Oh! Ihr ekelt euch vor ihr!
Der Stänkerer: Mein Herr!
Cyrano: Ihre Färbung erscheint Euch ungesund?
Der Stänkerer: Mein Herr!
Cyrano: Oder etwa ihre Form?
Der Stänkerer: Nein, ganz im Gegenteil ––– .
Cyrano: Warum dann diese abschätzige Haltung? Dünkt sie euch etwa zu groß
Der Stänkerer [Stotternd]: Nein, klein, ziemlich klein – winzig!
Cyrano: Winzig! Was denn nun? Ihr wollt mich wohl lächerlich machen! Klein – meine Nase?
Der Stänkerer: Der Himmel stehe mir bei!
Cyrano: Sie ist riesig! Ihr alter Einfaltspinsel, Ihr hohlköpfiger Wichtigtuer, wisset, dass ich stolz bin, solch ein Körperteil zu besitzen. Es ist wohl bekannt, dass eine große Nase ein Zeichen für eine freundliche, liebenswürdige, höfliche, freimütige, tapfere Seele ist – eine Seele, wie ich sie besitze, und von der Ihr selbst nie zu träumen wagen dürft; verachtenswerter Schurke! Dagegen zeigt Euer einfältiges Gesicht, das bald meine Hand zu spüren bekommen wird, keine Spur von –– . [Gibt ihm eine Ohrfeige]
Der Stänkerer: Aua!
Cyrano: Stolz, Ehrgeiz, Gefühl, Poesie – keine Spur der göttlichen Gaben, die man meiner großen Nase zuspricht. [Dreht ihn an den Schultern, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen] Und deswegen wird mein Stiefel darin Platz finden!
Der Stänkerer [Rennt davon]: Hilfe! Ruft die Wachen!
Cyrano: Nehmt zur Kenntnis, ihr Tölpel, die ihr diese Zierde meines Antlitzes lächerlich findet, dass es zu meinen Gepflogenheiten gehört, selbst wenn der Spaßvogel adlig sein sollte, ihn meinen Stahl und nicht meinen Stiefel spüren zu lassen!
De Guiche [Der mit den Marquisen von der Bühne heruntergekommen ist]: Er wird immer mehr zum Ärgernis!
Der Vicomte de Valvert [Zuckt mit den Schultern]: Aufschneider!
De Guiche: Will denn niemand ihm entgegentreten?
Der Vicomte: Keiner? Na wartet! Ich werde ihn verhöhnen, einen meiner Scherze mit ihm spielen! Seht nur her ––– ! [Geht auf Cyrano zu, der ihn beobachtet, und sagt von oben herab]. Mein Herr, Eure Nase ist – hmm – sie ist - sehr groß!
Cyrano [Getragen]: Sehr groß!
Der Vicomte [Lacht]: Ha!
Cyrano [Gleichmütig]: War das alles?
Der Vicomte: Was meint Ihr?
Cyrano: Kommt schon, mein junger Freund! Das war etwas sehr dürftig! Ihr hättet mindestens hundert Dinge sagen können, indem Ihr nur den Tonfall variiert hättet – etwa so, zum Beispiel – aggressiv: Mein Herr, wenn ich so eine Nase hätte, würde ich sie amputieren!' Oder freundlich: 'Wenn Sie essen, wird es Euch vermutlich ärgern, wenn sie in Ihre Tasse tropft. Ihr bräuchtet eine Trinkschale der besonderen Art!' Oder umschreibend: 'Sie ist ein Fels! – ein Gipfel! – ein Erker! – ein Erker? Fürwahr! Sie ist wie eine Halbinsel.' Oder neugierig: 'Wozu dient diese längliche Kapsel? Als Scheide für eine Schere? Oder als Gefäß für Eure Tinte?' Oder anmutig: 'Sie lieben die kleinen Vögelchen, nicht wahr? Ich sehe, Ihr habt es mit liebevoller Hingabe geschafft, für ihre winzigen Krallen eine geräumige Sitzstange zu finden!' Oder grobschlächtig: 'Wenn Ihr Eure Pfeife genießt, und der Tabakrauch aus der Nase steigt, schreien die Nachbarn dann nicht entsetzt: ' ' Der Schornstein brennt' '?' Oder fürsorglich: 'Nehmt Euch in Acht, solch ein Gewicht zeiht den Kopf tief nach unten, und irgendwann werdet Ihr umkippen!' Oder zärtlich: 'Bitte lasst Euch einen kleinen Schirm fertigen, damit ihre schöne Farbe in der Sonne nicht verblasst!' Oder pedantisch: 'Das Tier, das Aristophanes Hippocamelelephantoles nennt, muss genau so einen stabilen Klumpen aus Fleisch und Knochen unter seiner Stirnbeule besessen haben!' Oder ganz wie ein Kavalier: 'Der letzte Schrei, mein Freund, dieser Haken? Für einen Hut ein äußerst praktischer Aufhänger!' Oder eindringlich: 'Kein Wind, oh majestätische Nase, kann dich kalt werden lassen! Außer, wenn der Mistral bläst!' Oder dramatisch: 'Wenn sie blutet, entsteht daraus das Rote Meer!' Oder bewundernd: 'Ein Parfümmacher hätte seine Freude daran!' Oder lyrisch: 'Ist das eine Muschel?. Etwa ein Triton?' Oder einfach: 'Wann darf man dieses Denkmal besichtigen?' Oder rustikal: 'Ist das Ding eine Nase? Gütiger Himmel! Entweder ist es ein Zwergkürbis, oder eine preisgekrönte Rübe!' Oder militärisch: 'Richtet sie gegen die Kavallerie!' Oder praktisch: 'Spendet sie einer Lotterie! Sie wäre sicher der Hauptpreis!' Oder, den Humor des Pyramus parodierend. 'Seht nur diese Nase, die die Harmonie des Gesichts ihres Trägers zerstört und deswegen errötet.' ––– Das alles, werter Herr, hättet Ihr sagen können, wenn Ihr auch nur ein Quäntchen Verstand besitzen oder Buchstaben kennen würdet. Aber, bedauernswerter Herr, an Verstand hattet Ihr nie mehr als ein Fünkchen, und was Buchstaben angeht, so kennt Ihr nur die vier, aus denen sich das Wort 'Idiot' schreiben lässt! Aber selbst, wenn Ihr den nötigen Verstand gehabt hättet, diese Worte vor diesem edlen Publikum zu äußern, so hätte ich Euch nicht erlaubt, einen, nein, nicht einmal die Hälfte oder ein Viertel eines solchen Witzes anzubringen. Außer von mir selbst werde ich sie nämlich von keinem anderen lebenden Menschen akzeptieren.
De Guiche [Versucht, den bestürzten Vicomte wegzulocken]: Gehen wir, Vicomte!
Der Vicomte [Außer sich vor Wut]: Man höre sich diese Arroganz an! Ein Bauerntölpel, der – der – nicht mal Handschuhe hat! Der ohne Ärmelbesatz, ohne Schleifen, ohne Riemchen daherkommt!
Cyrano: Wohl wahr; all meine Eleganz kommt von innen. Ich putze mich nicht auf wie ein Hündchen, wenn ich ausgehe; meine Körperpflege ist gründlicher, wenn auch weniger erlesen; ich würde nicht hierherkommen mit einer nur halb abgewaschenen Schmach auf meiner Ehre, mit galligem Gewissen, oder gelbäugig nach durchzechter Nacht! Ich zeige meine Tapferkeit nicht in Gestalt von funkelnden Edelsteinen. Wahrheit, Unabhängigkeit, das sind meine flatternden Fahnen. Ich schnüre nicht meine Gestalt, um mich schlanker erscheinen zu lassen, sondern stütze meine Seele mit Anstand und Bravour; ich bedecke mich mit Heldentaten, nicht mit Riemchen, mein Geist reckt sich nach oben wie eure gesträubten Schnurrbärte; ich durchquere die Menge und die schwatzenden Grüppchen und lasse die Wahrheit tapfer erklingen wie das Klirren von Sporen!
Der Vicomte: Aber, mein Herr... .
Cyrano: Ich trage keine Handschuhe? Und wollt Ihr auch wissen, warum? Ich besaß einen – das Überbleibsel eines alten, abgenutzten Paares, und da ich nicht wusste, was ich sonst damit tun sollte, warf ich ihn einem – einem jungen Narren ins Gesicht.
Der Vicomte: Infamer Schurke! Unverschämter, plattfüßiger Flegel!
Cyrano [Nimmt seinen Hut ab und verbeugt sich, als ob der Vicomte sich vorgestellt hätte]: Ach so? Nun, mein Name ist Cyrano Savinien Hercule de Bergerac
[Gelächter].
Der Vicomte [Wütend]: Witzbold!
Cyrano [Ruft, als hätte ihn der Krampf gepackt]: Aua, aua.
Der Vicomte [Der weggehen wollte, kehrt um]: Was in aller Welt treibt dieser Bursche jetzt?
Cyrano [Unter schmerzhaften Grimassen]: Es muss bewegt werden – es wird steif werden, ich schwöre es, --das kommt davon, wenn man es nicht ständig benützt! Aua!
Der Vicomte: Was plagt Euch?
Cyrano: Der Krampf! Der Krampf in meinem Degen!
Der Vicomte [Zieht seinen Degen]: Nun denn!
Cyrano: Ihr werdet nur einen winzigen, kleinen Schlag spüren!
Der Vicomte [Verächtlich]: Ein Dichter –– !
Cyrano: Ja, ein Dichter, mein Herr! Als Beweis dafür will ich, während wir fechten, presto! ganz aus dem Stegreif, eine Ballade verfassen.
Der Vicomte: Eine Ballade?
Cyrano: Ihr wisst wohl nicht, was eine Ballade ist.
Der Vicomte: Aber ––– .
Cyrano [Rezitiert, als würde er eine Lektion wiederholen]: So wisset denn, dass eine Ballade aus drei Strophen mit je acht Zweizeilern bestehen muss ––.
Der Vicomte [Mit dem Fuß stampfend]: Aha!
Cyrano [Rezitiert weiter]: Zuzüglich eines Nachworts von vier Zeilen –– .
Der Vicomte: Ihr –– .
Cyrano: Ich werde also eine Ballade erschaffen, während wir kämpfen – und Euch beim letzten Vers besiegen.
Der Vicomte: Niemals!
Cyrano: Niemals? [Deklamierend]: Das Duell im Hotel de Bourgogne ficht
Cyrano de Bergerac mit einem Taugenichts!
Der Vicomte: Und was soll das sein, wenn Ihr erlaubt?
Cyrano: Der Titel.
Das ganze Haus [In großer Aufregung]: Macht Platz! Guter Witz! Platz da! Ruhe bitte!
[Tableau. Ein Kreis von neugierigen Zuschauern im Parkett; die Marquisen und Offiziere mischten sich unter das gemeine Volk; die Pagen kletterten sich gegenseitig auf die Schultern, um besser zu sehen. Alle Frauen in den Logen stehen auf. Rechts, De Guiche und sein Gefolge. Links, Le Bret, Ragueneau, Cyrano, usw.]
Cyrano [Schließt für eine Sekunde die Augen]: Wartet, während ich meine Reime auswähle – nun habe ich sie! [Begleitet jedes Wort mit einer passenden Handlung]:
Froh leg ich meinen Dreispitz ab,
Lass Hand und Fuß ihr'n Lauf,
Der schwere Mantel fliegt herab,
Den Stahl pack' ich am Knauf.
Graziös wie Phoebus dreh' ich mich,
Gewandt wie Scaramouche,
Ein kurzes Wort noch, dann, im Nu,
Stech' ich beim letzten Verse zu!
[Sie fechten]
Besser hättet Ihr Euch ergeben,
Wo setz' ich nur den Treffer hin?
Ins Herz oder knapp daneben,
Oder rasier' ich gar Euer Kinn?
Es zerschneidet die Luft mein Degen,
Und immer geht es um Euer Leben,
Ein kurzes Wort noch, dann, im Nu,
Stech' ich beim letzten Verse zu!
Ach, ein Reim fällt mir noch ein,
Ihr entkommt mir nicht,
Gebt auf und beugt das Bein,
sonst seid ihr tot, Ihr Wicht.
Ich parier' jeden Eurer Schläge,
Weil Ihr kämpfet viel zu träge.
Ein kurzes Wort noch, dann, im Nu,
Beim letzten Verse stech' ich zu!
[Er deklamiert feierlich]
Nachwort.
Macht Euren Frieden mit Gott,
Ich parier' Euch hier und dort.
Finte, Touché!
[Setzt eine Stoß]
Oho! Ihr wankt schon?
[Der Vicomte taumelt. Cyrano verbeugt sich]
Beim letzten Verse stech' ich zu!
[Beifallskundgebungen. Applaus in den Logen. Blumen und Taschentücher werden herabgeworfen. Die Offiziere umringen Cyrano und gratulieren ihm. Ragueneau tanzt vor Freude. Le Bret ist glücklich, aber verängstigt. Die Freunde des Vicomte stützen ihn und tragen ihn fort].
Die Menge [Mit einem langgezogenen Schrei]: Aaaaaaaah!
Ein Kavallerist: Das war großartig!
Eine Frau: Ein trefflicher Hieb!
Ragueneau: Ein Wunderwerk!
Ein Marquis: Beeindruckend!
Le Bret: Ein Wahnsinniger!
Die Menge. [Drängt sich um Cyrano. Im Refrain]: Kompliment! Bravo! Gratulation! Einfach unübertroffen –– !
Eine Frauenstimme: Was für ein Held!
Ein Musketier [Geht mit ausgestreckter Hand auf Cyrano zu]: Mein Herr, erlaubt mir zu sagen, das war die ganz hohe Kunst – meiner Treu, ich habe sogar mit den Füßen gestampft, um meine Bewunderung auszudrücken! [Geht weg]
Cyrano [Zu Cuigy]: Wer war dieser Herr?
Cuigy: Na, D'Artagnan!
Le Bret [Zu Cyrano, nimmt seinen Arm]: Ich muss mit dir reden. .
Cyrano: Wartet, lasst erst den Pöbel gehen! [Zu Bellerose] Darf ich bleiben?
Bellerose [Respektvoll]: Selbstredend!
[Draußen sind laute Rufe zu hören].
Jodelet [Der hinausgesehen hat]: Sie verlachen Montfleury!
Bellerose [Getragen]: Sic transit ––– !1 [Zum Portier] Fegt hier sauber; dann schließt alle Türen, aber lasst das Licht noch brennen. Wir werden zuerst speisen, aber später wiederkommen, um die morgige Farce zu proben.
[Jodelet und Bellerose gehen ab und verbeugen sich tief vor Cyrano].
1 Anspielung auf 'Sic transit gloria mundi' [lateinisch: So vergeht der Ruhm der Welt], ein historisches Zitat
Der Portier [Zu Cyrano]: Ihr speist nicht, mein Herr?
Cyrano: Nein.
[Der Portier ab].
Le Bret: Warum?
Cyrano [Stolz]:
Weil ––– . [In verändertem Tonfall, während der Portier abgeht] –– ich kein Geld habe!
Le Bret [Tut so, als würde er einen Beutel werfen]: Nanu! Und der Beutel mit dem Geld?
Cyrano: Väterliche Freigebigkeit – aber, wie gewonnen, so zerronnen!
Le Bret: Von was willst du nächsten Monat leben?
Cyrano: Keine Ahnung.
Le Bret: Welch' Torheit!
Cyrano: Aber denkt doch, was für eine großmütige Handlung!
Die Büffetdame [Räuspert sich hinter ihrem Tresen]: Ähem! [Cyrano und Le Bret drehen sich um. Sie tritt schüchtern vor] Mein Herr, mein Herz kann es nicht ertragen, Euch darben zu sehen. [Zeigt auf das Buffet] Seht nur, alles, was das Herz begehrt. Bedient Euch!
Cyrano [Nimmt seinen Hut ab]: Mein liebes Kind, obwohl mein Gascogner Stolz es eigentlich verbieten würde, auch nur die kleinste Gabe aus Euren Händen zu empfangen, so überwiegt doch meine Furcht, Euch zu beleidigen, und gebietet mir, Euer Angebot anzunehmen ––– . [Geht zum Büffet] Eine Kleinigkeit – ein paar dieser Beeren. [Sie bietet ihm eine ganze Traube an, er nimmt nur ein paar wenige Beeren] Nein, nicht die ganze Traube ––– ! [Sie will ihm Wein einschenken, aber er gebietet ihr Einhalt] Nur ein Glas Wasser, bitte! Und eine halbe Makrone! [Gibt ihr die andere Hälfte zurück]
Le Bret: Was für ein Blödsinn!
Die Büffetdame: Nehmt doch noch etwas anderes!
Cyrano: Ich nehme Eure Hand zum Kuss. [Küsst ihre Hand, als wäre sie eine Prinzessin]
Die Büffetdame: Danke, gütiger Herr! [Verbeugt sich] Gute Nacht. [Ab]