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[42]2. Die Frage nach dem »Ursprung der Zeit«
ОглавлениеWir verstehen nach diesen Reflexionen auch den Unterschied der phänomenologischen (bzw. erkenntnistheoretischen) Ursprungsfrage von der psychologischen hinsichtlich aller für die Erfahrung konstitutiven Begriffe, und so auch hinsichtlich des Zeitbegriffs. Die erkenntnistheoretische Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung (die zugleich die Frage nach dem Wesen der Erfahrung ist) erfordert den Rückgang zu den phänomenologischen Daten, aus denen das Erfahrene phänomenologisch besteht. Sofern das Erfahren durch den Gegensatz zwischen »uneigentlich« und »eigentlich« gespalten wird und die eigentliche Erfahrung, die intuitive und letztlich adäquate, das Richtmaß der Erfahrungsbewertung hergibt, bedarf es besonders der Phänomenologie der »eigentlichen« Erfahrung.
Demgemäß führt auch die Frage nach dem Wesen der Zeit zurück auf die Frage nach dem »Ursprung« der Zeit. Diese Ursprungsfrage ist aber auf die primitiven Gestaltungen des Zeitbewusstseins gerichtet, in denen die primitiven Differenzen des Zeitlichen sich intuitiv und eigentlich als die originären Quellen aller auf Zeit bezüglichen Evidenzen konstituieren. Diese Ursprungsfrage darf nicht verwechselt werden mit der Frage nach dem psychologischen Ursprung, der Streitfrage des Empirismus und Nativismus. Bei der letzteren ist gefragt nach dem ursprünglichen Empfindungsmaterial, aus dem die objektive Raum- und Zeitanschauung im menschlichen Individuum und sogar in der Gattung entsteht. Uns ist die Frage nach der empirischen [43]Genesis gleichgültig, uns interessieren die Erlebnisse nach ihrem gegenständlichen Sinn und ihrem deskriptiven Gehalt. Die psychologische Apperzeption, welche die Erlebnisse als psychische Zustände von empirischen Personen, psychophysischen Subjekten, auffasst und zwischen ihnen sei es rein psychische, sei es psychophysische Zusammenhänge aufdeckt und das Werden, Sichgestalten und Umgestalten der psychischen Erlebnisse naturgesetzlich verfolgt, diese psychologische Apperzeption ist eine ganz andere als die phänomenlogische. Die Erlebnisse werden von uns keiner Wirklichkeit eingeordnet. Mit der Wirklichkeit haben wir es nur zu tun, insofern sie gemeinte, vorgestellte, ange[374]schaute, begrifflich gedachte ist. Bezüglich des Zeitproblems heißt das: die Zeiterlebnisse interessieren uns. Dass sie selbst objektiv zeitlich bestimmt sind, dass sie in die Welt der Dinge und psychischen Subjekte hineingehören und darin ihre Stelle, ihre Wirksamkeit, ihr empirisches Sein und Entstehen haben, das geht uns nichts an, davon wissen wir nichts. Dagegen interessiert uns, dass in diesen Erlebnissen »objektiv zeitliche« Daten gemeint sind. Es gehört zum Bereich der Phänomenologie eben diese Beschreibung, dass die betreffenden Akte dieses oder jenes »Objektive« meinen, genauer die Aufweisung der apriorischen Wahrheiten, die zu den verschiedenen konstitutiven Momenten der Objektivität gehören. Das Apriori der Zeit suchen wir zur Klarheit zu bringen, indem wir das Zeitbewusstsein durchforschen, seine wesentliche Konstitution zutage fördern und die evtl. der Zeit spezifisch zugehörigen Auffassungsinhalte und Aktcharaktere herausstellen, zu welchen die apriorischen Zeitgesetze essentiell gehören. [44]Natürlich meine ich hierbei Gesetze dieser selbstverständlichen Art: dass die feste zeitliche Ordnung eine zweidimensionale unendliche Reihe ist, dass zwei verschiedene Zeiten nie zugleich sein können, dass ihr Verhältnis ein ungleichseitiges ist, dass Transitivität besteht, dass zu jeder Zeit eine frühere und eine spätere gehört usw. – Soviel zur allgemeinen Einleitung.