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Der Zettel

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Matt lehnte sich die Wärme des Sommers an einen wolkenlosen Himmel. Die trockene Luft knisterte.

„Immer noch besser als in der Ziegelfabrik“, dachte Eduard müde. Seit einer Woche arbeitete er in der Hitze des Brennofens, die seine Haut glühen ließ und ihm den Atem nahm. Doch er brauchte das Geld, sparte für ein Moped und nutzte die Ferientage. Seine Mutter nickte ihm zu und reichte ihm wortlos ein Glas Wasser. Mit seinen vierzehn Jahren begegneten sie sich von der Größe auf Augenhöhe, der schmale, blonde Junge und die brünette Frau, deren Figur die Geburten von drei Söhnen gerundet hatten.

Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Hans, Eduards achtjähriger Bruder, spielte mit Freunden irgendwo draußen am Bach, und der Mann der Mutter schien unterwegs zu sein.

„Wie war es heute?“, fragte Eduard, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Wie immer“, die Mutter überraschte ihn nicht. Sie sprach nie viel, auch nicht über ihre Arbeit in der Tabakfabrik, wo sie seit einigen Jahren Zigarren aus feinen Tabakblättern rollte. Anfänglich nur mit den Händen, die von Maschinen abgelöst wurden, schneller und präziser. Nur die teuersten und edelsten Zigarren durften nun noch zwischen Mutters langen, schmalen Fingern schonend geformt werden.

„Wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen“, wies sie ihn an. Als Eduard zurück in die Küche kam, standen nur zwei Teller auf dem Tisch. Er fragte nicht nach dem Grund. Die Stühle wurden gerückt, sie setzten sich. Beim Anblick der dampfenden Kartoffeln spürte Eduard keinen Hunger, sondern seine Nervosität. Zu selten hatte er die Mutter für sich allein.


Eduards französische Großeltern Antoine und Anne Ménan mit ihrer Familie 1936 – sein Vater steht in der hinteren Reihe ganz rechts.

„Ich bin wieder nach meinem Vater gefragt worden“, platzte es aus ihm heraus. „Bitte, Mutter, erzähle mir von ihm! Irgendetwas! Seinen Namen. Wie er war. Ich muss es wissen!“ Unter der Flut der Worte erstarrte sie. Die Gabel klirrte gegen den Tellerrand.

„Lass es, Edi!“, flüsterte sie kraftlos.

„Immer sagst du, lass mich in Ruh! Nein, Mutter, ich muss es wissen! Ich muss!“

Es schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, an dem sie ihn nicht mehr mit einem Blick zum Schweigen bringen konnte. Seine jugendliche Energie sprengte gegen die verkrustete Hülle, die ihre wunde Seele umschloss.

Sie stand auf und suchte für einen Moment den Halt in ihren Handflächen auf der Tischplatte. Eduard wagte nicht, ihr in das blasse Gesicht zu sehen. Er spürte ihren Schmerz wie seinen eigenen. Erst als sich die Mutter wegdrehte, hob er enttäuscht den Kopf. Seine Fragen sollten wieder ohne Antwort bleiben.

Eduard hörte den schweren Atem der Mutter und Schritte, die die Last ihrer inneren Qual trugen. Eine Schublade im hölzernen Küchenschrank wurde geöffnet und dumpf zugeschoben. Für einen Moment bewegte sich niemand von beiden, und Eduard fragte sich, was sie gesucht hatte. Dann bemerkte er, dass sich die Mutter schwerfällig wieder auf den Stuhl neben ihn setzte, einen Bleistift und ein Stück Papier in der rechten Hand haltend. Eduards Herz schlug so heftig, dass er es in seinem ganzen Körper spüren konnte.

Während sie mit gebeugtem Kopf und zusammengepressten Lippen schrieb, verharrte Eduard regungslos und wagte kaum zu atmen. Nichts sollte die Mutter unterbrechen.

Stumm schob sie ihm den Zettel zu. Zwei Wörter. Ein Datum.

Ansonsten Leere, die sich für Eduard langsam mit Vergangenheit zu füllen begann. Und Zeichen, die eine Zukunft versprachen:

Antoine Ménan

26. 11. 1917

Franzosenkind

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