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DER ZILK
ОглавлениеJetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar über den Zilk.
Der Helmut Zilk57 ist zehn Jahre lang der Kaiser von Wien gewesen. Offiziell ist er zwar nur Bürgermeister gewesen, aber die Wiener haben das anders empfunden, für die ist er ihr Stadtmonarch gewesen. Die Wiener verehren ja ihren alten Kaiser, den Franz Joseph, insgeheim immer noch, traditionshalber, sie geben das von Generation zu Generation weiter, vielleicht können die Wiener ihre Liebe zum Kaiser ja auch richtig vererben. Jedenfalls haben die Wiener aus diesem Grund einen Narren gefressen gehabt am Zilk, und obwohl sie seinen Nachfolger, den Michael Häupl, auch sehr gemocht haben und er wirklich populär gewesen ist, haben sie ihn doch nicht so, ja: geliebt, wie sie den Zilk geliebt haben.
Der Zilk ist ja auch ein richtiges Original gewesen, ein Original und ein Stadtmonarch zugleich. Das eine bedingt das andere. Niemals würde ein Wiener jemanden als Stadtmonarchen akzeptieren, der kein Original ist. Ein Wiener durchschaut das sofort. Es hätte ja auch damals nicht einfach irgendein Landedelmann kommen und sagen können: Ich bin der Kaiser. Ausgelacht hätte ihn die ganze Stadt, dass man es bis nach Prag und nach Brünn und nach Kronstadt und nach Triest gehört hätte, und die Prager und die Brünner und die Kronstädter und die Triestiner hätten ganz verwundert gefragt: Ja, was lachen denn die so, die in der fernen Hauptstadt, in Wien, da wird sich doch nicht gar ein Landjunker als Kaiser ausgegeben haben?
Sehen Sie, gerade so ist es mit dem Zilk gewesen. Er hat sich nicht als Wiener Bürgermeister ausgegeben, nur, weil er an der Spitze einer Parteisektion gestanden ist, die die Wahlen gewonnen hat: Der Zilk ist der Wiener Bürgermeister gewesen, so, als wäre er gerade für diesen Posten geboren worden.
Zuvor ist der Zilk Journalist gewesen. Als ganz junger Mann hat er bei den Kommunisten hineingeschnuppert, aber er ist gleich wieder weg gewesen: zuviel aufgezwungener Gehorsam, zu wenig Raum für das eigene Denken, Sie verstehen? Damit hat der Zilk nicht umgehen können. Deshalb ist er ja auch nie bei den Nationalsozialisten angestreift. Als einziger seiner Schulklasse ist er nicht den Lockrufen der Waffen-SS erlegen. Dazu hat ganz schön viel Mut gehört.
Der Zilk hat eine Lehramtsprüfung gemacht und einige Zeit unterrichtet. Dabei ist er auf die Idee gekommen, es wäre doch gut, gäbe es im aufstrebenden Medium Fernsehen eine Sendung, die Schüler über ihre Berufschancen unterrichtet. Der ORF-Generalintendant Josef Scheidl hat Interesse gehabt und den Zilk gleich auch als Moderator für die Sendung engagiert, die den Titel „Was könnte ich werden?“ gekriegt hat.
In der Sendung hat der Zilk eine derartige Bildschirmpräsenz entwickelt, dass man ihm dann auch noch die „Stadtgespräche“ anvertraut hat. Ich glaube, damit ist der Samen gelegt worden für seine Wien-Leidenschaft. Der Zilk ist in die Stadt und ihre Bürger vernarrt gewesen. Wenn es um die Stadt und ihre Bürger gegangen ist, sind dem Zilk alle Parteidoktrinen wurscht gewesen, er hat gemacht, was er für richtig gehalten hat, und in fast allen Fällen hat es sich zumindest nachträglich herausgestellt, dass es auch richtig gewesen ist.
Aber soweit sind wir noch nicht. Zuerst kehrt der Zilk dem ORF den Rücken und wird in der „Kronen Zeitung“58 Ombudsmann. Das ist eine Stellung, die wie für den Zilk gemacht ist – und genau genommen hat der allmächtige „Krone“-Chef Heinz Dichand59 sie ja auch für den Zilk erfunden. Als Ombudsmann hat der Zilk sich der Sorgen und Nöte und, seien wir ehrlich, der Granteleien und Nörglereien der Österreicher angenommen und zwischen den Menschen und den Behörden und, wenn nötig, den Politikern vermittelt.
Dass der Zilk mit Menschen so gut umgehen kann, ist auch dem Bruno Kreisky aufgefallen, der damals Bundeskanzler gewesen ist. Der Kreisky hätte den Zilk gerne als Chef des ORF gesehen, aber der wählt seinen Intendanten selbst, und in diesem Fall hat der ganze Einfluss vom Kreisky nichts genützt, der Gerd Bacher60 ist ORF-Chef geworden.
Damit hat die Politikerkarriere vom Zilk begonnen. Der Bürgermeister Leopold Gratz61 hat den Zilk in die Wiener Stadtregierung geholt und ihn systematisch als seinen Nachfolger aufgebaut.
Bevor es aber soweit ist, gibt der Zilk ein Zwischenspiel als Unterrichts- und Kulturminister. Nur ein Jahr ist er im Amt, aber in diesem einen Jahr trifft er zwei Entscheidungen, die von großer Bedeutung sind. Die eine ist, dass er Informatik als Pflichtgegenstand einführt. Zur anderen komme ich später.
Und dann wird er endlich Bürgermeister der Stadt Wien. Der Zilk ist da schon in dritter Ehe mit der Dagmar Koller62 verheiratet, einer sagenhaft begabten Musicaldarstellerin. Ich führe das deshalb an, weil ich glaube, dass der Zilk sehr vieles durch sie gelernt hat, nämlich etwas als ein großes Fest zu inszenieren, eine ganze Stadt als Bühne aufzufassen. Der Zilk hat Wien für die Wiener zu einem ganzjährigen Wien-Festspiel gemacht. Zum äußeren Zeichen hat er den Rathausplatz, den Vorplatz vor dem Wiener Rathaus, das auf einer Sichtachse mit dem Burgtheater liegt, für Autos gesperrt. Statt eines großen Parkplatzes ist der Platz zum Ort von Festen geworden: für ein sommerliches Filmfest etwa mit Oper- und Konzertmitschnitten in Volksfeststimmung, dann hat er in der Vorweihnachtszeit dem Adventzauber und dem Christkindlmarkt dort einen festen Platz zugewiesen, und der Zilk hat die Einrichtung des Jüdischen Museums betrieben.
Dann hat er noch eine Entscheidung gefällt, die ihn zuerst viele Sympathien und letzten Endes wahrscheinlich auch einen Teil seiner Gesundheit gekostet hat: Er hat auf dem Platz vor der Albertina das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus errichten lassen. Darüber ist viel diskutiert worden, einerseits, weil der Alfred Hrdlicka63 mit der Arbeit beauftragt worden ist, der sich zum Kommunismus bekannt hat, andererseits, weil die Wiener an die Zeit des Nationalsozialismus ohnedies nicht erinnert werden wollen. Sehr schnell haben sie es nach 1945 verstanden, alles in Fluten von Gspritztem zu tauchen und eine lethargische Gemütlichkeit vorzuspielen, mit der sie quasi eine kollektive Geschichtsfälschung begangen und sich als erstes Opfer vom Hitler inszeniert haben, was ja auch halb stimmt, halb aber auch nicht, und schon sehr viele Österreicher und Wiener bei den Verbrechen mitgemacht haben. Es ist halt um den Staatsvertrag gegangen, in der Nachkriegszeit, irgendwie hat man den ja den Siegermächten abringen müssen, und wenn die Wahrheit hinderlich ist, braucht man sie doch nicht offen auszusprechen. Und wie man dann den Staatsvertrag gehabt hat, hat es eigentlich auch keinen Grund mehr gegeben, sich um die Vergangenheit weiter zu kümmern, tun wir, als wäre nichts gewesen, Strich drunter, neu anfangen.
Mit dem Zilk ist das nicht möglich gewesen. Der hat den Finger auf die blutende Wunde Wiens gedrückt, ganz fest, bis es richtig weh getan hat. Für einen Moment ist das Schlagobers weg gewesen und Essig und Salz sind zum Vorschein gekommen. Doch das ist eine notwendige Rosskur gewesen. Der Zilk hat völlig richtig gehandelt.
Der Zilk hat sich das erlauben können, weil er kein dogmatischer Linkspolitiker gewesen ist. Er hat immer seine Meinung gesagt. Das hat er auf eine unnachahmliche Weise getan. Der Zilk hat eine sehr charakteristische Stimme gehabt, einen Bariton mit etwas kehliger Färbung. Das ist unverwechselbar gewesen und hat sicher viel zu seiner Ausstrahlung beigetragen. Er hat immer in ganz klaren Sätzen gesprochen, um nichts herumgeredet. Wenn er etwas gesagt hat, dann hat man gewusst: So ist es. Der Zilk ist nicht zurückgewichen, nicht vor einer Stimmung in der Bevölkerung und nicht vor einer Doktrin der Partei. Das haben die Wiener gewusst. Deshalb sind sie auch dann noch auf seiner Seite gestanden, wenn seine Meinung nicht die ihre gewesen ist.
Sein klares Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus und für ein harmonisches Zusammenleben aller Menschen hat dazu geführt, dass ihm der Attentäter Franz Fuchs64 eine Briefbombe geschickt hat. Der Zilk hat sie geöffnet. Sie hat ihm zwei Finger der linken Hand abgerissen und die Greiffunktion zerstört. Danach hat der Zilk die verstümmelte Hand stets unter einer auffälligen Hülle verborgen. Er hat das als mahnendes Zeichen gegen das benützt, wogegen er die ganze Zeit angerannt ist, nämlich gegen den Hass.
Nach seinem Rückzug als Bürgermeister ist der Zilk in den Medien bis zu seinem Tod präsent geblieben. Er ist einer von denen gewesen, von denen man glaubt, sie würden ein ewiges Leben haben und nicht älter werden. So ist das gewesen mit dem letzten Bürgermeisterkaiser von Wien.
Jetzt schulde ich Ihnen aber noch die andere bedeutende Entscheidung vom Zilk als Unterrichts- und Kunstminister. Er ist es gewesen, der den Claus Peymann65 als Direktor ans Wiener Burgtheater geholt hat, obwohl ihm, dem Zilk, der ganz genau weiß, wie die Österreicher, und der noch besser weiß, wie die Wiener denken, völlig klar gewesen ist, dass der Claus Peymann in Wien auf wenig Gegenliebe treffen wird. So ist es gekommen. Dem Peymann ist die Ablehnung von großen Teilen des Publikums und des Ensembles entgegengeschlagen. Ein – Sie verzeihen – Piefke als Direktor am bedeutendsten Wiener Theater, wann hat man das je erlebt? Ja, sicher, sein Vorläufer, der Achim Benning66, das war auch ein Deutscher, und schon dem haben die Wiener vorgeworfen, er würde das Burgtheater modern unterwandern. Aber der Benning ist ein Deutscher gewesen und der Peymann ein Piefke. Das ist eine Unterscheidung, die nur ein Wiener treffen kann. Sie kennen das Sprichwort, auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil? – Sehen Sie, wenn ein Deutscher ungefähr so verfährt, dann ist er für die Wiener ein Piefke. Ausgerechnet so einen hat der Zilk ans Wiener Burgtheater geholt. Und dann hat sich der Peymann in Wien verliebt, und Wien hat sich in den Peymann verliebt, und die, die ihn am meisten gehasst haben, kriegen heute feuchte Augen, wenn sie an die glorreiche Peymann-Zeit denken, die ihnen, genau genommen, der Helmut Zilk ermöglicht hat.
Irgendwie ist das schon passend, dass das Rathaus und das Burgtheater einander gegenüber liegen und das eine lächelnd zum anderen schaut und das andere schmunzelnd zurückgrüßt.
Apropos Kaiser nach der Kaiserzeit: Also der Kreisky – ich sage Ihnen ...