Читать книгу Fettnäpfchenführer Südafrika - Elena Beis - Страница 7

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AB INS ABENTEUER

LOS GEHT’S

5:45 München (Weltstadt)

»DES bloabt DO.«

Silvie schaut dem grobmotorischen Sicherheitsbeamten empört dabei zu, wie er in ihrer Handtasche kramt, Puder und Parfum aus dem perfekt sortierten Make-up-Mäppchen packt, kurz inspiziert, dann lose in die Tasche wirft, weiterwühlt und schließlich eine kleine Dose herausfischt, die er triumphierend hochhält.

Mist!

Das K.-o.-Spray

Wie dumm von ihr, DAS ins Handgepäck zu stecken. Wie dumm und wie ärgerlich! Dabei war das K.-o.-Spray noch nie so überlebenswichtig wie jetzt.

7:20 Italien

»Ich bin total nervös, Schatz. Ich habe das Gefühl, ich habe etwas Wichtiges vergessen, und ich komme nicht darauf, was es ist.«

Silvie platziert Brigitte, Amica, Jolie, diwe Freundin und sprichwörtlich jeden Südafrika-Reiseführer, der sich im Münchener Buchhandel auftreiben ließ, auf den freien Sitz neben sich. Absolut unmöglich, dass ihrem 34-kg-Giga-Koffer etwas entkommen ist. In seine spartanische Sporttasche hat es dagegen nicht einmal ein Buch geschafft, und so muss er wohl oder übel mit dem Unterhaltungsprogramm an Bord vorlieb nehmen.

Simon erspäht über zwei plärrenden Kindern, einem blonden Rastapärchen und einem sichtbehindernden schwarzen Glatzkopf einen Bildschirm, der nicht größer als 30×30 Zentimeter sein kann, sieben (!) Reihen weiter vorne von der Decke hängt und den Fluggästen mit folgenden Informationshinweisen die Zeit vertreiben soll:

Zeit am Abflugort: 7:20 h

Zeit am Ankunftsort: 8:20 h

Verbleibende Flugzeit: 11:05

Geschwindigkeit: 667 km/h

Ahoi! Das Bild springt zu einer Weltkarte mit einem kleinen weißen Flieger über, der gerade Italien verlässt und auf das große Unbekannte zusteuert.

In die technische Ausstattung der Charter-Airline ist schon lange nicht mehr investiert worden, und in das männerunfreundliche Langstrecken-Entertainment auch nicht. Laut Fliegermagazin stehen ein Walt-Disney-Film, eine romantische Komödie mit dem Titel ›27 Kleider‹ und zwölf Stunden Flug auf dem Programm.

9:10 Libyen

»Katastrophe!«

Simon schreckt aus seinem unglaublich ungemütlichen Sitz hoch – geistig sozusagen, denn physisch steckt er mit seinen 1,85 Metern darin fest.

›Was ist passiert? Ein technisches Problem oder eine Notlandung gar?‹ Simon schießen mehrere verwirrte Gedanken durch den Kopf.

»Die Bauchtasche!! Ich habe die Bauchtasche vergessen! Erst das K.-o.-Spray und jetzt auch noch das.«

Totalalarm wegen einer Tasche – einer von schätzungsweise fünf, die sie eh schon im Gepäck hat. Simon kann die Aufregung nicht nachvollziehen. »Was für ’ne Tasche?«

»Diesen hautfarbenen Beutel, den man sich um die Hüfte schnallt.«

Klingt weder sexy noch nach Katastrophe, findet Simon.

Silvie sieht das anders. »Ist dir bewusst, dass wir gerade ins kriminellste Land der Welt fliegen und unsere Wertsachen WEDER verstecken NOCH verteidigen können?! Die brauchen nur an meiner Handtasche zu ziehen, und alles ist weg!«

»Schatz, warum lässt du dann deine Handtasche nicht einfach im Schrank und steckst das Geld in die Hosentasche?!«

Silvie findet den Vorschlag – ihrem Gesicht nach zu urteilen – völlig absurd und bescheuert. Also gut, dann macht er halt keine Anregungen mehr. Wenn bei Silvie nicht alles nach Plan läuft, wird sie nervös, und im Moment reagiert sie geradezu überspannt. Liegt wohl daran, dass sie noch nie außerhalb Europas gereist ist. Er selbst nimmt das Ganze recht locker und lehnt sich entspannt in seinen Sitz zurück. Yo – er freut sich auf zwei Wochen Sommer! Und ganz besonders freut er sich auf sein Surfboard.

11:45 Tschad

Mmmh. Es riecht nach aufgewärmtem Flugzeugessen. Simon öffnet instinktiv in dem Moment die Augen, als ihm die Stewardess sein Tablett servieren will. Noch bevor er sich zwischen ›beef‹ und ›chicken‹ entscheiden kann, nimmt ihn Silvie mit ihren Sorgen in Beschlag: »Schatz, was machen wir denn jetzt? Ich will da unten nicht mit dem ganzen Bargeld in der Hosentasche herumrennen. Wir werden mit unseren Puma-Pullis eh schon alle Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«

Er kann jetzt nicht allzu lange weggedöst sein – Silvie ist immer noch mit dem Taschen-Thema beschäftigt. »Wir fahren erst mal mit dem Taxi ins Hotel. Und im Taxi raubt uns sicher niemand aus.«

In der Kabine rüttelt es auf einmal stark. Die Anschnallzeichen leuchten auf. Simon schwappt aus Versehen die Cola auf sein Essen. Oh mannnn! Im Gegensatz zu Kapstadts Taschendieben beunruhigt ihn der plötzliche Wind schon.

Auf dem flimmernden Bildschirm steuert der Flieger auf das Herz von Afrika zu – die Zentralafrikanische Republik. Simon hat noch nie etwas von diesem Land gehört. Er hat keinerlei Vorstellung, was zehn Kilometer unter ihm liegt. Irgendwie wird ihm etwas mulmig. Nur wenige Stunden von Europa entfernt liegt eine völlig fremde Welt. Das wilde Afrika. Faszinierend. Faszinierend und irgendwie beängstigend zugleich.

12:05 Zentralafrikanische Republik

Silvie ist in ihren Reiseführer vertieft und kriegt das Rütteln gar nicht mit. Sie hat die schlimmsten Dinge über Südafrika gehört, gelesen und gesehen. Ursprünglich wollte sie durch Asien reisen, aber Simon hat sie dann doch noch überredet, nach Südafrika mitzukommen. Er ließ sich von seinem Urlaubsziel einfach nicht abbringen – wegen der tollen Eindrücke von der WM damals und den ›Super-Wellen‹. Zwei für Silvie völlig irrelevante Kriterien. Na ja, dafür hat sie zumindest die Urlaubsorganisation in die Hand genommen und sichergestellt, dass die beiden nicht wie letztes Jahr in Spanien die kommenden drei Wochen am selben Strand verbringen und dort auf den Wind warten. Aha – da steht es! Im Reiseführer weisen sie tatsächlich darauf hin, dass man bei der Wahl der Taxis vorsichtig sein und nur mit anerkannten Unternehmen fahren soll. Aber wie werden sie erkennen, welches Taxi zu einer ›anerkannten‹ Gesellschaft gehört und welches nicht? Na! Das können sie keinesfalls riskieren.

»Simon? Du, wir können da unten nicht einfach ins Taxi steigen. Ist zu gefährlich.«

»Warum?«

»Weil ich nicht mit dem Taxi ins Township verfrachtet werden will.«

»Wie bitte?!« Simon fragt sich, wo Silvie diese ganzen Horrorgeschichten aufgeschnappt hat.

»Claudia hat in Kapstadt ein Pärchen getroffen, das ihr von einem Engländer erzählt hat, der eine Backpackerin getroffen hat, die eine Bekannte hatte, deren Freundin mit dem Taxi entführt worden ist – und ganz ehrlich: Ich habe keine Lust, mich gleich am ersten Tag in Lebensgefahr zu begeben.«

Ah – daher weht der Wind.

Townships sind zu Zeiten des Apartheidsregimes gegründete Wohnsiedlungen für die schwarze und farbige Bevölkerung. Viele Südafrikaner wurden aus den Innenstädten und wohlhabenden Vororten, die für Weiße reserviert waren, in diese Stadtteile zwangsumgesiedelt. Townships liegen oftmals außerhalb der südafrikanischen Städte und sind ebenso groß. Aufgrund der zumeist fehlenden Infrastruktur, Überbesiedelung und sehr hohen Arbeitslosigkeit unter den Bewohnern, gibt es hier extreme soziale Probleme wie Drogensucht, Kriminalität, Bandenunwesen (gangsterism). Einige Townships haben sich allerdings seit dem Ende der Apartheit positiv entwickelt – heutzutage findet man dort nicht nur Wellblechhütten und Pappbauten, sondern auch Sozialwohnungen, Einfamilienhäuser und vereinzelt sogar Einkaufszentren und Villen.

Claudia, die Südafrika-Expertin, hat Silvie ihre wertvollen Tipps mit auf den Weg gegeben. »Ich bin mir sicher, dass es da unten nicht SO gefährlich ist, dass man an einem der meistfrequentierten Flughäfen Afrikas nicht ins Taxi steigen kann! Da kommen täglich Tausende Touristen an. Die werden doch nicht alle ins Township verschleppt.«

Er kriegt sich sicherlich noch mit Silvie und ihren Sicherheitsvorkehrungen in die Haare. Die Diskussionen gingen schon vor dem Urlaub los, und zwar damit, dass Silvie Südafrika boykottieren wollte, weil Claudia – die wohlgemerkt ganze zehn Tage im Land verbracht hatte – behauptet hat, die Schwarzen würden dort immer noch von den Weißen ausgenutzt.

»Lass dich doch nicht so verrückt machen, Schatz. Das ist alles reine Panikmache! Südafrika ist nicht gefährlicher als das Hasenbergl, aber da sich niemand für das Hasenbergl interessiert, haben sich eben alle auf Südafrika gestürzt. Die Medien bauschen alles nur auf, um Schlagzeilen zu machen. Und, sorry, aber deine Freundin Claudia leidet an einem Sensations-Fetisch. Ganz klar. Sollte sich bei RTL bewerben. Egal wo sie war, sie erzählt immer die absurdesten Horrorgeschichten.«

Simon bemerkt, wie mit jedem Satz zunehmend mehr schlechte Laune in Silvies Gesicht hochsteigt. Er hat absolut keine Lust auf schlechte Laune. Und auf ermüdende Diskussionen am Flughafen auch nicht.

»Frag doch mal den Mann neben dir, wie gefährlich das mit den Taxis ist. Der sieht so aus, als ob er sich auskennt.«

»Jetzt sei nicht so rassistisch.«

Silvie findet das nicht richtig, wenn von der Hautfarbe eines Menschen auf seinen Hintergrund geschlossen wird. Nur weil seine Haut dunkel ist, muss das noch lange nicht heißen, dass seine Familie im Busch lebt.

»Warum bin ich ein Rassist, wenn ich sage, dass der Typ neben dir wie ein Afrikaner aussieht! Ich verstehe überhaupt nicht, was daran rassistisch ist.«

»Du urteilst über ihn aufgrund seiner Hautfarbe. Der könnte auch ein Engländer oder ein Ami sein.«

Silvie ist immer so extrem übervorsichtig, wenn es um Schwarze geht. Mal schauen, wie sich ihre Political Correctness mit Südafrika verträgt.

»Wir sitzen gerade in einer Maschine nach Kapstadt, da kann man doch wirklich davon ausgehen, dass er ein Südafrikaner ist. Jetzt frag ihn halt einmal.«

13:55 Demokratische Republik Kongo

Der Flieger hat bereits das Riesenviereck Kongo und somit die Südhalbkugel erreicht.

Silvie dreht sich zu dem dunkelhäutigen Herrn neben sich. Der hat die letzten zwei Stunden wie gebannt den Walt-Disney-Film verfolgt, dabei gelacht und in einer unverständlichen Sprache vor sich hin kommentiert. War ziemlich lustig anzuschauen, und Silvie wollte ihn nicht dabei stören. Sie hofft, dass er sich mit der Taxisituation in Kapstadt auskennt.

»Sorry, you are from Südafrika?«

»That’s right, darling.«

»Do you know: can we take a taxi from the airport to Cape Town or is it too dangerous?«

Der Südafrikaner lacht: »No, darling, don’t worry, you can definitely take a taxi to town. Don’t worry.«

Silvie ist sich nicht sicher, ob sie dem Südafrikaner trauen kann. Die Reiseführerautoren werden schon ihre Gründe dafür haben, dass sie vor unregistrierten Taxis warnen ... Nee, nee. Der kennt sich wahrscheinlich einfach nicht aus. Sie hält sich lieber an die Richtlinien im Buch.

»Is it your first time in South Africa?«

»Yes.«

»Where are you from, darling?«

Oh neee! Sie hätte den Mann nicht ansprechen sollen – jetzt wird er sie in ein Dreistundengespräch verwickeln.

Simon schmunzelt. Silvie ist jetzt erstmal mit ihrem Sitznachbarn beschäftigt. Der wird sie sicherlich etwas beruhigen – und er kann in der Zwischenzeit ein bisschen e-n-t-s-p-a-n-n-e-n!

15:05 Angola

Silvie will in Ruhe in ihren Reiseführern schmökern. Der Flieger überquert schon Angola.

Hilfe suchend dreht sie sich zu Simon.

»Ich habe keine Lust mehr auf Quatschen.«

»Der Mann ist doch total nett.«

»Na ja, nett ist er schon, aber ein bisschen aufdringlich. Der sagt die ganze Zeit ›Schatz‹ zu mir.«

Von Simon ist nicht viel Unterstützung zu erwarten.

»Which part of Germany are you guys from?«

Verdammt! Ihr Sitznachbar lässt echt nicht locker. Nicht einmal wegdrehen hilft!

16:40 Namibia

Dem Südafrikaner ist der Gesprächsstoff ausgegangen – und Silvie das Interesse an Sicherheitshinweisen und Sehenswürdigkeiten. Simons Hintern wiederum fühlt sich an, als wäre das Sitzfleisch darunter weggeschmolzen.

Die Augen aller drei sind auf den kleinen weißen Flieger über Namibia geheftet. Sie können es kaum erwarten, aus der kleinen Tür da vorne links endlich auszusteigen.

18:15 Südafrika

Was für ein Gefühl über ganz Afrika zu fliegen! Auch Simon ist jetzt ganz aufgeregt. Da ist er, der Tafelberg. Phänomenal. Sogar im Dunkeln kann man ihn sehen.

Der Anflug auf Kapstadt ist absolut atemberaubend, und sogar Silvie sieht total bezaubert aus. Sie hat ihre Bücher weggelegt und schaut mit großen Augen aus dem Fenster. Simon ist heilfroh, dass er den Südafrikaurlaub durchgeboxt hat.

Na dann. Mama Africa, here we come!

Fettnäpfchenführer Südafrika

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