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Nachdenklich starre ich auf die Hand, die den schwarzen Kopf des Hundes streichelt. Ich sehe Sam an, der im Türrahmen zur Küche steht und uns misstrauisch beobachtet, und spüre wieder diese Wut in meinem Magen, diesen tiefgehenden Hass, diese rastlose Unruhe. Sherwood hat unsere Mutter vor seinen Augen getötet, wollte ihm damit eine Lektion erteilen. Sherwood ist ein skrupelloser, gewissenloser Anführer und Mörder. Sein Mittel, um seine Gesetze und Regeln durchzusetzen, sind seine Soldaten und seine Grausamkeit. Soldaten wie ich einer war. Ich habe das alles jahrelang mitgetragen, weil ich in ihm den einzigen Vater gesehen habe, den ich noch hatte. Den Präsidenten der Wölfe, der nicht nur anführt, sondern auch bestimmt, wie wir zu leben haben und wer wir sind. Er war mein Präs. Sein Wort war für mich Gesetz.

Sam und ich sind unter seiner Herrschaft aufgewachsen. Ich gebe es nicht gerne zu, aber als unsere Mutter sich Sherwood angeschlossen hat, hat sie nicht nur unseren Vater verraten, sie hat auch ihre Kinder verraten. Die ganze Familie. Ich sollte sie deswegen hassen, zumindest wütend sein. Aber ich kann es nicht, sie ist unsere Mutter. Und ich habe zu lange selbst nicht gemerkt, dass das Leben, das wir geführt haben, falsch ist. Ich kannte kein anderes. Und ich wollte Sherwood stolz machen, wollte sein Sohn sein. Habe vieles ignoriert und weggesehen. Und irgendwie blieb meiner Mutter auch kaum eine andere Wahl. Wohin hätte sie gehen sollen, nachdem alles zerstört war? Sie wollte uns schützen, indem sie sich mit uns dem Leben auf der Farm angeschlossen hat. Sam war noch so klein und ich noch nicht einmal ein Teenager, als das Leben, wie wir es kannten, mit dem Tod unseres Vaters geendet war. Genau wie sie habe ich mich dem neuen Leben nur zu gern angeschlossen.

Erst der Mord an meiner Mutter hat mich wachgerüttelt. Es hat zu lange gedauert, den Clan zu verlassen. Es hatte erst den Tod meiner Mutter gebraucht, um die Kraft zu finden, Sam und mich dort rauszuholen. Unsere Mutter war wegen einer einzigen Pille gestorben, die Sam gestohlen hatte, statt sie an die Abtrünnigen zu verteilen. Aber Ungehorsam ist das schlimmste Vergehen, das Sherwood kennt. Ein Clanmitglied hat immer gehorsam zu sein.

Ich mustere Raven, die ihre Hand in Sultans Fell vergraben hat, wahrscheinlich lauert sie auf eine Gelegenheit zur Flucht. Sie hat ja keine Ahnung, wie leicht es für mich wäre, ihr zu folgen.

Ich will, dass Sam wieder leben darf. Ohne Angst vor dem Tod. Er ist ein Kind, auf das ein verdammtes Kopfgeld ausgesetzt ist. Jeder, der sich irgendwie in unserer Welt bewegt, ist hinter ihm her. Bevor er nicht sicher ist, werde ich nicht mehr atmen können. Also ja, zumindest ein Teil von mir hofft, dass Raven uns retten kann. Der andere Teil hofft, dass sie mir irgendwann verzeihen kann.

Es klopft an der Tür. Dreimal schnell hintereinander, dann zwei weitere Male und noch mal. Unser Zeichen dafür, dass jemand vor der Tür steht, dem wir vertrauen können. Ich stehe langsam vom Sofa auf und schaue durch die schmalen Scheiben neben der Tür, um sicherzugehen, dass auch wirklich niemand anders draußen lauert. Erst dann öffne ich, die Waffe in der freien Hand, den Finger am Abzug. Sherwood hat mich gelehrt, immer vorbereitet zu sein.

»Sheriff«, sage ich zu Will, lasse meinen Blick über ihn gleiten, um abzuschätzen, ob seine Haltung verkrampft wirkt oder sonst irgendwie den Verdacht erwecken könnte, dass er die Seiten gewechselt hat. Er lächelt nicht, sieht nicht zornig aus und wirkt auch sonst nicht, als plane er gerade einen Mord. In seinen Armen hält er eine Papiertüte, aus der oben ein Netz mit hellgrünen Äpfeln herausquillt. Ich trete von der Tür weg. »Komm rein.«

Der Sheriff schiebt sich an mir vorbei, ich werfe einen Blick vor die Tür, wo sein Dienstwagen parkt. Eigentlich müsste ich mir deswegen Gedanken machen, denn ein Polizeiauto vor der Tür zieht immer Aufmerksamkeit auf sich. Die Nachbarn fragen sich dann, was man verbrochen hat. Aber hier gibt es keine Nachbarn. Dieses ehemalige kleine Farmhaus ist so weit weg von allem anderen, dass es Wasser aus einem Brunnen bezieht und nicht einmal am öffentlichen Versorgungsnetz für Elektrizität angeschlossen ist.

»Ich habe Lebensmittel mitgebracht«, sagt Will unnötigerweise und drückt mir die Papiertüte in die Arme.

Ich muss grinsen. »Du hast keine Wassermelone getragen?«

»Fick dich!«, brummt Will und versucht, mich mit einem düsteren Blick niederzustarren. »Nicht witzig.«

»Sheriff!«, schreit Raven in diesem Augenblick auf. Ich zucke zusammen, so verzweifelt und laut klingt ihre Stimme. Ich sehe über die Schulter zurück, um ihr mit einem Kopfschütteln zu signalisieren, dass sie von Will keine Hilfe zu erwarten hat, aber da ist sie schon vom Sofa aufgesprungen und rennt auf ihn zu. »Ich bin entführt worden«, erklärt sie ihm mit hektischen Handbewegungen und wirft sich dem Sheriff an den Hals. Der Anblick, wie sie sich an ihn klammert, lässt mich wünschen, ich hätte auch so eine Uniform.

Will legt seine Arme um sie und beginnt zu grinsen. Etwas tief in mir möchte ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen, denn er genießt Ravens Nähe für meinen Geschmack viel zu sehr. »Ist sie das?«, will er lachend wissen und zieht sie noch ein Stück näher an sich.

Raven sieht verwirrt zu ihm auf, dann geht ihr Blick zu mir und die Verwirrung weicht Wut.

»Das ist sie«, bestätige ich. Ich habe Will gestern Abend geschrieben, dass ich mit ihr herkomme und wir ein paar Lebensmittel mehr im Haus brauchen werden, damit wir Sam nicht seine Reserven wegessen müssen.

Raven löst sich mit Gewalt von dem Sheriff und tritt ein paar Schritte zurück. Sie runzelt die Stirn und lässt ihren Blick über seinen Körper gleiten. »Ist das nur ein Kostüm? Macht ihr euch lustig über mich?«

»Tun wir nicht«, antworte ich bissig und gehe in die Küche. »Das ist Sheriff Larsson, er achtet für mich auf Sam, wenn ich unterwegs bin.«

Raven stößt ein ungläubiges Lachen aus. Ihr Gesicht wirkt müde, als ich wieder aus der Küche komme. Sie fährt sich verwirrt durch die Haare. Mir ist aufgefallen, dass sie das immer tut, wenn sie nicht weiterweiß. »Ein echter Sheriff, der mit einem Mörder zusammenarbeitet?«

Will verzieht missmutig das Gesicht, geht um Raven herum und streichelt Sultan, der schon begierig nach seiner Aufmerksamkeit lechzt, dann gleitet sein Blick forschend über Sam. »Geht es dir gut?«

»Besser«, sagt Sam grinsend. »Ich hab ein Mädchen im Haus.«

Will lacht auf. »Ja, hast du.«

Raven verschränkt die Arme vor der Brust. »Sie arbeiten mit einem Mörder zusammen?«, wiederholt sie ihre Frage.

Will zieht eine Augenbraue hoch und setzt sich auf das Sofa, dann überschlägt er lässig die Beine und breitet die Arme auf der Rücklehne aus. Sultan nutzt die Gelegenheit, springt auf das Sofa und legt sich neben den Sheriff. »Tue ich wohl. Manche Dinge sind wie sie sind. Ice zu verhaften, würde bedeuten, ihn für etwas zu bestrafen, das nicht seine Schuld ist.«

»Aber es gibt Gesetze, für die sollten Sie einstehen«, entrüstet sie sich.

»Manchmal sind die Gesetze nicht perfekt. Sie kennen nur Schwarz und Weiß. Und manchmal gibt es Dinge, die existieren außerhalb des Gesetzes.« Er richtet seinen Blick auf mich. »Wie soll es weitergehen?«

Ich reibe mir über die Wangen. »Ich bin mir nicht sicher.«

»Du hast sie nicht getötet«, sagt Will gerade heraus. »Also musst du einen Plan haben. Irgendetwas, das du mit ihr vorhast.«

Raven versteift sich und ihr Gesicht drückt die Fassungslosigkeit aus, die sie gerade empfinden muss. Wahrscheinlich hat sie bis eben geglaubt, dass immer alles so läuft, wie es für den Normalbürger richtig ist. Aber so ist das Leben nicht. Nach außen hin leben wir eine Ordnung, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Die meisten normalen Menschen glauben fest an diese Ordnung, und Raven muss gerade lernen, dass diese Ordnung nicht real ist.

»Eigentlich hat sich nichts geändert«, antworte ich knapp. »Nur ist sie vielleicht ein besserer Köder als ich. Er hat aus ihr ein Geheimnis gemacht. Nur Rage und der Prospect, den er jetzt nach Rages Tod geschickt hat, um nach ihr zu sehen, wussten, dass sie existiert. Ich bezweifle, dass der Prospect überhaupt wusste, wen er da überwacht. Rage hat nur von Sherwoods Frau gesprochen, während ich ihn zwischen meinen Fingern hatte. Er hat die Kleine mit keinem Ton erwähnt, also muss es ihm wichtig gewesen sein, nicht zu verraten, dass sie existiert.« Ich mustere sie nachdenklich. »Es bleibt alles, wie geplant. Du kümmerst dich um Sam und ich mich um Sherwood.«

»Du meinst, kurz bevor du Rage seine Innereien als Kette um den Hals gehängt hast, hat er kein Wort über die kleine Lady gesagt?«, fragt Will mit scharfem Tonfall und verzieht mahnend das Gesicht. »Ja, das klingt für mich auch so, als wollte er sie um jeden Preis schützen. Scheint, als wäre sie Sherwood wichtig. Hätte nicht gedacht, dass das Arschloch zu tiefen Gefühlen in der Lage ist.«

Ich werfe Raven einen flüchtigen Blick zu, als sie leise aufkeucht. Sie macht erschrocken mehrere Schritte von mir weg und leckt sich nervös über die Lippen. Damit hatte sie wohl nicht gerechnet, dass ich wirklich Menschen töte und nicht nur damit drohe. »Ich kannte Rage, ich mochte ihn. Und du hast ihn getötet?«, will sie ungläubig wissen.

»Tut mir leid, dass du ihn kanntest. Klingt vielleicht wie eine hohle Entschuldigung, aber er war dabei, als dein Vater meine Mutter ausgeweidet hat. Er hat nichts getan, um sie zu schützen, also musste er sterben«, stoße ich hart aus und habe Mühe, meine Abscheu zu verbergen. Rage war nicht anders als sein Bruder: unbarmherzig, grausam, hart. Sie waren aus demselben Holz geschnitzt, auch wenn er kein Grim Wolve war. Deswegen habe ich kein schlechtes Gewissen. Auch Raven kann mir das nicht machen.

»Ich glaub dir dein Mitleid nicht«, antwortet sie mit verbissenem Gesichtsausdruck.

»Ich hab dir nie verheimlicht, wer ich bin«, entgegne ich kalt. Aber um ehrlich zu sein, spüre ich doch einen leichten Anflug von Mitleid für Raven, weil sie jemanden verloren hat, den sie wohl mochte. Mitleid mit Rage habe ich trotzdem nicht. Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, ihn mir anders als brutal und voll von Hass vorzustellen. Dass er es vielleicht doch war, überrascht mich.

Raven senkt den Blick und murmelt ein paar unflätige Beleidigungen, danach zieht sie sich noch ein Stück vor mir zurück. Irgendwie stört mich das, aber ich versuche nicht, darüber nachzudenken und wende mich wieder Will zu. »Es war nicht einfach, ihn zum Reden zu bringen.«

»Ja, deswegen hat er dir auch nur gesagt, was du hören wolltest und die Kleine verheimlicht. Er hatte wohl die Hoffnung, dass du nicht genauer hinschaust, wenn du Sherwoods Stoßdame besuchst.«

Ich reibe mir über das Kinn. Da erzählt Will mir nichts Neues. »Rage war eben bis zum letzten Atemzug ein loyaler Drecksack.«

»Und jetzt? Wie soll es weitergehen?«, drängt Will mich weiter.

»Hast du was über White Horse rausgefunden? Stimmen die Gerüchte?«

Will seufzt und nickt. »Er soll noch immer in Pine Ridge leben. Wenn du Sam in Sicherheit wissen willst, solltest du ihn dorthin bringen, schließlich hat der alte Mann es geschafft, sich mehr als zehn Jahre vor euch Jägern zu verstecken.« Er holt tief Luft und wirft einen flüchtigen Blick auf Raven, bevor er mich wieder ansieht. »Unser ursprünglicher Plan war gut.«

»Das Reservat ist riesig, es gibt viele Orte, wo er sich verstecken könnte. Wenn du nicht mehr weißt, wird es schwierig.«

»Ich schaffe das schon«, stößt Will düster aus. »Du erledigst deinen Teil, ich meinen. Ich bringe Sam weg und du führst die Jäger auf eine falsche Spur.« Will zieht eine blonde Braue hoch. »Wütend genug ist er bestimmt, wenn er erfährt, dass du die Kleine bei dir hast.«

Ich sehe Raven an. Sie steht neben dem Sofa, jeder Muskel ihres Körpers ist angespannt und ihr Gesicht drückt nichts als Kälte aus. Trotzdem reicht nur ein Blick in ihre Augen und ich weiß, dass es hinter ihrer Stirn arbeitet. Mit ihr habe ich jetzt etwas in der Hand, das es mir ermöglicht, Sherwood zu erpressen. »So schnell sollte er nicht davon erfahren. Gib uns ein paar Tage, um alles vorzubereiten. Wir brauchen einen Plan. Wenn du und Sam nach Pine Ridge geht, brauche ich eine Idee, wohin ich Sherwood und die Jäger locken werde. Und ich brauche einen Ort, wo ich mich ihnen stellen werde, um zu verhandeln. Wenn wir alles vorbereitet haben, werde ich Sherwood eine Nachricht zukommen lassen und ihm erklären, dass ich seine Tochter habe.«

Ich sehe Sam ernst an. »Sobald alles steht, gehst du mit Will«, richte ich mich an Sam.

Sam runzelt die Stirn. Ich sehe sofort, wenn diese Wut in ihm hochkocht, die er schon seit Jahren empfindet. Sie scheint stets unter der Oberfläche zu lauern. Sam war immer schon anders als ich. Unkontrollierter, aufbrausender. Immer schon zornig, selbst dann, wenn es keinen Grund zu geben schien. Er hat Sherwood viel weniger als Vater gesehen als ich und ihm immer wieder die Stirn geboten. Manchmal so schlimm, dass ich mich zwischen die beiden stellen musste, damit Sherwood ihn nicht umbringt. Bis zuletzt hat Sherwood es nicht geschafft, aus Sam einen so gehorsamen Jäger zu machen wie aus mir. Heute bewundere ich Sam dafür. Früher habe ich ihn als Ärgernis gesehen, das Schuld an so mancher Prügel war, die ich bezogen habe.

»Ich bleib hier bei dir«, sagt er trotzig.

»Tust du nicht. Ich kann nicht auf dich aufpassen und mich von Sherwood jagen lassen. Ich muss wissen, dass du sicher bist.«

Sam schnaubt. »Bullshit. Du willst wissen, dass ich sicher verwahrt bin für den Fall, dass der Drecksack dich wie Mom und Dad umbringt. Dich kenne ich wenigstens, aber dieser Mensch, zu dem du mich abschieben willst, ist ein Fremder.« Er dreht sich um und geht wieder zurück in die Küche.

Ich verziehe das Gesicht, weil er recht hat. Ich reibe mir erschöpft über die Wangen. »Tut mir leid, aber es ist nur bis ich mit Sherwood einen Deal aushandeln konnte«, werfe ich ein. »Solange sie bei mir ist, wird mir nichts passieren.«

»Wenn sie ihm wichtig genug ist, dann könnte das funktionieren«, wirft Will ein. »Du kennst Sherwood besser als jeder andere, du weißt, dass er ein durchgeknallter Psychopath ist, der eigentlich nichts außer sich selbst liebt.«

Raven stößt ein dumpfes Lachen aus und fährt sich kopfschüttelnd durch die Haare. »Es wird nicht funktionieren. Ich hab es Ice schon gesagt, mein Vater und ich haben keine Verbindung. Er war so gut wie nie da. Und wenn, war er das Arschloch, als das ihr ihn auch kennt.« Raven ist ganz still geworden in den letzten Minuten, jetzt lächelt sie, als wäre sie zufrieden mit dem, was sie aus unserem Gespräch gelernt hat. Ihre Hand streichelt weiter den Kopf des Hundes, aber ihr Blick ist auf die Haustür gerichtet, als überlege sie, wie hoch ihre Chancen stehen, das Haus verlassen zu können, bevor ich sie zurückhalten kann. Ich könnte ihr jetzt erklären, wie schlecht ihre Chancen stehen würden, dort draußen einem anderen Menschen zu begegnen. Der Fußmarsch in die nächste Stadt würde die ganze Nacht dauern. Immer entlang einer stockfinsteren Straße, stundenlang durch absolute Dunkelheit. Aber ich schweige. Stattdessen tue ich so, als hätte ich ihren Blick nicht bemerkt.

»Ich schau mal, ob ich Sam in der Küche helfen kann«, schlägt Raven vor. »Ich muss mir nicht länger anhören, wie ihr über mich redet, als wäre ich irgendein Gegenstand.«

Ich ziehe grinsend eine Augenbraue hoch, denn ich bezweifle, dass sie Sam wirklich in der Küche helfen will, immerhin steht er im Durchgang zur Küche und ist gerade nur damit beschäftigt, Will und mir zornige Blicke zuzuwerfen. »Sultan, Tür«, sage ich leise und emotionslos zu dem Schäferhund, der sich sofort zur Tür begibt und sich aufmerksam davorsetzt. Sobald Raven sich ihm nähert, knurrt er düster und so gefährlich, dass sogar ich mich innerlich anspanne.

Raven wirft mir einen verhassten Blick zu.

»Hast du geglaubt, ich würde dich entkommen lassen? Du hast doch gehört, wir brauchen dich.« Ich erhebe mich langsam vom Sofa und fange die Handschellen mit einer Hand auf, die Will mir zuwirft.

Raven geht mit geweiteten Augen rückwärts und hebt beschwichtigend die Hände. »Keine Handschellen«, fleht sie unglücklich und geht immer weiter rückwärts, um mir zu entkommen.

Ich habe es nicht eilig, ihr zu folgen und lasse mir Zeit. Das Haus ist winzig, nur noch ein paar Schritte und sie steht in der Küche. Ich werfe Sultan nur einen flüchtigen Blick zu, mehr braucht es nicht, und er stellt sich hinter Raven und knurrt, um sie davon abzuhalten, weiter vor mir zu fliehen. »Bleib einfach stehen, Süße. Du entkommst diesem hübschen Silber nicht. So oder so wirst du sie heute Nacht tragen müssen, sonst macht keiner von uns ein Auge zu.«

Sie bleibt stehen, als Sultan seine große Nase in ihre Kniekehle drückt und reckt mir ergeben ihre Handgelenke hin. »Nun mach schon, du Arschloch«, fährt sie mich an.

»Ich muss gestehen, es turnt mich an, wenn du so dreckig sprichst«, sage ich humorlos und lasse eine der Schellen um eins ihrer Gelenke zuschnappen. Die andere Schelle lege ich mir selbst um. »Fühlt sich doch gut an. So intim, findest du nicht auch?«, werfe ich ein, ohne eine Antwort von ihr zu wollen.

»Nichts zwischen uns wird jemals intim sein«, sagt sie und zerrt ruckartig an ihrer Seite der Schelle.

Aber ich stolpere nicht einmal. Stattdessen packe ich sie an der Kehle und drücke zu. »Dir wird nichts passieren, also führ dich nicht so auf. Wir verbringen ein paar schöne Tage, reisen etwas durch das Land, führen deinen Vater und die Jäger möglichst weit weg von Sam. Wenn der Zeitpunkt gut ist, schlage ich deinem Vater vor, dein Leben gegen das von Sam und mir einzutauschen. Dann darfst du gehen und tun, was auch immer du tun möchtest. Oder du bleibst bei deinem Vater und ziehst zu ihm auf die Farm. Nicht mehr meine Verantwortung.«

Sie schnaubt, lässt sich aber von mir zurück zum Sofa führen, wo wir wenige Minuten später etwas zu weiche Spaghetti aus der Dose essen, während Sam uns von seinen Erfolgen bei einem Videospiel erzählt, das er gerade auf einem alten Nintendo zockt, der noch mit Batterien läuft, und von dem ich keine Ahnung habe, weil ich nie Zeit hatte, solche Spiele zu spielen. Ich war mein halbes Leben lang damit beschäftigt, Abtrünnige zu jagen und Moonshine zu verteilen.


An meinen Rücken schmiegt sich ein warmer Körper, als ich am Morgen vom Zwitschern der Vögel geweckt werde. Auf meiner Taille lastet das Gewicht eines schweren Arms und auf meinem Bauch liegt eine Hand, die mich hält und gegen einen nackten Oberkörper drückt. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist die Erektion, die sich zwischen meine Pobacken drückt und das leise Lachen, das der Mann hinter mir ausstößt, als ich erschrocken hochfahre, sobald mein Körper seine Bestandsaufnahme vollendet hat und mein Verstand zu arbeiten beginnt.

Leider komme ich nicht weit, denn noch immer bin ich mit Handschellen an Ice gefesselt, die mich zum Straucheln bringen, sobald er stur daran zerrt und mich zurück auf das Bett zieht. »Wie oft willst du es noch versuchen? Du und ich sind so lange eine Einheit, bis ich habe, was ich will.«

Ich setze mich auf den Rand des Bettes, ohne ihn anzusehen, weil ich nicht will, dass er die Tränen in meinen Augen bemerkt. Ich bin zu stur, um ihm meine Schwäche zu zeigen. Ich will nicht, dass er sieht, wie verloren ich mich fühle, deswegen schniefe ich nicht einmal, um mir Luft zu machen. »Ich hasse dich«, sage ich trocken und straffe die Schultern.

»Bist du dir sicher, denn ich glaube dir nicht«, murmelt er.

Seine warmen Finger legen sich auf meinen Oberschenkel und streicheln über meine Haut. Ich versteife mich, als er unter den Saum des Shirts fährt und seine Hand sich auf meine Hüfte legt. »Fass mich nicht an«, stoße ich mit zitternder Stimme aus. Mein Kopf verabscheut es, von ihm berührt zu werden, aber mein Körper reagiert mit Hitze darauf. Ein verwirrendes Gefühl, fast wie ein Krieg, den ich mit mir selbst ausfechte. Ich rücke von ihm ab, was ihn ein weiteres Mal lachen lässt.

»Ich bin fasziniert davon, wie du auf meine Berührungen reagierst und zugleich so tust, als wärst du völlig angewidert von mir. Also verzeih mir, wenn ich Spaß daran habe, dich immer wieder zu reizen. Dieser Widerspruch zwischen der deutlichen Erregung in deinem Körper und dem Hass in deinem Gesicht macht mich an.« Um seine Mundwinkel zupft ein zufriedenes Grinsen. »Raven, du bist eine schlechte Schauspielerin. Du willst mich mindestens so sehr wie ich dich will. Gehen wir duschen«, sagt er, als wäre es etwas, das wir jeden Morgen und schon seit sehr langer Zeit zusammen tun. Er schiebt sich neben mir aus dem Bett und geht ohne Rücksicht auf die Tür zum Bad zu, so dass ich gezwungen bin, ihm zu folgen, wenn ich nicht will, dass er mich über den Boden dorthin zerrt.

»Ich werde nicht mit dir unter die Dusche gehen«, keife ich und zerre an den Handschellen. Mein Kopf ist noch immer mit dem beschäftigt, was er gerade gesagt hat. Und mein Körper verarbeitet noch immer die Hitzeschauer, die seine Worte ausgelöst haben. Anders kann ich mir das Feuer in meinen Eingeweiden nicht erklären. Ich fühle mich ganz komisch, so als würde ich innerlich brennen.

Er bleibt in dem kleinen Badezimmer stehen, dreht sich zu mir um, reißt an den Handschellen, bis ich gegen seinen Körper falle, und fängt mich mit seinen Armen auf. »Das würde dir bestimmt auch nicht gefallen, ich dusche immer kalt. Mehr als kaltes Wasser gibt es hier ohnehin nicht.« Er schließt die Handschelle um sein Handgelenk auf und zieht mich zu einem kleinen Waschbecken, wo er mich unten an das Abflussrohr kettet. Wenn ich nicht die ganze Zeit vornübergebeugt stehen möchte, muss ich mich auf die sonnengelben Fliesen setzen, also hocke ich mich unter das Waschbecken, das einen Riss hat, und lehne mich mit dem Rücken gegen die Badewanne gleich daneben.

Ohne Rücksicht auf mich zu nehmen, zieht er erst sein Shirt aus, wirft es vor meine Füße und entledigt sich dann seiner Boxershorts, die daneben landet. Ich versuche, nicht zu ihm aufzusehen, aber seine bunte Haut, die zahlreichen Bilder von Wölfen, Wäldern und Bikes, machen es mir schwer, ihn nicht zu betrachten. Und auch die Erektion, die fast schon vor meinem Gesicht schwebt, macht es mir nicht leichter, nicht hinzusehen. Ich reiße meinen Blick los, als ich bemerke, dass er extra stehen bleibt, damit ich ihn ansehen kann.

»Du willst nicht hinsehen, aber du tust es doch«, sagt er düster.

»Ja, es ist wie bei einem Verkehrsunfall mit schrecklich entstellten Körpern. Man will es nicht sehen, aber man kann auch nicht wegsehen«, sage ich schnippisch und schließe die Augen, bevor mein Körper noch mehr zu zittern beginnt. Ich öffne die Augen erst wieder, als ich höre, dass er den Plastikvorhang über der Badewanne zurückreißt und das Wasser aufdreht. Jetzt steht er hinter mir, und ich bin erleichtert, ihn nicht länger sehen zu müssen. Ich konzentriere mich auf das Rauschen des Wassers und bereue es sofort, denn das Geräusch drückt auf meine Blase und erinnert mich daran, dass ich heute Morgen noch nicht auf Toilette war. Eben war es mir noch nicht so bewusst, aber meine Blase fühlt sich an, als wolle sie jeden Moment mit einem lauten Knall platzen. Es muss am laufenden Wasser liegen, denn ich leide auf einmal unter schmerzhaften Krämpfen. Aber wie könnte ich auch nicht dringend müssen, mein letztes Mal ist gefühlt Tage her.

Die Toilette steht auf der anderen Seite des Waschbeckens, vielleicht könnte ich sie trotz der Handschellen erreichen. Es wäre nicht einfach, ich müsste mich verrenken. Aber was, wenn er fertig ist mit Duschen und ich noch nicht. Ich will nicht, dass er mich in einer so verletzlichen Situation sieht. Andererseits muss ich irgendwann mal auf die Toilette. Ich war seit dem Motel gestern nicht mehr. Immerhin hatte er mich dort zumindest allein gehen lassen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, nicht sicher, was ich tun soll, aber der Druck wird nur stärker, je mehr ich darüber nachdenke, also gebe ich auf, krieche unter dem Waschbecken entlang, öffne den Toilettendeckel und ziehe überrascht die Augenbrauen hoch, als ich sehe, dass im Porzellan Bilder von blauen Blumen sind, als würde ich in eine Teekanne blicken und nicht in ein WC.

Diese Toilette muss schon ziemlich alt sein, ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber sie passt gut zur Wanne mit Füßen. Ich kämpfe mit einer Hand meinen Slip über meine Schenkel nach unten, meinen gefesselten Arm muss ich sehr lang machen. Ich muss mich mächtig verrenken und nebenbei auch noch darauf achten, ob das Wasser in der Dusche hinter dem Vorhang weiterläuft. Aber ich bekomme meinen Hintern auf die hübsche Toilette und nach ein paar Sekunden - und etwas Überredung durch mich - kann ich loslassen und atme erleichtert aus, als der Druck auf meine Blase weniger wird.

Und ich bin noch viel erleichterter, dass ich es tatsächlich schaffe, fertig zu werden. Das lässt mich mutiger werden. Ich stelle mich vor das Waschbecken, was ebenfalls nicht so einfach ist mit einer darunter gefesselten Hand, drehe den Hahn auf, aus dem wirklich nur eiskaltes Wasser kommt, und beginne mein Gesicht, meinen Hals und dann sogar meinen Körper unter dem Shirt mühevoll zu waschen. So gut es eben mit einer Hand und etwas Flüssigseife geht. Das eisige Wasser fühlt sich auf meiner brennenden Haut wie ein Schock an. Wie hält Ice es unter dem kalten Wasser aus?

Vielleicht liegt es an den letzten Tagen, vielleicht brüte ich aber auch nur etwas aus, denn ich fühle mich ein wenig zittrig und krank. Ich schiebe es auf die ganze Situation, aber vor allem auf Ice. Er ist einfach an allem schuld, beschließe ich.

Ich bin gerade fertig, als sich hinter mir der Vorhang öffnet. »Hier«, sagt Ice und kurz drauf landet ein Handtuch auf meinem Kopf.

Ich zerre es runter, drehe mich mit wütendem Blick zu ihm um, beginne aber doch, das Handtuch unter mein langärmeliges Shirt zu schieben und mich abzutrocknen. Es fühlt sich merkwürdig intim an, mit ihm im Bad zu stehen. Wir beide trocknen uns ab, er ist nackt. Als wären wir ein Paar, das am Morgen gemeinsam unter der Dusche war. Ich werfe ihm das Handtuch gegen den Oberkörper und setze mich wieder neben das Waschbecken, den Blick stur auf die Wand gegenüber gerichtet. Nur um nicht ihn und seinen beeindruckend muskulösen Körper ansehen zu müssen. Sonnengelbe Fliesen, hier und da ein alter Aufkleber mit Disneyfiguren und ausgefransten Rändern.

»Ist das dein Haus? Habt ihr hier mal gelebt?«, frage ich ihn, um mich abzulenken von dem Gedanken, dass er noch immer nackt ist.

»Ich weiß nicht, wem es gehört hat, aber es steht schon ewig leer. Ich bin früher manchmal nach einer Jagd hiergewesen. Zum Abschalten.« Nach einer Jagd, wie das klingt. Er hat das Wort schon ein paar Mal benutzt. Es klingt, als würde er in den Wald gehen, um Tiere zu jagen, wenn er es so nebenbei fallenlässt. Aber ich weiß, er redet von Menschen, die er jagt. Der Gedanke stößt mich ab und schockiert mich. Ich mag gar nicht glauben, dass es Menschen gibt, die Menschen jagen. Außer vielleicht Kopfgeldjäger. Ist Ice vielleicht ein Kopfgeldjäger? Das würde einiges erklären. Aber nicht die Morde.

Ice löst die Handschelle, sobald er fertig ist, vom Waschbecken und macht sie sich wieder um das Handgelenk. Schweigend zieht er mich die schmale Holztreppe nach unten in die Küche. Er führt mich herum wie einen Hund. Und ich folge ihm wie ein Hund. Als mir das bewusst wird, bleibe ich abrupt stehen und stemme mich gegen ihn.

»Ich bin nicht dein Haustier. Du kannst mich hier nicht festhalten«, keife ich ihn an, als er sich verärgert zu mir umdreht. Sein Blick ist düster, seine Augenbrauen tief über der Nasenwurzel zusammengezogen, Zorn scheint ihm aus jeder Pore zu tropfen. Irgendetwas muss heute Morgen seine Stimmung auf einen Tiefpunkt gedrückt haben.

»Wenn es nötig ist«, sagt er, packt mich an den Schultern und drückt mich brutal gegen die Wand hinter mir. Er ist plötzlich so kalt, dass es mir den Atem verschlägt. Manchmal ist er … nicht nett, aber immerhin umgänglich. Und ganz plötzlich ist er dann wieder hart, voll von Zorn, und ja, so wie ich mir einen Killer vorstelle. »Genau das habe ich vor.«

Ich hebe meine freie Hand und ohrfeige ihn mit so viel Kraft, wie ich aufbringen kann, und bin selbst überrascht von meinem Mut, angesichts der Wut in den Augen meines Entführers. Aber ich empfinde auch Wut. Unbändig und brodelnd frisst sie sich heute durch meinen Körper. Eine solche Wut habe ich noch nie zuvor empfunden.

Er dreht den Kopf zur Seite, atmet schwer aus und lehnt sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen mich. Sultan geht langsam an uns vorbei, was ich nur mitbekomme, weil ich seine Krallen über den PVC kratzen höre. Ice drückt seine Finger so grob in meine Kehle, dass ich nicht schlucken und nur schwer atmen kann. Trotzdem ist er mir so nahe, dass sein Geruch mir in der Nase und auf der Zunge zu liegen scheint. Obwohl er eben erst duschen war, ist da etwas Männliches, sehr Anregendes, das ihn umgibt. Ich atme flach und durch den Mund ein, nicht zu hastig, damit mich die Schwere dieses Geruchs nicht noch mehr anspricht, als sie es ohnehin schon tut. Mein Körper gerät immer mehr in Aufruhr, wenn Ice mir so nahe ist. Und ich verstehe nicht warum. Ich schließe die Augen vor dem Schwindelgefühl, das sich in meinem Kopf breitmacht, und unterdrücke das Zittern meines Körpers, so gut ich kann. Es fühlt sich an, als würde mich die Dunkelheit, die mich mein ganzes Leben schon begleitet, in seiner Nähe überwältigen. Sie wühlt in meinem Kopf, als wolle sie endlich losgelassen werden.

»Du solltest mich nicht wütend machen. Ich bin heute ziemlich schlecht gelaunt. Es schläft sich nicht so gut, wenn jemand wie du neben einem liegt.«

Ich hole vorsichtig Luft, aber ich lasse mich nicht von ihm einschüchtern. Ich starre ihn herausfordernd an und spucke ihm ins Gesicht. »Du machst mir keine Angst.« Trotzdem lasse ich die Schultern fallen, entspanne meinen Körper, weil mir die Kraft für noch mehr Kampf fehlt. Ich fühle mich schlapp und krank. Schon gestern Abend hatte ich das Gefühl, dass sich etwas anbahnt. Was ich wirklich nicht gebrauchen kann, ist jetzt auch noch krank zu werden. Reicht denn dieser ganze Wahnsinn der letzten Tage nicht? Aber ich denke, dass dieser Irrsinn schuld daran ist, dass mein Körper schlapp macht.

»Dieser hübsche Mund macht manchmal Sachen, die mir nicht gefallen. Dabei könntest du damit bestimmt Sinnvolleres tun.« Er gleitet mit seinem Daumen über meine Lippen. Langsam, aber mit genug Druck, um es eine Warnung sein zu lassen. Sein Blick ist auf meinen Mund gerichtet, sein Brustkorb presst sich gegen meinen, noch stärker, wenn er einatmet. So stark, dass ich seinen rasenden Herzschlag spüren kann. »Dieser Mund«, flüstert er heiser. »So verführerisch, so schmutzig. Ich werde dir jetzt meinen Daumen zwischen die Lippen schieben.«

Ich stoße ein bitteres Lachen aus. Der Griff um meine Kehle lockert sich und ist nicht mehr so schmerzhaft, trotzdem wage ich nicht, mich ihm zu entziehen. »Und was, wenn ich dich beiße?«

»Dann werde ich dir wehtun. Oder vielleicht gefällt es mir auch.« Seine Augen richten sich auf meine, und um seine Mundwinkel zuckt ein Lächeln. »Finde es heraus.« Der Zorn in seinem Blick ist einem neuen Gefühl gewichen: Verlangen. Ich wünsche mir, dass der Zorn zurückkommt, weil ich besser damit umgehen kann, wenn er mich hasst. Dass er sich nach mir verzehrt, verwirrt mich und lässt mich straucheln. Nein, damit kann ich gar nicht umgehen. Besonders, weil mein Körper heftig und unkontrolliert darauf reagiert.

Hitze steigt in meine Wangen. Er weiß, was in meinem Inneren passiert, wenn er mir so nah ist. Er fühlt es so sehr wie ich. Er zieht mich an und schürt eine Sehnsucht in mir, die ich mehr als alles andere verabscheue. Aber sie ist da und beschämt mich. Ich kann seine Erektion an meinem Bauch spüren. Und wieder reagiert mein Körper anders, als ich es will. Ich lecke über meine Lippen, ohne dass ich mich zurückhalten kann. Ein Teil von mir will seinen Daumen schmecken. Einem Teil von mir gefällt es, wie grob er zu mir ist. Es ist dieser dunkle Teil in mir, den ich nicht verstehe und den ich bisher nur bei Nick aus mir herausgelassen habe. Und Ice erkennt diesen Teil, denn er lächelt zufrieden.

»Das macht dich an«, stellt er überrascht fest. »Das sollte es nicht, du solltest dich nicht nach dem sehnen, was ich mit dir tun würde.«

Ich lache abfällig auf. »Du hast keine Ahnung. Du weißt überhaupt nichts über mich. Sex ist nur gut, wenn er die Fähigkeit besitzt, den Schmerz in dir auszulöschen. Und dafür musst du in die dunkelsten Abgründe einer zerstörten Seele hinabsteigen.«

»Deiner Seele?«, will er mit rauer Stimme wissen und nimmt die Hand von meiner Kehle.

Ich wende mich ab, als ich die Neugier in seinem Blick sehe und atme zitternd und ein wenig beschämt ein. Er weiß nichts über mich. Nicht, wie es sich anfühlt, dabei zuzusehen, wie die eigene Mutter sich mit Alkohol und Drogen zerstört. Oder ihren Körper an widerliche Typen verkauft, um neue Drogen zu beschaffen. Er weiß nicht, wie es ist, einsam zu sein, weil in der Schule jeder dich meidet, da deine Mutter eine Stadtbekannte Säuferin ist. Oder wie es ist, den Dealer deiner Mutter in deinen Körper zu lassen, um den Schmerz zu betäuben. Er weiß nichts über mich.

Ich hole zitternd Luft. Solange ich wütend war und der Zorn an meinem Verstand gezerrt hat, war es leicht, mit ihm zu reden und herauszulassen, was so tief in mir schlummert. Aber jetzt ist es das nicht mehr. »Auch«, bringe ich mühsam hervor und unterdrücke das Verlangen, mir noch einmal über die Lippen zu lecken, weil ich noch immer seine Berührung dort fühle. Ich will nur noch weg von ihm, weswegen ich mich verzweifelt in seinem Griff winde.

Breathe

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