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ОглавлениеSchon seit einiger Zeit kämpft Raven mit der eigenen Müdigkeit, wahrscheinlich hin und her gerissen zwischen ihrer Angst vor mir, dem, was ich mit ihr vorhaben könnte und dem Bedürfnis, die Augen zu schließen, in der Hoffnung, später aufzuwachen und alles war nur ein Traum. Mitleid mit einem Opfer kenne ich eigentlich nicht, aber bei ihr ist es anders. Was wohl daran liegt, dass ich noch nie längere Zeit mit einem Opfer verbracht habe. Bisher waren sie nichts weiter als ein Auftrag, den es zu erledigen galt. Sie ist die Erste, die kein Auftrag ist, sondern nur ein Mittel zur Befriedigung meiner Rache. Und sie ist die Erste, die nicht aus meiner Welt stammt und das alles nicht verdient hat. Ich bin ein Jäger, ausgebildet zu jagen. Aber dabei geht es nur um Abtrünnige. Mit alldem hat sie nichts zu tun.
Ich stöhne innerlich, als ich an die Szene vorhin im Wald denken muss. Diese zierliche Frau war so mutig, trotzig und selbstbewusst. Stärker als mancher Abtrünniger, der vor mir in den Ketten gehangen hat und aus dem ich stundenlang Informationen gefoltert habe. Sie hat mich zornig gemacht. Und sie hat mich erregt. Ihren Körper an meinem zu spüren, ihre heftige Atmung und ihre Wärme zu fühlen, hat mich fast die Kontrolle verlieren lassen. Ich habe mit mir selbst gekämpft. Ich war so nahe dran, meine dunkle Seite rauszulassen.
Wir sind jetzt schon etwas länger als zwei Stunden unterwegs. Sie seufzt leise, als ich um eine Kurve fahre und ein Auto uns entgegenkommt, dessen Lichter durch das Innere des Pick-ups huschen. Ihre Augen öffnen sich, sie sieht mich an, für den Bruchteil einer Sekunde verwirrt, doch dann fällt ihr wohl ein, wo sie sich befindet und ihr Blick verfinstert sich. Sie richtet sich auf, drückt sich mit dem Rücken gegen die Autotür und presst trotzig die Lippen aufeinander. Mir gefällt das Funkeln in ihrem Blick, der Zorn, den sie gegen mich richtet. Die Vorstellung, wie es wäre, diese Wut in eine viel heißere Richtung umzulenken, macht mich wahnsinnig vor Verlangen. Und dann diese Lippen. Obwohl sie sie zusammenpresst, sind sie noch immer voll und sehen weich und verführerisch aus. Als wären sie geschaffen, um erobert zu werden. In meinem Kopf sehe ich mir selbst dabei zu, wie ich über diese volle Unterlippe lecke, bevor ich sie zwischen meine Zähne nehme und sanft beiße. Eigentlich bin ich nicht so. Meine Gedanken schockieren mich selbst, aber irgendetwas hat sie an sich, das mich nicht loslässt und aus mir jemanden macht, der ich nicht sein will. Dafür verabscheue ich mich. Dabei habe ich schon viel schlimmere Dinge getan, als anzügliche Gedanken über eine Frau zu haben.
»Wo sind wir?«, will sie harsch wissen.
Ich blinzle verwirrt. »Mitten am Arsch der Welt, würde ich sagen.« Ich muss mich mehr auf die Straße konzentrieren, auch wenn es hier meilenweit nur geradeaus geht, das Auto hält sich nicht von allein auf der Straße. Ich grinse, als sie das Gesicht verzieht. Und ich grinse noch einmal, als ihr Blick auf die Pistole fällt, die auf meinen Oberschenkeln liegt. »Das wird nichts, Süße«, sage ich bestimmt.
»Ich habe gar nicht daran gedacht«, antwortet sie düster.
»Wenn du nicht daran gedacht hättest, wüsstest du nicht, wovon ich eben geredet habe«, werfe ich grinsend ein und ernte wieder nur ein abfälliges Schnauben. Irgendwie finde ich es sexy, wenn sie das tut, weswegen es bei mir die Wirkung, die sie sich erhofft, völlig verfehlt. Ganz im Gegenteil.
Ein paar Meter vor uns taucht ein Schild im Scheinwerferlicht auf, das ein Motel bewirbt. »Was hältst du von einem Motel mitten am Arsch der Welt?«, frage ich sie, obwohl mich ihre Meinung nicht interessiert. Ich brauche eine Pause und sie braucht sie auch. Der Weg, der vor uns liegt ist noch weit, und irgendwie will ich nicht, dass sie völlig erschöpft die ganze Nacht neben mir im Auto sitzen muss, nachdem sie den gesamten Abend in der Bar bedient hat. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt darüber nachdenke, ob es ihr gut geht oder nicht. Es sollte mich nicht interessieren.
»Vielleicht habe ich ja Glück und ein Serienmörderpärchen betreibt es. Dann überleben wir die Nacht beide nicht.«
Ich lache und wiege den Kopf gespielt nachdenklich hin und her. »Oder du hast Pech und es sind Freunde von mir.«
Sie lacht. »Das wäre kein Pech. Solange ich diese Scheiße nur endlich hinter mir habe.«
Ohne zu antworten, biege ich auf den Parkplatz des Motels ein. Weder der Parkplatz noch das Motel machen einen vertrauenserweckenden Eindruck. Die Gäste scheinen zumeist Trucker zu sein. Im Moment stehen zwei große Zugmaschinen und ein Transporter auf dem Parkplatz. Vor dem Eingang zum Check-in stehen zwei ältere Kleinwagen und ein Pick-up. Ich fahre den Wagen bis direkt vor die Tür des Schalters. Durch die Glasscheiben kann ich eine ältere Dame sehen, die wahrscheinlich schon zu viele Jahre hier verbracht hat, denn ihr Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Langeweile und Resignation. Als die Scheinwerfer unseres Pick-ups sie blenden, verzieht sie wütend das Gesicht. In dem kleinen Fernseher hinter ihr läuft irgendeine mexikanische Soap, wahrscheinlich stören wir sie gerade dabei.
»Das Ganze läuft so«, beginne ich und sehe Raven ernst an. »Du gehst dort rein. Du nimmst ein Zimmer für eine Nacht für zwei Personen. Du sprichst nur das Nötigste mit ihr. Sollte ich den Verdacht bekommen, dass du ihr irgendetwas verrätst, du sie um Hilfe bittest oder sonst etwas tust, das mich in Gefahr bringen könnte, dann werde ich die alte Dame durch die Scheibe hindurch erschießen. Ist das klar?«
»Ist es nicht«, sagt sie mit zusammengekniffenen Augen. »Warum gehst du nicht rein?«
Ich lache leise auf, zerre ruckartig an ihren Fesseln und ziehe sie dadurch mit dem Gesicht fast bis auf meinen Schoß. Leise zischend packe ich mit einer Hand ihren Nacken und drücke hart zu. Sie wehrt sich gegen mich, aber als ich noch fester zudrücke, gibt sie ihren Widerstand auf und wimmert leise. »Ich gehe nicht, damit du keine Dummheiten machen kannst, während ich dort drin mit der Dame rede. Von hier aus kann ich euch beide viel besser erschießen«, flüstere ich drohend. Ich ziehe sie an ihrem Hals hoch und lege einen Finger unter ihr Kinn. Die Alte beobachtet uns von drinnen, deswegen setze ich ein sanftes Lächeln auf. »Und jetzt gehst du dort rein und erledigst, was ich verlangt habe. Und denk immer dran, wenn du einen Fehler begehst, bist du schuld am Tod der netten Granny.« Ich löse ihre Fesseln und drücke ihr ein paar Dollar in die Hand. Es stört mich, so grob zu ihr zu sein, was eine völlig neue Erfahrung für mich ist, deswegen rufe ich mir in Erinnerung, dass ich das hier tun muss, wenn ich Sams Leben retten will. Es gibt einfach keinen anderen Weg, als dieses Mädchen als Druckmittel zu benutzen.
»Ich hasse dich«, spuckt sie mir regelrecht entgegen.
»Interessiert mich nicht«, antworte ich trocken. »Im Augenblick interessiert mich nur eine Dusche, ein Abendessen und ein Bett.«
Sie sieht sich überrascht um, dann entdeckt sie das schäbige Diner auf der anderen Seite des Parkplatzes. »Wir essen hier?«, hakt sie verwundert nach. Wahrscheinlich hat sie gerade etwas Hoffnung geschöpft. In ihrem Kopf rattern die Zahnräder und sie malt sich aus, wie sie sich im Diner Hilfe holen könnte. Vielleicht ein Besuch auf der Toilette, ein Zeichen, das sie der Bedienung sendet. Diese Hoffnung will ich ihr nicht nehmen, also antworte ich ihr nicht, sondern greife einfach über sie hinweg, öffne die Tür und schiebe sie mit Nachdruck nach draußen.
»Vergiss nicht, dass meine Waffe geladen ist«, erinnere ich sie, als sie vor dem Truck steht und zu mir rein sieht.
»Wie könnte ich?«, gibt sie schnippisch zurück, dann geht sie langsam los, dreht sich an der Tür zum Check-in noch einmal um und streckt mir ihre süße, freche rosa Zunge heraus. Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Die Kleine hat etwas an sich, das mir gefällt. Mehr als mir lieb ist. Und mit jeder Sekunde in ihrer Nähe wird mir klarer, dass ich sie hätte töten sollen, als ich die Chance dazu hatte. Denn ich weiß nicht, wieso, aber je mehr Zeit ich mit ihr verbringe, je mehr ich über sie nachdenke und unseren kleinen Krieg genieße, desto enger zieht sich das Lasso um meine Brust zusammen, das sie nach mir ausgeworfen hat. Und ich habe noch immer keine verfickte Ahnung, was ich mit ihr anstellen soll.
Als ich nach Mutters Tod mit Sam von der Farm geflohen bin, hatte ich nur einen Gedanken: Rache. Egal was es kostet. Ich wollte Sherwood tot sehen. Und Sherwood wollte Sam tot sehen. Er hatte Sam eine Chance geben wollen, indem er unsere Mutter statt ihn getötet hat. Aber Sam wollte diese Strafe nicht akzeptieren und hat Sherwood vor all seinen Männern angegriffen. Dafür gab es nur eine Konsequenz: Sams Tod. Also habe ich Sherwood angeboten, mich ihm zu stellen. Ich habe Sherwood herausgefordert und er hat abgelehnt und Sam in eine der Zellen gesperrt, wo er auf seine Hinrichtung warten sollte. Ich hatte keine andere Wahl, als mit meinem Bruder zu fliehen. Seit Wochen hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: Sherwood töten, damit Sam überleben kann und ich den sinnlosen Tod unserer Mutter rächen konnte. Und jetzt stehe ich hier und habe die Orientierung verloren, wegen eines Mädchens. Wegen Sherwoods Tochter. »Jetzt verschwinde endlich und tu, was ich dir sage«, befehle ich ihr harsch. Meine Geduld ist am Ende. Mit mir. Mit ihr. Mit Sherwood.
Ich werfe die Tür des Pick-ups mit so viel Kraft zu, wie ich aufbringen kann. Der dumpfe Knall schallt über den fast leeren Parkplatz und wird von den in einem U stehenden flachen Gebäuden zu mir zurückgeworfen. Dieses Motel sieht von außen so heruntergekommen aus, dass ich mich davor fürchte, herauszufinden, wie die Zimmer aussehen. Als ich meine Flucht aus Black Falls geplant habe, habe ich nicht einmal daran gedacht, in solchen Motels zu schlafen, weil ich sie mir ohnehin nicht hätte leisten können, bis ich irgendwo einen Job gefunden hätte. Egal wie heruntergekommen sie auch gewesen wären. Ich wollte möglichst wenig Geld ausgeben, um länger hinzukommen.
Mein Plan war es gewesen, irgendwo weit weg von allen anderen Menschen auf der Ladefläche meines Pick-ups zu schlafen und in Raststätten zu duschen oder mich wenigstens zu waschen. Und jetzt stehe ich hier und denke über diese Sachen nach, obwohl all das völlig egal sein sollte, denn die Möglichkeit ist groß, dass meine Pläne nie in Erfüllung gehen werden. Ich bin entführt worden. Von einem Mann, der zugibt, Menschen zu töten. Und ich stehe mitten auf diesem Parkplatz und trauere meinen schönen Plänen nach. Das ist so unfassbar dumm von mir, dass ich laut stöhnen und mich selbst ohrfeigen möchte. Ich drehe mich an der Tür zu ihm um und strecke ihm die Zunge raus. Kindisch, ich weiß, aber das ist mir egal. Ich muss dem brodelnden Zorn in mir auf irgendeine Weise Luft machen, sonst springt mein Herz mir noch aus der Brust.
Ich sollte lieber daran arbeiten, diesem Arschloch zu entkommen. Und alles zurücklassen, was ich noch besitze? Das Auto, meine Tasche mit dem Geld? Wohin will ich dann noch gehen? Welchen Nationalpark noch durchwandern? Ich fahre mir durch die Haare und ärgere mich schon wieder über mich. Natürlich sollte ich alles zurücklassen. Die Hauptsache ist doch, dass ich meinen eigenen Arsch rette. Ich sehe mich auf dem Parkplatz um, aber es ist niemand hier, in dessen Arme ich mich retten könnte. Die meisten sitzen in dem Diner, ich kann sie durch die Scheiben hindurch sehen. Vier Männer und die Bedienung, die in diesem Augenblick einem Mann mit Basecap einen Teller vor die Nase stellt. Mein Magen knurrt laut, als ich sie dabei beobachte. Ich hatte geplant, auf meiner Reise nur morgens etwas zu essen, um Geld zu sparen. Ich wäre jetzt also hungrig schlafen gegangen. Aber das hätte mir nichts ausgemacht, meine Mutter hat selten daran gedacht, dass ein Kind auch essen muss. Was sie nie vergessen hat, war der nächste Schuss und der nächste Fick, der ihren Schuss finanzieren würde.
»Willst du dort noch lange rumstehen?« Seine Stimme direkt über meinem Kopf lässt mich zusammenzucken. Er hat das Fenster heruntergelassen und beugt sich nach draußen, in der Hand die Pistole, deren Lauf sich auf mich richtet. »Ich muss nur abdrücken, den Motor starten und bin weg. Und niemand wird jemals herausfinden, wer dich mitten in der Nacht auf einem Parkplatz vor einem Scheißmotel abgeknallt hat.«
»Die Kamera wird es wissen«, sage ich bissig und deute auf eine Kamera über der Eingangstür, die sich leise surrend in Richtung des Pick-ups bewegt.
»Gutes Argument, aber hast du die Bilder mal gesehen, die die machen? Nicht einmal meine Mutter hätte mich darauf erkannt.« Er grinst mich so breit an, dass ich seine Zähne im Licht der Beleuchtung aufblitzen sehen kann. »Los jetzt, ein Zimmer. Und wehe, du versuchst was.«
Meine Muskeln verspannen sich, als ich der eiskalten Härte in seinem Gesicht begegne. Ich will auf keinen Fall daran schuld sein, wenn heute Nacht Menschen sterben müssen. Ich käme vielleicht damit klar, wenn ich sterben müsste. Aber ich möchte nicht schuld am Tod anderer sein. Ich wende mich dem Check-in zu. Die Frau hinter dem Tresen konzentriert sich längst wieder auf ihren Fernseher. Wahrscheinlich fragt sie sich nicht einmal, warum ich so lange hier draußen herumstehe.
Es kostet mich einiges an Überwindung, den ersten Schritt zu machen, meinen Fuß vom Boden zu lösen und meine steifen Muskeln zu bewegen. Aber das dunkle Knurren, das aus dem Hals von Ice grollt, bringt mich doch dazu, endlich loszugehen. Welcher normale Mensch knurrt wie ein Hund? Aber Ice ist ja auch kein Mensch, er ist ein Entführer. Vielleicht sogar ein Mörder, wenn stimmt, was er sagt. Und ich glaube ihm nur zu gern, denn er strahlt manchmal so eine Kälte aus, die sich mir bis in die Knochen frisst. Eine Kälte, die jemand, der höchstens Mitte zwanzig ist, nicht haben dürfte. Ich öffne die Tür zu dem kleinen Raum, der fast komplett von einem abgewirtschafteten Tresen eingenommen wird. Über meinem Kopf ertönt das leise Klingeln einer Glocke. Die ältere Dame schaut missbilligend zu mir, steht von ihrem Stuhl auf und sieht mich abwartend an.
Ich öffne den Mund und ringe mit mir, ein Teil möchte so gerne das Wort ›Hilfe‹ herausschreien, aber der andere hat Angst vor dem, was Ice der Frau dann antun könnte, also gehe ich mit unsicheren Schritten zum Tresen und kämpfe mit dem Kloß in meiner Kehle, weil ich keinen Zweifel habe, dass Ice sie töten würde. Immerhin gucke ich Fernsehen und mache mir nicht allzu viel vor über Motorradgangs.
»Ein Zimmer für zwei«, sage ich heiser, obwohl alles in mir mich drängt, loszulaufen und mich in Sicherheit zu bringen. Direkt neben ihr steht ein altes Telefon, dessen Tasten mich regelrecht anschreien, die 911 zu tippen. Meine Finger zucken und mein Körper fühlt sich so sehr von diesem Telefon angezogen, dass alles in mir vibriert. Aber der Bann wird unterbrochen, als die Frau sich vernehmlich räuspert.
»Für wie lange?«, will sie genervt wissen. »Du musst schon mit mir reden, Mädchen.«
Ich blinzle verwirrt. »Eine Nacht, nur eine Nacht.«
Sie beugt sich über ihre Tastatur. »Ich nehme an, du bist volljährig? Wenn nicht, zahlst du bar«, murmelt sie dem Monitor zu, dessen blaues Licht sie ganz blass erscheinen lässt.
»Bar«, sage ich eilig, werfe einen Blick nach draußen, wo ich Ice als dunklen Schatten vor der Tür stehen sehen kann. Er starrt hier rein und wartet nur darauf, dass ich einen Fehler begehe. Ich sehe die Frau wieder an, die mir ihre Hand entgegenstreckt.
»Dein Name und das Geld«, sagt sie.
Für eine Sekunde erwäge ich, ihr einen falschen Namen zu nennen, offensichtlich verlangt sie keinen Ausweis von mir. Aber wen will ich damit schützen? Ice? Nein, sollte er mir etwas antun, dann könnte mein richtiger Name ein nützlicher Hinweis für die Polizei sein. Ich sage ihr, wie ich heiße und sie nickt nur, hält weiter ihre Hand in meine Richtung, also gebe ich ihr etwas Geld, sie zählt es nicht ab, obwohl ich mir sicher bin, dass ich zu viel gezahlt habe. Stattdessen steckt sie alles in die Kasse und gibt mir den Schlüssel.
»Die 14«, erklärt sie, dann wendet sie sich ab und setzt sich wieder auf ihren Stuhl vor den TV. »Das Diner hat 24 Stunden auf.«
Ich starre sie mehrere Sekunden lang an und überlege, welches unauffällige Zeichen ihr klarmachen könnte, dass ich in Schwierigkeiten stecke. Ich versuche abzuwägen, wie hoch das Risiko ist, dass Ice seine Drohung wahr macht. Mein Puls rast, während ich darüber nachdenke, aber am Ende lasse ich die Schultern sinken und wende mich ab. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, schuld am Tod eines Menschen zu sein. »Danke«, bringe ich mühsam heraus, warte, ob sie mich noch einmal ansieht, so als kleines Zeichen vom Schicksal, aber da reißt Ice schon die Tür von außen auf.
»Kommst du, Schatz?«, fragt er mit zuckersüßer Stimme und grinst mich diabolisch an. Seine hellen Augen funkeln im Neonlicht über der Tür.
Ich wende mich noch einmal der Dame zu, die nicht einmal aufgeblickt hat, als die Türglocke Ice angekündigt hat. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass er mit dem Kopf schüttelt, also atme ich tief ein, setze ein Lächeln auf und gehe auf ihn zu. »Aber sicher, Schatz«, sage ich und wackle mit dem Hotelschlüssel, als wäre er die bedeutendste Errungenschaft in meinem Leben.
Ice legt eine Hand auf meinen Rücken, dann bugsiert er mich zurück zum Pick-up, zwingt mich in den Wagen und wirft mit wutverzerrtem Gesicht die Tür zu. Sein Blick ist noch wütender, als er auf der Fahrerseite einsteigt. »Du solltest mich nicht dazu bringen, etwas zu tun, das du später bereust.« Er startet den Pick-up, ohne mich anzusehen, aber das zornige Schnauben, das er ausstößt, genügt mir, um mich ängstlich in meine Ecke zurückzuziehen. »Zimmernummer?«
»14«, sage ich leise und umklammere den Schlüssel, als wolle ich ihn als Waffe benutzen. Aber das würde ich nicht wagen. Zu versuchen, ihn mit so einer ungeeigneten Waffe zu besiegen, wäre ein dummer Fehler. Und ich bin nicht dumm. Ich weiß sehr gut, dass ich ihm körperlich unterlegen bin. Ich kann ihm nur entkommen, wenn ich ihn überrasche. Ich muss ihn kalt erwischen. Wenn ich überhaupt eine Chance haben will, dann muss ich Geduld haben und clever sein. Cleverer als er.
Ice fährt den Wagen über den Parkplatz und hält vor der 14. Ich rolle innerlich die Augen, als ich sehe, dass die 14 zwischen der 12 und der 15 liegt. Eigentlich ist die 14 also die 13. Wie passend für mich. Glauben die Leute wirklich, wenn sie die 13 auslassen, dadurch das Böse vielleicht davon abzuhalten, das Zimmer 13 zu finden? Das Böse ist bestimmt nicht zu dumm zum Zählen. Mein Entführer und ich werden die Nacht also in Zimmer 13 verbringen. Vielleicht findet die ältere Dame dort morgen früh eine Leiche. Vorzugsweise nicht meine.