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Andy und morgendliche Unausgeglichenheit
Es gibt eine Sache in meinem Leben, die mir jeden Morgen passiert: Ich wache auf und fühle mich unausgeglichen. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber ich bin wie ich bin, und obwohl ich nicht mehr von Heroin abhängig bin, bin ich doch davon abhängig, mein Lustzentrum zu befriedigen. Nicht nur ein oder zwei Mal am Tag, meistens brauche ich es öfters. Oder ich habe Sex, der mich so auslaugt, dass es für einen ganzen Tag reicht. Aber das habe ich euch weiter oben schon erklärt. Trotzdem werde ich noch ein paar Mal darauf eingehen müssen, also seid mir nicht böse, es ist mir nur wichtig, dass ihr mich versteht.
In meinem Schlafanzug schlürfe ich in die Küche, schalte die Kaffeemaschine an und gehe unter die Dusche. Trish ist eine ausgesprochene Langschläferin, während es mich oft schon nach nur 5 Stunden Schlaf aus dem Bett treibt, deswegen kommen wir uns morgens nie in die Quere, was unser Zusammenleben sehr einfach macht. Ich kann mir Zeit lassen unter der Dusche. Und das tue ich auch. Jeden Morgen stelle ich den Duschstrahl auf die härteste Stufe und sorge für innere Ausgeglichenheit.
Nach der Dusche putze ich mir die Zähne und verharre in der Bewegung, die Zahnbürste noch immer im Mund, als ich mein Gesicht im Spiegel sehe. Ich fasse mir in die feuchten Haare, drehe den Kopf hin und her und betrachte argwöhnisch meine Frisur. Vielleicht wäre es wiedermal an der Zeit, mich von ein paar Zentimetern Länge zu trennen, überlege ich. Wenn meine Haare nass sind, sind sie glatt, tiefschwarz und hängen mir schwer ins Gesicht. Wenn sie trocken sind, sind sie schokoladenbraun, dick und wellig und reichen mir bis zu den Brüsten. Und alle paar Monate packt es mich und ich kann die langen Haare nicht mehr ertragen, dann lasse ich sie bis zu den Schultern kürzen, bereue meine Entscheidung ein paar Tage später, lasse die Haare wieder wachsen, um mich dann wieder von ihnen zu trennen. Frustriert putze ich weiter meine Zähne und starre mir nachdenklich in die Augen.
Nur zwei Prozent der Bevölkerung hat grüne Augen, heißt es. Es heißt aber auch, dass Menschen mit grünen Augen kreativ sind, vertrauenswürdig und ausgeglichen. Ich würde mich nicht als kreativ einschätzen, weder kann ich malen noch dichten oder habe sonst irgendein künstlerisches Talent. Ich würde mich als vertrauenswürdig einschätzen. Zumindest können die Menschen mir vertrauen, die mir wichtig sind. Aber ausgeglichen bin ich auf gar keinen Fall. Das war ich noch nie. Okay, nach einem Orgasmus, aber das ist etwas anderes.
Ich bin oft viel zu wütend, traurig oder nachdenklich, um ausgeglichen zu sein. Innere Ruhe habe ich früher nur mithilfe von Drogen und Timothy gefunden. Das Leben hat sich für mich immer ungerecht und hart angefühlt. Seit meiner Therapie weiß ich, dass mein Leben nicht ungerechter oder härter als das anderer Menschen ist, aber die bleierne Schwere auf meiner Brust empfinde ich noch heute oft. Und noch heute weiß ich nicht genau, von was sie ausgelöst wird. Sie war einfach schon immer da. Als Kind war es die Einsamkeit und die ständig wechselnden Kindermädchen, die mich niedergedrückt hat. Als Teenager war es mein Vater, der mich nicht lieben konnte, weil er meine Mutter und ihren Tod gesehen hat, wenn er mir in die grünen Augen geblickt hat. Das hat er mir so gesagt. Und ich sage euch was, auch, wenn es verdammt wehgetan hat, ich habe ihn verstanden.
Ich wickle ein Handtuch um meinen Kopf und gehe in die Küche, um meinen Kaffee zu trinken. In der Sekunde, in der ich die Tasse an die Lippen hebe, klingelt es und ich stoße ein genervtes Stöhnen aus. Das wird sie sein, die Frau, die zukünftig mit Trish und mir diese Wohnung teilen soll. Ich stelle die Tasse zurück und gehe zur Videosprechanlage an der Tür, um zu öffnen. Außer einer blonden Mähne kann ich nichts sehen, weil sie den Blick gesenkt hat. Ohne etwas zu sagen, drücke ich den Türöffner, gehe zurück ins Bad und befreie mein Haar von dem Handtuch.
Als ich wieder in den Korridor komme, steht sie schon da, weil ich die Tür offengelassen habe. Sie lächelt mich unsicher an und ich lächle nicht zurück. Fremden Menschen gegenüber bin ich oft zurückhaltend, was diese als unfreundlich empfinden, aber das ist es nicht, was ich beabsichtige. Ich weiß nur einfach nicht, wie ich ihnen begegnen soll, worüber wir reden können und was sie von mir erwarten. Ich brauche eine Weile, bis ich lockerer werde. So tickt der Teil von mir, der ich bin, wenn ich nicht bei einem Kunden oder auf der Suche nach dem nächsten Orgasmus bin.
»Andy«, sagt sie und streckt mir eine Hand entgegen. Andy sieht aus wie eine Barbiepuppe. Sie ist groß, hat unfassbar lange Beine, die unten aus einem sehr knappen Jeansrock herausschauen und in einem paar silberner High Heels enden. Ihre Haare locken sich bis über ihren Rücken in einem sehr hellen Blond und sie schaut mich aus moosgrünen Augen an. Sie gehört also auch zu den 2%.
Ich nehme ihre Hand. »Amy«, stelle ich mich vor.
Zwei Arme schlingen sich von hinten um mich und ziehen mich gegen einen warmen Körper. »Warum hast du mich alleingelassen?«, fragt eine schläfrige Stimme, die von meinem Rücken fast geschluckt wird. »Ich war so wahnsinnig scharf darauf, die Sache von gestern Abend gleich nochmal zu wiederholen.«
»Und das ist Trish«, füge ich an, löse mich aus Trishs Umarmung und ziehe sie neben mich. »Weil du eine Langschläferin bist.«
Andy mustert uns mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue und schiebt angespannt ihre Hände in die Taschen ihres Rocks. An ihrem Unterarm hängt eine kleine silberne Clutch, die das Sonnenlicht einfängt, das durch das Fenster in der Küche fällt. »Lola hat nicht gesagt, dass ihr ein Paar seid.«
»Sind wir nicht«, wirft Trish murmelnd ein und reibt sich über das Gesicht. Sie lässt ihren Blick abschätzend über Andy gleiten und versucht sich an einem Lächeln, das ihr misslingt. Aber nur, weil sie noch nicht richtig munter ist, denn anders als ich, ist Trish durchaus zu offener Freundlichkeit fähig. Sie kann auf jeden zugehen, auch dann, wenn es nicht nur um Sex geht. »Ich geh schnell ins Bad.«
»Komm doch rein«, sage ich zu Andy und zeige in die Küche. Auf dem Tisch steht noch immer mein Kaffee, den ich jetzt wirklich sehr gerne trinken möchte. Ich hole zwei weitere Tassen aus dem Schrank und fülle sie mit Kaffe, dann stelle ich Zucker und Milch dazu, und den Karton mit Donuts von gestern Abend, den ich im Supermarkt auf dem Weg nach Hause mitgenommen habe, weil der rosa Zuckerguss mich angesprochen hat. »Ich esse morgens nichts, aber wenn du magst«, biete ich Andy an und setze mich auf den Stuhl ihr gegenüber.
Andy legt die Hände um ihre Tasse und schüttelt den Kopf. »Nein, danke, aber etwas Milch nehme ich«, sagt sie, und ich schiebe den Karton etwas näher zu ihr. »Die Wohnung ist hübsch«, sagt sie und lässt ihren Blick über die anthrazitfarbenen modernen Küchenschränke mit den glatten Fronten aus Vulkanglas gleiten.
»Lola hat das alles bezahlt«, erkläre ich den Luxus, in dem wir hier leben. »Ihr ist es wichtig, dass wir uns wohlfühlen, wenn wir nach Hause kommen.« Ich grinse. »Die Badewanne hat eine Menge brauchbare Funktionen. Die Dusche auch.«
Andy lacht. »Wie lange macht ihr das schon?«
»Was?«, will Trish wissen und setzt sich in ein Badetuch gehüllt auf ihren Stuhl. »Uns für Sex bezahlen zu lassen? Wie lange machst du es schon?«
Andy senkt unsicher den Blick, ich habe das Gefühl, sie macht es noch nicht lange. »Ein paar Wochen, ich habe vorher getanzt«, gesteht sie.
»In einem Club?«, hake ich nach.
»Ballett.«
»Ballett?«, platzt es erstaunt aus Trish heraus und sie mustert Andy neugierig.
»Ja, ich war auf der London Dance Academy.«
»Dann musst du gut sein«, wirft Trish erstaunt ein. »Die nehmen nur die besten.« Trish mustert Andy mit noch mehr Erstaunen, denn sie tanzt auch, aber war nie gut genug, um an einer Schule wie der London Dance Academy aufgenommen zu werden. Sie sagt immer, sie hätte erst mit 12 Jahren angefangen, was viel zu spät gewesen wäre. Ich selbst finde sie gut, aber ich kenne mich auch nicht wirklich mit Tanz aus, ich sehe Trish nur gern dabei zu, wenn sie an der Querstange in ihrem Zimmer übt.
Andy zuckt mit hochroten Wangen die Schultern. »Es war nie mein Traum, sondern der meiner Mutter. Und jetzt da sie gestorben ist …« Andy lässt den Rest des Satzes ungesagt und trinkt von ihrem Kaffee.
»Was wolltest du denn immer werden?«, frage ich sie, weil ich mir nicht sicher bin, ob Callgirl die richtige Wahl für sie ist. Genau wie Trish bin ich der Meinung, dass man diesen Beruf lieben muss. Wenn man sich dazu zwingt, macht es dich kaputt.
»Irgendwann möchte ich mal Kinder unterrichten, meine eigene Tanzschule haben. Bis dahin sehe ich das hier als Möglichkeit, das Geld dafür zu verdienen.« Andy sieht mir wohl meine Zweifel an und schüttelt sofort den Kopf. »Keine Sorge, ich weiß, dass es wichtig ist, dieses Leben auch zu wollen. Und das tue ich. Ich mag den Glamour, die Kontakte und auch Sex.«
Trish lacht hell auf. »Den mögen wir alle.« Sie schiebt Andy eine Hand entgegen, die diese ergreift. »Ich hoffe, dir wird es bei uns gefallen. Lass uns heute Abend doch ausgehen, dann können wir uns besser kennenlernen.«
Andy sieht mich fragend an, als bräuchte sie die Gewissheit, dass auch ich einverstanden damit bin, also nicke ich stumm und ringe mir ein Lächeln ab. Trish fällt das alles viel einfacher als mir. Aber ich arbeite daran. An mir und meiner Scheu vor fremden Menschen. Andererseits komme ich mit meiner Kundschaft deutlich besser klar. Vielleicht, weil ich bei ihnen schon vorher weiß, was sie von mir erwarten. Die Fronten sind schon geklärt, bevor wir uns das erste Mal sehen.