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DREI

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Ich nutzte die fünf Tage zum Teil sehr effektiv – aber nur zum Teil.

Am Samstag bummelte ich durch die Möbelhäuser und fand nach längerem Suchen schließlich ein Traumbett und dazu passend eine sehr schöne Schrankwand mit einem Bücherregal in der Mitte, weiß, Hochglanzfronten, Stahlgriffe – und das Bett mit einem elegant gebogenen Kopfteil, ebenfalls in weißem Glanzlack mit Stahleinfassung, dazu zwei Ablagetischchen.... Oder doch lieber in Birke? Ich schwankte länger, aber weiß schien mir auf Dauer schöner, ich hatte schon so viel Holz in den anderen Zimmern. Bis zum 25. März wollten sie liefern, genau der gleiche Termin wie bei den Sofas. Konnte man mehr Glück haben?

Beschwingt eilte ich in die Kaufhäuser und fand zwei gut sitzende Jeans in Royalblau und Wassergrün, aber dann verließ mich mein Glück – alles andere gefiel mir nicht.

Zu Hause schaffte ich es wenigstens, ein Ex zu korrigieren und die Stunden für Donnerstag und Freitag vorzubereiten. Danach aber beschloss ich, nachzusehen, was in der unausgepackten Bücherkiste im Schlafzimmer steckte, die ich als Nachttisch benutzte. Vermisst hatte ich den Inhalt bis jetzt jedenfalls noch nicht.

Liebesromane der wildesten Sorte! Die sollte ich doch am besten gleich ins Altpapier... Oder? Bücher wegzuwerfen gehörte sich eigentlich nicht. Vielleicht sollte man sie der Städtischen Bücherei stiften? Aber vorher könnte ich doch noch einen Blick hineinwerfen, beschloss ich und verzog mich mit Geliebte Lady aufs Sofa. Da war es halb fünf. Als ich wieder aufsah, war es zehn Uhr. Bescheuert, aber sehr nend, das Buch, das stiftete ich nicht weg! Ich konnte mich auch gar nicht erinnern, es schon mal gelesen zu haben. Ich nahm mir das nächste, Wilde Leidenschaft, und legte mich damit ins Bett. Den Sonntagmorgen verbrachte ich mit Bezaubert, aber dann begann ich mich doch zu wundern: Irgendwie war die Handlung immer gleich. Es gab einen Adeligen, vorzugsweise einen Earl, Marquis oder Herzog, dessen Titel von einer britischen Straßenkarte zu stammen schien, und eine junge Dame mit einem exotischen Vornamen. Sie wollte sich wegen irgendetwas an ihm rächen, er dagegen hatte eine schlimme erste Ehe hinter sich und konnte daher nichts mehr empfinden. Deshalb beschränkte er sich darauf, die junge Dame auf das Gröbste anzumachen, und sie, deren einziges Kapital ihr guter Ruf war, ließ sich das auch noch gefallen! Sie war auch grundsätzlich verteufelt gut aufgeklärt für die präviktorianische Zeit, schien es mir. Die Verführungsszenen waren sehr breit und voller anatomischer Details in taktvoller Umschreibung ausgemalt, es wimmelte nur so von empfindlichen Knospen und pochender Männlichkeit. Historische Softpornos? Na, pornografisch waren die Romane nicht ganz, eher furchtbar kitschig – aber sie lasen sich nett. Man konnte sich zwar auf Seite zwei schon denken, wer wen kriegte, aber die Intrigen, die die große Liebe bis zum Schluss nicht recht aufkeimen ließen, waren in jedem Roman ein bisschen anders.

Das wollte ich nicht wegwerfen. Im neuen Schlafzimmerregal konnten sie in der zweiten Reihe parken. In der ersten nicht, dann hätte mich jeder, der mein Schlafzimmer betrat, für eine Idiotin gehalten, wenn ich solchen Schwachsinn las. Und für eine Deutschlehrerin war das wirklich etwas niveaulos!

Sonntagmittag schreckte ich schließlich hoch – ich konnte doch nicht die ganze Zeit mit dieser sinnlosen Lektüre verbringen! Mit schlechtem Gewissen machte ich mich daran, ein weiteres Ex zu korrigieren und die Noten meiner Klassen in mein Zensurprogramm einzugeben, um den aktuellen Stand zu berechnen. Mein Blick irrte dabei leider immer wieder zur Tür – auf dem Bett lag Zärtlicher Kampf, halb gelesen, und rief leise nach mir. Nix! Erst die Arbeit!

Ich heftete altes Material ab, korrigierte auch noch das dritte Ex wenigstens zur Hälfte und räumte meine Schultasche auf. Dann öffnete ich eine Tüte Chips und fiel damit und mit Zärtlicher Kampf wieder aufs Bett. Genussreich, wie in meiner Teeniezeit! Leider musste ich feststellen, dass ich dafür anscheinend mittlerweile zu alt war, ich spürte immer ein schlechtes Gewissen, wegen der ernährungstechnisch wertlosen, wenn auch äußerst leckeren Chips. Andererseits hatte ich sonst noch gar nichts gegessen... Und sollte ich meine Zeit nicht mit besserer Lektüre verbringen? Es war aber doch so nend!

Als der Earl of Chelsea (sehr einfallsreich) die schöne Lavinia aus den Händen eines bösen Straßenräubers gerettet hatte und ihr zum letzten Mal vor der Hochzeit (die Lizenz hatte er schon in der Tasche) unter die Röcke griff, klappte ich das Buch aufseufzend zu und fühlte mich sofort wieder schlecht. Den ganzen Sonntag sinnlos vertan! Und dabei war das Wetter so schön, richtig vorfrühlingshaft! Um wenigstens etwas wieder gut zu machen, ging ich eine Stunde spazieren. Was gefiel mir eigentlich an solchem Schund, überlegte ich, während ich durch das Waldburgviertel trabte. Diese pseudoerotischen Szenen? Fehlte es mir an Sex? Das auch, musste ich zugeben, aber nicht so sehr, dass ich glaubte, es sei wie in diesen Romanen. So schwach war mein Gedächtnis nun auch wieder nicht.

Oder hatte ich Entnung gebraucht? Himmel noch mal, ich hatte Ferien und fast alles war korrigiert – was war so schlimm daran, wenn ich mich an die Bibel hielt? Am siebten Tage sollst du ruhen...

Ich hatte noch drei Tage Zeit, die blöde Steuererklärung und den Rest des dritten Ex zu machen. Also ging ich weiter gemütlich spazieren und kam erst im Dunklen wieder nach Hause. Auf der Treppe kam mir Marianne mit ihrem Nachbarn entgegen.

„Oh, hallo, Karen – wie geht´s?“

„Gut, danke, ich hab Faschingsferien.“

„Ach, du bist Lehrerin? Entschuldige, das ist mein Mann, Harald.“

Noch nicht lange, nach der winzigen Pause vor Mann zu schließen.

Ein fester, kühler Händedruck und ein freundliches Lächeln.

„Ja, am Leo.“

„So ein Zufall“, freute sich Harald, „eine gute Freundin von uns auch.“

„Wie heißt sie denn?“ Das machte mich doch neugierig.

„Andrea Falkenstein, kennst du sie?“

„Flüchtig, sie war ja nur bei der Konferenz da. Aber ich habe eine Klasse von ihr und einmal mit ihr telefoniert. Hat sie ihr Baby schon?“

„Nein, kann aber nicht mehr lange dauern. Und du musst sie vertreten, du Arme?“

Ich lachte. „Bloß in einer Klasse. Sie hat ja nur acht Stunden, wenn sie nach Ostern kommt. Ganz schön hart, mit einem Neugeborenen...“

„Und den Zwillingen“, fügte Marianne hinzu.

„Ach? Das ist schon das dritte Kind? Wahnsinn, schon der Gedanke macht mich ganz fertig.“

„Ihr Mann kümmert sich um die Kinder, der kann zu Hause arbeiten.“

„Die Glückliche... Sag mal, was macht ihr eigentlich?“

„Werbung, bei Winkler & Partner. Kennst du die Plakate für Happy Choc? Die sind von uns.“

„Ehrlich? Toll, die sind wirklich originell, Respekt!“

„Danke. Aber wir müssen uns jetzt beeilen. Bei Gelegenheit sollten wir uns mal richtig treffen, auch mit Susanne, ja? Die arbeitet auch bei uns... Ciao, Karen!“

„Ciao...“ Ich sah ihnen nach, wie sie Hand in Hand die Treppe hinunter sprangen. Nicht schlecht – beruflicher Erfolg und Liebe....

Als ich wieder vor der Liste saß, die ich am Freitag begonnen hatte, war ich ratlos. Gut, das Schlafzimmer konnte ich meinen Zielen hinzufügen, aber es war schon bestellt, und Ende des Monats sähe die Wohnung so aus, wie ich mir das vorstellte, abgesehen von einer schönen Liege für den Balkon. Aber sonst? Oberstudienrätin, New Orleans... Nach St. Petersburg wollte ich auch mal, die weißen Nächte sehen, irgendwann in den Pfingstferien... Schöne Fotos wollte ich machen, für die Wände meiner Wohnung, interessante Architekturdetails in schwarz-weiß.... Das waren keine Ziele, nur kleine Projekte. Etwas über Lerntechniken lesen, um noch besser erklären zu können... Mich mit den Leuten im Haus anfreunden, die machten einen netten Eindruck. Oder wurde man dann wieder von einer Pseudofamilie vereinnahmt?

Apropos Familie! Silke hatte natürlich nicht zurückgerufen. Ich wählte Meikes Nummer und bekam Robbi an den Apparat. Er war etwas pampig, wie immer. „Wir essen gerade!“

„Entschuldigung. Ich wollte nur wissen, ob´s euch gut geht.“

„Klar, wieso?“

„Na, Meike wirkt ein bisschen überfordert, finde ich.“

„Möchte mal wissen, wovon... Die sitzt doch nur hier herum. Ich bin der mit dem Stress!“

„Sicher doch... Ist dir schon mal aufgefallen, wie anstrengend drei Kinder sind?“

„Soll sie sie halt besser erziehen, das ist nun wirklich Meikes Job. Ich sorge fürs Futter, das reicht doch wohl.“

„Befasst du dich eigentlich jemals mit deinen Kindern?“

„Das Essen wird kalt!“

Er legte energisch auf. Die Frage hatte ihm offenbar nicht gefallen. Robbi war ein Blödmann, immer schon gewesen, aber Meike wollte damals kurz nach dem Abitur nicht auf uns hören. Na, sie würde es schon lernen, mit den Kindern zurecht zu kommen – Robbi störte unter der Woche ja wenig, und am Wochenende musste man ihn nur ordentlich füttern und ihm die Fernbedienung in die Hand drücken, dann war er ruhig gestellt. Im Sommer spielte er Tennis, dann war er auch aus dem Weg.

Ich versuchte es noch einmal bei Silke. Genuscheltes „Korff?“

„Hier auch. Wolltest du mich nicht zurückrufen?“

„Sprich nicht so beamtenmäßig – es ist Sonntag und ich war gestern auf einem irren Ball, bin total fertig. Oh, mein Kopf! Warte mal kurz...“

Es klapperte im Hintergrund, ich hörte unappetitliche Geräusche und dann ein Zischen. Am Sonntagabend war sie immer noch so fertig? „Bist du noch da?“

„Ja. Hast du gekotzt?“

„Bisschen. Jetzt gibt´s ein Aspirin. O Gott, morgen muss ich auf diese Rosenmontagsfete von den Leuten der Modemesse. Äh... Scheißfasching...“

„Was säufst du auch so viel!“

„Jaja, kann ja nicht jeder so fromm sein wie du. Du hast wohl gar nicht gefeiert?“

„Ich war bloß auf dem Schulfasching, dienstlich. Aber ich steh da eh nicht so drauf, weißt du doch.“

„Unsere Brave… Jetzt lass mich noch ein bisschen schlafen, ja...“ Der Hörer fiel ihr dem Krach nach einfach aus der Hand. Schwestern hatte ich! Die eine eine überforderte Hausfrau, die andere eine Partynudel, bei der langsam der Kopf nicht mehr mitmachte: Für Unterhaltung war gesorgt.

Am Montag brachte ich mein Arbeitszimmer derartig in Ordnung, dass es mir selbst schon unheimlich wurde, machte die Steuererklärung und schickte sie auch sofort ab. Nichts lag mehr herum, alles glänzte, alle Ordner waren korrekt beschriftet und gefüllt, die Tasche für Donnerstag war gepackt, alles korrigiert und verrechnet... Was jetzt?

Der Dienstag brachte mir das Gefühl, total verspießert zu sein. Ich beherrschte mich gerade noch, meine Unterwäsche zu bügeln, und ging stattdessen in die Stadt, um nach schicken Klamotten zu suchen. Immerhin fand ich einen witzig karierten Blazer und Jeans in hellgrau und sand, dazu ein Paar richtig gute Schuhe, aber in der Fußgängerzone war die Hölle los und ich war, als ich nach Hause kam, über und über mit Konfetti bedeckt. Ärgerlich klopfte ich mich vor der Haustür ab und schüttelte meine Taschen aus, wobei mir die hellgrauen Jeans in den Schneematsch fielen. Wütend raffte ich sie wieder an mich und rannte in meine Wohnung.

Immer noch fiel mir Konfetti aus der Kleidung und ich konnte das absolut nicht lustig finden. Minutenlang klopfte ich mich ab und filzte alle Einkäufe, dann saugte ich sofort Staub und säuberte die neuen Jeans. Als alles verräumt war, setzte ich mich und ärgerte mich über mich selbst. Wieso war ich so gar nicht locker? War Fasching nicht eigentlich ganz nett? Wieso musste ich meine spiegelblanke Wohnung vor dem Einbruch des Lustigen schützen? Sollte ich als Therapie eine Karnevalssitzung ansehen? Nein, das war wirklich zu grausam. Außerdem war der Fasching ohnehin fast vorbei, und was war so schlimm daran, wenn man ihn nicht mochte? Andererseits, am Freitag hatte ich doch auch meinen Spaß gehabt. Es lag offenbar nicht an den Narren um mich herum, sondern an meiner allgemeinen Unzufriedenheit, aber deren Ursache hatte ich noch nicht herausgefunden. Hormonell bedingt war sie jedenfalls nicht. Lag es daran, dass ich mich so ungeliebt fühlte? Damit war ich bis jetzt doch auch gut zurechtgekommen, wieso fing ich jetzt an zu spinnen?

Vielleicht tickte meine biologische Uhr, von der man ja in jedem Thirtysomethings-Roman las? Wollte ich ein Kind? Nicht unbedingt. Ich hatte den halben Tag Kinder um mich, und sie waren wirklich nett, aber nachmittags genoss ich dann doch die Ruhe. Wollte ich hier auch noch schrilles Gekreisch? Das ist unfair, gemein, der hat doch angefangen! Das war ich nicht! Die anderen müssen nie so früh ins Bett! Wirklich nicht... Ach, wahrscheinlich hatte ich nur das Winterwetter satt.

Am Mittwoch war ich weiterhin unruhig und überlegte, was ich eigentlich wollte - Silkes Leben schon mal nicht, das war mir zu anstrengend. Das Modell Meike erst recht nicht, da störte vor allem Robbi. Und gleich drei Kinder? In der kleinen Wohnung? Marianne hatte es nicht schlecht – toller Job und jemanden zum Händchenhalten, sicher nicht nur dafür... Man müsste die beiden beobachten, um herauszufinden, ob dieser Entwurf sich lohnte. Ich strich den Rest des Aschermittwochs ziellos durch die Wohnung, nachdem ich die neu gekauften Schuhe eingelassen und weggepackt hatte. Immer noch war ich unzufrieden. Ich brauchte offensichtlich mehr Arbeit, um mich von diesen albernen Gedanken abzulenken.

Gab es in der Schule brauchbare Männer? Mal sehen:

Holger – ein lieber Teddybär, außerdem offensichtlich in Katja verliebt. Und absolut nicht mein Typ - zu blond, zu muskelbepackt, zu sportlich.

Holzner – dann lieber ins Kloster.

Brandes – zu alt wahrscheinlich, zu zickig, zu schlampig und als Vorgesetzter zu anspruchsvoll.

Grosser – dumm und eingebildet.

Wagner – ganz niedlich, aber mit einem Referendar, den ich obendrein zu beurteilen hatte, konnte ich schlecht etwas anfangen. Außerdem zu jung.

Moor – frisch verheiratet und ansonsten nur an Autos interessiert. Nö.

Die anderen waren mir alle zu alt, schon fast fünfzig oder noch älter. Der netteste war Freiberger, aber der ging zum Ende des Schuljahrs in den Ruhestand. Außerdem – nett hieß nicht, dass er mir als Mann gefiel. Alles nichts!

In der Kollegstufe gab es ganz putzige Kerlchen, aber das verbot sich natürlich von selbst. Nein, in der Schule würde ich nicht fündig. Ich bräuchte einen größeren Bekanntenkreis, da fände sich dann vielleicht eher etwas.

Dabei hatte ich nicht einmal zu Ende überlegt, ob ich überhaupt einen Kerl wollte!

Ein anstrengender Sommer

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