Читать книгу Ein anstrengender Sommer - Elisa Scheer - Страница 7

SECHS

Оглавление

Am Samstag schlüpfte ich ungeduscht sofort nach dem Aufstehen in Putzklamotten und schritt zur Tat - ich hatte noch eine Menge zu tun! Ich setzte die Früchte für die Bowle an, korrigierte zwei Deutschklausuren, polierte alle meine Gläser, korrigierte zwei Deutschklausuren, arrangierte die Sitzgruppe hübscher – und wieder zwei Deutschklausuren - , räumte mein Arbeitszimmer auf und korrigierte nur noch eine Klausur. Dann duschte ich doch einmal und korrigierte wieder eine Klausur. Schon acht Stück geschafft, damit fehlten mir nur noch vier... Halb elf. Ich zögerte kurz, dann griff ich nach Autoschlüssel und Geld und fuhr doch rasch zum Baumarkt. Mit einem runden Tisch und zwei bequemen Balkonsesseln mit blau-weiß karierten Polstern kam ich zurück und arrangierte den Balkon zu meiner Zufriedenheit. Schon wieder ein Projekt vorweggenommen! Egal...

Jetzt wieder eine Klausur. Halb zwei... Über mir rauschte es. Ach, waren die nun auch aufgestanden.

Ich suchte meine Servierplatten und Teller heraus und steckte alles noch einmal in die Spülmaschine. Noch eine Klausur – ach, die nächste auch gleich, Rolf schrieb ohnehin immer so wenig. Dürftig, dürftig, zwei oder drei Punkte vielleicht, schade. Jetzt fehlte nur noch eine. Kurz vor drei... Hatte ich eigentlich genug Teelöffelchen für die Bowle?

Hatte ich. Ich bestrich aufgetauten Blätterteig mit einer Mischung aus Ei, geriebenem Gouda und Gewürzen und schnitt ihn dann in kleine Quadrate. Ab in den Ofen... dazu den Alessikorb, den ich mir in einem Anfall geistiger Umnachtung einmal geleistet hatte. Servietten bereitlegen...

Das kalte Huhn von gestern musste ich noch entbeinen und kleinhacken. Mit Reis, Ananas und einer Currymayonnaise ergab das einen feinen Salat. Kaltstellen. Wieder eine Klausur, hoffentlich ohne Fettflecke. Hurra, die letzte! Nun fehlten nur noch die Beurteilungen, die konnte ich morgen schreiben.

Kurz nach vier. Ich begann mit den Canapés. Erst einmal helles Baguette mit Sahnemeerrettich und geräucherter Forelle. Und kalt stellen. Doch ein paar Beurteilungen? Nein, sonst war ich nachher nicht rechtzeitig fertig. Vollkornbaguette mit Aioli, Ei und Kräutern. Ciabatta mit Tomate und Mozzarella. Zehnkornstange mit Butter, Knoblauchschinken und Gürkchen. Dinkelbrot mit Butter, Emmentaler und Walnüssen. Das Ganze mit Trauben garniert. In diversen Schüsselchen Oliven (die guten, mit der Mandel drin), Tortilla-Chips, Macadamia-Nüsse und weiterer Knabberkram. Hoffentlich hatten die auch alle Hunger! Silke fraß wie eine neunköpfige Raupe, das wusste ich; ihr Lebenswandel verbrauchte wohl so viel Energie. Ich stellte noch unauffällig ein, zwei Vasen bereit; man wusste ja nie, wer mit toten Pflanzen ankam. Gegen Viertel vor sechs war alles fertig, sogar die CDs hatte ich abgestaubt und schon eine eingelegt, die hoffentlich allen gefiel – mit den schönsten Filmsongs. Ich zog mich rasch um, kämmte meine wilden Locken und parfümierte mich ein bisschen. Da, es klingelte schon!

Robert Zöllner, und tatsächlich mit Blumen, ein kleines Primeltöpfchen. Gut, so lebten die Blumen wenigstens noch. Ich stellte sie gleich auf den Couchtisch zwischen alles andere. Bevor wir mühsam Konversation machen mussten, klingelte es wieder.

Silke, sprudelnd vor guter Laune, mit einer Flasche Champagner.

„Aus der Redaktion geklaut, denk dir nichts.“ Sie küsste mich auf die Wange.

„Äh, Silke, jetzt hab ich wieder Lippenstift auf der Backe...“

„Nö, der ist kussecht.“

Ich sah in den Spiegel. Von wegen! Ich schrubbte die Farbe wieder ab. Typisch Silke! Immerhin hatte sie diesen Robert schon in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Ich stellte ihr schnell einen Aschenbecher hin, bevor ich die Tür wieder öffnete.

Susanne von nebenan.

Auch hier gab´s ein Bussi – aber sie trug keinen Lippenstift. Dafür hatte sie auch eine Flasche Sekt dabei. Langsam reichte es für einen Vollrausch für jeden... Ich goss die Bowle fertig auf und Susanne öffnete die Tür, als auch noch Marianne und Harald kamen. Marianne überreichte mir ein verpacktes Töpfchen. „Für deinen Balkon, aber erst nach den Eisheiligen!“

Ich wickelte es aus. Ein kleiner Heliotrop, sehr gut! „Mhm, wie der duftet – nach Vanille... vielen Dank, bis Mai werde ich ihn hier drinnen hochpäppeln. Setzt euch, bitte!“

Ich schenkte Bowle ein und tippte im Vorbeigehen rasch auf die Playtaste, dann brachte ich das Essen herein. Es fand großen Anklang, und nicht nur Silke, die sich mit Robert ausgezeichnet verstand, futterte hemmungslos.

Wir aßen, tranken und stritten - schon wieder über Filme, wie gestern im Charlie´s.

„Gestern war ich übrigens nach diesem Schulkonzert noch mit einigen Kollegen im Charlie´s“, berichtete ich dann. „Da hab ich einen ganz wunderbaren Cocktail getrunken, den kannte ich noch gar nicht.“

Susanne, Marianne und Harald richteten sich kerzengerade auf. Was war jetzt los? „Wie hieß er denn?“

Success, glaube ich.“

„Ha!“ rief Susanne triumphierend. „Ätsch, ihr beiden!“

Marianne und Harald fluchten tonlos vor sich hin, mussten dann aber doch lachen. Ich verstand gar nichts mehr. Als sie mein offenbar recht dummes Gesicht sahen, lachten sie noch mehr. „Erinnerst du dich noch an diese Rum-Werbung im letzten Sommer?“

„Dunkel, ja – warum?“

„Na“, erklärte Marianne, „die war von uns – und die Cocktailrezepte dazu auch. Southern Dream, Melancholia und Success. Im Charlie´s haben wir sie kreiert, deshalb dürfen die die Rezepte verwenden. Success war Susannes Beitrag, obwohl sie schon leicht angeschickert war.“

„Leicht? Ich war sturzbetrunken, sag´s ruhig ehrlich! Und der Name ist auch nicht von mir.“

„Nein, der ist von Marianne. Ich wollte etwas isches, aber das war zu missverständlich“, warf Harald ein.

Marianne kicherte. „Stimmt. Éxito – klingt doch zu zweideutig, was?“

„Ach, weißt du, gestern nach dem dritten war der Name so unpassend nicht mehr!“

„Was haben denn die anderen getrunken?“

„Weiß nicht genau. Brandes hatte etwas Rotes. Es hat ihm geschmeckt, er hatte auch zwei oder drei – aber wie das hieß... Hat nach Vanille geduftet.“

Southern Dream“, stellte Harald fest.

„Tja, Marianne. Du hast verloren. Deinen hat keiner getrunken. Armes Häschen!“ Er küsste sie rasch auf die Nase.

„Phh! Damit kann ich leben.“

„Wir waren zu viert“, fuhr ich fort, „die anderen beiden hatten etwas Bräunliches, das ziemlich bitter duftete, fast wie...“

„Walnüsse?“, fragte Marianne atemlos.

„Ja, genau, Walnüsse. Die beiden haben auch ganz schön gepichelt...“

„Mehr als drei zusammen?“

„Auf jeden Fall!“

Marianne stieß ein Triumphgeheul aus. „Ich hab gewonnen, das war Melancholia – meiner ging am besten! Ätsch! Selber armes Häschen!“ Harald bekam seinen Kuss auf die Nase zurück und lachte.

Silke und Robert tuschelten miteinander und holten sich dann noch ein Glas Bowle. Die Stimmung war sehr angeheitert, und wir sprachen über immer abwegigere Dinge, wer am nächsten Sonntag das Grand-Prix-Rennen gewinnen würde, die schönsten Autos der Welt, welche Filme man unbedingt sehen müsste, die dümmsten Fernsehsendungen – bei Talkshows waren wir uns alle wundervoll einig – und schließlich die furchtbarsten Kleidungsstücke.

„Leggings mit Leopardenmuster“, schlug Susanne vor.

„Weiße Radlerhosen“, widersprach ich sofort, „leicht angeschmuddelt.“

„Hautenge Polyesterhemden mit Siebziger-Jahre-Muster“, fand Harald.

„Plateausohlen zu Miniröcken.“. Das war Mariannes Beitrag.

„Schlaghosen“, fand Silke, „obwohl wir die dauernd promoten müssen, der letzte Schrei, aber so scheußlich...“

„Promoten? Wo arbeitest du?“ Susanne schenkte sich nach.

„Bei Pour elle, leider auch noch in der Moderedaktion. Gut, man kommt rum und es ist total lustig, aber in neunzig Prozent der Klamotten möchte ich nicht tot aufgefunden werden. Bilde ich mir das ein oder wird die Mode immer abwegiger?“

„Was bleibt ihr denn übrig? Alle revivals sind schon durch – und die Neunziger können sie ja schlecht jetzt schon wieder aufleben lassen.“

„Wie wär´s mal mit neuen Ideen?“

„Au ja, der Rock für den Mann! Setzt sich irgendwie nie durch.“

„Ist das nicht ziemlich kalt von unten?“, fragte Robert harmlos und wir kreischten los.

„Kannst ja was drunter ziehen – die schottische Regel gilt da nicht. Obwohl – ein Kilt würde dir super stehen, Robert...“ Silke musterte ihn anerkennend. Er war schon ein recht gut aussehender Mann. Nicht mein Typ, aber vielleicht konnte Silke ihn brauchen, wenn er überhaupt noch verfügbar war. „Für Harald wadenlange anthrazitfarbene Seide, schmal geschnitten“, schlug Marianne verträumt vor.

„Und dazu Stilettos im gleichen Ton“, verlangte ich. Harald sah mich entsetzt an: „Wie kann man in so was laufen?“

„Keine Ahnung“, lachte ich, „ich kann´s auch nicht. Silke, wie läuft man mit High Heels?“

„Muss man üben. Ich trag die auch selten. Mit Stilettos bin ich über eins achtzig groß, das schränkt die Auswahl nur noch weiter ein.“

Es war ein ausgesprochen vergnügter Abend, der fast bis zwei Uhr morgens dauerte. Als Silke ging, verabschiedete Robert sich ebenfalls sofort, und ich war mir ziemlich sicher, dass Silke das Haus in dieser Nacht nicht mehr verlassen würde. Warum sollte sie auch?

Nun hatte ich mehr Kontakte, zog ich Bilanz, als ich aufräumte und das letzte Forellen-Canapé aufaß. Und nett waren sie alle. Dieser Robert machte für Silke einen etwas braven Eindruck, aber vielleicht suchte sie ja gerade so etwas? Die durchgeknallten und gelegentlich sicher auch zugekoksten Typen aus ihrer eigenen Szene waren ihr anscheinend zu hohl und zu anstrengend geworden.

Und was wollte ich? Die, die ich kannte, waren alle wirklich nicht mein Typ, ich stand mehr auf das Dunkle und Romantische. Außerdem waren sie ohnehin alle schon vergeben. Sogar Holger, den ich nur als guten Kumpel wollte, hatte sich in Katja verliebt. Hübsches Paar, die beiden.

Zu haben war noch Neil – aber den kannte ich ja schon. Und dann müsste ich erst seine doofe Seminararbeit tippen. Das war er nun auch wieder nicht wert, wirklich nicht.

So, die Küche sah ziemlich ordentlich aus. Die Spülmaschine würde ich erst morgen laufen lassen, ich wollte weder Robert noch Harald mit dem Gerumpel jetzt noch stören. Ich schichtete noch schnell die CDs wieder ins Regal und fiel dann auch ins Bett. Schöner Abend, wirklich...

Am Sonntag schrieb ich unlustig die vierundzwanzig Beurteilungen unter die Klausuren und verrechnete die Noten im System, füllte den Umschlag aus, packte alles, was ich korrigiert hatte, in die entsprechenden Mappen, bereitete den Unterricht für die Woche vor, schaltete zwischendurch die Spülmaschine ein, aß den Rest Macadamia-Nüsse zu Mittag, bastelte drei neue Arbeitsblätter und sortierte wieder diverse Exen und Schulaufgaben. Abgeben konnte ich nichts, überall fehlten noch einige Arbeiten. Dann plante ich die Woche im Terminkalender durch, räumte die Spülmaschine wieder aus, tanzte ein bisschen im Wohnzimmer, um meine Muskeln zu erhalten, und ging schließlich gemütlich spazieren, ohne besonderes Ziel. Als ich an Silke dachte, wie gut sie sich gestern amüsiert hatte, fiel mir auch Meike wieder ein.

Was machte sie überhaupt? Ich schlenderte in ihre Richtung. Robbis angerosteter Polo – noch älter als meiner – stand nicht vor dem Haus. Waren die vielleicht gar nicht da? Doch, der Summer ertönte.

Als ich im dritten Stock ankam, stand Meike, mit Selina auf dem Arm, in der Tür. „Karen? Ist etwas passiert?“

„Nein, ich wollte nur mal nach dir sehen. Alles okay?“

Sie zuckte die Achseln und drehte sich um, um mir in die Wohnung voran zu gehen. In der Küche setzte sie sich, nachdem sie ein Fläschchen aus dem Wasserbad genommen hatte, und begann Selina zu füttern.

„Aha – abgestillt?“

Sie nickte. „Lohnte sich nicht mehr. Und jetzt muss ich wenigstens nicht mehr mit fleckigen T-Shirts herumlaufen.“

„Du siehst überhaupt besser aus. Und ein paar Pfund sind runter, nicht?“

„Sag bloß, das sieht man?“ Meike freute sich aber doch. Kunststück, wer will mit fünfundzwanzig schon aussehen, als hätte er drei Kinder – selbst wenn es stimmte?

Die Wohnung war auch einigermaßen aufgeräumt – und verdächtig still. „Wo sind denn Vanessa und Oliver?“

„Oliver pennt gerade. Und Vanessa hat ein neues Bilderbuch. Sie sitzt im Wohnzimmer und „liest“ es. Da kommt nämlich ein Pony drin vor.“

„Alles klar, damit ist das Gesprächsthema für die nächsten zehn Jahre vorgegeben. Wieso kann ich kein Pferd haben? Alle anderen...“, nölte ich mit kindlicher Stimme. Meike lachte. „Genau! Silke hatte doch sogar mal Reitstunden, nicht?“

„Ja, bis sie runterfiel und nicht mehr wollte. Hast du nicht zeitweise auch immer im Stall gesteckt?“

„Bloß wegen dem Stallburschen – die Pferde waren mir ziemlich egal, aber dieser Jan – war der süß. Schon fast fünfzehn...“ Sie seufzte gerührt. „Lass mich raten – erster Kuss?“

„Stimmt... Ob Vanessa eines Tages auch mit einem Stallburschen...? Wehe ihr!“

„Sei nicht so spießig. Warum darf sie nicht, was du auch gedurft hast?“

„Mütterliche Unlogik, nehme ich an. Wer weiß, was dieser Jan heute macht, das war ja auch nur so ein Freizeitjob...“

„Wie geht´s denn Robbi so?“

„Wie immer. Arbeitet, kommt heim, isst, meckert ein bisschen herum und verschwindet wieder. Ich glaube, der reagiert sich woanders ab, und es ist mir egal.“

„Wirklich?“

„Nein. Aber was soll ich machen? Ich lass mich doch mit drei kleinen Kindern nicht scheiden, dazu reicht auch Robbis Gehalt nicht aus. Ich ziehe die Kinder eben so groß und Robbi finanziert uns. Und dann sehe ich weiter. Vielleicht wird´s ja auch mal wieder besser. Aber noch ein Kind – nö, wirklich nicht.“

„Immerhin scheinst du alles wieder einigermaßen im Griff zu haben. Wie gefällt es Vanessa im Kindergarten?“

„Super! Sie erzählt ununterbrochen davon, und Olli ist schon ganz neidisch. Sobald er richtig sauber ist, darf er auch. Und das ist ein stinknormaler Kindergarten, nicht so einer, wo die Mütter umschichtig Vollwertkost kochen. Richtig mit Pausentäschchen, wie bei uns früher. Einen Garten haben die auch.“

„Dann geht´s ja endlich aufwärts - finde ich prima!“

Ich stand auf und küsste sie flüchtig, dann tippte ich Selina aufs Näschen.

„Ciao, kleine Nichte. Ich pack´s wieder, mein Schreibtisch ruft...“

Damit war mein Kontrolldrang gestillt. Alles im grünen Bereich! Wo sich Silke herumtrieb, wusste ich zwar nicht, überlegte ich mir auf dem Heimweg, aber die kam gut selbst zurecht.

Das Wetter wurde auch langsam besser, fast schon österlich. Und an Ostern schneite es dann wahrscheinlich mal wieder.

Vor unserem Haus stand Silkes Wagen, aber sie saß nicht vor meiner Wohnung auf der Treppe. War sie schon wieder oder immer noch bei Robert? Schade, dass ich vorhin nicht darauf geachtet hatte. Neugierig war ich ja schon... Na, sie würde schon bei mir klingeln, wenn sie etwas erzählen wollte.

So vergnügt und zufrieden wie an diesem Wochenende war ich schon lange nicht mehr gewesen. Und trotzdem freute ich mich schon wieder auf die Schulwoche. Außerdem war mir ein faszinierendes Arbeitsblatt zum Ende der Weimarer Republik eingefallen, für meine 9 a. Ich setzte es mit dem Zeichenprogramm um, druckte, tütete es ein und bastelte eine Lösung dazu – sogar leserlich. Extra für Brandes! Grün vor Neid sollte er werden. Obwohl, seine Blätter waren auch nicht übel, etwas fade im Layout vielleicht.

Ich lungerte in der ersten Stunde am Montag im Lehrerzimmer herum, weil ich Präsenzdienst hatte, aber nicht benötigt wurde.

Außer mir war noch niemand da, also konnte ich in Ruhe kopieren und meinen Kram verteilen. In der vierten Stunde, nach der Pause, lauerte ich darauf, was Brandes sagen würde.

Ich kopierte ihm ein Deutsch-Arbeitsblatt und klebte ein Zettelchen daran: Besteht daran auch Interesse?, dann warf ich es in sein Fach. Mal sehen, wie die Reaktion darauf ausfiel! Danach verzog ich mich erst einmal ins Deli gegenüber, um mir eine Käsesemmel zu kaufen.

Als ich zurückkam, räumte Brandes gerade sein Fach aus. Er grinste mir frech zu und wedelte mit dem Deutschblatt. „Danke!“ Seinem taxierenden Blick zufolge wollte er Konversation machen, aber es schien ihm nichts einzufallen. Ich wartete gelassen ab und aß meine Käsesemmel auf, aber es kam nichts und ich verlor die Geduld.

„Tja... ich muss noch was vorbereiten.“.

„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten.“

War er jetzt eingeschnappt? Wenn schon! Holzner ließ sich nicht sehen. Was könnte man ihm bei Gelegenheit antun?

Ich setzte mich auf meinen Platz und schlug noch einige Daten für den Grundkurs und die 11 c nach, und als ich um Viertel vor drei fertig war, verzog ich mich sofort. Kaum war ich durch die Seitentür nach draußen getreten, sah ich eine nur allzu bekannte Gestalt vor der Schule stehen.

„Neil? Was machst du denn hier?“

Neil drehte sich um und strahlte mich an. Misstrauisch trat ich einen Schritt zurück. Was wollte er denn jetzt wieder, der alte Schnorrer?

„Karen, Schatz! Ich habe auf dich gewartet!“

„Das habe ich mir fast gedacht – aber um Himmels Willen, warum denn?“

„Ach Karen, sei doch nicht so kiebig! Schau, wir hatten es doch immer schön miteinander…“

„Geht so“, antwortete ich mürrisch. „Außerdem ist das Jahre her. Fast schon ein Jahrzehnt. Was soll ich jetzt wieder für dich tun? Ach, bringen wir´s hinter uns: Die Antwort ist NEIN.“

Er schaute mich verletzt an. Bevor ich ihn mit rüden Worten vom Schulgelände verweisen konnte, kam Holzner um die Ecke, musterte Neil mit seinen etwas zu langen Haaren und den löchrigen Jeans, warf mir dann einen verächtlichen Blick zu und enteilte zum Parkplatz.

„Du mich auch“, murrte ich ihm nach. Blöder Hund.

„Bitte?“

Ich winkte ab.

„Was ist an Nein so schwer zu verstehen? Ich tippe nichts für dich. Mach deinen Krempel endlich mal selber oder such dir eine Dumme, die dich noch nicht kennt. Vielleicht fällt die auf deinen Schmus noch rein. Und jetzt hau ab.“

Ich wandte mich ab, aber Neil packte mich am Ellbogen und riss mich zu sich her, so dass ich gegen ihn prallte.

„Spinnst du?“, fauchte ich ihn an und sah aus dem Augenwinkel Brandes herankommen. „Wenn du mich nicht sofort loslässt, knallt es, aber ordentlich!“

Er grinste – hielt er das für verführerisch? „Aber Karen, Süße, du würdest mir doch nichts tun!“

„Nein?“

Ich zog das Knie hoch. Nicht mal besonders kraftvoll, aber er ließ mich sofort los und krümmte sich theatralisch, laut jammernd.

„Ich hatte dich gewarnt“, kommentierte ich mitleidlos. „Und jetzt verzieh dich!“

Brandes war in Hörweite stehen geblieben.

„Ich wollte dich doch nur fragen“, ächzte er und hielt sich seine edelsten Teile, als hätte ich ihn kastriert, „ob du mir dein Auto -“

„Nein“, antwortete ich und ließ ihn stehen.

Brandes eilte mir nach. „Was war das denn?“

Eigentlich ging es ihn einen feuchten Kehricht an, aber bitte!

„Das war ein früherer Bekannter, der mich immerzu anzuschnorren versucht. Um der angeblich schönen alten Zeiten willen. Mit höflichen Mitteln ist er nicht loszuwerden, und wenn mich einer so anpackt, kann ich schon etwas sauer werden.“

Er musterte mich stirnrunzelnd. „Na, immerhin wissen Sie sich zu wehren!“

Ich gab seinen Blick streng zurück. „Ganz genau!“

Zu Hause ärgerte ich mich noch kurz über Neil, dann bastelte ich die Angaben für die beiden Deutsch-Schulaufgaben, entwarf noch einige Exen, etwa für die 6 d und die 9 a in Geschichte, rechnete die Noten der Kollegstufe endgültig aus, da sie am Freitag abgegeben werden mussten, sortierte mehrere Stapel Rücklaufzettel von Elternrundschreiben, packte meine Tasche für den nächsten Tag und grinste still vor mich hin. Brandes sollte im Papier ersticken!

Abends rief Silke an. Wie ich Robert fände?

„Ich kenn ihn doch kaum, da hast ihn ja sofort mit Beschlag belegt. Erzähl mal, wie war´s denn?“

„War gar nichts. Wir haben nur geredet...“

„Ach was! Die ganze Nacht? Was ist denn mit dir los?“

„Warum? Ich unterhalte mich gerne mal auch vorher mit einem Mann. Hinterher kommt man ja nicht mehr dazu.“

„Auch wieder wahr... Habt ihr was ausgemacht?“

„Ja, morgen. Wir gehen ins Theater und dann essen.“

„Was macht der eigentlich beruflich?“

„Irgendwas bei einer Bank. Mehr weiß ich auch noch nicht. Eine süße Katze hat er, ganz schwarz, mit einem weißen Fleck auf der Stirn.“

„Du wirst rapide jünger. Eben hast du geklungen wie maximal elf. Ist das die Liebe?“

„Liebe? Weiß nicht. Warten wir´s ab.“

Dienstag und Mittwoch gelang es mir tatsächlich, Brandes aus dem Weg zu gehen. Am Donnerstag sackte ich die Schulaufgabe für Andrea Falkenstein ein, unterrichtete in der 9 a und der 8 b – wo schon bald wieder die nächste Schulaufgabe auf dem Plan stand – und saß dazwischen gemütlich im Lehrerzimmer herum. Schon mal einen Blick in die Charakteristiken werfen... Wenigstens konnte ich sie nach Themen sortieren und alle einmal flüchtig durchblättern, bevor Brandes sich anschlich.

„Und, wie geht´s?“

Ich lächelte boshaft. Hatte er sich den Satz aufgeschrieben, damit er nicht wieder sprachlos war?

„Danke – und selbst?“ Das war meine Lieblingsantwort.

„Gut. Was ist das?“

„Literarische Charakteristik, 10 b. Für Frau Dr. Falkenstein.“

„Ach ja – da hängt übrigens eine Anzeige am schwarzen Brett.“

„Ui, wo?“ Ich rannte sofort hin.

Ein Familienfoto. Andrea Falkenstein, zwei Kleinkinder auf dem Schoß – der kleine Junge lutschte hingebungsvoll am Daumen - daneben ein traumhaft schöner Mann mit dem Neugeborenen im Arm, den anderen Arm um seine Frau gelegt. Darunter Dankesworte für die Glückwünsche der Schulleitung zur Geburt der kleinen Marianne.

„Was für ein Idyll...“ murmelte ich ganz verträumt vor mich hin.

Brandes war mir anscheinend gefolgt und brummte etwas Unverständliches, das irgendwie skeptisch klang.

„Und ein wirklich schöner Mann“, fügte ich noch spitz hinzu. Bevor Brandes darauf antworten konnte, gesellte sich Linda zu uns und brach vor dem Familienfoto in schrille Entzückensrufe aus. Als sie zum zehnten Mal „Süß!“ sagte, reichte es mir und ich verzog mich zurück an meine Arbeit.

Linda nervte. Ihre biologische Uhr musste schon sehr laut ticken, denn sie war so deutlich auf der Suche nach jemandem, irgendjemandem, der ihr ein Kind machen könnte, dass es zwar amüsant zu beobachten, aber andererseits auch wieder schwer zu ertragen war.

Dabei war sie erst Ende dreißig, hatte also bestimmt noch fünf Jahre vor sich – und hässlich war sie auch nicht. Warum suchte sie in diesem Kollegium nach einem Opfer? Sollten wir ihr mal eine nette Singlebar vorschlagen? Sie redete hektisch auf Brandes ein, der aber bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht ergriff. Das wäre ja der allergrößte Witz!

Ich begann mit den Korrekturen und schaffte wenigstens zwei Arbeiten, bis es Zeit wurde, in die letzte Stunde zu gehen. Zu Hause überlegte ich, ob Brandes nicht tatsächlich Lindas Problem lösen könnte. Nein, er machte nicht den Eindruck, als wolle er als Deckhengst missbraucht werden. Alberne Vorstellung! Ich korrigierte fieberhaft an der Schulaufgabe weiter, weil ich ja morgen noch eine zu schreiben hatte und in den Osterferien nicht diese blöden Stapel auf dem Schreibtisch haben wollte, die dauernd riefen Lies mich! Korrigier mich! Benote mich! Sortier mich!

Zwischendurch stellte ich die Themenlisten für das Colloquium zusammen und suchte die Begleitlektüren heraus, die ich noch für die Bibliothek kopieren musste. Als mir gegen halb zwölf der Rotstift aus der Hand fiel, hatte ich immerhin schon siebzehn von neunundzwanzig Schulaufgaben korrigiert – aber schon wieder nichts gegessen. Na, jetzt war´s auch zu spät.

Freitags tauchte ich schon vor Tau und Tag – ziemlich müde – in der Schule auf, um in Ruhe die Buchauszüge zu kopieren und das Material für die Schulaufgabe zusammenzusuchen. Gut, dass ich Aufsichten organisiert hatte!

Ich gab den Colloquiumskram im Sekretariat ab und brach dann zur 11 c auf, um die Schulaufgabe zu schreiben. Das Langweiligste überhaupt war das Aufsichtführen; ich wanderte herum und sah zu, wie die Schüler ihre Gedichte mit viel zu viel Textmarker bemalten. So würden sie das Wesentliche bestimmt nicht mehr erkennen... Immerhin hatten nicht alle das gleiche Gedicht gewählt, dann war die Korrektur abwechslungsreicher.

Am Ende der großen Pause tauchte ich wieder in der 11 c auf und sammelte ein. Wieder etwas geschafft; nur noch drei Stunden, und dann war Wochenende. Danach schnappte ich mir noch schnell meine Jacke, rief Bettina zu „Ich ruf dich an“ und rannte zum Parkplatz. Auf dem Parkplatz stand Brandes herum. Ich winkte ihm zu und gab Gas. Schnell in den Supermarkt und dann aber ab zu den Schulaufgaben! Ich schob rasch etwas in die Mikrowelle und schlang es herunter, während ich die Tasche auspackte. Heute war wieder schneller Wechsel angesagt. Mit Korrigieren und Haushalt verging der Freitag im Nu – um halb zwei Uhr morgens fiel ich ins Bett, aber der Gedanke an die Schulaufgabe trieb mich am Samstag auch schon vor Tau und Tag aus dem Bett, schließlich lag die neue Schulaufgabe ja noch ganz unbearbeitet herum.

Na gut, erst einmal konnte ich ja die Schulaufgaben nach Themen sortieren, einen Korrekturbogen anlegen, ein Löschblatt herauskramen und dann schön baden...

Nach dem Bad, in bequeme Wochenendklamotten gehüllt – zu weite Jeans, die dauernd rutschten, und ein Sweatshirt mit ausgeleierten Bündchen – nahm ich mir wenigstens die erste Schulaufgabe vor. Ach nein, erst einmal sollte ich alle zum ersten Thema kurz durchlesen... Oder mir die Augenbrauen zupfen?

Weder noch - ich brauchte neue Gummizugmappen! Die schönen grau marmorierten, die es im Copyshop in der Katharinenstraße gab. Das würde ich zuerst machen und dann immer, wenn ich ein, zwei Aufsätze geschafft hatte, eine der neuen Mappen ordentlich beschriften und füllen. Und danach die zerfledderten alten wegwerfen.

Im Copyshop war es mal wieder rappelvoll; hier waren die Kopien eben am günstigsten und der Kopierservice war der beste. Ich stand geduldig in der Kassenschlange, bis ich meine Mappen kaufen konnte, und kämpfte mich dann wieder auf die Straße, wo ich prompt mit einem recht niedlichen Kerl mit Löckchen und runder Brille zusammenstieß. „Sorry, aber da drin geht´s zu wie im Ausverkauf“, entschuldigte ich mich.

Er lächelte mit Grübchen. „Macht doch nichts. Der Laden ist nicht umsonst so beliebt.“

Als ich wieder am Schreibtisch saß, las ich wirklich erst einmal alle zum ersten Thema durch, seufzte tief und zupfte mir wirklich sorgfältig die Augenbrauen. Dann ging ich unlustig an die Arbeit.

So hangelte ich mich bis zum späten Nachmittag durch, korrigierte immerhin neun der siebenundzwanzig Aufsätze, pflegte mich und bereitete alle Stunden in Italienisch und Geschichte vor. Dann begannen meine Gedanken wieder abzuschweifen. Was trieb Silke wohl so? Ich griff zum Telefon.

„Na, wie läuft´s so?“

Silke kicherte. „Langsam, aber sicher. Dieser Robert ist ein bisschen bieder, aber sehr süß. Und er küsst phantastisch. Mehr weiß ich noch nicht.“

„Immerhin. Und, hat er die erholsame Wirkung, die du dir erhofft hast?“

„Ich denke schon. Und, hast du was Neues von der Kerlefront zu berichten?“

„Nichts. Ich arbeite noch langsamer als dein Robert. Und dazu hab ich noch nicht mal ein konkretes Objekt im Auge.“

Ich seufzte und Silke bedauerte mich.

Gut, dann sollte ich vielleicht noch etwas korrigieren… Nr. 10. Danach meine Deutschstunden – prima, die letzte Woche vor den Osterferien! Nr. 11. Schreibtisch aufräumen. Nr. 12 – das Telefon läutete.

Meike, die ein bisschen quatschen wollte. Auch gut, mir war alles recht, was mich von dieser dämlichen Schulaufgabe ablenkte. Überhaupt, für heute reichte es! Ich legte ein Video ein und lümmelte mich gemütlich auf die Couch. Video... damit müsste sich doch für Holzner etwas Nettes arrangieren lassen? Ich musste unbedingt am Montag mal Holger und Bettina zu Rate ziehen.

Am Sonntag büßte ich für die samstägliche Faulheit.

Nr. 12/den Rest. Und schon wieder hatte ich keine Lust mehr! Womit könnte ich mich zwischen den einzelnen Arbeiten belohnen? Nr. 13. Den Rest der Wäsche bügeln. Nr. 14. Hatte ich da eben nicht eine Menge Fehler übersehen? Nr. 14 noch einmal! Nr. 15. Das Schlafzimmer richtig perfekt aufräumen. Nr. 16. Die letzten Videos ordentlich beschriften. Nr. 17. Etwas kochen. Nr. 18. Essen. Naja, so toll war die Packerlsuppe nicht gewesen. Nr. 19 Die herumliegenden Zettel abheften. Nr. 20 Die Tasche für Montag fertig packen. Nr. 21. Was war denn das für ein Blödsinn? Völlige Fehldeutung des Gedichts, sachliche Fehler, holpriger Satzbau – und eine sehr eigenwillige Rechtschreibung. Mangelhaft, eindeutig. Nr. 22. Ich könnte mal ein Peeling vertragen, im Gesicht. Nr. 23. Hatte ich da nicht noch eine Feuchtigkeitsmaske, so eine Probe? Wo war die denn? Ich wühlte im Badezimmerschränkchen herum. Und wer sagte eigentlich, dass ich diese Schulaufgabe heute fertig korrigieren musste? Es war ohnehin schon wieder dunkel. Halb acht... Für heute reichte es wirklich!

Ein anstrengender Sommer

Подняться наверх