Читать книгу Das große Aufräumen - Elisa Scheer - Страница 3
Dienstag, 08.11.2011
ОглавлениеWenigstens war sie einigermaßen rechtzeitig aufgestanden, lobte sie sich selbst am nächsten Morgen. Sie konnte duschen, die zweite Aufgabe fertig korrigieren, zwei Tüten voller Müll stopfen – sie hätte sogar frühstücken können, wenn etwas Verlockendes im Haus gewesen wäre.
Und sie hatte daran gedacht, sich im richtigen Moment auf die Waage zu stellen. Das allerdings hatte ihr die Laune gleich wieder verdorben: Achtundachtzig Kilo – bei 1.76! Eindeutig zu viel. Aber das hätte sie sich auch so denken können, wenn sie an ihre kneifenden Klamotten dachte.
Was dürfte sie denn wiegen, überlegte sie, während sie die richtigen Mappen und Bücher in ihre Tasche packte. Halt, Geld und Schulschlüssel auch. Und Handy.
Maximaler BMI 25, mal 1.76 zum Quadrat… 77,44 - auch ganz schön viel. Und mit 20? 61,95. Ja, das hörte sich schon besser an. Puh, Sechsundzwanzig Kilo Übergewicht! Heftig.
Nichts mehr essen. Aber dann gab es den Jo-Jo-Effekt. Diäten klappten ja doch nie. Wie machten das diese perfekten Weiber – Wintrich, Suttner, Herzberger? Die hatten alle Modelmaße, aber magersüchtig sahen sie auch nicht aus. Sie musste mal beobachten, was die so futterten.
Sie schulterte ihre Tasche, packte die beiden Mülltüten und den Schlüssel und verließ die Wohnung. Im Hof entsorgte sie die Tüten und trabte dann zur Schule. Zehn Minuten, das war eigentlich ideal. Nah genug für kurze Wege – aber weit genug entfernt, dass keine Schüler in der Nachbarschaft wohnten. Das lag wohl einfach an der Gegend – typisch für Studenten und vielleicht noch Berufsanfänger, aber wer Kinder bekam und es sich leisten konnte, zog hinaus nach Leiching, Mönchberg oder Zolling, wer sich nichts leisten konnte, versuchte es mit Selling, wo es mehr Grün gab und größere Wohnungen, wenn dort auch eine fast schon beklemmende Fünfziger-Jahre-Atmosphäre herrschte, wie sie gehört hatte. Irgendwann musste sie sich die Gegend dort mal anschauen. Irgendwann, ja.
In den nächsten Sommerferien?
Dann kam sie vielleicht mal zum Verschnaufen.
Jedenfalls war die Maria-del-Pilar-Straße zwar nicht besonders schön, aber ruhig. Die Häuser waren meist brutal sanierte Altbauten mit einteiligen Fenstern, scheußlichen Haustüren und von Stuck befreiten Fassaden, die früher einmal riesigen Hinterhöfe wiesen jetzt meist ein Hinterhaus auf wie das, in dem sie wohnte – in den Achtzigern neu in den Hof gepflanzt. Nachverdichtung nannte man das wohl. Immerhin hatte man in dieser Zeit die meisten Vorderhäuser wenigstens mal frisch gestrichen – quietschbunt. Das Vorderhaus von Nummer 7 war himbeerrosa, das Nebenhaus pistaziengrün. Wie ein Eisbecher.
Zitronengelb, vanillebeige – Straßenkreuzung.
Der Gedanke an Eis ließ ihren Magen knurren und erinnerte sie daran, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte. Also betrat sie an der übernächsten Ecke den Bäckerladen und kaufte sich zwei Croissants, eine Käsebreze und ein kleines Cola. Das musste bis vier eben reichen.
Na, und wenn nicht, musste sie halt schauen, was es in der Mensa gab. Wozu hatte sie in der 7. und 8. Stunde denn frei? Sie reihte sich, in der Schule angekommen, in die Schlange vor dem Kopierer ein.
Mist, der Text fürs Seminar hatte einen großen Fettfleck von der Käsebrezentüte – hoffentlich sah man das auf den Kopien nicht so deutlich!
Bevor sie an der Reihe war, kam die Suttner ins Lehrerzimmer, hängte etwas an das Brett für die Oberstufe, erinnerte die Dubois daran, dass sie für den Französisch-Konversationskurs noch eine Lehrplanskizze abgeben musste, und registrierte dann Majas Anwesenheit.
„Ah, guten Morgen, Frau Körner. Alles klar?“
„Ja, danke – warum?“, entgegnete Maja vorsichtig.
„Ich hab einen Anschlag auf Sie vor“, bekannte die Suttner. Maja legte misstrauisch den Kopf schief.
„Heute ist die Geschichte/Sozialkundeklausur für die Q 12. Mir ist für die vierte Stunde eine Aufsicht ausgefallen – könnten Sie? Nur aufpassen, am Ende einsammeln und Geschichte der Frau Herzberger ins Fach legen und Sozialkunde dem Herrn Hemmerle.“
Maja nickte. „Lässt sich wohl nicht vermeiden.“
Die Suttner lächelte. „Vielen Dank! Frau Merz, könnten Sie bitte auch, in der Dritten? Herr Hemmerle hat ja auch selbst einen Kurs in Geschichte und Sozialkunde und ist heute ebenfalls krank.“
„Muss das ausgerechnet ich sein?“, maulte die Merz.
„Ich habe keine große Auswahl“, entgegnete die Suttner nicht ohne Schärfe. „Alle anderen haben entweder Unterricht, sind schon als Vertretungen verplant oder hätten dann sieben Stunden ohne Pause. Das ist eine Zumutung.“
„Ich hab heute auch schon drei Stunden und wollte in der Dritten was besorgen“, murrte die Merz. „Krieg ich das wenigstens bezahlt?“
Maja staunte über diese Frechheit.
„Natürlich nicht. Frau Merz, ich habe die Zustimmung des Vertretungsplaners und Sie waren in diesem Schuljahr noch nie als Vertretung eingesetzt. Also weise ich Sie an, diese Aufsicht wahrzunehmen.“
„Und wenn nicht?“
Die Suttner, die schon gehen wollte, fuhr herum. „Das würde ich Ihnen nicht empfehlen – Sie möchten doch eines Tages auf Lebenszeit verbeamtet werden, oder? Arbeitsverweigerung macht sich da ganz, ganz schlecht.“
Als die Suttner gegangen war, murrte die Merz immer noch herum und ging allen damit auf die Nerven.
„Mein Gott, sei froh, dass du nicht der Hemmerle bist!“, fuhr die Herzberger sie schließlich vom Ende der Schlange her an. „Der hat nachher vier Sätze Klausuren zu korrigieren. Und ich übrigens auch. Scheiß-Sozialkunde. Frau Körner, vielen Dank. Ich räume gleich mein Fach leer, damit Sie nachher mit meinem Packen keine Probleme haben.“
Maja lächelte ihr verlegen zu und klappte den Deckel des Kopierers auf. Der Fettfleck war grausam deutlich zu sehen, und die Herzberger schnupperte amüsiert. „Hm, riecht nahrhaft. Käsebreze vom Bäcker Bemmel, vermute ich.“
„Woher wissen Sie das?“ Maja war verblüfft.
„Der hat die besten. Kleiner Tipp: Brotzeit in eine Plastiktüte packen.“
„Katja, du bist ein Ökoschwein!“, rief jemand von hinten.
„Na, Jute hilft da nichts. Meinetwegen so eine Nylontragetasche aus dem Drogeriemarkt. Noch besser ist eine Brotzeitbox mit was selbst Geschmiertem. Der Bemmel hat zwar leckere Sachen, aber es hieß mal, er nimmt Analogkäse.“
„Iih, echt jetzt?“, war die Merz sofort abgelenkt.
„Keine Ahnung. Ein Gerücht eben.“ Maja kopierte fertig, stellte fest, dass der Fettfleck nur schwach sichtbar war und als Kopierfehler durchgehen konnte, und verzog sich mit ihrem Kram an ihren Platz. Zuerst Mathe 10 und Mathe 7. Die anderen Mappen stapelte sie auf ihrem Platz auf, die brauchte sie ja erst später.
Die Wintrich saß an dem Platz, den sie manchmal okkupierte, obwohl sie ein eigenes Büro nebenan besaß, und schrieb in ihr affiges Zeitplanbuch. Also, wer so etwas schon brauchte… konnte die sich nichts merken?
Die Merz setzte sich neben Maja. „Ich finde es total gemein, dass ich diese Aufsicht machen muss“, fing sie wieder an.
„Wer soll´s denn sonst machen?“, fragte Maja.
„Irgendwer anders halt. Mir doch egal.“
Das fand Maja auch nicht gerade sehr sozial. „Wer anders kann aber offenbar nicht. Hast du doch gehört.“
„Wieso schreiben die überhaupt so lange?“
„Weil es zwei getrennte Klausuren sind, die laut KM aber gleichzeitig stattfinden müssen. So kommen da neunzig Minuten zusammen“, erläuterte die Wintrich quer über die lange Tafel hinweg. „In der vierten Stunde sind im Allgemeinen die Lehrer eingesetzt, denen da der reguläre Q 12-Unterricht entfällt, in der dritten brauchen wir nur Aufsichten, wenn der reguläre Geschichtslehrer flachfällt. Wie eben bei Ihnen, Frau Merz.“
Die brummelte, unüberzeugt. Maja konnte sie einerseits verstehen, denn Claudia war auch so eine Chaotin wie sie selbst – kreatives Chaos, oder? – andererseits fand sie sie aber doof, denn sie hatte ganz offensichtlich das Hauptbestreben, so wenig wie möglich zu arbeiten.
Die Wintrich warf Claudia einen misstrauischen Blick zu – verdächtigte sie sie, dann eben krank zu werden, um die Aufsicht nicht machen zu müssen?
„Ich kenn die doch gar nicht!“, jammerte Claudia jetzt.
„Ist doch egal“, fand Maja. „Wozu musst du sie kennen? Wenn du einen Spickfratz beim Namen nennen willst, guckst du halt, was er auf sein Blatt geschrieben hat. Oder gehst hin und fragst, ob er sofort abgeben möchte.“
„Wa-as?“
„Stimmt“, sagte die Wintrich. „Ach ja, Frau Körner – haben Sie sich schon Gedanken über den schulinternen Mathetest gemacht? Sie hatten die siebten Klassen übernommen, wenn ich mich recht erinnere?“
Mist.
„Gedanken schon“, log Maja also (hoffentlich einigermaßen überzeugend), „aber ich hab den Schmierzettel zu Hause und jetzt leider gar nichts präsent. Soll ich ihn morgen mal mitbringen?“ Die Wintrich lächelte. So sah sie richtig nett aus, fand Maja plötzlich. „Das wäre toll, danke.“
Ganz klasse, ärgerte sie sich hinterher. Sie musste heute die dämliche Schulaufgabe fertig machen, kam nicht vor halb fünf nach Hause und hatte jetzt noch diesen Test am Bein, über den sie sich dringend „Gedanken machen“ sollte. Wann sollte man in diesem Beruf eigentlich mal schlafen? Oder Wäsche waschen, putzen, sich Regale kaufen, was essen oder Gott behüte einen Krimi lesen? Oder bloß Nachrichten gucken, wie es sich für einen braven Staatsbeamten geziemte?
Harter Abend.
Aber eigentlich hatte sie ja auch noch drei Freistunden – zwei, sieben, acht. Vielleicht ging da ja was. Wenigstens so weit, dass sie den Mist zu Hause bloß noch zu tippen brauchte? Jetzt war aber erst einmal Unterricht angesagt.
Sie betrat das Klassenzimmer so schwungvoll, dass die Schüler sie ganz erschrocken ansahen. „Schreiben wir ein Ex??“
„Was? Nein, wieso?“
„Sie schauen heute so energisch…“
Maja grinste in die Runde. „Tut mir Leid. Aber bestimmt bald mal, versprochen!“
„Och“, machte Tom in der ersten Reihe, „muss eigentlich nicht sein. Machen Sie sich bloß keinen Stress.“
„Für euch tu ich das doch gerne“, gab Maja zurück. „So, und wie sind die Hausaufgaben gelaufen?“
Allgemeines Gejammer und jede Menge blöde Ausreden. Sie notierte sich heute tatsächlich, wer schon wieder nichts gemacht hatte, und besprach dann mit den paar Leuten, die tatsächlich die Nullstellen der Parabeln bestimmt hatten, die Lösungen. Es folgten die Wiederholung von Scheitelform und des Satzes von Viëta. Sie wollte gerade noch auf Funktionen der dritten Potenz eingehen, als es läutete. Also gab sie rasch noch einige Aufgaben zur Scheitelform auf und wünschte einen schönen Tag.
Komisch, dachte sie auf dem Weg ins Lehrerzimmer, heute war es viel besser gelaufen. Warum bloß? War das das Negativbeispiel von Claudia Merz? So ein Jammerlappen wollte sie wirklich nicht sein – überfordert mit drei Stunden!
Vielleicht war´s das wirklich. Das Lächeln der Wintrich konnte ja wohl kaum so eine Wirkung haben, oder?
An ihrem Platz angekommen, schlug sie das Mathebuch der siebten auf und suchte sich die Hauptkapitel aus. Aufgaben dazu waren schnell gefunden, dazu noch ein paar Details zum Grundwissen aus der Sechsten – Prozente und Brüche. Bis es zur kleinen Pause läutete, hatte sie einen ganz praktikablen Entwurf geschafft und war ausgesprochen zufrieden mit sich. Warum war sie nicht immer so effizient?
In der dritten Stunde hatte sie Sprechstunde, aber glücklicherweise kam niemand – sie hatte nämlich die Mappe mit den aktuellen Notenlisten zu Hause vergessen. Das musste auch besser werden!
Immerhin verlief die Klausuraufsicht so reibungslos wie die Stunde im Geo-Kurs der Q 12 – abgesehen davon, dass der Kurs recht geschrumpft wirkte. Maja schrieb sich diejenigen auf, die fehlten: Vermutlich mussten sie sich im Café gegenüber von der G/Sk-Klausur erholen. Ihrem finsteren Blick begegneten die paar Anwesenden mit heiter-ausdruckloser Miene.
So, jetzt wieder zwei Freistunden! Maja wühlte in ihrer Tasche herum, förderte die beiden Croissants zutage, aß sie auf, woraufhin sie ihr wie ein Stein im Magen lagen, und kramte weiter. Ach – ein USB-Stick? Was war denn eigentlich drauf? Nebenan war auch einer der Computerarbeitsplätze frei, also fuhr sie den Rechner hoch und steckte den Stick ein.
Lauter Mist. Und nichts aufgeräumt!
Sie verbrachte eine Viertelstunde damit, einige Ordner einzurichten, die brauchbaren Dateien dahin zu verschieben und den Rest zu löschen, dann tippte sie den Entwurf für den schulinternen Jahrgangsstufentest, las ihn Korrektur, druckte ihn zweimal aus, speicherte ab und loggte sich wieder aus.
Heute war sie richtig gut, fand sie.
Ein Exemplar steckte sie in eine ihrer Mappen (hoffentlich konnte sie sich merken, in welche!), das andere in das Fach der Wintrich. Zu Hause konnte sie ihr das Ding ja auch noch als E-Mail-Anhang schicken. So merkte doch keiner, dass sie überhaupt erst heute damit angefangen hatte?
Jetzt hatte sie immer noch eine Stunde Zeit – was tun? Megacities, fiel ihr ein. Sie lochte die Fettfleckkopien und überlegte dann, was sie noch tun konnte. Vielleicht reichte der Text nicht die ganze Zeit, dann konnten die Seminarleute doch vielleicht im Internet recherchieren. War denn ein Computerraum frei?
Als sie im Hauptraum nachsah, kam ihr Wintrichs Schätzchen entgegen, ein bildschöner Mann, so schön, dass sie ihm mit offenem Mund entgegenstarrte.
„Hallo“, sagte der vergnügt, „ist Luise hier irgendwo?“
„Luise?“, echote Maja dümmlich. „Keine Ahnung, tut mir Leid. Ist sie nicht in ihrem Büro?“
„Ach, ich schau schnell selbst nach, danke.“
Er trat an den großen Stundenplan und Maja ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte man so tölpelhaft sein! Ich hab eine Wassermelone getragen, murmelte sie vor sich hin. „Was?“, fragte die Suttner, die neben ihr aufgetaucht war.
„Ach, nichts“, wehrte Maja unwirsch ab.
„Hi, Christoph!“, wandte sich die Suttner sofort wieder ab. „Luise ist beim Chef, aber sie kommt gleich.“
Lächelnd war er womöglich noch entzückender. Maja sah schnell nach, ob der Computerraum in der zehnten Stunde frei war – er war´s – und verschwand dann wieder im Rechnerraum. Die Wintrich hatte vielleicht ein Schwein… Aber sie sah ja auch auf ihre kalte Art gut aus und war ekelerregend perfekt. Dazu passte er auf jeden Fall.
Wintrich, Suttner, Herzberger: Maja hasste sie alle drei – schön, schlank, erfolgreich, gut organisiert – die vergaßen nichts, die konnten alles, denen gehorchte jeder und der Chef fraß ihnen aus der Hand. Wahrscheinlich hatten sie zu Hause auch noch toll aufgeräumt, ihr Auto gewaschen und alle Klamotten gebügelt.
An ihren Kleiderschrank wollte Maja lieber nicht denken – von ihrem zusammengebrochenen sechzehn Jahre alten Polo mal ganz zu schweigen. Der war überhaupt der Grund, warum sie es noch nicht zu neuen Möbeln gebracht hatte, fiel ihr ein. Und bevor sie Möbel oder gar ein Auto kaufen konnte, musste sie erst einmal ihr Konto inspizieren. Und bevor sie das tun konnte, musste sie erst einmal nachsehen, welche PIN sie fürs Online-Banking hatte.
Schade, hier hätte sie prima ihre Bankgeschäfte erledigen können – wenn sie diese blöde PIN gewusst hätte! Sie war eben doch eine Chaotin…
In Ermangelung einer besseren Tätigkeit packte sie ihre Tasche komplett aus, sammelte alle verknüllten Kassenzettel, Büroklammern und Staubflusen ein und kippte alles in den Papierkorb bzw. in den großen Büroklammerntopf auf dem Mitteltisch. Dann sah sie ihre Mappen durch und warf veraltete Kopien weg. Zufrieden packte sie danach die geringfügig schlankeren Mappen wieder ein, schraubte die Kappen auf die Folienstifte, erneuerte die Kreide in der kleinen Blechdose und wischte mit einem Taschentuch das verstaubte schwarze Nylon wieder blank.
So, aufgeräumt war, gegessen hatte sie auch, der Computerraum war reserviert – was nun? Zum ersten Mal, seitdem sie im September diese Stelle angetreten hatte, empfand sie keine Hektik. Merkwürdiges Gefühl. Ob die anderen das auch kannten?
Sie sah sich um. Die Wintrich verabschiedete sich gerade mit einem diskreten Küsschen von ihrem Prachtexemplar, die Suttner entfernte Anschläge vom Oberstufenbrett, die Herzberger trank Kaffee und las etwas – dem feuerrot/schwarzen Umschlag zufolge einen Krimi -, die Merz kämpfte mal wieder mit den Tränen, Liegnitzer eilte mit einigen Zetteln zum Kopierer, drei Referendare saßen an dem Tisch neben dem Rechnerraum und lachten halblaut miteinander und aus dem Rechnerraum selbst hörte man gedämpftes Klappern der Tastaturen. Arbeit ja, aber eigentlich eine recht entspannte Atmosphäre. Vielleicht lag das auch am Nachmittag… da war alles halb leer und eine merkwürdig gedämpfte Ruhe lag über der Schule.
Viertel vor drei war es jetzt auch gleich. Sie schulterte ihre Tasche und machte sich auf in ihren Seminarraum.
Immerhin waren sie fast alle da – nur Annika fehlte. Mal wieder! Maja machte sich eine entsprechende Notiz, wobei sie sich sehr effizient und wohl organisiert fühlte, und begann dann mit dem Text über die Megacities.
Die Teilnehmer arbeiteten eifrig, zogen zur festgesetzten Zeit in den Computerraum um und recherchierten in Kleingruppen über diejenigen Megacities, die Maja ihnen empfohlen hatte. Eigentlich lief es doch sehr gut, fand Maja. Warum also etwas ändern? Oder hatte sich jetzt schon etwas geändert?
Lief heute alles besser, nur weil sie diesen Testentwurf rechtzeitig abgegeben hatte? Oder fühlte sie sich heute einfach so etwas besser?
Sie wanderte hinter den arbeitenden Schülern entlang, schaute ihnen über die Schulter, kommentierte gelegentlich, was sie sah, und vereinbarte schließlich, die Ergebnisse in der nächsten Sitzung auszuwerten.
Im Lehrerzimmer herrschte gähnende Leere; Maja packte auch nur ihren Kram zusammen und machte, dass sie nach Hause kam.
Die Unordnung in der Wohnung traf sie dann wieder wie ein Schlag ins Gesicht. Unglaublich, wie es hier aussah! Das passte ja besser zu dieser chaotischen Merz als zu ihr! Aber leider war es ihre Wohnung. Ihre eigene.
Und da es eine Eigentumswohnung war, die ganz alleine ihr selbst gehörte, konnte sie auch absolut gar nichts auf einen böswilligen oder geschmacklosen Vermieter schieben. Und es war wirklich ganz furchtbar hier. Sie drehte sich im Flur einmal um die eigene Achse und schaute in die Zimmer. Immerhin, vier Zimmer. Aber scheußliche Tapeten.
Praktisch keine Möbel.
Haufenweise unausgepackte Kisten.
Staub.
Ungespültes Geschirr.
Bergeweise Schmutzwäsche.
Maja, du bist ein Ferkel, tadelte sie sich selbst.
Dann sah sie auf die Uhr: Kurz vor fünf.
Da konnte sie noch gut etwas Chaos beseitigen – halt, nein, Mist: Die Schulaufgabe war ja noch nicht fertig!
Also ab an den Schreibtisch. Sie hatte aber auch gewaltigen Hunger – von den Croissants und der fettigen Käsebreze war nichts mehr zu spüren, kein Wunder. Was nun?
Am liebsten hätte sie sich aufs Sofa gelegt und die Entscheidung vertagt, so wie sonst auch. Immer noch kurz von fünf. Etwas kürzer allerdings.
Okay, Wäsche, Schulaufgabe, Spülen, Essen.
Oder so.
Sie sortierte eine Ladung helle Wäsche aus dem Haufen und stopfte ihn mit einem Schuss Pulver in die Maschine. 30° Buntwäsche, Start. Den übrigen Haufen im Schlafzimmer kickte sie so in eine Ecke, dass noch Platz für das arg wacklige Wäschegestell blieb, klappte es auf, suchte nach dem Säckchen mit den Wäscheklammern, fand es nicht, gab die Suche wieder auf, schaute noch einmal auf die Uhr – um Viertel vor Sechs sollte die Wäsche fertig sein – und drehte im Bad die monströse Handtuchheizung leicht auf. Zum Wäschetrocknen war sie ja ganz praktisch!
Dann verzog sie sich ins Arbeitszimmer, wo die Schulaufgabe so dalag, wie sie sie gestern verlassen hatte. Auf zur dritten Aufgabe!
Sie kritzelte rasch den Erwartungshorizont hin und verteilte die Punkte, die sie beim Erstellen der Angabe mehr oder weniger Pi mal Daumen zugewiesen hatte. Ja, passte schon, sie hatte es einigermaßen getroffen.
Entschlossen ging sie ans Werk. Die ersten sieben liefen ganz flott. Noch sieben?
Das schaffte sie auch noch. Zehn vor halb. Und wenn sie mal die Spülmaschine einräumte? Dann sah die Küche doch bestimmt gleich nicht mehr so schmierig aus. Okay, zehn Minuten Küchendienst!
Die Spülmaschine musste sie aber leider erst einmal ausräumen. In den zehn Minuten schaffte sie es gerade mal, alles saubere (und schon länger vermisste) Geschirr in den Schränken zu verstauen und von den herumstehenden Tellern die Schalen, Näpfchen, Tütchen und sonstigen Müll zu entfernen.
Nein, zurück an die Schulaufgabe!
Die nächsten sieben… immerhin hatten sich ihre Kleinen hier ganz gut gehalten; nur die äußere Form…
Aber wer war sie, sich darüber aufzuregen, so, wie es hier ausschaute?
Das würde jetzt ja anders, hatte sie beschlossen. Aber wenn man darüber nachdachte, wie oft sie schon Vorsätze gefasst hatte, wie oft sie schon das große Aufräumen gestartet hatte und kläglich gescheitert war… warum sollte es dieses Mal anders enden?
Vielleicht, weil sie keine Lust mehr hatte, von der Suttner, der Wintrich und womöglich noch vom Chef persönlich schräg von der Seite angequatscht zu werden. Die Sache mit dem verschlampten Formblatt und dem beinahe vergessenen Testentwurf reichte ihr eigentlich. Und dass eine Klasse sie vorwurfsvoll musterte, weil sie die Schulaufgabe nicht in der vorgegebenen Zeit herausgab, wollte sie sowieso nicht erleben.
Morgen war Termin, verdammt! Weiter!!
Nach den letzten sieben lehnte sie sich zufrieden zurück. Oh, Viertel vor!
Den Wäschekorb fand sie natürlich nicht, wahrscheinlich war er unter Bergen von Kram begraben.
Also holte sie den nassen Klumpen Wäsche aus der Maschine und balancierte ihn mühsam mit bloßen Händen so auf das Wäschegestell, dass auch kein einzelner Socken herunterplumpste.
Dann sammelte sie dunkelblaue Stücke ein, zwei Paar Jeans, eine Bluse, ein Sweatshirt, Socken, einiges an Wäsche (kneifend), zwei T-Shirts – und stopfte das in die Maschine. Dunkelblau machte ja bekanntlich schlank – aber viel half das auch nicht mehr.
Als das Wasser zischend einlief, machte sie sich daran, den Klumpen vorsichtig zu entwirren, die T-Shirts gerade über die Metallschienen zu hängen, die Baumwollsöckchen, Slips und BHs auf der Handtuchheizung zu arrangieren und die beiden gelben Blusen auf Bügel zu hängen.
Aber das waren leider alles Sachen, die ein bisschen gebügelt viel besser aussahen. Und sie hatte schon gemerkt, dass kaum einer in diesem Kollegium in ungebügelten Klamotten herumlief. Nur der Ederer mit seiner ungeheuren Wampe und den paar Haaren, die er so affig über die Glatze gekämmt trug. Aber der sah obendrein so aus, als röche er schlecht. Ob das stimmte, hatte sie noch nicht erforscht, ihr reichte es, dass er ihr immer so blöde zuzwinkerte, als wollte er sagen Gell, wir zwei fetten Schlamper, wir müssen zusammenhalten!
Müssen wir nicht, murrte Maja halblaut. Nicht mit so einem. Lieber bügelte sie nachher noch schnell über die T-Shirts und Blusen.
So, Aufgabe vier – die ging fix, eine Grundwissensaufgabe zur Bruchrechnung, nur vier BEs. Sie eilte durch die ersten vierzehn, dann sortierte sie einen dritten Haufen aus (Handtücher und dazu passende Bettwäsche, damit wenigstens eine der herumliegenden Garnituren mal wieder in den Schrank kam) und schaute, ob unter den beträchtlichen Resten nicht doch vielleicht der Wäschekorb…
Nein. In der Räuberhöhle vielleicht?
Über die Verwendung des vierten Zimmers hatte sie sich noch gar nicht weiter Gedanken gemacht, hier standen besonders viele Umzugskisten und alles, womit sie im Moment nichts anfangen konnte.
Einen großen Unterschied zu den anderen Räumen konnte man eigentlich nicht ausmachen, stellte sie seufzend fest, aber sie fand zwei Klappkörbe, besser als nichts! In einen packte sie die aussortierte Schmutzwäsche, den anderen stellte sie für nachher vor die Maschine.
Die letzten vierzehn Aufgaben gingen ihr recht flott von der Hand. Sie rechnete mit Bleistift die Noten und den Durchschnitt auf der Klassenliste durch und kam auf 3,4.
Naja.
Ein bisschen besser war sicher noch drin.
Sie schaffte es noch, die Arbeiten nach Qualität zu sortieren, dann gab die Maschine den typischen Seufzer von sich, mit dem sie immer stehen blieb.
Maja hängte auch diese Wäsche auf (die Jeans konnten noch auf die Handtuchheizung) und füllte die Maschine zum dritten Mal.
Dann holte sie sich einen sauberen feuchten Lappen und putzte den Heizkörper in der Räuberhöhle, bevor sie ihn bis zum Anschlag aufdrehte. Sobald sie den Lappen wieder in die Küche gelegt hatte, musterte sie den vierten Raum gründlich: Was sollte sie aus diesem Zimmer machen?
Später!
Sie ging die Arbeiten, die wahrscheinlich Einser und Zweier waren, noch einmal durch, bepunktete die Aufgaben am Rand und schrieb die Noten auf die erste Seite. So, acht Leute ganz fertig!
Und jetzt?
Die Maschine lief immer noch, also konnte sie noch nicht die Spülmaschine starten. Das war irgendwie ökologisch saumäßig – warum, wusste Maja nicht so genau. Oder haute es dann die Sicherungen raus?
Na gut, die Dreier auch noch!
Danach hatte sie siebzehn Arbeiten geschafft. Nicht schlecht, fand sie.
Und wenn sie die Räuberhöhle mal strich? Obwohl – die gelbweißen Streifen und der schokoladenbraune Teppichboden sahen so schlecht auch nicht aus. Streichen und Bodenverlegen war anderswo weiß Gott nötiger.
Am besten sollte das Zimmer wohl ein Gästezimmer sein – aber Gäste kamen eigentlich selten. Kunststück, im Moment konnte sie ja auch niemanden reinlassen, die Bude war wirklich zu peinlich!
Und wer sollte auch kommen? Lucia und Florian? Die waren doch bloß froh, dass ihre unfähige kleine Schwester weit weg war. Am Anfang hatten sie ja noch genervt, sie sollte wieder zurückkommen, sie könnte ja auch mit im Haus wohnen, aber Maja war eigentlich ganz froh gewesen, nach Leisenberg verschwinden zu können. Immer diese Besserwissereien!
Außerdem war das Haus in Harlaching (direkt am Perlacher Forst, weit und breit kein Laden, keine Haltestelle, kein gar nichts!) wunderbar in zwei große Wohnungen aufzuteilen – nicht in drei. Wozu auch, Maja hatte ja schließlich die Bude von Onkel Karl Heinz gekriegt. Lucia und Florian hatten, als sie das gehört hatten, breit gegrinst, aber nichts gesagt. Und Maja, die die Wohnung noch nie bewusst gesehen hatte, hatte sich noch ganz arglos gefreut…
Schöne Pleite, wenn sie sich hier so umsah!
Na, weitermachen, leidtun konnte sie sich später auch noch.
Neun Vierer waren es jetzt – zwei mehr als nach dem ersten Durchgang. Damit waren die beiden plus Fünf verschwunden. Okay, dann fehlten noch zwei. Aber die Fünfer waren bombenfest. Und die konnte sie jetzt auch noch wegputzen.
Zufrieden stapelte sie alles auf, füllte den Umschlag aus, rechnete den Durchschnitt neu aus – 3, 18 – und packte den Stapel in ihre Tasche. Super!
Das hätte sie eigentlich früher haben können, ärgerte sie sich sofort danach. Wenn sie am ersten Ferienwochenende… na, auch egal. Jetzt war das Ding ja weg. Beim nächsten Mal musste sie das eben besser machen.
Und jetzt?
Fast acht Uhr – Himmel, die Wäsche! Die Maschine war schon seit längerem verstummt, also hängte sie diese Wäsche auch noch auf – das Gestell ächzte bedenklich – und kontrollierte die andere, ob schon etwas trocken war.
Natürlich nicht, aber immerhin nur noch bügelfeucht. Also baute sie Bügelbrett und Bügeleisen auf und nahm sich die beiden Blusen und die T-Shirts vor.
Diese Abstellkammer war eigentlich gar nicht so schlecht, überlegte sie. Nur wie alles eben fürchterlich zugemüllt. Sie war etwa eineinhalb mal zwei Meter groß und auf einer Seite mit einem stabilen eingebauten weißen Metallregal versehen, dessen Bretter man herausnehmen konnte. Das hatten offenbar diese Mieter hinterlassen – Onkel Karl-Heinz hätte ein solches Regal bestimmt in schlammgrün oder senfgelb gestrichen!
Leider waren die Regalbretter eingestaubt und schmierig und bedeckt mit unglaublichem Gerümpel – dabei wohnte sie doch erst seit wenigen Wochen hier. So konnte das nicht bleiben – und warum sollte sie nicht hier anfangen?
Aber vorher musste sie doch noch überlegen, ob sie für morgen gerüstet war. Was hatte sie morgen alles? Mathe 7, Geographie 7, Mathe 8, Mathe 10. Und schon um kurz vor drei aus!
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und sichtete die Mappen. Was da für ein überholter Mist drin war!
Und was war das hier? Oh Scheiße! Sie ließ den Kopf auf die Schreibtischplatte sinken. Morgen war Geographie-Fachsitzung. Als Frischling musste sie das Protokoll schreiben. Und die Sitzung dauerte bestimmt zwei Stunden. Dann war es glücklich fünf… mit Einkaufen sechs, bis sie zu Hause war. Wieder keine Zeit für den großen Aufräum-Marathon. Und in der 7 c sollte sie bald mal wieder ein Mathe-Ex schreiben, sonst tanzten ihr die süßen Kleinen noch auf der Nase herum. Und so wie sie mitzuschreiben pflegte, sollte sie das Protokoll auch bald machen, bevor sie aus ihrem Gekritzel nicht mehr schlau wurde.
Wie spät war es jetzt? Halb neun. Auf die Schule war gepfiffen, jetzt kam die Abstellkammer dran! Wenigstens für eine Stunde…
Sie räumte das Regal Stück für Stück leer und baute alles im Flur auf, dann hob sie die Bretter aus ihrer Halterung und trug sie in die Küche.
Als nächstes schrubbte sie die Halterungen gründlich ab und trocknete sie, danach räumte sie aus, was auf dem Boden herumstand, auch die Mengen an leeren Flaschen und Trägern.
Kurz vor neun… da konnte man noch Staub saugen! Der Teppichboden in der Kammer hatte ein recht dankbares Pfeffer-und-Salz-Muster – hatte Onkel Karl-Heinz die Bude eigentlich mit Teppichresten ausgelegt? Jeder Raum war anders!
Jedenfalls wurde der Boden beim Saugen geringfügig heller, und so leer sah die Kammer richtig groß und übersichtlich aus. Kunststück, der ganze Mist stand ja draußen!
Maja verzog sich in die Küche, legte die ersten beiden Bretter nebeneinander und rieb sie dick mit Putzmittel ein. Weichen lassen!
Währenddessen startete sie die Spülmaschine und räumte, was hier noch so herumstand, etwas beiseite. So passten die anderen beiden Regalbretter auch noch auf die Arbeitsplatten und konnten ebenfalls mit Putzmittel eingerieben werden.
Und was stand jetzt im Flur?
Die Friteuse mit ihrem Karton. Okay, Küchengeräte ein Regalbrett.
Eine Pappschachtel mit dem Fonduetopf – daneben.
Eine Plastiktüte mit vergammeltem Grillbesteck. Sie hatte weder Grill noch Garten noch Freunde – weg damit.
Eine Tüte mit Stoffresten. Woher kamen die denn? Sie hatte sich seit Jahren nichts mehr genäht, konnte es auch gar nicht und besaß selbst keine Maschine. Weg mit den Fetzen! Und das angefangene Strickzeug genauso, graues Mohair ging ja gar nicht – was hatte sie sich vor bestimmt zehn Jahren nur dabei gedacht? Aber die Nadeln konnte sie aufheben.
Zwei Bücher, die hier gar nichts zu suchen hatten.
Eine Pappschachtel mit leeren Blechdöschen. Sie suchte sich drei hübsche aus, brachte sie in die Küche und stellte den Rest zum Müll.
Ein Paar verflixt alte Skistiefel. Weg.
Eine Garnitur Bettwäsche, ungebügelt und mit einem eher gruseligen Muster: Kringel in orange, braun und rosa. Stammte das aus der schlimmsten Zeit der Siebziger? Auf jeden Fall: Altkleidersammlung! Sie schnaufte durch und beschloss, erst einmal die bisherige Ausbeute in der Mülltonne zu versenken.
Glücklicherweise waren die Tonnen halbwegs leer, so konnte sie eine Menge loswerden. Die Blechdöschen allerdings stellte sie im Mülltonnenverschlag auf das Brett des „Fensterchens“ – vielleicht fanden sie ja noch Liebhaber?
Auf dem Weg zurück nahm sie die Post mit und studierte sie, oben angekommen, flüchtig. Rechnung, Rechnung, Werbung, Werbung, Werbung, eine Postkarte von Saskia aus dem Referendariat – ui: Studienfahrt nach London? Schick… Maja hatte mal wieder keiner gefragt, ob sie irgendwo mitfahren wollte! Noch eine Rechnung, ein ungefragt zugesandter Klamottenkatalog – später durchblättern. Ein Flyer vom Pizzaservice, bei dessen Anblick ihr sofort der Magen knurrte.
Kein Wunder, fiel ihr ein. Es war Viertel nach neun und sie hatte seit der Schule nichts mehr gegessen. Gesund war das nicht!
So eine herrliche fettige Pizza, mit Salami, Anchovis und Peperoni… Fettig, genau. Sie war ja wohl fett genug! Aber Hunger hatte sie doch. Peperoni… da musste doch noch ein Glas im Kühlschrank sein?
Tatsächlich. Und etwas nicht mehr allzu knuspriges Knäckebrot gab es auch noch. Also zwei Scheiben Knäcke und alle Peperoni. Ballaststoffreich.
Na, ein bisschen wenigstens.
Alles Übrige im Kühlschrank war abgelaufen. Schon lange abgelaufen, nicht so, dass die Ministerin einen streng anschauen konnte, wenn man es wegwarf. Maja fühlte auch damit eine Mülltüte und trug sie mitsamt den alten Zeitschriften, die auch noch in der Kammer gelegen hatten, nach unten. Die Werbung aus dem Briefkasten packte sie gleich noch dazu, wobei sie sich extrem effizient vorkam.
Etwas töricht vor sich hin grinsend stieg sie die Treppe wieder hinauf, nicht ohne asthmatisch zu schnaufen. Fit war sie ja nicht gerade – Sport hatte sie auch seit dem Sommer nicht mehr gemacht.
Immerhin ging sie zu Fuß zur Schule, lobte sie sich selbst, als sie sich in der Küche hinsetzte und labbriges Knäckebrot mit verschrumpelten Peperonischoten verspeiste. Aber zweimal zehn Minuten langsam durch die Straßen schlurfen – viel Sport war das nun auch nicht gerade… Ab jetzt würde sie spazieren gehen! Täglich! Eine Stunde!
Na, eine halbe, sie hatte ihre Zeit ja nun auch nicht gestohlen. Sie wischte den Kühlschrank gründlich aus und trocknete ihn, danach war die Spülmaschine auch endlich fertig und sie öffnete die Tür, damit der Dampf abziehen konnte. So, weiter im Text.
Fast halb zehn. Sie schrubbte die Regalbretter ab und wischte den Putzmittelschaum herunter, trocknete sie mit Küchenkrepp und stellte sie zum Nachtrocknen in den Flur.
Was hatte sie noch im Kammerl gefunden? Die leeren Limoträger, genau, Und haufenweise leere Flaschen. Sie füllte eine Riesentüte mit so vielen Flaschen wie möglich und platzierte sie neben der Haustür – vielleicht konnte sie den Mist morgen gegen neue Peperoni eintauschen. Oder so ähnlich. Einkaufen musste sie auf jeden Fall mal, aber Pizza oder Chips kamen überhaupt nicht in Frage, eher Obst und Gemüse. Ob es schon Mandarinen gab? Vielleicht konnte sie morgen ja auch schon einen der Träger wegschleppen. Leer waren die nicht so schwer. Und zu trinken gab es bloß noch Light-Getränke! Mit der Zuckerpampe war jetzt Schluss – mal sehen, ob sich das auf der Waage günstig auswirkte. Für mehr war im Moment wirklich keine Zeit.
Verflixt, schon bald zehn!
Die Bretter waren einigermaßen trocken, und Maja hängte sie wieder in das Regal ein, nachdem sie das Gestell auch noch einmal feucht abgewischt hatte. Die Abstellkammer sah jetzt eigentlich sehr gut aus, fand sie. Richtig wesentlich. Leider lag das eben nur daran, dass sie total leer war.
Was musste denn wieder hinein? Fonduetopf und Friteuse. Sie hübschte die zerfledderten Pappschachteln mit reichlich Tesafilm etwas auf und packte sie dann aufs oberste Brett – so bald brauchte sie den Kram bestimmt nicht. Und Pommes waren sowieso ein no go.
Was sollte sie auf die anderen Fächer stellen? Was lag denn überhaupt noch draußen im Flur?
Gar nicht mehr so viel, einige lose Handschuhe, die rosa Fleecemütze, zwei Schals… dafür brauchte sie eine Kiste, „Wintersachen“ oder so. Gut, erst einmal ein Häufchen im zweiten Fach. Die Shopper und ihre zwei Handtaschen passten noch daneben.
Mehr lag gar nicht mehr herum. Sollte sie ihre Schuhe auch noch hier unterbringen? Aber einen Schuhschrank – wenn sie es denn mal schaffte, sich einen zu kaufen – konnte sie eigentlich auch in den Flur stellen, der war groß genug. Erstmal alles aufräumen und dann weiter sehen! Für heute reichte es ihr wirklich, außerdem war es jetzt schon fast halb elf.