Читать книгу Das große Aufräumen - Elisa Scheer - Страница 6

Freitag, 11.11.2011

Оглавление

Wenigstens hatte sie heute wenig Unterricht, tröstete sie sich, als sie den Gang zur 8 b entlang hastete. Der Kurs war mürrisch gewesen (ab der vierten Stunde würden sie Geschichte/Sozialkunde schreiben, deshalb wohl die vielen schlecht verborgenen Geschichtsbücher zwischen dem Mathekram), und in der Freistunde hatte die blöde Merz wieder mal mit den Tränen gekämpft. Tja, Augen auf bei der Berufswahl, konnte man da nur sagen. Die Gute war ja von praktisch nichts schon überfordert!

Obwohl, was wusste sie schon von ihr? Vielleicht musste sie nebenbei noch drei ledige Kinder großziehen und altersschwache Eltern pflegen?

„Hi, Maja!“

Maja grüßte die Kollegin, deren Namen sie schon wieder vergessen hatte. War das Kathrin Gruber – oder Anna Weidenhöfer? Eher Anna, sie glaubte sich bei Kathrin an rötere Haare erinnern zu können. Bevor sie die Frage geklärt hatte, hatte sie auch schon das Zimmer der 8 b erreicht und riss die Tür auf, hinter der ein Höllenlärm getobt hatte.

Der Lärm überfiel sie wie eine Flutwelle – dabei war gar nichts Besonderes los, nicht etwa eine gigantische Prügelei. Die Mädels unterhielten sich nur mit schrillen Stimmen, und die Jungs tanzten hinter der letzten Reihe auf eine recht urwaldmäßige Art. Wenn sie damit allerdings die Mädels beeindrucken wollten – Fehlschlag. Die guckten gar nicht hin, nicht einmal, um spöttisch zu kichern.

„Tolle Vorstellung“, lobte Maja, und die Jungs stoppten abrupt, liefen rosa an und verzogen sich eilig auf ihre Plätze. Die Mädchen mussten noch einmal ermahnt werden, bevor sie bereit waren, die Stunde zu beginnen.

Maja sammelte die Schulaufgaben wieder ein (vierzehn von sechsundzwanzig hatten sie natürlich vergessen) und begann mit einem neuen Thema, den linearen Ungleichungen.

Sie übten gemeinsam – unter großem Gestöhne: „Wann muss man das Ungleichheitszeichen denn umdrehen? Ich versteh das nicht!“ Schließlich aber behaupteten alle, alles verstanden zu haben, was Maja ihnen keine Sekunde lang abkaufte. Morgen wären sie doch wieder ratlos!

„Jetzt übt ihr selbst. Macht mal die Nummer drei – so viel ihr schafft, hier - den Rest bis Montag.“

„Och… am Wochenende Hausaufgaben machen?“

„Melli, fang an – während du hier herummaulst, haben andere schon die 3 a halb fertig!“ Fieberhaftes Rechnen begann, und wohltuende Stille senkte sich über den Raum. Maja schlenderte durch die Reihen und half denen auf die Sprünge, die noch an den kritischen Stellen hängen blieben. Als es läutete, waren die Fitten tatsächlich fertig, die Mittelfitten hatten nur noch e und f zu machen und nur die ganz Langsamen mussten noch vieles zu Hause machen.

Maja ließ die Tafel wischen (toll, dass sie daran gedacht hatte!) und enteilte in ihre eigene siebte Klasse.

Danach hatte sie Pausenaufsicht, auch das vergaß sie heute nicht (es war ihr durchaus schon passiert, und der Kollege, den sie mit der tobenden Pausenhalle und dem Gedränge vor dem Verkaufskiosk alleine gelassen hatte, hatte dazu kräftige Worte gefunden) – und heute war sie sogar vor ihm da, trennte zwei Raufbolde, sorgte für ordentliche Schlangen vor den Verkaufsschaltern, nötigte ein kleines Ferkel, seinen Bananenpamp wieder vom Boden zu wischen, und hinderte zwei Mittelstüflerinnen daran, zum Rauchen nach draußen zu verschwinden. Auf ihren Hinweis, ein Pfund Wimperntusche lasse einen eben nicht erwachsener, sondern nur überschminkt erscheinen, reagierten die beiden beleidigt und beharrten darauf, schon in der Q 11 zu sein.

„Jaja“, schloss Maja die Debatte ab, „ich könnte euch fotografieren und die Fotos der Frau Suttner zeigen, die kennt die gesamte Oberstufe. Soll ich?“

„Och nööö – ich glaube, es regnet draußen sowieso“, kniff die eine, und dann schlugen die beiden einen Haken und waren im Gewühl verschwunden.

„Was wollten denn die beiden Hühnchen aus der Neunten?“, fragte der Kollege. „Mir erzählen, sie seien in der Q 11 und dürften in der Pause nach draußen“, grinste Maja. „Aber überprüfen lassen wollten sie das dann doch lieber nicht.“

„Gott, sind die zwei doof!“, seufzte er. „Ich hab sie schon zweimal in einer Wolke aus kaltem Rauch zu völlig illegalen Zeiten von draußen reinkommen gesehen und ihnen jedes Mal einen Verweis verpasst – lernen die denn gar nichts daraus? Beim dritten Mal gibt´s den verschärften Verweis und dann reiche ich sie weiter an den Disziplinarausschuss.“

„So süchtig können die doch noch nicht sein, oder?“

„Eben. Ich versteh die zwei auch nicht.“

„Es sei denn“, gab Maja zu bedenken, „da draußen stehen ganz entzückende Kerlchen aus der Oberstufe…“

„Aber wer will schon einen vollen Aschenbecher küssen?“

„Wenn man selbst riecht wie einer, macht das wohl nichts.“

Sie beobachteten einträchtig das Gewimmel und scheuchten nach dem ersten Läuten die Schüler in Richtung Treppe.

Im Lehrerzimmer herrschte große Unruhe, alles aß auf, packte ein, aus und um, studierte den Vertretungsplan, kramte in den Fächern, drängte sich um die beiden Kopierer und verbreitete ganz allgemein Hektik. Maja dachte sogar daran, kurz auf den Vertretungsplan zu schauen – nichts für sie – und ließ sich dann, ausgesprochen zufrieden mit sich selbst, an ihrem Platz nieder.

Sie räumte in ihrer Tasche herum, fand aber nichts, was sich aufräumen ließ, und rechnete die Aufgaben für die Montagsstunde in der Achten durch. Besser als nichts.

Am Montag hatte sie noch die Elfte in Mathe, die Elfte in Geographie und ihre Siebte… wenn sie sich jetzt schon ein bisschen vorbereitete, hatte sie am Wochenende mehr Zeit, um wenigstens das vierte Zimmer einigermaßen herzurichten.

Wenn dieses Zimmer vernünftig aussah… sie versank in Tagträumen von einer wohl organisierten Wohnung.

„Scheiße, das ist in dieser Woche die vierte Vertretung!“, fluchte Bea Frick und ließ sich neben ihr nieder. „Und dann in der sechsten Stunde am Freitag! Wieso können die Zwerge nicht einfach heimgehen?“

„Viermal ist echt heftig“, bedauerte Maja sie pflichtgemäß. „Ist das eine Fünfte?“

„Ja“, stöhnte Bea Frick, „und zwar die 5 e, die kenne ich gar nicht.“

„Sorry, aber die ganz Kleinen dürfen wir nicht mehr früher nach Hause schicken“, mischte sich Hilde Suttner ein, die gerade vorbeikam. „Die Eltern hätten gerne, dass sie bis eins sicher hier aufgeräumt sind und nicht zu Hause die Bude auf den Kopf stellen, während die Eltern noch in der Arbeit sind.“

„Kann man verstehen“, gab Bea zu, „aber ich hätte heimgehen können!“

„Pech. Viermal, hast du gesagt? Echt viel. Ist dir was ausgefallen in dieser Woche?“ Bea grummelte. „Meine Neunte ist gestern und heute auf einem Workshop. Damit sind mir drei Stunden weg gebrochen.“

„Na eben, dann hast du auch nur eine Stunde mehr. Mit so was musst du hier leben. Was machst du denn mit den Zwerglein?“

„Weiß nicht… Hausaufgaben?“

„Wird von der Schulleitung gar nicht geschätzt. Üb mit denen was. Hast du nicht Englisch in einer anderen Fünften?“

Das musste Bea zugeben. „Na, dann üb mit denen. Nötig haben sie´s bestimmt. Alle haben es immer nötig.“

Maja kicherte. „Stimmt. Irgendwie scheinen ihre kleinen Hirne einen Lotus-Effekt zu haben, alles gleitet rückstandsfrei ab.“

„Bei größeren Hirnen leider auch“, kommentierte Hilde trocken. „Du kannst noch in einer Zwölften Leute finden, die sagen: Eine Gerade zeichnen? Haben wir nie gelernt, ehrlich. Und sie glauben es selbst!“

Kurz darauf läutete es, und Bea und Maja verzogen sich in ihren Unterricht.

Als Maja um eins ihre Karte zurückgebracht hatte und im Lehrerzimmer einpackte, war sie voller Tatendrang. Jetzt würde sie diesem vierten Zimmer mal Beine machen, aber so was von gründlich!

Die schon wieder am Boden zerstörte Claudia Merz ignorierte sie und eilte durch die Hintertür davon und zügig nach Hause.

Dort stellte sie ihren Kram ins Wohnzimmer, damit er ihr nachher nicht im Weg war, und sah auf die Uhr: Viertel vor zwei. Erst mal kurz was essen!

Sie schnappte sich einen Apfel und ein hartes Ei, für mehr war sie zu ungeduldig. Sobald sie beides heruntergewürgt und ein Glas Wasser hinterher gegossen hatte, ging sie ans Werk und rollte im vierten Zimmer den Teppichboden auf. Er ging tatsächlich problemlos ab – nur war die Rolle sehr unhandlich und es dauerte, bis sie sie so in den Flur gezerrt hatte, dass sie dort nicht die Türen blockierte.

Im Zimmer standen jetzt noch zwei Stühle, die sie eben quasi vom Teppich geschüttelt hatte, eine halbvolle Umzugskiste und mehrere Plastiktüten auf einem der Fensterbretter. Sie räumte alles nach draußen, ohne groß nachzusehen, was darin war, und betrachtete dann das Zimmer.

Der Boden war schmutzig und voller Brösel von dem Schaumstoff unter dem Teppich, aber offensichtlich waren fast alle diese Brösel lose. Sie saugte den Boden mehrfach ab und schabte dann die letzten Reste herunter.

Nicht schlecht. Und unter dem blöden Teppichboden waren auch flache Sockelleisten zum Vorschein gekommen.

So, jetzt brauchte sie Farbe, Rolle, Gitter, Abdeckfolie und mehrere Teppichmesser, um das Monster in tragbare Stücke zu zerschneiden.

Oder sie quetschte diese fiese Rolle erstmal in den Keller…

Gute Idee. Und dann zum Baumarkt!

Sie brauchte eine gute halbe Stunde, bis sie die Rolle in den Keller gezerrt, in den übervollen Verschlag gepresst, hinter ihr zugesperrt und dann die Krümel von der Treppe gefegt hatte. Danach war sie schweißgebadet. Sie machte sich geringfügig frisch, schätzte die Größe des Zimmers auf zwanzig Quadratmeter und trabte los.

Im Baumarkt lud sie sich die entsprechende Farbmenge und alles Zubehör auf den Wagen und schob ihn durch die Gänge, wo sie prompt auf Frau Heusler stieß, die ein zierliches messingnes Gießkännchen trug.

„Ach, die Frau Körner! Na, sagen Sie mal, warum lassen Sie denn das nicht ihren Mann machen?“

Maja sah sie verdutzt an. „Meinen – was?“

„Na, Ihren Mann? Herrn Körner?“

„Hab ich nicht. Aber ein paar Wände streichen, das schaffe ich ja wohl gerade noch selbst.“

„Keinen Mann? Aber Sie wohnen doch wohl nicht alleine? Und streichen? Können Sie das denn? Weiß das Ihr Vermieter?“

Maja verstand des Problem nicht ganz und pickte nur die letzte Frage heraus: „Mein Vermieter? Wieso?“

„Na, wenn Sie da so laienhaft herumklecksen… Wir lassen so etwas immer einen Fachmann machen. Wirklich vornehme Tapeten, beige mit Goldmotiven…“

Maja nickte. „Ja, so was Ähnliches hab ich auch. Deshalb will ich ja streichen. Einfach weiß. Ich hasse Tapeten.“

Frau Heusler schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Dann fragen Sie aber lieber mal um Erlaubnis, die Tapeten waren doch bestimmt teuer. Die können Sie doch nicht so einfach wegmachen.“

„Doch, kann ich. Das ist meine Wohnung“, fertigte Maja sie schließlich ab. „Schönen Tag noch, ich muss leider weiter.“ Mäßig elegant umrundete sie ihre Nachbarin und verschwand im nächsten Gang. Dort stand sie dann anbetend vor schönen Regalen - Edelstahlgestelle mit mittelbraunen Regalbrettern, solide furniert. Gebeizter Ahorn sollte das offenbar sein. Es gab sogar Schubladen und Schrankelemente zum Einhängen! Und teuer war das Ganze auch nicht. Aber wie transportieren? Ein Element wog über zwanzig Kilo!

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Nein, leider“, bekannte Maja. „ich finde die Regale toll und bräuchte sie auch, aber ich überlege gerade, wie ich sie transportieren soll. Die sind ganz schön schwer.“

„Was haben Sie denn gegen unseren Lieferservice einzuwenden?“

„Sie haben einen Lieferservice? Seit wann?“

„Seit letztem Monat. Wenn Sie heute den Auftrag erteilen und wir alles auf Lager haben, würden wir morgen am früheren Vormittag liefern. Hinter die Wohnungstür, weiter nicht, allerdings.“

„Das wäre ja toll… und was kostet das?“

„Je höher die Kaufsumme, desto günstiger wird es. Wie viele Regale bräuchten Sie denn?“

Maja überlegte kurz. Die Regale waren achtzig breit und zweizwanzig hoch. Und im Wohnzimmer brauchte sie auch welche. Und eins vielleicht in das künftige Gästezimmer. An vier Meter lange Wände…

„Zehn“, sagte sie dann schließlich. „Plus vier Schrankelemente und vier Schubladenkästen.“

Der Verkäufer nickte und notierte sich das. „Dann würde der Transport nur noch 25 Euro kosten. Sollen wir Ihnen die Farbe auch noch liefern?“

Maja überlegte. Einen Eimer wollte sie schon gleich mitnehmen, und das Equipment auch – den Rest konnten die schleppen. Sie einigten sich sehr zufrieden stellend, Maja zahlte ein kleines Vermögen (wozu hatte man die Karten?) und schleifte Eimer, Gitter, Folie und Rolle nach Hause.

Gleich streichen? Wenigstens anfangen?

Die Decke war immerhin nicht gestreift tapeziert, sondern weiß, aber nicht mehr ganz frisch. Also schraubte sie die Verlängerung an die Rolle, legte sorgfältig die Folie aus, klebte sie sicherheitshalber fest und öffnete den Eimer.

Oops, lieber erstmal umziehen!

Im Schrank fand sie nach längerem Wühlen eine ganz besonders scheußliche Jeans in Olivgrün und ein zerfranstes Sweatshirt, das ihr merkwürdigerweise zu weit war. Wann hatte sie dieses Zelt denn gekauft? Dazu vergammelte Turnschuhe und einen gepflegten Hut aus Zeitungspapier, wie es sich gehörte.

Danach folgte der feierliche Moment – sie tauchte die Rolle ein, streifte sie ab und begann mit der Decke. Die Farbe tropfte natürlich doch, aber wenig und immer brav auf die Folie. Diese Folie konnte man also generell nur einmal verwenden, sonst saute man im nächsten Zimmer damit nur den Boden ein – wieder was gelernt.

Gegen halb vier hatte sie die Decke fertig, einen lahmen Arm und keine Lust mehr; sie platzierte die Rolle vorsichtig auf dem Gitter, streckte sich ausgiebig und beschloss, erst einmal mehrere Taschen voller Krempel zum Wertstoffhof zu tragen. Nachdem sie sich flüchtig von Farbklecksen befreit hatte, lud sie sich zwei Taschen voller unnützer Bettbezüge und einen Beutel schlechter Bücher auf und machte sich auf den Weg. Durch die Wohnungstür nebenan hörte sie streitende Stimmen. Aha, einen Ehemann unverzichtbar finden, aber dann mit dem eigenen herumzanken, das hatte sie gern!

Im Wertstoffhof freuten sie sich, ließen sie alles ordentlich einsortieren und gaben ihr ein Kärtchen des Entrümpelungsservice mit. Den würde sie gebrauchen können, wenn es darum ging, diese fiesen Teppiche loszuwerden. Wieder zurück, machte sie sich an die Wand, an der die Regale stehen sollten, denn die musste ja auf jeden Fall morgen trocken sein. Eine zweite Wand war auch zügig erledigt; bei den letzten beiden musste sie erst einmal Tür und Fenster abkleben – und dazu brauchte sie Klebeband. Also noch einmal zum Baumarkt!

Dort fand sie neben dem Klebeband auch schöne Pappkisten mit einem Muster aus Steinen in Grau und Braun. Am liebsten hätte sie gleich zehn Stück mitgenommen – sie passten im Ton auch genau zu den Regalen – aber dann nahm sie doch nur zwei. Schließlich gab es ja schon endlos viele Pappschachteln, wie sie gestern festgestellt hatte.

Fünf war es mittlerweile – sie klebte die Tür und die Fenster ordentlich ab und machte sich an die letzten Wände. Zufrieden betrachtete sie anschließend ihr Werk, säuberte Rolle und Gitter, verschloss den Farbeimer und stellte ihn in eine Ecke. Hier konnte sie vorerst nichts mehr tun – aber die anderen Zimmer sahen schließlich immer noch aus wie Sau. Und sie wollte sich ja morgen, wenn die Lieferung der Regale kam, nicht genieren müssen! Gott, war das spießig. Egal, der Flur sollte als nächstes dran glauben. Oder? Sie sah sich unschlüssig um. Die Kommodenschubladen? Aber viel machten die nicht her…

Der Kleiderschrank im Schlafzimmer? Au ja! Wenigstens einen Sack Schotter heraussortieren. Und überhaupt ordentlich viel Krempel wegwerfen!

Bis auf die beiden penibel geschichteten Fächer sah der Kleidungsschrank naturgemäß genauso fürchterlich aus wie immer. Maja holte sich einige Mülltüten und ging ans Werk. Mehrere zerfranste und ausgeleierte Pullover, ihr altes Schulsweatshirt (o Gott, wie abscheulich!), ein Uni-Sweatshirt (nicht hässlich, aber mit einem unausrottbaren Rotweinfleck), noch zwei knitterige Seidenblusen, die sie freiwillig nie anzog (wozu sie also aufheben?), mehrere verzogene T-Shirts - damit war eine der Mülltüten gestopft voll.

Der klägliche Rest in diesem Fach bestand aus drei tragbaren T-Shirts, die ihr aber zu eng waren (Maja schichtete sie ordentlich auf den entsprechenden Stapel), einem schönen Wollpulli mit großem Rollkragen, einem mikroskopischen Kaschmiranteil und einem wunderbaren Lavendelton, den sie gleich für den kommenden Winter zurechtlegte, und einem sehr ordentlichen beige-braun karierten Seidenschal. Sie weichte ihn ein, weil er müffelte, und suchte dann eine passende Schachtel für alle Seidentücher aus ihrer Pappschachtelsammlung. Die mit dem fast echten Burberry-Muster passte doch prima!

Das leere Fach wischte sie aus und überlegte dann, was dorthin gehörte. Na, egal – später. Erst einmal weiter räumen! Im nächsten Fach fand sie ganz hinten einen Blazer, den sie noch nie gesehen hatte. Ein ganz ordentliches Teil, hellbrauner Tweed mit kleinen bläulichen Einsprengseln und lavendelfarbenem Kragenspiegel.

Sie musterte ihn etwas perplex. Hatten den die Vormieter vergessen? Blödsinn. Jetzt fiel es ihr wieder ein – den hatte sie sich für das erste Staatsexamen gekauft und nur einmal angehabt, weil er unter den Armen gekniffen hatte. Sie schlüpfte hinein. Er kniff immer noch, nur stärker. Kein Wunder!

Und dann hatte sie die teure Fehlinvestition offenbar verdrängt.

Aber er war wirklich schön! Sie hängte ihn sorgfältig auf einen Bügel und den an eine Schranktür, als Mahnung. So etwas sollte sie tragen, und es sollte lässig sitzen, also, Maja: Augen auf beim Essen!

Vor dem Blazer hatten verknüllte Textilien gelegen, die sich als ehemals geordneter Stapel T-Shirts entpuppten. Maja entfaltete alle, betrachtete kritisch Zustand, Farbe und Größenangabe und behielt dann vier zurück. Der Rest konnte in die nächste Mülltüte. Darüber hinaus enthielt das Fach noch zwei unordentlich zusammengerollte Gürtel, die sich als durchaus brauchbar herausstellten, ein Paar mittelbraune Ballerinas, die natürlich passten, als sie schnell hineinschlüpfte, und zwei Paar offenbar ungetragene Burlington-Socken – rosa/grau kariert und blau/rot kariert.

Maja zog die Ballerinas auf Schuhspanner und applizierte reichlich farblose Schuhcreme, dann holte sie aus ihrer Sammlung eine große Schachtel und warf die beiden Sockenpaare hinein.

Wieder war damit ein Fach leer und konnte geputzt werden. Vielleicht sollte sie hier die beiden Kisten mit dem Steinmuster hineinstellen, eine mit Socken, eine mit Unterwäsche? Dann brauchte sie auf die Dauer keine Kommode…

Gute Idee.

Mittlerweile war es im Schlafzimmer schon relativ dunkel. Maja schaltete in der ganzen Wohnung das Licht an und schaute auf die Uhr – halb acht??

Aber immerhin hatte sie schon wieder zwei volle Säcke für den Klamottencontainer zusammengebracht - und die würde sie jetzt auch noch zügig wegschaffen! Auf dem Weg nach draußen schnappte sie sich auch noch eine volle Mülltüte aus der Küche und klapperte dann Tonnenhäuschen und Containerstandplatz ab. Draußen war es kühl und frisch - angenehm, fand sie und schritt gleich munterer aus, als sie ihre Säcke losgeworden war. Dass manche Schaufenster schon eine Art Weihnachtsdekoration zeigten, fand sie grob übertrieben, aber die funkelnden Lichter in der sich rasch verstärkenden Dämmerung sorgten schon für eine heimelige Stimmung.

Ihr erstes Weihnachten ganz alleine, überlegte sie. Die Eltern hatten eine Kreuzfahrt in die Karibik gebucht, Lucia wollte mit ihrem Mann Skifahren gehen und Florian wollte mit seiner Süßen nach New York. Bisschen angeberisch, fand sie – aber bitte! Chacun à son gôut oder wie das hieß. Sie würde es sich auch alleine gemütlich machen können.

Aber noch lag kein Schnee, es war kühl, aber keinesfalls kalt, und man konnte sehr schön spazieren gehen. Maja schlug einen großen Haken an der Uni vorbei zurück in die Maria-del-Pilar-Straße und seufzte, als sie wieder in der Wohnung stand. Immer noch nicht erkennbar besser!

Aber was hatte sie nach so kurzer Zeit denn auch erwartet? Immerhin war das künftige Arbeitszimmer leer und roch sehr ansprechend nach Farbe. So richtig nach neuer Wohnung! Maja betastete vorsichtig die Wände – einigermaßen trocken, sehr gut.

Sie polierte die tiefen Marmorfensterbretter und ging dann daran, die wirklich wichtigen Bücher aus dem alten Arbeitszimmer stoßweise herauszusortieren und ordentlich auf den Fensterbrettern aufzustapeln. Als alle Bücher den Raum gewechselt hatten, betrachtete sie aufatmend ihr Werk. Jetzt fehlten wirklich nur noch die neuen Regale. Ja, und dann musste sie die schlampig geführten Ordner in Ordnung bringen, bevor sie gar nichts mehr wieder fand.

Das alte Arbeitszimmer prangte noch im Schmuck des wackligen Regals und des ebenso wackligen Schreibtisches – und natürlich der windschiefen Ordner. Hier war der Teppichboden ebenfalls braun und, wie sich leicht feststellen ließ, ebenfalls nur lose verlegt. Aber diese Gemüseschmiere-Tapete! Grauslich. Andererseits hatte die Farbe die gelben Streifen ja auch wunderbar abgedeckt… also konnte sie es am Wochenende doch auch mit diesem Zimmer versuchen - und wenn ihr unnützer Schotter erstmal weg und der brauchbare auf die anderen Zimmer verteilt war, dann konnte man ja auch Schlafzimmer und Wohnzimmer herrichten…

Ach, sie würde es schon schaffen! Es musste ja nicht alles heute passieren.

Neun Uhr. Da konnte sie doch wenigstens einen der Ordner noch herrichten?

Sie entschied sich für Mathe 7, das war ja auch einigermaßen aktuell, und ließ sich damit auf ihrem durchgesessenen Sofa nieder. Da brauchte sie bei Gelegenheit auch mal ein neues! Sie schlug den Ordner auf und staunte – hatte sie alles einfach obendrauf geheftet? Und wieso hing so viel lose heraus? Und an ein Register hatte sie offenbar noch nie gedacht…

Im Wohnzimmer wurde das nichts, egal, wie gerne sie beim Aufräumen weich sitzen wollte. Sie zog ins alte Arbeitszimmer um, kramte nach dem Locher und ihren vorrätigen Registern und machte sich ans Werk – alles wurde ordentlich gelocht, die Doubletten aussortiert, die Kopiervorlagen in Klarsichthüllen gesteckt, die einzelnen Kapitel durch Titelseiten (gedruckt auf die letzten Reste farbiges Papier und ebenfalls in Klarsichthüllen gepackt) markiert.

Schön sah das aus, fand Maja. Leider ging ihr das farbige Papier schon nach dem Mathe-7-Ordner aus. Sie fand noch einen Schmierzettel und notierte sich, dass sie buntes Papier, Klarsichthüllen (am besten einen Hunderterpack) und Rückenschilder brauchte. Ja, und vielleicht noch ein paar Register!

Sobald die Lieferung gekommen wäre, könnte sie zum Uni-Lädle laufen, beschloss sie. Und dieser Ordner sah jetzt eigentlich ganz ordentlich aus… nein, der Ordner war schief und ausgeleiert. Sie würde sich farbige Ordner kaufen, rot für Mathe, gelb für Geo, blau für alles andere, und zwar welche, bei denen man die Rückenschilder einstecken konnte anstatt sie aufzukleben. Passende Software hatte sie auf ihrem Rechner, also brauchte sie nur die Pappschilder und die Ordner – acht für jedes Fach, nein, neun, dazu ja noch einen für die Seminare – oder zwei? Für W und P getrennt? Wohl besser. Okay, zehn. Und blau: Wohnung, Job, Geldanlagen & Steuern, Versicherungen, naja, fünf.

Sie ergänzte ihre Liste – da hätte sie morgen ordentlich was zu schleppen!

Brauchte sie eigentlich einen neuen Schreibtisch? Der alte wackelte ein bisschen, bis sie einen Schraubenzieher fand (Besteckschublade – was machte der da eigentlich?) und die Schrauben energisch nachzog. Sehr groß war er nicht, aber eigentlich ausreichend. Ein bisschen grau war das rötliche Buchenholz mittlerweile geworden. Achtzig mal einsvierzig musste doch eigentlich ausreichen, wenn sie Ordnung hielt? Wenn sie den Schreibtisch so stellte, dass sie ohne Probleme in das erste Regal langen konnte (Drucker, Stifteköcher, Lexika, aktuelle Bücher), war der Tisch doch sowieso wieder entlastet. Das einzige Problem war demnach die Tatsache, dass er so grau und verspeckt aussah. Gab es hier irgendwo noch Möbelpolitur?

Sie räumte die Platte komplett leer und stapelte den ganzen Krempel auch im neuen Arbeitszimmer auf eins der Fensterbretter, dann schrubbte sie alle Holzteile mit normalem Putzmittel kräftig ab. Sah schon besser aus, fand sie. Naja, noch nicht viel besser – aber ein bisschen.

In der Küche gab es tatsächlich noch einen Rest Möbelpolitur – aber die roch schon mehr als seltsam. Wie lange besaß sie diese Flasche denn schon? Sie warf sie weg und schrieb Möbelpolitur auf ihre Einkaufsliste. Ja, und etwas, um das Parkett schön herzurichten!

Für heute reichte es ihr. Sie warf einen letzten zufriedenen Blick auf das künftige Arbeitszimmer und verzog sich ins Bett. Natürlich mit geschrubbtem und eingecremtem Gesicht! Und morgen würde sie vielleicht auch mal ihre Haare ein paar Zentimeter stutzen, war ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Das große Aufräumen

Подняться наверх