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Donnerstag, 10.11.2011

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Gut geschlafen hatte sie, musste sie zugeben – aber sie sah genauso verquollen aus wie in den letzten Tagen. Mürrisch musterte sie sich im Badezimmerspiegel.

„Den könnte ich auch mal putzen“, murmelte sie, schrubbte sich das Gesicht mit viel kaltem Wasser und trug wieder Augengel und Feuchtigkeitscreme auf.

Die Haare waren auch ziemlich furchtbar. Zu lang, zu farblos und an den Spitzen heftig kaputt. Aber jetzt wollte sie die nicht schneiden. Vielleicht am Wochenende ein paar Zentimeter. Naja, oder heute Abend… mal sehen.

Immerhin gelang es ihr, beim Duschen einen der zahlreichen Duschgelreste aufzubrauchen. Zufrieden warf sie die Flasche in den Müll und stand dann ratlos vor dem Kleiderschrank. Welche Hose?

Die schwarzen 48er mussten doch passen?

Naja, sie kniffen, aber sie gingen zu. Man musste eben bescheiden sein. Und dazu? Sie zog eine schwarz-weiß gewürfelte Bluse aus dem Schrank, die wie durch ein Wunder ebenfalls passte, und eine rote Fleeceweste. Die sollte sie aber besser offen lassen, die war etwas eng.

Soo schlecht sah das alles nicht aus, überlegte sie beim Fönen. Aber sie war wirklich ganz schön fett. Heute Nachmittag würde sie das Protokoll der Fachsitzung tippen. Na, wenigstens zur Hälfte. Und dann mal alle Hosen sichten, sie konnte ja nicht immer nur diese schwarze und die graue und die dark blue von gestern und vorgestern anziehen. Vielleicht waren ja auch noch welche in den Kisten?

Bestimmt sogar – aber in welchen Größen? Und ein paar schöne Hemden mussten auch irgendwo noch sein. Die Küche sah furchtbar aus. Der Flur sah furchtbar aus. Das Regal im Arbeitszimmer war völlig unzureichend. Was mit dem vierten Zimmer werden sollte, war auch noch nicht raus. Sie konnte doch nicht ewig damit leben, dass im Schlafzimmer immerhin ein Schrank stand!

Vor allem, wenn man an dieses Delfter Blau dachte. Wenn Onkel Karl Heinz das wenigstens in der Küche verwendet hätte!

Vielleicht konnte man das überstreichen? Die Tapete war noch ganz ordentlich… Am Wochenende?

Ja, und am Montag war sie dann krank, weil sie das ganze Wochenende in den Farbdämpfen geschlafen hatte! Toller Plan.

Jetzt musste sie sowieso erst mal in die Schule, heute war ein langer Tag. Sieben Stunden, dreimal Mathe, viermal Geo. Sie hatte sich doch gestern eine Liste geschrieben, was sie machen wollte… wo war die jetzt wieder hin? Sie trank eine Tasse Tee und wühlte in ihrer Tasche herum, bis sie den verknüllten Zettel wieder zutage gefördert hatte.

Ach so, ja. Alles klar.

Immerhin hatte sie alle Mappen und alle nötigen Bücher in der Tasche.

Deshalb war die auch so schwer! Geld, Tasche, Schlüssel – und ab.

Dass sie beim Bäcker daran dachte, Vollkornsemmeln und Mineralwasser zu kaufen, machte sie richtig stolz. Eigentlich hatte sie sich in den letzten zweieinhalb Tagen schon ziemlich gebessert, fand sie. Auf dem richtigen Weg, konnte man sagen.

Ja, und wenn sie so weiter machte, hatte sie in circa fünf bis sieben Jahren ihre Wohnung aufgeräumt, ihre Arbeit auf die Reihe gekriegt und sich etwa auf Normalgewicht herunter trainiert. Dann war sie zwei- oder dreiunddreißig.

Nein, etwas flotter musste das schon gehen. Mit dreißig wollte sie alles geschafft haben. Immerhin hatte sie doch einigermaßen flott studiert – nicht jede saß schon mit siebenundzwanzig auf ihrer Planstelle.

Wenn man von Geli Pollmeier absah. Die wurde im März fünfundzwanzig und wurde manchmal nicht ins Lehrerzimmer gelassen, weil sie wie eine Schülerin wirkte. Und die hatte sogar drei Fächer studiert!

Ja, aber sonst musste sie sich wirklich nicht schämen.

Aber mit achtundzwanzig sollte sie schon ein Stück weiter sein. Damit hatte sie noch etwas über zwei Monate Zeit, das konnten neun oder zehn Kilo sein, einige Schränke, alle Kisten, vielleicht zwei, drei Räume – es gab immerhin noch die Weihnachtsferien… Mal sehen, vielleicht konnte sie bis Weihnachten auch noch einiges wegputzen. Buchstäblich.

Kein Chef vor der Zehnten, mit der sie ein gutes Stück weiter kam, auch wenn denen so früh am Morgen eine müde Frau Körner sichtlich lieber gewesen wäre.

Die beiden Geo-Kurse schienen ebenfalls keine rechte Lust zu haben, fügten sich aber etwas unenthusiastisch, als sie Atlasarbeit und Auswertung von Quellen und Statistiken einforderte. Maja notierte das Wichtigste an der Tafel (Ergebnissicherung!), wiederholte am Ende und gab den entsprechenden Buchtext auf.

Die Siebte tobte ihr entgegen, vorneweg Leon und Nike, die sich um eine schon ziemlich zerfledderte Bravo rauften. Maja riss das Heft an sich und steckte es ein. „Jetzt braucht ihr das bestimmt nicht. Und wenn ihr es zur Pause wieder haben wollt, benehmt euch entsprechend.“

Oh Gott, hatte sie das eben wirklich gesagt? Genau wie Mama früher!

Leicht betreten scheuchte sie die Kinder ins Klassenzimmer, ließ sie aufstehen, begrüßte sie förmlich und begann mit den Hausaufgaben. Wie ordentlich sie heute war! Sie war sich selbst schon ganz fremd.

In der 6. und 7. Stunde hatte sie frei und sogar daran gedacht, auf den Vertretungsplan zu schauen (am Anfang des Schuljahrs hatte sie mehrere Vertretungen nicht gehalten, weil sie eben nicht gemerkt hatte, dass man sie eingesetzt hatte). Sie saß im Lehrerzimmer und räumte in ihrer Tasche herum, als Luis Trattner hereinkam und sich suchend umsah. Außer Maja war keiner da, und er murmelte „Nein, hier ist auch niemand…“, bevor er sich abwandte.

Maja war empört. War sie niemand? Was hatte er eigentlich gegen sie? Glaubte er etwa, wenn er normale Höflichkeit an den Tag legte, läge sie ihm sofort zu Füßen? Also, soo schön war er nun auch wieder nicht!

Und ein ziemlicher Affe obendrein. Dass Katja ihn nicht haben wollte, freute sie jetzt richtig. Blöder Sack. Typisch Sportlehrer eben.

Na, es gab auch nette. Aber nicht Trattner! Mit noch mehr Energie räumte sie ihre Tasche aus, sortierte die brauchbaren losen Zettel in die entsprechenden Mappen, stellte ein endlich vollständiges Ex zusammen (fällig schon länger vor Allerheiligen) und steckte es der Fachbetreuerin ins Fach und stellte schließlich erfreut fest, dass sie die Mitschrift für das Fachsitzungsprotokoll immer noch herumtrug. Es zahlte sich also doch aus, nicht alles sofort aufzuräumen…

Nebenan an den PC-Plätzen war alles frei, also loggte sie sich ein und begann mit dem Protokoll, dass ihr sogar einigermaßen flott von der Hand ging. Kunststück, wenn das Geschreibsel von gestern stammte! Sie tippte drei volle Seiten, legte ein anständiges Layout drüber – damit waren es dreieinhalb Seiten, ergänzte den vorgeschriebenen Kopf, las alles noch einmal durch, zog es in ihre eigenen Dateien und schickte es sofort an die Fachbetreuerin, druckte es zweimal aus und loggte sich wieder aus. Ein Exemplar steckte sie ein, das zweite kriegte die Zeitz gleich ins Fach.

War sie eine Streberin!

Wenn sie jetzt so eine affige To-do-Liste hätte, könnte sie diesen Punkt mit Schmackes durchstreichen…

Nein, ein normal begabter Mensch musste doch nicht dauernd mit einem Notizbuch herumlaufen. Das konnte man sich doch alles merken!

Immerhin fischte sie die Liste mit dem Stoff von heute aus dem Vorderfach ihrer Tasche und studierte sie kurz: alles erledigt – bis auf die Ableitungsregeln, nachher. Aber die Doppelstunde reichte dafür locker.

Jetzt hatte sie erst einmal Hunger! Sie aß die Vollkornsemmeln trocken und spülte mit Wasser nach. Wasser und Brot… ganz schön frugal. Der Gedanke gefiel ihr.

Die Elfte ächzte und litt hörbar, aber Maja wiederholte mit ihnen alles von der Potenz- bis zur Kettenregel und ließ sie dann in Gruppen Aufgaben lösen, auf Folie schreiben und den anderen Gruppen vorstellen.

Um Viertel vor drei hingen sie wirklich in den Seilen, aber einige Testfragen zeigten, dass für den Moment alle alles ableiten konnten, was ihnen vor die Flinte kam. Wie das freilich in der nächsten Stunde aussehen würde… aber dafür gab es ja eine geeignete Hausaufgabe.

Im Lehrerzimmer war schon wieder niemand - hatte denn heute kein Mensch Nachmittagsunterricht? Oder hatte sie so sehr getrödelt, dass alle anderen schon weg waren? Oder trafen die sich auf dem Parkplatz, den sie ja mangels eines fahrtüchtigen Autos nicht frequentierte?

Sie packte ihren Kram zusammen und machte, dass sie nach Hause kam – schließlich wartete dort noch jede Menge Unordnung auf sie.

Sobald sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, sank ihr wieder der Mut – wo sollte man hier denn anfangen? Dass zwei Schrankfächer und die Abstellkammer einigermaßen ordentlich waren, stellte ja doch nur einen Tropfen auf den heißen Stein dar. Jetzt war es vier, stellte sie fest. Was zuerst? Etwas essen? Nein, sie hatte schon die Vollkornsemmeln gehabt – erst abends sollte es wieder etwas geben. Sie war schließlich fett genug.

Na gut, eine Mülltüte voller schrecklicher Klamotten. Das würde sie so lange machen, bis der Schrank einigermaßen leer war. Sie hatte noch so ein Riesending, in dem mal eine Tasche gewesen war – und sie wurde fündig: zwei unsägliche Strickjacken, ein völlig ausgeleiertes Polo, drei zerfranste T-Shirts, eine Bluse in Größe 54, die sie wieder vor Rätsel stellte: So dick war sie doch noch nie gewesen?

Im nächsten Schrank zerrte sie den braunen Strickrock vom Bügel. Den zog sie ja doch nie an, und irgendwie war er doof. Sie ergänzte die Sammlung noch um die Socken, die immerzu rutschten (von der Sorte hatte sie fünf Paar) und diese widerliche knallblaue Seidenbluse, bei der die Knopflöcher zu groß waren. Von solchen Schnäppchen sollte sie wirklich besser die Finger lassen!

Mittlerweile war auch die Riesentüte voll und landete im Flur.

Und jetzt?

Vielleicht mal die Küche…

Hm. Eigentlich war die Küche nicht schlecht. Die glatten Kiefernfronten waren zeitlos und außerdem intensiv nachgedunkelt. Dazu sah die cremefarbene Arbeitsplatte gut aus, auch wenn der Fliesenspiegel etwas heller war. Kiefer, creme und ein bisschen Edelstahl. Sehr dezent. Und glücklicherweise weiße Wände, wo Onkel Karl Heinz doch sonst so einen kranken Geschmack in puncto Tapeten gehabt hatte.

Aber trotzdem sah es furchtbar aus. Dabei hatte sie doch die Spülmaschine erst laufen lassen! Hm… woran lag das? Die Aufkleber auf den Oberschranktüren waren das eine. Sie zog sie vorsichtig ab und rieb die Überreste dick mit Bodylotion ein, dann trug sie alles, was herumstand, zusammen und musterte es zweifelnd: ein roter Toaster. Wann hatte sie zum letzten Mal Toast gegessen? Nicht mal Vollkorntoast war so besonders gesund!

Der Toaster konnte, entbröselt und gesäubert, eigentlich auf das oberste Fach in der Abstellkammer. Das Gewürzsammelsurium machte auch einen merkwürdigen Eindruck. Aber Gewürze brauchte sie ja, für Quark und Salatsaucen. Maja wühlte in den Oberschränken herum und fand ein Körbchen mit Henkel, offenbar ein ehemaliges Osternest. Die Tütchen darin konnten gleich in den Müll, abgelaufene Tortenglasur, angebrochener Vanillinzucker und einige verstaubte Oblaten waren ohnehin nicht mehr zu gebrauchen, das hätte sie wirklich schon vor dem Umzug wegwerfen können! Maja klopfte das Nest aus, räumte alle Gewürze hinein – bis auf den leeren Currystreuer – und stellte das Ganze wieder in den Schrank, direkt neben dem Herd.

Schon besser!

Die Topflappen waren verspeckt und fleckig und außerdem blau-weiß gestreift. Nein, weg damit. Irgendwo waren doch noch graue? Genau, unter den Geschirrtüchern! Und graue Geschirrtücher! Sie hängte das alles auf und fand sich gut. Ach ja, der rote Silikon-Pfannenrührer musste auf jeden Fall auch in eine Schublade! Noch besser.

Maja füllte das Spülbecken mit Wasser und gab Putzmittel hinzu, dann schrubbte sie rundherum den Fliesenspiegel ab, der gleich etwas heller wurde und nach dem Trocknen regelrecht zu glänzen begann. Mit dem Putzwasser entfernte sie auch noch die Mischung aus Bodylotion und Aufkleberresten, trug nach dem Trocknen dünn Möbelpolitur auf die Holzfronten auf und nickte zufrieden. Eine recht anständige Küche!

Naja, bis auf den Müll und den fleckigen Boden, hieß das.

Also stellte sie die beiden Mülltüten in den Flur und wischte den Küchenboden gründlich auf. Als sie von den Mülltonnen zurückkam, war der Boden getrocknet und sah wirklich sehr erfreulich aus. Sie zog den Aufnehmer vom Schrubber und warf ihn ins Spülbecken.

Und was jetzt? Was hatte sie denn morgen alles zu tun? Gar nicht so üppig, fand sie. Sie nahm sich im Arbeitszimmer einen Zettel und notierte sich, was sie machen wollte:

11 M – Ableitungsregeln, Erarbeiten der Übersicht – mit Moderationskärtchen?

8 b M Achsenschnittpunkte von Geraden

7 c M Gleichungen (im Buch gab es da recht schöne Übungen)

9 d Geo Entwicklungsländer (ist Entwicklungshilfe eigentlich sinnvoll?)

Für das letzte brauchte sie Artikel. Was gab es im Internet? Vor Jahren hatte sie im Spiegel einen Artikel gelesen – ob es den dort im Archiv gab? Sie fuhr den Rechner hoch und betrachtete, während er die üblichen Programmzugriffe abfragte, missmutig das Zimmer. Der braune Teppichboden ging ja, obwohl Teppichboden eigentlich furchtbar war – aber diese Tapete mit dem Gemüsepampe-Muster: unerträglich. Sie stand auf und strich vorsichtig mit dem Finger darüber – das war gemusterte Raufaser. Konnte man so was nicht übermalen? Zum Beispiel in Hellgelb? Und wenn es scheußlich würde, konnte man die Tapeten immer noch abreißen. Und wenn sie den Teppich auch…?

Aber konnte sie selbst Parkett verlegen? Gab es da nicht so einfache fertige Paneele? Morgen musste sie nach der Schule mal im Baumarkt nachfragen.

Und jetzt…

In der Küche spülte sie den Aufnehmer aus und hängte ihn zum Trocknen auf, reinigte das Spülbecken und schrubbte die Arbeitsflächen, warf die vertrockneten Kräutertöpfchen weg und räumte den übrigen herumstehenden Kram in die Schränke. Gut so. Regelrecht puristisch. So konnte es bleiben.

Noch eine Mülltüte – aber die war noch nicht ganz voll. Was konnte noch weg? Im Flur fand sie drei überflüssige Zeitschriften, eine leere Schuhcremedose, einen vereinzelten Wollhandschuh mit einem Loch im Daumen, zerbrochene Schuhspanner und – hinter dem Spiegel klemmend – die Plastikrose, die ihr Rolfi damals auf der Wiesn geschossen hatte. Rolfis Nachname war ihr entfallen – der Wiesnbesuch war bestimmt zehn Jahre her. Dann konnte das staubige Ding aber auch weg! Es bröselte ihr unter den Händen auseinander – der Weichmacher schien sich verabschiedet zu haben. Hätte sich dieses Ding nicht schon in der Umzugskiste auflösen können?

Maja sammelte alles in der Tüte und trug diese und die Zeitschriften wieder nach unten. Auf dem Rückweg begegnete ihr Frau Heusler von nebenan.

„Na, Frau – äh – Körner? Wie geht´s?“

„Danke, gut – und selbst?“, antwortete Maja höflich, aber eher desinteressiert. Frau Heusler konnte ihre Mutter sein und trug über einem dunkelbraunen Jerseykleid einen geblümten Kittel. Außerdem roch es aus dieser Wohnung immerzu nach künstlichem Lufterfrischer und altem Zigarrenrauch, und wenn Maja etwas hasste, dann war es Tabaksqualm. Frau Heusler mit ihrem ordentlichen Mülleimer stieg die Treppen hinunter und Maja fragte sich, ob bei denen die Bäder noch senfgelb waren. Mama hatte da wahre Gruselgeschichten erzählt!

Drinnen betrachtete sie sinnend die Kommode im Flur. Dunkles Holz, früher ihr bestes Stück. Acht Schubladen, vier breite unten und vier schmale oben, je zwei nebeneinander. Eigentlich immer noch schön. Aber grau und stumpf.

Und was war da eigentlich alles drin?

Sie zog die obersten beiden kleinen Schubladen auf. Aha: Handschuhe, Mützen, Schals, Tücher, eng hineingepresst und verknautscht. Warum hatte sie denn so viel Kram angehäuft? Kurz entschlossen nahm sie die beiden Schubladen heraus und leerte sie auf die Kommode.

O Gott, was für ein Mist! Sicherheitshalber holte sie sich noch eine Mülltüte.

Also… braune Lederhandschuhe, noch ganz in Ordnung. Die konnte sie behalten. Schwarze Handschuhe, Wildleder, ein Finger aufgerissen und der andere Handschuh offenbar in Fett gebadet. Weg. Ein fieser Schal, aus billigster Kunstfaser und abscheulich grell kariert. Weg.

Ein schöner Seidenschal mit Paisleymuster. Behalten – aber waschen!

Ein graues Basecap. Okay.

Noch ein Handschuh. Rot. Ganz lustig, aber wo war der zweite? Aha, hier. Zerrissenes Futter, außerdem war das überhaupt kein Leder. Weg.

Blassgraue Fleece-Handschuhe, in Ordnung. Gut.

Dazu passend ein Schal und eine Fleecemütze. Schön warm. Damit war sie für den Winter eigentlich schon gerüstet.

Seidentücher – eins im Hermes-Stil, verdrückt und fleckig, aber eigentlich ganz schön. Waschen. Eins in Brauntönen, aber nicht aus Seide, sondern aus Polyester. Weg. Das dritte, rot mit weißen Punkten, war ein kleines, sozusagen ein Nickituch. Auch waschen.

Sie weichte alles im Bad ein und verbrauchte dabei gleich wieder einen Shampoo-Rest. War sie heute effizient!

Danach fand sie noch einen einzelnen Skisocken (dabei hatte sie gar keine Ski mehr), einen gehäkelten Schal (uäh!), einen einzelnen Wollfäustling und einen Haufen Staubflusen. Immerhin.

Sie wischte die beiden Schubladen aus und polierte das Holz, dann zog sie die zweitoberste Etage auf.

Ach nein… Einkaufstüten, Nylonbeutel und diese Recycling-Taschen vom Supermarkt. In beiden Schubladen! Die Plastiktüten nahm sie heraus, faltete sie anständig und stapelte sie in der Küche auf. Noch zehn-, zwanzigmal zum Altkleidercontainer und die Dinger waren aufgebraucht.

Warum besaß sie so viele Nylonbeutel? Und in so scheußlichen Farben? Die konnten – bis auf das rot-weiß gestreifte Ding - eigentlich alle in den Wertstoffhof, die freuten sich bestimmt über Verpackungsmaterial.

Die Recycling-Taschen waren okay. Eine konnte in die Küche, um die tausend Plastiktüten darin aufzubewahren, in die andere kamen die leeren Colaflaschen. Die mussten morgen sowieso zurück in den Supermarkt, und ab jetzt gab es ohnehin nur noch Light-Getränke. Oder Wasser. Ihre Speckschwarten waren wirklich abscheulich!

Für heute reichte es mit der Kommode, fand sie und spülte lieber die Seidentücher im Bad aus und hängte sie über die Stange vom Badetuch.

Danach lümmelte sie sich gemütlich aufs Sofa und überlegte. Morgen… Rest der Kommode, auf jeden Fall. Und sie ordentlich einölen, die hatte früher nämlich mal schön geschimmert.

Und über das Streichen nachdenken! Womit sollte sie anfangen?

Im Arbeitszimmer war es wahnsinnig nötig, dort saß sie ja die meiste Zeit und diese Tapeten machten sie noch ganz krank.

Andererseits war das vierte Zimmer fast leer – das konnte man schön herrichten.

Blödsinn! Sie konnte doch nicht danach gehen, wo gerade Platz zum Renovieren war?

Andererseits – das vierte Zimmer war ein bisschen größer als das Arbeitszimmer, hatte zwei Fenster, ging außerdem nach hinten hinaus, war also ruhiger als das Arbeitszimmer… und wenn sie tauschte?

Geniale Idee!

Und dort konnte sie auch einen anständigen Boden legen. Oder legen lassen. Und dann das ganze Arbeitszimmer dorthin verlegen.

Halt! Hatte sie dort eigentlich einen vernünftigen Anschluss fürs Modem? Und fürs Telefon? Wahrscheinlich nicht.

Sie rappelte sich auf und ging nachgucken. Doch, in der Ecke neben dem Fenster. Genau dort konnte man auch gut den Schreibtisch aufstellen… sogar einen schöneren und vor allem größeren!

Wenn sie hier aber arbeiten wollte, mussten die blöden Kisten weg – wohin?

Ach Scheiße – das nahm ja überhaupt kein Ende!

Frustriert starrte sie auf die Kistenwand. Wohin mit dem Mist? Halb zehn war es mittlerweile. Sie konnte vielleicht wenigstens ein paar Kisten anschauen und leer machen…

Nein, leer machen war blöd. Dann lag nur noch mehr Krempel herum. Besser Schotter entsorgen und dafür sorgen, dass es weniger Kisten wurden! Und den Rest eben erst mal ins Wohnzimmer, vor die beiden wackligen Regale.

Sie brauchte neue Regale, und zwar reichlich! Und zwar anständige – die Wackeldinger taugten wirklich nur noch für den Keller. Diese Scheißwohnung, die gehörte sich wirklich nicht für eine Studienrätin. Gut, sie war noch nicht auf Lebenszeit verbeamtet, aber wenn Dr. Eisler sie nicht gerade reinlegte, gab es da doch wohl keine Probleme.

Also – leer machen oder umräumen?

Sie betrachtete die Kisten eine Zeitlang missmutig, dann holte sie sich doch noch ein paar Tüten. Wenn sie den gröbsten Mist wegwarf, würden es vielleicht wenigstens etwas weniger Kisten. Und da sie die Stelle in Leisenberg ziemlich spät erhalten hatte, hatte sie auch ausgesprochen hastig gepackt. Die Chance, dass die Kisten bloß Gerümpel enthielten, war also gar nicht so gering.

Erste Kiste: Bücher. Sie räumte alle aus und stapelte sie in das Regal dahinter, fischte dann zehn heraus, die ganz offenkundiger Mist waren (unter anderem das BGB aus ihrer eigenen Schulzeit und ein Europaatlas von 1985) und packte die Kiste wieder ein. Immerhin war sie so etwas leichter und ließ sich ohne Probleme ins Wohnzimmer schleifen.

Woher sie einen Atlas hatte, der kaum jünger war als sie selbst, wusste sie auch nicht. War das vielleicht Florians alter Schulatlas? Im Flur stellte sie einen Einkaufskorb auf und packte die drei Bücher hinein, die man dem Tauschladen im Wertstoffhof anbieten konnte – der Rest gehörte ins Altpapier.

Zweite Kiste: Geschirr. Ach, da war ihr bunt gepunktetes Service hingeraten! Sie zerrte die Kiste in die Küche, schichtete das ganze Service in die Spülmaschine, stopfte das Zeitungspapier ins Altpapier und lehnte die gefaltete Kiste im Flur an die Wand.

In welchen Schrank in der Küche sollte sie das Geschirr stapeln, wenn es erst einmal gespült war? Sie sah in alle Schränke und entdeckte schließlich, dass der Oberschrank neben dem Spülbecken bis auf zwei Plastikdosen leer war.

Leer, aber staubig. Und in den Dosen war auch nichts und sie waren hässlich. Weg damit! Sie wischte den Schrank gründlich aus und kehrte in ihr künftiges Arbeitszimmer zurück. Der Teppichboden dort hatte übrigens keine Sockelleisten, stellte sie fest. Offenkundig selbst verlegt! Sie zog probehalber neben der Tür an einer Ecke und hob den Teppich mühelos an. Lose verlegt? So ein Glück aber auch! Und was war drunter? Es schimmerte dunkel, also offensichtlich kein blassgrauer Estrich. Als sie weiter zog, kam dunkler Holzboden zum Vorschein – besser konnte sie es ja gar nicht treffen, genau der Boden, den sie sich ausgesucht hätte. Ob das überall so war?

Nein, nicht nachgucken – erst die Kisten durchsehen!

Dritte Kiste: diverse Winterpullover. Sie schleifte diese Kiste gleich ins Schlafzimmer und packte dort die Pullover aus. Ach, der schöne dunkelblaue mit den weißen Pünktchen, wie ein Nachthimmel im Schnee! Sie faltete ihn ordentlich und legte ihn auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, bis sie dort eine bessere Lösung gefunden hatte. Die nächsten beiden waren leicht verfilzt und/oder löchrig, die konnten gleich in den Müll. Der selbst gestrickte in Lachsrosa war erstens abscheulich und zweitens so warm, dass man ihn nie in Innenräumen tragen konnte. Und so kalt war seit Jahren kein Winter mehr gewesen, dass sie das monströse Ding aus doppelt verstrickter Strumpfwolle auch nur einmal gebraucht hätte. Der konnte in den Container, für jemanden, der echt verfroren war. Oder in den Tauschladen. Ja, genau, für den Container war er fast noch zu schade.

Unter dem lachsrosa Monster kamen ein Paar Winterstiefel zum Vorschein, mittelbraun, Leder mit Antikfinish, gar nicht schlecht. Ach ja, die Stiefel – die hätte sie spätestens beim ersten Schnee bestimmt gesucht. Sie stellte sie beiseite. Wo sie die Schuhe aufbewahren würde, musste sie auch noch überlegen. Immerhin gut, dass sie wieder da waren.

Noch zwei Schals, einer braun, einer blau-weiß geringelt, dann war die Kiste leer – bis auf ein sehr merkwürdiges Sofakissen. Das konnte weg.

Nein. Der doofe Bezug ja, aber das mit Federn gefüllte Innenkissen brauchte doch nur einen neuen Bezug, dann war es wieder okay.

Sie warf das Innenkissen in eine Ecke und den Bezug zur Wäsche (waschen und Tauschladen, es gab garantiert Leute, denen orange-braune op-art-Muster gefielen – aber warum hatte sie dieses unnötige Siebziger-Jahre-Revival bloß mitgemacht?). Und wieder eine Kiste erledigt! Sie stellte sie gefaltet zu der anderen in den Flur und kehrte ins vierte Zimmer zurück.

Kiste Nummer vier enthielt Pappschachteln in verschiedenen Mustern. Stimmt, so was hatte sie eine Zeitlang gesammelt.

Sie hob die Kiste probeweise hoch – sie war verdächtig leicht. Offenbar waren die meisten Schachteln leer.

Sie war aber auch ein dummes Huhn – warum hatte sie die Schachteln denn nicht ineinander gestapelt? Da gab es mindestens zehn Stück in verschiedenen schwarz-weißen Mustern – die passten alle ineinander. Und in die große mit dem Rosenmuster passte die etwas kleinere mit den Nelken, und dahinein die gelb geblümte. Halt, Stopp, in der Nelkenschachtel lagen einige Ansichtskarten. Weder schön noch interessant – ach ja, von diesem Kettenbrief, als sie acht gewesen war. 1991 – gerade, dass sie noch keinen Rechner gehabt hatte und der Kettenbrief elektronisch stattgefunden hätte. Ob man mit so was ein E-Mail-Programm lahmlegen konnte?

Wahrscheinlich nicht, weil die meisten ja doch nicht mitmachten. Sie war damals noch so naiv gewesen, dass sie ernsthaft geglaubt hatte, jetzt tausende von schönen Karten aus der ganzen Welt zu bekommen.

Und was war eingetrudelt? Sie sah die Karten rasch durch: Köln, Stuttgart, Leisenberg (ui, so ein Zufall), Münchener Innenstadt, Schloss Blutenburg, Flughafen München (noch der in Riem). Nein, das hob sie nicht auf, die waren auch nicht von historischem Interesse.

Gut, dann passten die Schachteln jetzt ineinander. Und die drei ausgeleierten Zopfgummis aus der kleinsten Blumenschachtel warf sie am besten auch gleich weg.

So, zwei Schachtelsets – ins Wohnzimmerregal, vorläufig. Allmählich hatte sie das Gefühl, dass sie immer neue Unordnung erzeugte. Sie tröstete sich damit, dass sie sich in den nächsten Wochen ja ein perfektes Arbeitszimmer herrichten würde – und da war dann für alles Platz. Und wenn das erstmal fertig war, kam das Wohnzimmer dran, und dann das Schlafzimmer, und dann… dann waren wahrscheinlich schon Sommerferien!

Wenn schon, sie hatte ja Zeit. Und das Arbeitszimmer war das einzig Wichtige, sonst hatte sie in der Schule nur ewig Ärger, weil sie Sachen verlegte, vergaß oder zu spät machte. Der Rest war wirklich nicht dringend. Und einen perfekten Kleiderschrank konnte sie sich sowieso erst einrichten, wenn sie ihr Idealgewicht hatte.

Apropos Idealgewicht – sie hatte Hunger. Es war fast neun Uhr, da war das Mittagessen ja wohl verdaut. Aber viel durfte sie nicht, und am besten nur ein bisschen Proteine.

Woher nehmen?

Sie hatte Schinken gekauft, fiel ihr ein. Und ein hartes Ei dazu? Genau, das musste reichen. Harte Eier sättigten doch ungemein, und an ihren Cholesterinspiegel wollte sie jetzt lieber nicht denken.

Also, Kiste fünf und dann was essen. Nein, umgekehrt, sonst lag ihr das Ei bloß wie ein Stein im Magen.

Kiste fünf wäre immerhin die drittletzte, stellte sie erfreut fest. Wieder Bücher! Schneiderbücher aus ihrer Vor-Teenie-Zeit („Bille und Zottel“ und ähnlicher Kram), ein paar dämliche Liebesgeschichten und die Vorläufer von Twilight – das Zeug, das die Deutschlehrerinnen nie als Lektüre hatten lesen wollen („Mädels, wie kann man diesen Kitsch mögen?“). War in der Kiste irgendetwas Aktuelles?

Ja, ganz unten entdeckte sie die beiden fehlenden Bände ihres teuren Geographie-Handbuchs in zwölf Bänden, einen Band Schiller und ihren großen Geschichtsatlas. Und der Liebeskitsch kam in den Tauschladen – bestimmt gab es arme Teenies, die sich diesen Kram für einen Euro pro Band noch kauften!

Sie packte einen Teil der Bücher in den Korb für den Wertstoffhof - hatte der morgen Nachmittag wohl auf?

So, jetzt etwas essen und dann noch einiges wegwerfen. Und am Container auf dem Schild nachgucken, wann der Wertstoffhof auf hatte!

Sie schälte sich, an den Küchenschränken lehnend, ein hartes Ei, gab etwas Pfeffer darauf und aß es aus der Hand, nahm sich einige Scheiben Schinken, rollte sie auf und verspeiste sie genüsslich. Den Rest wickelte sie ordentlich in Frischhaltefolie und war ganz stolz, dass so etwas überhaupt im Haus war.

Sobald alles verräumt war, ging sie tatsächlich nachsehen, ob der Wertstoffhof morgen geöffnet war. War er.

Also auf zur nächsten Kiste. Obenauf lag eine Kiste mit Disketten. Ach herrje… ihr aktueller Rechner hatte gar kein Diskettenlaufwerk mehr. War da wohl etwas Wichtiges drauf? Sollte sie den Mist kopieren? In der Schule gab es noch Diskettenlaufwerke, soweit sie wusste.

Wahrscheinlich passte der ganze Mist auf einen USB-Stick. Gut, Krempel beiseitelegen, USB-Stick suchen.

Endlos viele verwickelte Kabel waren der nächste Fund, und in diesem Knäuel fanden sich auch zwei schwarze Trafos. Na toll – zu welchen Geräten gehörten die denn wohl? Warum hatte sie da nichts draufgeschrieben? Wegwerfen kam jedenfalls nicht in Frage! Sie legte auch diesen Verhau beiseite, was das Wohnzimmerregal nicht unbedingt schöner machte.

Zwei leere CD-Boxen, einige sachte veraltete Computerzeitschriften, ziemlich ausgeschriebene Stifte zur Beschriftung von DVDs… das konnte alles weg. Auf dem Grund der Kiste fanden sich noch einige Bücher – vor allem die Computerhandbücher, in denen sie doch sowieso nie etwas nachschaute! - und ein Körbchen, in dem sich alle ihre Stifte befanden. Besser gesagt, befunden hätten, wenn das Körbchen nicht umgekippt wäre. Da also war alles gelandet, was in der alten Wohnung auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte. Vermisst hatte sie bis jetzt nichts davon! Naja, Körbchen ins Regal im Wohnzimmer, Kiste in den Flur. Nummer sieben, die vorletzte: Bettwäsche. Jede Menge Bettwäsche. Zu Beginn ihres Studiums konnte sie an keiner heruntergesetzten Garnitur vorbeigehen, und so hatte sie am Ende Stapel von Bettbezügen besessen, die sie nie mehr verwendete – Biber, Flanell, Seersucker. Heute benutzte sie gerade mal die drei schönen Satinbezüge. Tauschladen, eindeutig!

Sie zerrte die Kiste in den Flur – sie auszupacken hatte jetzt wenig Sinn. Und auf die letzte Kiste hatte sie jetzt absolut keine Lust mehr. Sie sah auf die Uhr – am besten verzog sie sich gleich ins Bett. Frustriert wickelte sie sich schließlich in ihre Decke – egal, wo sie in dieser Bude anfing, es wurde eigentlich nur immer schlimmer. Keine Ahnung, wie das weiter gehen sollte!

Das große Aufräumen

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