Читать книгу Das große Aufräumen - Elisa Scheer - Страница 4
Mittwoch, 09.11.2011
ОглавлениеSo schlecht hatte der Mittwoch gar nicht angefangen, zog Maja beim Betreten des Lehrerzimmers ein erstes Resümee; sie hatte nicht verschlafen, immerhin. Zwar hatte sie schon wieder nichts gefrühstückt (was denn auch?), aber beim Bäcker zwei Brezen ohne Käse und eine Vollkornsemmel geholt. Die Sache mit dem Analogkäse fand sie ja doch etwas eklig. Außerdem war die Käsebreze so fettig gewesen, dass man die Kalorien darauf förmlich herumspringen sehen konnte. Nein, nicht mehr für sie!
Und wenn sie heute Abend nach Hause kam, konnte ihr Blick wenigstens wohlgefällig auf der Tür zur Abstellkammer ruhen! Vielleicht gab es im Baumarkt ja geeignete Pappkisten. Einkaufen musste sie auch noch…
Die Schlange vor dem Kopierer war endlos; Maja beschloss, zu warten, bis der Unterricht anfing, sie hatte ja die erste Stunde frei. Danach konnte sie in Ruhe die Schulaufgabenlösung kopieren. Bis dahin… Sie fand eine unnütze Kopie und schrieb auf:
- Pappkisten – für Mützen usw.
- Einkaufen: Vollkornbrot, Tomaten, Quark, Salat, Nudeln, Gemüsemischung, Salatsauce
Vielleicht fiel ihr später ja noch mehr für die Einkaufsliste ein.
- Schlafzimmerschrank anfangen
- Protokoll GEO anfangen
- Arbeitsblatt für 7 c entwerfen (Mathe)
Das konnte sie doch eigentlich gleich versuchen? Ein bisschen ausklammern, ein bisschen kürzen, ein bisschen Gleichungen auflösen… jaja, die Äquivalenzumformungen!
Sie bastelte eine Handvoll Aufgaben, die glatt aufgingen (noch hatten die Kleinen ja keinen Taschenrechner), fand sich mal wieder ganz toll und lehnte sich aufatmend zurück, sobald sie wieder am Platz saß. Was kostete die Welt?
Katja lief vorbei und nickte ihr flüchtig zu. Wieder so eine Edelschnepfe! Mit dickem Filofax und dünnen Oberschenkeln. Mit wem die es hier wohl hatte? Luise war ja mit diesem Schwarz verbandelt, das hatte sie gestern wieder gesehen, und der gehörte nicht zum Kollegium. Die Suttner – Hilde – (warum hatten die beiden eigentlich so wahnsinnig spießige Vornamen?) tuschelte ab und an mit diesem Liegnitzer, aber ob da was lief…?
Ansonsten gab es hier nicht viel Gescheites. Naja, den Trattner vielleicht. Der war auch noch ziemlich neu, gab Sport und Englisch und pflegte die Aura eines umschwärmten Skilehrers, bronzebraun und hakennasig. Und dann hieß er auch noch Luis! Wie der olle Luis Trenker!
Aber niedlich war er.
Als hätten ihre Gedanken ihn herbeigezaubert, kam er ins Lehrerzimmer. Schicker silbergrauer Anorak. Irgendwie hatte man das Gefühl, er habe seine Ski draußen an die Wand gelehnt.
„So verfroren?“, fragte Katja und grinste.
„Wieso?“, fragte er zurück und wirkte leicht ratlos.
„Na, im November schon im Anorak? Was ziehst du denn dann an, wenn es mal kalt wird?“
„Ich habe noch einen wärmeren. Fährst du eigentlich Ski?“ Das klang recht sehnsüchtig, fand Maja.
„Nee, wirklich nicht“, antwortete Katja, „ich könnte ja sagen, das ist schlecht für die Natur in den Alpen. Stimmt ja auch. Aber in Wahrheit hab ich einfach keine Lust.“
„Aber – so ganz früh am Morgen aus der Hütte kommen, den Sonnenaufgang beobachten und dann im Pulverschnee abfahren – das ist doch das Höchste! Da musst du unbedingt mal mitkommen!“
„Schifoan is des Leiwandste?“, fragte Maja.
Katja grinste ihr zu, Trattner ignorierte den Einwurf und sah Katja weiter erwartungsvoll an. Die schüttelte nur den Kopf. „Meins ist das nicht, tut mir Leid.“
„Aber du musst doch am Wochenende mal raus, an die frische Luft!“
„Deshalb muss ich ja wohl nicht in die Berge, oder? Wir gehen einfach spazieren oder zum Tanzen. Und manchmal spielen wir Squash. Das reicht ja wohl.“
„Wir?“ Das klang geknickt.
„Ja, mein Freund und ich. Wenn er Zeit hat, heißt das. Er ist nämlich bei der Kripo.“ Sie grinste Trattner noch einmal an, griff nach ihrer Tasche, rief „Frohes Schaffen“ in die Runde und verschwand.
Armer Trattner. Anscheinend hatte er sich in Katja verguckt – und die wollte ihn nicht. Maja schielte zur Seite und sah eine braun gebrannte geballte Faust. Sie hob den Kopf und lächelte ihm mitfühlend zu, aber er sah durch sie hindurch, drehte sich grußlos um und verließ das Lehrerzimmer.
Für Maja wurde es langsam auch Zeit.
Die Siebte war munter wie immer, an Mathematik und Geographie allerdings nur mäßig interessiert. Maja schlichtete einen Zickenkrieg, beendete die Diskussion über die Frage, ob sich der Lorenz aus der letzten Reihe mal waschen müsste, konfiszierte zwei Handys und ließ zwei allzu lebhafte Kerlchen an der Tafel verhungern: einmal Fünf, einmal Sechs.
In der Freistunde danach räumte Maja weiter ihre Mappen auf, ärgerte sich über verlorene Kopien, sortierte zwei Exen durch (bei jeder fehlten immer noch einige Exemplare, so ein Mist aber auch!), inspizierte den Vertretungsplan und wich der schon wieder am Boden zerstörten Claudia Merz aus. Was hatte die jetzt wieder zu heulen?
Die achte Klasse grinste ihr entgegen: „Kriegen wir die Schulaufgabe?“
„Klar“, antwortete Maja so lässig, wie sie sich fühlte, nachdem sie zum ersten Mal etwas pünktlich fertig hatte. Das Grinsen verging manchen Schülern allerdings, als sie ihre Noten sahen, und ein eifriges Punktezusammenzählen und Feilschen hob an. „Jetzt lasst den Quatsch“, mahnte Maja schließlich, „ich hab alles überprüft. Wir besprechen, was ihr hättet machen sollen, und dann könnt ihr Fragen stellen. Bitte immer nur zur aktuellen Aufgabe und nicht mehrfach die gleiche Frage!“
Mühsames Geschäft, jeder nahm nur seine eigene Frage wahr, und am Ende wusste Maja gar nicht mehr, wie oft sie zurückgefragt hatte: „Sind wir denn schon bei Nummer drei?“
Es läutete, kaum dass sie die Verbesserung abgeschlossen hatte – und sie wollte doch noch den neuen Stoff anfangen! Na, dann eben am Freitag.
Für die Zehnte hatte sie sich nichts Besonderes überlegt, aber üben konnte man schließlich immer – Funktionstypen waren ein Dauerbrenner.
Als sie sich dem Klassenzimmer näherte, eilte Dr. Eisler federnden Schrittes heran, eine blaue Mappe in der Hand. Maja sank das Herz – er würde doch nicht?
„Frau Körner? Ich würde mir heute gerne mal Ihren Unterricht ansehen.“
„Gerne“, antwortete Maja mit tauben Lippen. Ausgerechnet heute! Sie hatte aber auch ein Pech!
Dr. Eisler folgte ihr ins Klassenzimmer, in dem die Zehnte in munteren Grüppchen zusammen saß und nicht wirklich bei Majas Eintreten diensteifrig aufsprang.
„Herr Doktor, Herr Doktor!“
Die Rufe kamen rasch näher und wurden immer dringlicher. Dr. Eisler wandte sich notgedrungen dem Flur zu. Die Sekretärin tauchte schließlich atemlos in der Klassenzimmertür auf. „Herr Doktor! Das Ministerium!!“
Dr. Eisler legte den Kopf schief. „Sagen Sie, ich rufe nachher zurück. Jetzt bin ich im Unterrichtsbesuch.“
„Aber – aber – der Herr Minister persönlich! Und es ist dringend…“
Der Chef seufzte entnervt. „Ja, dann – tut mir sehr leid, Frau Körner… aber wir holen das bald nach, ja?“
„Gerne“, antwortete Maja wieder, dieses Mal aber schon sehr viel lebhafter. Als sich die Tür hinter dem Schulleiter schloss, entfuhr ihr ein erleichterter Seufzer, und die Klasse, die den Vorgang nun doch nicht ohne Interesse beobachtet hatte, kicherte.
„Naja“, entschuldigte Maja sich, „wir müssen noch kräftig üben – und so eine Supershow wäre das nicht geworden.“
„Sie meinen, wir an der Tafel – das ist eine schwache Vorstellung?“
„Das hast du gesagt“, gab Maja zurück. „Aber wie wär´s denn gleich, Tommy? Sagen wir, f von x ist x Quadrat minus sieben x plus zehn… Nullstellen und Scheitel, außerdem eine gepflegte Skizze?“
Tommy seufzte ergeben, entwirrte seine langen Beine, zog die Nase geräuschvoll und seine Hängehose lautlos hoch und schlurfte zur Tafel, wo er mit etwas Hilfe die Funktionsgleichung anschrieb.
Mit längeren Denkpausen ermittelte er die Nullstellen und wirkte danach so erschöpft, dass Maja das Mitleid packte und sie ihn auf seinen Platz zurückschickte. Kathrin, seine Nachbarin, berechnete mühselig den Scheitel, und für die Skizze brauchten sie gleich zwei Künstler. „Und wenn ich jetzt zum Beispiel morgen ein Ex schreiben würde? Dann sähet ihr aber verflixt alt aus!“
„Das ist aber auch so sauschwer“, beschwerte sich Susi aus der ersten Reihe.
„Das ist wie bei Fisherman´s Friends – sind sie zu stark, bist du zu schwach. Leute, ihr müsst in Mathe Abitur machen, und dass man mit so einfachen Funktionen umgehen kann, ist eine Grundvoraussetzung! Auf jetzt, die nächste!“
„Was sind Sie denn plötzlich so energisch?“, jammerte Susis Nachbarin Bea.
„Das ist die natürliche Reaktion auf die allgemeine Unfähigkeit. Schätzelchen, ihr seid nicht doof, das kann man alles lernen. Man muss nur üben!“
Sie schrieb schnell drei weitere quadratische Gleichungen an und verordnete Stillarbeit. Ruhe kehrte ein, sie wanderte durch die Reihen und beobachtete das langsame Arbeiten. Kurz vor dem Ende der Stunde waren schließlich alle fertig und die Ergebnisse wurden rasch verglichen.
„Immerhin“, lobte Maja. „Bitte bis zum nächsten Mal die Skizzen anfertigen.“
„Männo! Wir schreiben doch Englisch!“
„Irgendwas ist immer. Drei Skizzen.“
Allgemeines Geseufze. Maja schrieb voller Selbstzufriedenheit ins Klassenbuch Quadratische Funktionsgleichungen und zeichnete ab (bisher hatte sie das meistens vergessen); beim Verlassen des Klassenzimmers hörte sie noch, wie Bea murrte: „Die ist bald genauso schlimm wie die Suttner und die Wintrich!“
Aus irgendeinem Grund freute sie sich darüber.
Im Lehrerzimmer herrschte zunächst gähnende Leere. Maja verzog sich auf ihren Platz und plante die nächsten paar Stunden flüchtig durch – Dr. Eisler kam bestimmt bald wieder, und immer war auf den Herrn Minister persönlich auch kein Verlass.
Quadratische Gleichungen noch einmal vertiefen, dann wirklich ein geschmeidiges Ex, bei dem sich die Spreu vom Weizen schied, und dann die Funktionen dritten Grades. Polynomdivision, Funktionsverlauf… das reichte erst einmal. Sie verzehrte langsam eine der Brezen und las sich das nächste Kapitel im Mathebuch durch, bis sie von Katja gestört wurde: „Aha, kein Analogkäse mehr?“ Maja musste grinsen. „Jedenfalls keine Fettflecken mehr!“
Katja setzte sich zu ihr. „Und, wie geht´s so? Hast du dich hier schon etwas eingelebt?“ Maja zuckte die Schultern. „Geht schon. Es ist ganz nett hier.“ Wenn ich mal was auf die Reihe kriegen würde, ergänzte sie sich im Stillen.
„Nicht? Das finde ich auch. Hier gibt´s echt gute Leute. Und es geht was voran, der Chef mauert nicht so wie an manchen anderen Schulen. Hier freut er sich wirklich über Anregungen.“
„Bei mir hätte er heute fast einen Unterrichtsbesuch gemacht.“
„Hui, Glück gehabt – was ist denn passiert?“
Maja erzählte von dem hochwichtigen Anruf und Katja feixte. „So ein Pech aber auch, das bringt jetzt seinen ganzen Zeitplan durcheinander. Na, denk dir nichts, wenn er´s bald wieder versucht. Er beurteilt eigentlich recht fair. Nur die echten Luschen nimmt er schon hart ran. Was er mit der da macht“ – sie wies mit dem Kinn auf die Merz, die trübsinnig das Anschlagbrett der Oberstufe musterte und dann etwas hinhängte – „möchte ich ja nicht wissen. Und was pinnt die da an?“
Sie ging sich die Sache näher betrachten, und Maja folgte ihr – sie hatte ja sonst auch gerade nichts zu tun. „Ferienwohnung zu vermieten“, las Katja vor. „Spinnt die? Was hat das denn hier zu suchen?“
Sie ging die Merz suchen und Maja hörte alsbald deren weinerliche Stimme: „Warum denn nicht? Wir können uns die Wohnung nicht leisten, wenn wir sie nicht vermieten, und sonst treffe ich doch nie jemanden, wenn ich dauernd hier angebunden bin!“
„Mir kommen die Tränen. Aber darum geht es auch gar nicht“, entgegnete Katja. „Sie können Ihre Wohnung meinetwegen das ganze Jahr über vermieten -“
„Zu gütig! Wir sollen wohl gar keine Ferien mehr haben? Nicht jeder ist so ein Workaholic wie gewisse Damen hier!“
„Sie meinen, wie die Damen, die ihre Arbeit machen, ohne in Tränen auszubrechen und sich nach Kräften zu drücken? Ein Tipp zur Güte: Hängen Sie Ihre Mietersuche bitte an das Brett im Vorraum. Am Oberstufenbrett wird Frau Suttner es entfernen und entsorgen, und so kriegen Sie nie einen Mieter.“
„Das darf sie gar nicht!“
Katja seufzte. „Doch, das darf sie. Das ist das Oberstufenbrett, und dort hängen nur die Oberstufenbetreuer etwas auf. Und im Moment ist das eben nur Frau Suttner. Am Brett im Vorraum wird Ihr Anschlag deutlich länger überleben.“
„Sie mögen mich eben nicht!“, stieß die Merz entrüstet hervor.
„Was hat das jetzt mit ihrem Zettel zu tun?“, entgegnete Katja ungeduldig.
Die Merz schnaubte und verließ im Laufschritt das Zimmer. Kopfschüttelnd wandte Katja sich Maja zu. „Die muss wohl noch einiges lernen.“
„Hattest du auch schon einen Unterrichtsbesuch?“, fragte Maja sie.
„Nein, dieses Mal noch nicht. Er fängt mit den Neuen an, wegen der Probezeitbeurteilungen. Bis er ganz durch ist, sind locker zwei bis drei Jahre um, und dann steht auch bei dir ja die Lebenszeitverbeamtung an.“
„Woher weißt du das alles?“
„Das hat er doch erzählt, in dieser Sitzung am zweiten Schultag. Warst du da nicht?“ Maja schüttelte verlegen den Kopf. Den Termin hatte sie gleich als ersten verschusselt.
Katja ging taktvollerweise darauf nicht weiter ein. Maja musterte ihr Outfit und überlegte verzweifelt, was sie jetzt sagen sollte, aber es fiel ihr nichts Besseres ein als „Schöner Blazer“.
Katja lächelte. „Danke. Hab ich schon lang, aber ich mag ihn auch immer noch. Weil er zu allem passt.“
Kleines blau-braun-graues Karo – ja, das passte perfekt zu den dunklen Jeans und der cremefarbenen Bluse. Maja senkte den Blick auf ihr eigenes Outfit – graue, etwas abgewetzte Jeans (viel mehr passte ihr zurzeit ja auch gar nicht) und ein grau-weiß gestreiftes Sweatshirt, dessen Reißverschluss nicht mehr funktionierte. Eigentlich eher schäbig.
Sie seufzte. Katja betrachtete sie mitfühlend, sagte aber nichts, und der Moment war auch schnell vorbei, denn Hilde Suttner trat zu den beiden. „Was habt ihr mit der Merz gemacht? Sie hat mir gerade was Wirres erzählt, von einer Wohnung und wie gemein alle sind, speziell ich. Ich hab nichts verstanden.“
Katja klärte die Sache kurz auf, und Maja betrachtete die Suttner: schwarze Tweedhose, grauer Blazer, blassrosa T-Shirt, schwarze Lackballerinas. Auch schick. Irgendwie hatten die es raus.
Andererseits hatten die alle Traumfiguren, da war es leicht, sich gut zu kleiden. Trübsinnig dachte sie an ihre Speckröllchen. Wie sollte man da schicke Businessklamotten kaufen?
Die Wintrich schaute ins Lehrerzimmer; Maja scannte auch sie kurz: cremefarbener Tweedblazer, braune Samtjeans, blassblaues T-Shirt. „Kommt ihr mal kurz? Ich hab etwas Interessantes überlegt.“
Katja und Hilde Suttner erhoben sich sofort und ließen Maja sitzen. Kein Wunder, dachte die sich. Ich bin dick, schlecht gekleidet und total verpeilt. Warum sollten die mich mögen?
Dumme Nuss, tadelte sie sich sofort. Denen bist du doch ganz egal, die haben jetzt einfach was zu tun – und du nicht. Doch, stellte sie erschrocken fest. Es war praktisch drei und sie wusste nicht, wo die Fachsitzung stattfand!
Glücklicherweise sah sie die Fachbetreuerin – schwer bepackt – gerade noch das Lehrerzimmer verlassen, raffte ihre Sachen zusammen und folgte ihr eilends.
Aha – kleiner Sitzungsraum. Na, so groß war die Fachschaft ja auch nicht. Sie half Frau Dr. Zeitz, diversen Süßkram auf zwei Teller zu verteilen und die dann strategisch günstig auf dem Tisch zu platzieren, stellte Gläser und Mineralwasserflaschen hin, suchte sich einen Platz und packte ihren Schmierblock aus. Nun nur noch einen Stift… Sie begann in ihrer Tasche zu wühlen, während die Kollegen den Raum betraten, „Ui, lecker!“, sagten und sich setzten.
Ein abgebrochener Bleistift fand sich ganz unten. Wo waren die Stifte, zum Henker?
Hosentaschen? Nein.
Außentasche? Zwei Büroklammern, mehrere Krümel.
„Kann mir jemand vielleicht einen Kuli leihen? Fürs Protokoll?“, fragte sie kleinlaut in die Runde. Sofort wurden ihr mehrere Stifte gereicht. Beschämt nahm sie einen, ohne darauf zu achten, von wem er kam, und bedankte sich.
Die Fachsitzung dauerte etwa zwei Stunden. Maja schrieb hektisch mit – Abiturergebnisse von 2011 (alles doppelt, natürlich), Fortbildungen, Neuanschaffungen, Projekte, Seminarangebote, die überall wichtige Frage, ob man in allen Kursen die gleiche Klausur schreiben konnte/sollte/müsste… Vergleichbarkeit oder Anpassung an den eigenen Unterricht? Was war gerechter? Die Diskussion glitt schnell in die Richtung ab, dass die Schüler und vor allem die bösen, bösen Eltern immer absolute Gerechtigkeit erwarteten, die es gar nicht geben konnte. Also musste man sich auch gar nicht weiter bemühen, oder was? dachte sich Maja, die fleißig mitschrieb.
„Nana“, mahnte Frau Dr. Zeitz. „Das brauchen Sie übrigens nicht mitzuschreiben, Frau Körner. Die Fachschaft beschließt, stärker auf Vergleichbarkeit der Anforderungen in den Schulaufgaben der Qualifizierungsphase zu achten genügt vollkommen.“
Maja notierte das und strich ihr voriges Gekritzel dankbar durch – sie hätte sowieso nicht gewusst, wie sie das korrekt hätte formulieren sollen.
Siebzehn Seiten hatte sie aber doch, als die Sitzung endete. Sie gab den Kugelschreiber zurück, packte rasch alles zusammen, lief ins Lehrerzimmer zurück, wo sie tatsächlich noch ihr vergammeltes Federmäppchen liegen sah, und machte, dass sie nach Hause kam.
Fünf war es gut durch, als sie dort ankam. Sie stellte brav ihre Tasche ins Arbeitszimmer, aber ihren Mantel ließ sie im Flur gewohnheitsmäßig einfach fallen. Der Blick in den Kühlschrank war so enttäuschend wie immer, dabei hatte sie jetzt richtig Hunger, weil sie sich die Süßigkeiten in der Fachsitzung mühsam verkniffen hatte.
Einkaufen! Also Geld, Korb, Mantel wieder an…
Zwei Ecken weiter war ein ordentlicher Supermarkt, der auch Bio im Sortiment hatte. Maja fuhr mit ihrem Wagen strengen Blickes durch die Gänge und überlegte, was sie essen sollte, um sich bald so elegante Sakkos leisten zu können.
Nicht so viele Nudeln… und schon gar kein Fett, wenn möglich. Sie nahm sich zwei Dosen gebackene Bohnen – die sollten doch so wahnsinnig viele Ballaststoffe enthalten, oder? – packte grüne Äpfel in eine Tüte, die prompt riss, suchte sich einige Bananen aus, etwas Fruchtjoghurt (die Diätvariante), tiefgefrorene Beeren, ein Vollkornbrot, Kräuterquark, fertig gekochte Eier, etwas fettreduzierten Käse, mageren Schinken und ein paar Pakete Pfannengemüse.
Zufrieden rollte sie zur Kasse und schleppte dann alles nach Hause. So hatte sie direkt noch einen Spaziergang absolviert!
Zuhause schaute sie auf die Uhr: Kurz vor sechs. Was lag für morgen an?
Pfui, sieben Stunden!
Sie nahm sich einen Zettel und kritzelte darauf:
10 M – Kubikfunktionen
11 Geo – Alfred Wegener
12 Geo – China
7 Geo – Großbritannien
9 Geo – Entwicklungsländer
11 M – Ableitungsregeln (Zusammenfassung)
Dann machte sie sich daran, die passenden Aufgaben im Buch herauszusuchen und wenigstens für die Zehnte eine Folie zu basteln. Schließlich konnte man nie wissen, vielleicht kam der Chef ja morgen zum Unterrichtsbesuch?
Aber wer sagte, dass es wieder die Zehnte traf?
Erstmal was essen!
Sie machte sich ein Vollkornbrot mit etwas Quark und einem harten Ei in Scheiben, aß einen Apfel danach und fand, das müsse jetzt reichen.
Danach überlegte sie sich einige Gags für die anderen Klassen und checkte dann mal ihr Konto und ihr dürftiges Depot. Das Konto sah gar nicht so übel aus – sie war um fast tausend Euro im Plus, und Hausgeld, Strom und Krankenversicherung waren schon abgebucht. Sie beschloss, ihrem Depot etwas aufzuhelfen, und richtete sich zwei Sparverträge für ausgewogene Fonds ein – einmal Best Europe, einmal Blue Chips. Die waren von ihrer Hausbank und hatten eine sehr ordentliche Performance. Damit würde sie jeden Monat zweihundert Euro in ihr Depot schieben, und das reichte als Vermögensbildung eigentlich auch, fand sie. Schließlich besaß sie eine abbezahlte Vierzimmerwohnung in guter Lage, die musste doch mindestens – mindestens – na, etwa dreihunderttausend? – wert sein. Bei Gelegenheit sollte sie mal die Immobilienangebote der Banken überprüfen, vielleicht gab es etwas Vergleichbares.
Sie trug das Geschirr wieder in die Küche und kehrte ins Arbeitszimmer zurück. Was jetzt? Es war fast schon halb sieben, und am liebsten hätte sie jetzt ihren Kleiderschrank inspiziert. Sie musste nämlich irgendwo auch noch einen oder zwei Blazer haben. Wenn sie die entsprechende Kiste schon ausgepackt hatte, hieß das.
Nein, zuerst würde sie die Tasche für morgen packen. Nicht, dass Dr. Eisler vor der Tür stand und sie hatte ihren Krempel vergessen!
Und das Federmäppchen musste auch einmal aufgeräumt werden. Sie kippte es aus und sortierte: zwei Kulis, noch schreibfähig, ein Einwegkuli, tot. Büroklammern und Pins, ein speckiger Radiergummi, ein roter Fineliner, schon ziemlich abgenudelt – und jede Menge Fusseln und Staub. Ach, und ein ganz klein gefaltetes Zettelchen: Die Körner ist gemein! Wem hatte sie dieses Zettelchen gleich wieder abgenommen? Keine Ahnung, auch egal. Außerdem: besser gemein als Weichei. Wintrich, Suttner und Herzberger galten auch als gemein, und die Merz ganz bestimmt nicht.
Warum nahm sie sich die drei Grazien eigentlich plötzlich zum Vorbild? Sie dachte darüber nach, während sie das Federmäppchen auswischte und außen dünn mit Schuhcreme polierte, bevor sie die Stifte, soweit noch verwendbar, wieder hineinpackte und einen weiteren Kuli und zwei rote Fineliner aus ihren Beständen ergänzte. Viele Reserven hatte sie damit aber auch nicht mehr, bei Gelegenheit musste sie mal wieder zum Büromarkt. Oder ganz einfach zum Schreibwarenladen an der Uni. Das wäre auch gleich wieder ein netter kleiner Spaziergang.
Und was imponierte ihr nun an den drei Mädels? Dass sie gertenschlank waren? Perfekt gekleidet? Ihre Aufgaben im Griff hatten? Dass die Schüler ihnen Respekt entgegenbrachten und sie auf dem Gang begeistert grüßten? Dass der Chef die drei für wichtige Aufgaben heranzog? Dass sie alle drei einen Lover hatten?
Hatten sie? Die Wintrich diesen Schnuckelputz, die Suttner den Liegnitzer – oder waren die „bloß gute Freunde“? – und Katja offenbar einen Kripobeamten. Hatte sie zumindest Trattner erzählt. Und durch Maja guckte der nur hindurch… Na, kein Wunder.
Um den Lover ging es ihr ja auch gar nicht! Die meisten Männer waren eher lästig, und Zeit hatte sie auch keine, sie kriegte ja so schon ihren Alltag nicht geregelt.
Dass die drei ihren Alltag offenbar super geregelt kriegten, war schon eher ein Vorbild. Jedenfalls war Maja von beißendem Neid erfüllt, wenn sie sah, wie souverän sie alle ihre Aufgaben meisterten. Wie sie sogar die Kollegen dazu brachten, zu tun, was sie wollten! Die Wintrich war Mitarbeiterin, die Suttner managte die Oberstufe, zurzeit alleine, was eine übermenschliche Anstrengung bedeutete, aber sie wirkte recht vergnügt dabei. Und Katja Herzberger profilierte sich mit allerlei kleineren Projekten, für die sie auch immer Mitstreiter fand.
Und Maja? War schon stolz, wenn sie es schaffte, an die Fachsitzung zu denken – tauchte dort dann aber ohne Schreibzeug auf! Wirklich eine Glanzleistung.
Sie versenkte das renovierte Federmäppchen in ihrer Tasche, schob den Geldbeutel hinterher und beschloss, dass sie sich jetzt doch den Kleiderschrank verdient hatte. Aber nur eine Abteilung, sonst stand sie um Mitternacht immer noch da und verschlief morgen womöglich. Den Schrank hatten die Vormieter dagelassen; er war nicht besonders schön, aber groß und ganz vernünftig ausgestattet. Fünf Abteilungen, drei Kleiderstangen (einmal zwei Reihen übereinander), drei Schränke mit Fächern und Körben. Und alles rappelvoll! Sie begann am Fenster, nachdem sie einen langen, missmutigen Blick auf das Wäschegestell voller weiterem Bügelkram geworfen hatte. Später - vielleicht.
Die Schranktür hatte gar nicht mehr richtig geschlossen, weil der Schrank dermaßen vollgestopft war. Maja zog den Wust aus dem mittleren Fach heraus und schleuderte ihn auf das wie immer ungemachte Bett.
T-Shirts, jede Menge!
Sie sortierte alles erst einmal nach Größen – von 40 bis 50 war alles dabei. In Fünfzig hatte sie vier Stück, ein blaues, ein rostrotes, ein graumeliertes und eins in gelb-weiß gestreift. Kurze Anprobe – die saßen gut, leider waren sie kein bisschen zu weit. Sie faltete alle vier ordentlich und legte den Stapel aufs Kopfkissen. Die 48er waren zu sechst – zwei weiße, ein graumeliertes, eins in rosa, eins in hellgelb, eines in lavendel. Sie probierte auch hier eins an – ging. Sie saßen wohl alle ein bisschen stramm, aber man konnte sie tragen.
Die kleineren wurden zwar auch ordentlich gefaltet, aber sie kamen alle auf einen einzigen Stapel, da sie im Moment ja ohnehin untragbar waren. Nur das violette Ding mit der Glitzerknopfleiste konnte ganz weg, das war eigentlich abscheulich. Und die Farbe machte totenblass.
Das nächste Fach enthielt weitere T-Shirts - mehrere 38er (wann hatte sie die denn gekauft? So dünn war sie seit der 9. Klasse nicht mehr gewesen) in verschiedenen Grautönen und eins in Pink, ein bunt geringeltes in 48, das sofort gefaltet auf dem passenden Stapel landete, und ein olivgrünes mit einem blöden Safarispruch. Größe 42 – und es sah aus, als wollte sie vortäuschen, schon mal in Afrika gewesen zu sein. Weg damit!
Außerdem fand sie eine weiße Baumwollbluse der Marke Indienlappen – zwei Stunden bügeln, zehn Minuten tragen – und zwei ärmellose Tops in schwarz und dunkelblau, die völlig ausgeleiert wirkten, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, so etwas jemals getragen zu haben. Litt sie, was ihre Klamotten betraf, schon an Alzheimer?
Ganz hinten in diesem Fach entdeckte sie ein Paar mittelblaue Loafers aus Wildleder, völlig verknautscht. Ach ja, die hatte sie sich kurz vor dem ersten Examen gekauft und dann nie getragen, weil sie ein bisschen kniffen. Nein, die würde sie behalten, eines Tages passten die bestimmt! Sie kramte nach Schuhspannern, staubte die Schuhe ab und zog sie auf.
Immerhin, zwei Fächer waren leer. Sie holte sich einen Lappen und wischte sie aus, bis sie glänzten. Während die Fächer zu trocknen begannen, suchte sie nach ihren Blazern und fand sogar vier. In jeden schlüpfte sie kurz hinein; der rostbraun Melierte kniff grausam unter den Armen und ging nicht zu; der schwarz-weiß Gewürfelte war scheußlich mit seinen goldenen Knöpfen und seinem Polyester-Aussehen, außerdem passte er auch nicht. Weg. Der graue Tweed-Blazer war schön, aber zu eng, vor allem über dem Busen. Und der Kleinkarierte in verschiedenen Brauntönen war total abgenutzt. Eigentlich nicht schlecht, sozusagen schäbiger Landadel. Aber auch der war um Längen zu klein. Kunststück, das war 44!
Sie hängte die drei anständigen auf und warf das schwarzweiße Scheusal zu dem übrigen Mist. Wo sollten die drei Blazer hin? Sie konnten ja nicht ewig an den Schranktüren baumeln!
Kleiderstangen gab es im dritten Schrank – zwei übereinander, voller Blusen, die wahrscheinlich alle untragbar waren – und im vierten: eine Stange, an der einige Hosen über Bügeln hingen, außerdem zwei Strickjacken, die auf den Bügeln bestimmt schon einen Meter länger geworden waren, mehrere eher merkwürdige Kleider und ein Daunenmantel, der den halben Schrank zu füllen schien. Hier passten die Blazer hinein – und mindestens die Hälfte des übrigen Krams konnte weg.
Mittlerweile waren die beiden Fächer trocken; Maja schichtete die T-Shirt-Stapel hinein und freute sich an dem wohl geordneten Anblick. Für heute reichte das, fand sie. Sie holte sich aus der Küche eine Riesenplastiktüte und packte die T-Shirts und den Blazer hinein. In der Tüte war noch Platz, also zog sie zwei besonders alberne Kleider von ihren Bügeln, überlegte kurz und packte sie dazu.
Die Tüte war damit einigermaßen voll; sie band sie zu und warf sie in ihren Einkaufskorb – ein kleiner Weg zum Container war locker noch drin, auch wenn es mittlerweile schon fast neun war.
Die Nacht war angenehm, fast lau, eine Erinnerung an den Sommer – obwohl der ja eigentlich wenig hergegeben hatte. Maja war das allerdings eher am Rande aufgefallen, sie hatte darauf gelauert, ob – und wo – sie eine Planstelle bekam und wo sie in Leisenberg wohnen sollte, bis ihre Eltern mit ihrem Ruhestandsplan herausgerückt waren und ihr die gerade leer stehende Wohnung überschrieben hatten. Ja, und dann hatte sie den ganzen Krempel aus ihrem Neuhausener Einzimmerappartement in Kisten verpackt und stückweise hierher geschafft. Damals war ja ihr uralter Polo noch gefahren… Kurz danach hatten praktisch gleichzeitig Lichtmaschine, Hauptbremszylinder und Getriebe den Geist aufgegeben.
„Ja, waren Sie denn nie bei der Inspektion?“ Die Frage klang ihr noch im Ohr. Gut, der Polo war sechzehn Jahre alt geworden, sie hatte ihn als Siebenjährigen gekauft. Aber mit etwas Pflege hätte er gut zwanzig werden können!
Ach ja… aber eigentlich tat es ihr recht gut, durch die laue Nacht zum Containerstandplatz zu gehen. Klar, eigentlich war das Einwerfen schon verboten, aber sie kam ja nicht mit einem Korb voller lärmender Flaschen. Ein Sack Klamotten weckte schon niemanden. Zehn Kalorien oder so verbrauchte der Weg bestimmt. Und morgen würde sie sich beim Bäcker nur noch zwei Vollkornsemmeln kaufen. Und einen Apfel mitnehmen. Wenn das nicht wirkte, wusste sie ja auch nicht.
Sie versenkte die Riesentüte lautlos im Container und lief auf einem sehr lobenswerten Umweg an vielen schönen Schaufenstern vorbei nach Hause zurück.
Sehr selbstzufrieden kam sie in die Wohnung und war so im Schwung, dass sie auch gleich noch das Bügelbrett aufbaute und sich daran machte, die restliche Wäsche von gestern wegzubügeln und Die T-Shirts konnte sie danach auch richtig sortieren und auf die verschiedenen Stapel zu verteilen.
Zufrieden war sie aber immer noch nicht, auch nicht, als Bügeleisen und Brett wieder verstaut waren und das Wäschegestell wieder hinter der Tür klemmte.
Sie holte sich noch eine Riesentüte und baute sich vor dem nächsten Kleiderschrank auf.
Pullover! Der fiese Chenillelumpen in Dunkelgrün konnte weg – aber in den Müll, für den Container war er schon zu fürchterlich. Und dieses schweinchenfarbene Polyesterding – das musste ihr irgendjemand geschenkt haben, sie konnte sich so etwas Scheußliches unmöglich selbst gekauft haben. Auch Müll.
Das Riesensweatshirt mit dem Blümchenmuster…
Hm.
Sie zog es über: Viel zu groß. Sie hatte nicht vor, so viel zuzunehmen, dass ihr das Ding passte, also ab in den Container.
Schuhe – zwischen den Pullis? Und zwar abgetretene rosa Ballerinas. Müll.
Die Jeans, die ganz hinten zum Vorschein kamen, waren an den Innenseiten der Oberschenkel durchgewetzt, saßen schlecht und waren zu eng.
Zu eng wäre nicht das Problem, überlegte sie, angesichts ihrer Vorsätze, aber der Stoff war praktisch durch. Müll.
Der Sweatblazer in rot-weiß geblümt war völlig verzogen und verschrumpelt – den musste sie mal in den Trockner gesteckt haben. Auch Müll.
Nun reichte es ihr doch; sie packte den ganzen Müllkram in eine kaputte Tüte, trug die hinunter und versenkte sie ganz tief in der Tonne. Damit hatte sie für heute eigentlich genug geleistet.
Oben angekommen, eilte sie ins Bad, schrubbte sich das Gesicht mit einem Rest Peeling, cremte sich sorgfältig ein, merkte sich vor, dass sie sich am Wochenende mal die Augenbrauen zupfen sollte, verteilte etwas Augengel auf ihren Tränensäcken – das waren doch Tränensäcke? Als sei sie schon vierzig und nicht erst siebenundzwanzig! – und zog sich aus.
Großer Gott, dieser Schwabbelbauch! Und der fette Hintern! Und die Cellulite an den Oberschenkeln! Die Arme waren auch wabbelig und zu dick.
Gruselig. Da mussten mindestens zwanzig Kilo runter. Die drei Mädels waren alle ungefähr so groß wie sie… na, Luise war größer. Aber die wogen alle so schätzungsweise um die sechzig Kilo.
Nicht praktisch neunundachtzig.
Und wenn sie jetzt noch mal auf die Waage stieg? Klamotten hatte sie keine an, aber Ballaststoffe im Magen. Na gut, sie durfte maximal ein Kilo abziehen.
Die Waage zeigte neunundachtzig an. Hieß das, sie hatte immer noch achtundachtzig?
Wenn sie jede Woche ein Kilo… bis Weihnachten konnte sie dann… sie zählte an den Fingern ab. Sieben Wochen, praktisch acht. Achtzig Kilo. Nicht gut, aber schon besser. Dann passten die achtundvierziger Sachen gut und die sechsundvierziger zur Not. Und alles, was größer war als achtundvierzig, würde im Container landen.
Genau!
Weihnachten und dann bis Fasching – neun Wochen. Einundsiebzig. Bis Ostern… acht, also dreiundsechzig. Ostern: einundsechzig. Das machte richtig Spaß, aber leider fiel ihr ein, dass sie solche kühnen Pläne schon verdammt oft geschmiedet hatte – und irgendwie war nie was draus geworden. Sie schlüpfte in ihr Nachthemd, putzte sich die Zähne und legte sich frustriert in das ungemachte Bett.