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Anne nahm selbst ab, denn Maggie holte Brezen, Patrick trug die zuletzt erledigten Fälle in die Statistik ein (samt den Namen der beteiligten Genies, natürlich) und Katrin beriet sich nebenan mit dem Team Waldmann. Eine Zeitlang lauschte sie – zunehmend verblüfft -, dann fragte sie doch noch einmal nach: „In einem vergammelten Wohnwagen?“

Sie lauschte wieder, sagte dann „Kann ich mir vorstellen. Ekelhaft. Gut, wir kommen. Wer ist schon vor Ort?“

Die Antwort stellte sie zufrieden, also holte sie Katrin zurück, wies Patrick an, Statistik Statistik sein zu lassen, und begann damit, alles eventuell Nötige in ihre riesige Tasche zu werfen. Maggie kam herein, seufzte und stellte die große Bäckertüte ab. „Nix mit Brotzeit?“

„Wieso? Jeder nimmt sich eine Breze mit! Wir müssen nach Birkenried, bis dahin haben wir aufgegessen und den Wagen vollgebröselt. Dort gibt´s eine Leiche im Wohnwagen.“

„Mal was anderes“, kommentierte Katrin und grabbelte in der Tüte herum. „Oh, mit Sonnenblumenkernen!“

Unterwegs setzte Anne ihr Team ins Bild, das sofort mäßig freudige Kommentare zum Besten gab: „Da stinkt´s doch bestimmt total!“

„Ja, vermutlich. Die Feuerwehr hat den Wohnwagen geöffnet, weil sich jemand über den Gestank beschwert hat – und dann haben sie die Polizei gerufen. Julia und die KTU müssten schon dort sein. Na, hoffen wir mal das Beste… Wo ist das, Fontaneallee? Ah, hier!“ Sie bog recht abrupt ab und parkte.

Man roch die Leiche schon gleich nach dem Aussteigen; Katrin hatte etwas Mentholsalbe dabei und bot den anderen davon an. Alle rüsteten sich mit Salbe unter der Nase und Handschuhen aus und traten dann forsch auf den Tatort – oder Fundort – zu. Julia Engelhorn stand im Wohnwagen über eine Art Bett gebeugt und sah sich um, als sie merkte, wie viele Leute in den Wohnwagen spähten. „Ach, hallo. Ältere Frau, offensichtlich stranguliert. Mit diesem Schal, vermute ich.“

„Wurde sie hier getötet?“

„Keine Ahnung, bei dieser Todesursache gibt es leider kaum Spuren – und der Wohnwagen war sicher vorher schon so vergammelt.“

Das Interieur wirkte tatsächlich schon recht heruntergekommen, was ja auch zum Äußeren passte – mehr Rost als Lack und das Ganze mit viel Staub und Schmutz garniert. Der rote Punkt, den man auch durch die schmierige Scheibe erkennen konnte, hatte das Gefährt auch nicht schöner gemacht.

„Naja, die Frau ist natürlich schon länger tot, ich schätze, etwa zehn Tage. Also dürfte es seit etwa einer Woche hier zunehmend gemüffelt haben. Genaueres nach der Obduktion, wie immer eben.“ Sie gab den Leuten mit dem grauen Sarg ein Zeichen und kletterte aus dem Wohnwagen, ohne sich irgendwo festzuhalten.

Verständlich, dachten Katrin und Maggie mit einem verständnissinnigen Blick und zogen ihre Handschuhe fester, hier wollte man wirklich nichts berühren – entweder kontaminierte man anderes oder man fing sich selbst etwas Ekliges ein!

„Warum stehen hier überhaupt so viele verschimmelte Wohnwagen? Die Siedlung ist doch noch total neu?“, fragte Patrick.

Anne zuckte die Achseln. „Vielleicht haben die Leute gedacht, hier fallen die Krücken nicht auf. Naja, Fahrgestellnummer und so weiter – da kriegen wir schon noch jemanden dran. Wagen geht in die KTU, wenn wir hier fertig sind.“ Sie spähte hinein und nickte den Leuten von der Spurensicherung zu, die schon etliches eingetütet hatten.

Patrick und Maggie inspizierten die Umgebung – die lange Reihe heruntergewirtschafteter und mit Rostflecken übersäten Wohnwagen, die zum Teil nicht einmal verschlossen waren, wie Patrick mit prüfendem Griff feststellte, dahinter einige halbfertige Gebäude, die wohl eines Tages ein kleines Einkaufszentrum werden sollten, auf der anderen Seite eine umgepflügte Wiese, wo wahrscheinlich wieder ein Wohnblock entstehen würde.

Weiter vorne traf die Fontaneallee auf die Sophie-Laroche-Straße, die eine weitere Verkehrsader von Birkenried werden sollte. An der Ecke hielten auch verschiedene Busse.

Er würde hier nicht wohnen wollen, stellte er nicht ohne Naserümpfen fest – nicht, bevor hier ein Minimum an Infrastruktur vorhanden war. Nur halbfertige Häuser, dürftige Bäumchen, Baustellen und auf den Straßen zementverschmierter oder halb aufgestemmter Asphalt.

„Kann ganz nett werden hier“, stellte Maggie in diesem Moment fest. „Also, wenn die da mal vorankommen!“

„Und diese Schrotthaufen abtransportieren. Wer kommt wohl auf die Idee, da eine Leiche zu deponieren? Der Gestank muss doch auffallen!“

„Stimmt. Ein Plätzchen im Wald wäre wohl besser gewesen“, überlegte Maggie ohne großes Zartgefühl, „aber Wald ist hier ja weit und breit keiner.“

Patrick brummte vage zustimmend und sah sich weiter um. „Wer hat denn eigentlich die Feuerwehr gerufen?“

Maggie weckte ihr Tablet auf. „Eine Frau Garbrecht. Wohnt in der Straße da vorne, Richtung Brücke. Hat wohl beim Vorbeigehen die Leiche gerochen. Boah, wenn ich mir vorstelle, jeden Morgen diesen Mief und jeden Morgen schlimmer, logischerweise…“

„Ja, vielen Dank. Ich würde meine Wurstsemmel von heute Mittag gerne bei mir behalten, also hör mit dem Gelaber auf!“

„Du Seelchen! Wir könnten diese Garbrecht mal befragen gehen.“

Patrick sah auf die Uhr. „Halb acht. Ja, warum nicht? Die dürfte doch wohl aus der Arbeit zurück sein?“

„Wenn sie nicht gerade Barfrau ist.“

„Gibt´s die nicht nur in schlechten Fernsehkrimis?“

In angeregtem Gespräch über Kriminalfilme und alberne Klischees darin steuerten sie die Gerhart-Hauptmann-Straße an. „Wie in der Schule“, murrte Patrick. „Jede Straße ein Reclamheftchen, das ich zwar bekritzelt, aber nicht gelesen habe.“

Maggie kicherte. „Die Ratten, was? Hier, Nummer 36. Das muss es sein.“

„Das steht ja auch Garbrecht, du Meisterdetektivin. Vierter Stock. Hm, ganz oben ist bestimmt nett.“

„Solange der Aufzug funktioniert.“ Maggie klingelte.

Nichts geschah, auch nicht, als sie zum zweiten Mal – und deutlich länger – klingelte.

„Darf ich mal vorbei?“

Sie drehten sich um und sahen eine Frau um die Dreißig von eher unauffälligem Äußeren, die mit gezücktem Schlüssel dastand.

„Sie sind nicht zufällig Frau Garbrecht?“

„Doch“, antwortete die Frau leicht verblüfft, „warum? Aber das sage ich Ihnen gleich, ich kaufe nichts. Ich bin überzeugte Minimalistin und lese grundsätzlich auch keine Zeitschriften in Papierform.“

Maggie gluckste. „Kann ich gut verstehen, aber wir sind von der Kripo.“

Beide zückten ihre Ausweise.

„Hui! Was ist denn – ach! Wegen des stinkenden Wohnwagens womöglich?“

Patrick schluckte.

„Dann war kein vergammeltes Hackfleisch drin oder so was Ähnliches? Aber doch nicht etwa - ?“

„Oh doch“, antwortete Maggie mit der ernsten Miene, mit der sie Todesbotschaften zu überbringen gelernt hatten. „Eine tote Frau.“

„Großer Gott! Und Sie möchten mich bestimmt dazu befragen? Dann gehen wir doch besser hinauf, oder?“

Frau Garbrecht schloss auf und rief den Aufzug, nicht ohne mit verteidigendem Unterton darauf hinzuweisen, dass der Aufzug fast ganz von Solarzellen auf dem Dach gespeist werde.

„Sie wohnen doch im vierten Stock? Da würde ich aber auch nicht gerne zu Fuß hinaufkeuchen“, beruhigte Patrick sie.

„Ja, aber der Blick ist toll. Und mehr Stockwerke sparen doch auch Baugrund ein.“

Als sie die Wohnung betraten, hatte Maggie ein starkes Déjà-vu-Gefühl und grübelte noch darüber nach, als sie den angebotenen Platz auf einem gepolsterten Hocker einnahm. Schließlich gab sie auf und sich geschlagen. „Ich habe vor einiger Zeit schon so eine ähnliche Wohnung gesehen, allerdings in der Nähe der MiniCity…“

Frau Garbrecht grinste. „In den drei Wohntürmen? Da wohnt die Freundin des Bauherrn und offenbar hat er sich von ihrer Wohnung inspirieren lassen. Die Smart-Home-Elemente kann man hier allerdings nutzen oder es lassen, man braucht gerade mal eine App dafür.“

Maggie schlug sich an den Kopf. „Die Möbius, klar! Dann ist das Haus von MayBau?“

„Richtig. Siebenhundert Euro für zwei Zimmer sind nicht wirklich billig, aber wenn man nicht zu viel Gerümpel hortet, kommt man mit dem Platz gut aus, obwohl es nur 50 Quadratmeter sind. Vielleicht kaufe ich mir die Wohnung sogar, wenn ich das Geld zusammengekratzt habe und Birkenried bis dahin einigermaßen fertig ist. Eine Dauerbaustelle ist nicht ganz das, was mir vorschwebt. Aber deshalb sind Sie doch nicht hier, oder?“

„Nein, Sie haben Recht, es geht uns natürlich um die Leiche im Wohnwagen. Wissen Sie noch, wann Ihnen der Geruch zum ersten Mal aufgefallen ist?“

Patrick schluckte wieder, stellte aber fest, dass die Übelkeit nachzulassen schien.

Frau Garbrecht überlegte. „Ich komme ja zweimal täglich daran vorbei, weil dahinter eben die Bushaltestelle ist… angerufen habe ich heute – aber vorher schon mal, vor drei, vier Tagen, glaube ich. Da ist gar nichts passiert, ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die im Ordnungsamt da wirklich interessiert waren. Heute übrigens auch nicht, aber die Feuerwehr hat sich dann wohl gekümmert. Also etwa vor drei Tagen hat es schon gestunken, aber nicht so arg wie heute. Damals wollte ich wohl vor allem, dass die diesen Schrott von der Straße entfernen. Ich finde diese Art, seinen Müll – vom Brotzeitpapier bis zu Sperrmüll und alten Autos - einfach irgendwo hinzuschmeißen, furchtbar.“

Maggie nickte. „Stimmt. Also, vor drei bis vier Tagen hat es schon gerochen. Dann könnte der Tod etwa vier bis sechs Tage zuvor eingetreten sein – heute ist der vierte Oktober – am 22. bis 24. September also…“

„Kennen Sie denn Leute hier in der Gegend?“, wollte Patrick wissen.

„Tut mir Leid, nein. Ich kenne ja kaum die Leute, die mit mir im vierten Stock wohnen – und da es hier mit Läden noch etwas hapert, kaufe ich im Allgemeinen in Selling ein, weil ich da auch arbeite. Im Bürgerzentrum in der Kölner Straße. Sie wissen ja, Schuldnerberatung, Familienberatung, Therapievermittlung, ein bisschen Coaching – soweit man damit etwas erreichen kann, heißt das. Ehrlich gesagt, bin ich meistens selbst überrascht, wenn ich einen Erfolg zu verzeichnen habe.“

„Das kann doch nicht so einfach sein?“ Maggie zwinkerte.

„Ja, so ungefähr. Aber natürlich freut man sich, wenn jemand wieder besser zurechtkommt. Jedenfalls, ich verlasse morgens das Haus, ärgere mich auf dem Weg zum Bus über die stinkenden Wohnwagen, komme abends zurück, ärgere mich wieder, schließe meine Wohnung auf, nicke vielleicht der Frau von nebenan zu, die kommt meist gleichzeitig nach Haus, wir wünschen uns einen schönen Abend… wahrscheinlich sieht sie genauso wie ich bloß ein bisschen fern. Das war´s.“

„Nicht ganz“, wandte Patrick ein. „Heute waren Sie doch deutlich später dran, oder? Darf man fragen, warum?“

„Klar“, antwortete Nele leicht erstaunt, „aber so spannend ist das nicht. Meine jüngere Schwester hat angerufen, sie muss eine Seminararbeit schreiben und ob ich mich um ihre kleine Tochter kümmern könnte. Also hab ich mit Klein-Emma im Garten Ball gespielt und versucht, sie zum Laufen zu animieren.“ Sie lächelte. „An der Hand geht es schon ein bisschen, aber sie ist ja auch noch kein Jahr alt. Ich finde, sie macht es schon recht nett. Egal, was dieser alte Idiot sagt!“, fügte sie wütend hinzu.

„Welcher alte Idiot?“ Maggie hoffte immer noch auf etwas Interessantes, aber bis jetzt war diese Aussage deprimierend langweilig.

„Ach, der Vater von Emmas Vater. Der alte Huther findet, Merle kann Emma nicht erziehen, Emma müsste schon laufen und reiten und Mandarin können und am besten schon programmieren, damit sie für die Wirtschaft tauglich ist. Deshalb verlangt er das Sorgerecht, damit seine Frau Emma erziehen soll. Die hat aber laut gesagt, das sieht sie gar nicht ein. Und Ben, Emmas Vater, will das auch nicht. Also nervt der alte Idiot, kann uns aber gar nichts.“

„Huther?“

„Ja, warum, kennen Sie ihn? Ist er vielleicht schon – wie sagt man? – aktenkundig? Das wäre ja klasse…“

„Das nun nicht! Ist das der Chef von AHmoney?“

„Stimmt. Ich finde den Namen ja nicht ganz glücklich, er klingt, als hätte man sich bei „Honig“-„Honey“ verschrieben. Ob er was kann, weiß ich nicht, ich möchte gerne glauben, dass er schlecht ist, aber wissen… dazu müsste ich mich wohl umhören, aber so wichtig ist mir das auch wieder nicht. Aber anlegen täte ich nichts bei ihm.“

„Eine Warnung?“ Maggie zwinkerte.

„Eher Boshaftigkeit. Ich mag ihn eben nicht, weil er so lästig ist.“

„Was passt ihm denn an Ihrer Schwester nicht?“

„Sie ist zu jung, sie hätte das Kind nicht kriegen dürfen, sie studiert noch, wir sind alle ein bisschen öko und er fährt die fetteste Dreckschleuder ever. Vielleicht Kompensation.“

„Sie hätte das Kind nicht kriegen dürfen? Ist es krank?“

„Sie, nicht es. Nein. Emma ist pumperlgesund, aber er ärgert sich darüber, dass sein Sohn jetzt Vater ist. Das könnte seine späteren Chancen, die Tochter einer Großbank oder was auch immer zu heiraten, ja beeinträchtigen, nicht? Merle sagt, sie kann ihr Kind nicht jemandem anvertrauen, der findet, man hätte es abtreiben sollen. Wer weiß denn, ob er dann Emma nicht was in den Brei rührt, um das „Problem“ zu lösen?“

Maggie nickte. „Reizender Zeitgenosse. Aber zurück zum Thema – nach ihrem Besuch bei Klein-Emma sind Sie nach Hause gekommen?“

„Ja. Halt, zwischen Arbeit und Merles Anruf war ich auch hier. Eine Viertelstunde vielleicht, bei der Feuerwehr angerufen und schnell was gegessen, dann bin ich gleich wieder los. Alles kein Problem, hier fahren echt viele Busse und der Takt ist sehr kurz. Und da ich jedesmal an diesem Wohnwagen vorbeikomme, ärgere ich mich natürlich auch jedes Mal.“

„Der Gestank“, nickte Maggie.

„Der auch. Aber dass die Leute diese Schrottmühlen einfach am Straßenrand abstellen, ärgert mich generell. Kann man nicht mal wenigstens die ohne Zulassung beschlagnahmen und verschrotten? Hier kann kaum einer parken, weil überall dieser Müll herumsteht. Gut, nicht überall, aber schon verflixt viel.“

Patrick räusperte sich. „Ich fürchte, wir müssen Ihnen in den nächsten Tagen doch einmal ein Foto der Toten zeigen. Es könnte ja immerhin sein, dass Sie sie doch kennen!“

„Möglich ist natürlich alles. Vielleicht war sie ja gar nicht von hier, sondern aus Selling oder Mönchberg – da kenne ich schon einige Leute, Familie, Freunde, Kollegen. Aber Sie haben doch gesagt, dass die arme Frau schon mindestens eine Woche oder länger tot ist? Müsste sie dann nicht jemand vermisst gemeldet haben? Naja, obwohl… es gibt ja vielleicht Leute, die ganz alleine leben und keine Angehörigen mehr haben, die sie vermissen könnten…“

„Dann gäbe es immerhin noch Arbeitskollegen, nicht wahr?“, mahnte Patrick sanft.

„Ja, natürlich. Dann war sie noch nicht so alt… keine Rentnerin, meine ich. Also, Sie können mir gerne ein Foto zeigen, wenn Ihnen das weiterhilft.“

Nachdem sie die beiden Kripoleute zur Tür gebracht hatte, ließ Nele sich auf ihr Sofa fallen. Wahnsinn, eine Leiche… in Birkenried, wo noch keiner länger als zwei Monate wohnte. Reichte das denn aus, um Mordlust zu entwickeln? Na gut, einem von den Typen, die diese Schrottmühlen in der Fontaneallee abgestellt hatten, würde sie tatsächlich gerne etwas antun, aber ihn doch nicht gleich umbringen! Und der lästige alte Huther war kein Nachbar, außerdem wurde Merle sehr nett alleine mit ihm fertig.

Schließlich war Gewalt auch nie eine Lösung, dachte sie tugendhaft und erhob sich, um die Fernbedienung zu holen.

Tot im Wohnwagen

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