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Keine Überwachungskamera, schließlich war alles Baumaterial diebstahlssicher hinter einem stabilen Stahlzaun verstaut. Mist, ärgerte Maggie sich. Und hier wohnte wirklich weit und breit niemand, den man fragen konnte.

Ah, da kam ein Mann auf sie zu!

Sie zückte ihren Polizeiausweis und stellte sich vor. „Haben Sie vor knapp zwei Wochen hier etwas Seltsames bemerkt, Herr…?“

„Mühlbacher. Nö, hab ich nicht, ich wohne nicht hier und ich hatte die letzten beiden Wochen Urlaub. Malle… ach ja.“ Er seufzte.

Maggie seufzte ebenfalls.

Als nächstes tauchte eine Frau mit einem sehr unzufriedenen Kleinkind im Buggy auf. Sie immerhin wohnte in Birkenried, hatte aber nichts Brauchbares beobachtet.

„Ich glaube, irgendwelche Ganoven haben diese Schrottmühlen sowieso schon alle aufgebrochen“, vermutete sie und beugte sich zu ihrem ärgerlichen Sprössling: „Ja, was hast du denn? Wir sind doch gleich zu Hause, dann gibt´s was zu essen. Und eine frische Windel!“

„Er oder sie?“, zeigte Maggie Interesse.

„Sie. Emily. Aber jetzt ist sie ein bisschen schlecht gelaunt.“

„Man hört es. Machen wir´s so – wenn Ihnen etwas einfällt, melden Sie sich.“ Sie reichte der Frau ihre Karte, die diese achtlos einsteckte, weil Emily ihren Schnuller ausgespuckt hatte und nun lautstark losweinte.

„Scharfe Dinger“, sagten die beiden Jungen, die als nächste vorbeischlurften, die Zigarette lässig in der Hand.

„Wovon reden Sie?“ Maggie war leicht verdutzt.

„Na, die Rostschüsseln da! Müsste man mal ausschlachten. Ich meine, fahren tun die doch eh nicht mehr, oder?“ Zur Bekräftigung trat er gegen einen der schlaffen Reifen, der daraufhin gleich noch etwas mehr in sich zusammensank.

„Und warum soll der Schrottplatz alles kriegen? Da landet es doch eh nur in der Schrottpresse!“

Maggie zog eine strenge Miene, hatte aber nicht das Gefühl, die beiden zu beeindrucken. Also musste sie es mit der Schocktherapie versuchen: „In einem von den Schrotthaufen haben wir eine Leiche gefunden.“ Das funktionierte schon besser: „Eine Leiche? Cool!“

„Also ist der Wohnwagen ein Tatort. Das kennt ihr doch – aus dem Fernsehen, gell?“

Sie nickten eifrig. „Welcher denn?“

„Das müsst ihr nicht wissen. Das weiß nämlich außer uns nur der – Mörder.“

„Hui.“

„Und wenn ihr euch darin zu schaffen macht, hinterlasst ihr Fingerabdrücke. Was denken wir dann wohl?“

„Dass wir es waren?“ Das klang schon ängstlicher.

„Richtig.“

„Schmarrn“, wandte der andere unbeeindruckt ein, „wir können doch Handschuhe anziehen!“

„Jeder Mensch hinterlässt an einem Tatort Spuren. Haare, Hautschüppchen, Speichel, Schweiß…“

„Dann bräuchten wir also so einen Ganzkörperanzug wie im Fernsehen?“

„Von der Spurensicherung? Richtig. Und auch die Schuhe nicht vergessen! Übrigens ist dieses Zeug ziemlich teuer und nicht im freien Handel zu bekommen. All dieser Aufwand für eine vergammelte Kücheneinrichtung oder hässliche Vorhänge aus den Achtzigern? Alt genug sehen die Wohnwagen schließlich aus!“

„Ui… naja. Aber wieso Schuppen? Ich hab doch keine Schuppen!“

„Hast du wohl! Haufenweise!“

„Hab ich nicht! Und du musst reden, du mit deinen Pickeln!“

Maggie sah ihnen nach, als sie sich freundschaftlich zankend entfernten, und hielt dann nach einem neuen Opfer Ausschau. Kein Mensch auf der Straße, Mist.

Sie eilte zur nächsten Ecke, wo Patrick lauerte. „Hast du was erreicht?“

„Wohnwagen? Welche Wohnwagen? Ich bin tagsüber kaum da. Aus dem Fenster schauen? Wozu? Ich hab ein Streaming-Abo, das ist interessanter. Und lauter solches Zeug.“

„Bei mir auch. Das hat doch alles keinen Sinn, besser machen wir einen Aufruf über Facebook oder so. Die Pressestelle soll das machen. Aber dass niemand die Frau als vermisst gemeldet hat, wundert mich schon. Komm, wir schauen bei Julia vorbei, vielleicht sagt sie etwas Interessantes.“

Julia Engelhorn bestritt zunächst, etwas Interessantes zu wissen. „Stranguliert wisst ihr doch schon! Und sonst – elf Tage, okay, jetzt eher zwölf Tage tot. Frau wohl Ende fünfzig. Zwei Eheringe, die sie wahrscheinlich nicht mehr abgekriegt hat. Aber die Finger könnten auch einfach angeschwollen sein. Sie hat mindestens einmal ein Kind bekommen, per Kaiserschnitt. Normales Gewicht, etwa einssiebzig groß. Haare dunkelbraun, aber gefärbt, also wahrscheinlich zum Teil grau, genau genommen weiß.“

Maggie seufzte enttäuscht, dann fiel ihr Blick auf eine etwas tantige Handtasche aus grauem Filz. „Nichts drin, oder?“

„Nein. Wisst ihr aber schon. Übrigens sind diese Taschen, so langweilig sie aussehen, ziemlich teuer. Schaut mal, hier!“

Sie zog die beiden Seiten vorsichtig etwas auseinander und man erkannte den bekannten – nach Maggies Ansicht ziemlich hässlichen - House Check einer englischen Nobelmarke. „Porter´s? Seit wann machen die denn in Filz?“

Julia zuckte die Achseln. „Vielleicht soll das nachhaltig wirken, was weiß denn ich! Aber das Ding kostet bestimmt vierhundert Euro.“

„Keine arme Frau“, folgerte Patrick.

„Sie kann das Ding auch geschenkt bekommen haben“, wandte Julia ein. „Oder Flohmarkt – nein, das Modell ist ziemlich neu. Ich hab´s schon gegoogelt.“

„Neu – und teuer“, überlegte Maggie, „das ist doch ein Kriterium, oder? Wir sollten das Ding in die Suchmeldung aufnehmen.“

Sie fotografierte die Tasche von allen Seiten, Julia hielt sie bereitwillig wieder so, dass man das affige Karofutter sehen konnte, und schließlich waren sie alle zufrieden.

Oben trugen sie Anne ihren Plan vor, und die nickte. „Schreibt die Suchmeldung, zeigt sie mir, bindet die Fotos ein (scheußliches Ding, finde ich) und schickt sie dann an die Pressestelle. Moment mal, hatte die Frau nicht noch etwas Auffälliges an?“

„Sandfarbenes Kostüm, braune Schuhe, nichts Aufregendes.“ Patrick hatte sich die leider recht übelriechenden Kleidungsreste flüchtig angesehen.

„Na gut, dann eben so. Vielleicht bringt es ja etwas. Und niemand hat irgendetwas gesehen, was?“

„Da wohnen einfach noch zu wenige Leute, die halbe Siedlung ist doch noch im Bau.“

„Außer dieser Frau Garbrecht hat ja nicht einmal jemand etwas gerochen!“, fügte Patrick hinzu. „Eigentlich komisch.“

Das hätte Nele, die ihre Erlebnisse im Bürgerzentrum referierte, sofort unterschrieben: „Die Leute draußen in Birkenried müssen einen Stockschnupfen haben, keiner hat diese Leiche auch nur gerochen!“

„Iih!“ Sonja fand das Thema eher unappetitlich, Rosa schüttelte den Kopf: „Dass du über so etwas Tragisches sprechen kannst? Und willst du wirklich in so einer Gegend wohnen bleiben?“

Nele schüttelte ebenfalls den Kopf. „Das ist doch Quatsch! Einen Mord kann es überall geben, da müsste ich ja pausenlos umziehen. Wo wohnst du denn, dass da so heile Welt herrscht?“

„Na, in Henting. Da ist es friedlich!“

„Ach ja“, kommentierte Sonja etwas hämisch, „ist dort nicht vor Jahren diese alte Hexe erschlagen worden? Und da gibt´s ja auch immer wieder Idioten, die es fertigbringen, in der Leiß zu ertrinken. Immerhin, keine billige Gegend – wolltest du darauf hinaus?“

„Nein!“, jammerte Rosa. „Ihr seid schon wieder so gemein zu mir!“

„Warum, du hast doch angefangen? Unterstellst Nele, dass sie in einer Mördergegend wohnt…“

„Lass gut sein, Sonja! Rosa weiß es halt nicht besser. Wahrscheinlich wohnt sie noch bei ihren Eltern…“, begütigte Nele nicht ganz aufrichtig.

„Na und? Meine Eltern sind lieb – und ich will nicht so einsam sein wie du! Sonja ist ja wenigstens verheiratet, aber du?“

„Fängst du schon wieder an?“ Nele winkte ab und wandte sich Sonja zu. „Und anscheinend weiß keiner, wer diese Leiche ist – oder mal war.“

„Na, mittlerweile muss sie ja wohl auch nicht mehr gut zu erkennen sein?“, überlegte Sonja und schüttelte sich unwillkürlich. „Und in einem Wohnwagen? Vielleicht war es der Besitzer…“

„Dann müsste er schon reichlich dämlich sein, meinst du nicht?“ Nele nahm die Hände von der Tastatur und sah Sonja mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Glauben solche Mörder nicht immer, niemand käme ihnen drauf? Kennst du Deutschlands dümmste Verbrecher?“

„Wo irgendwelche Knallchargen ohne Maske eine Tankstelle überfallen? Oder sich am Tatort einsperren? Klar. Aber so doof ist doch wohl niemand!“

„Wer weiß“, raunte Sonja und warf einen Blick in Richtung Rosa, die sofort losjaulte: „Soll das heißen, ich bin dumm?“

„Nein, nein“, versuchte Nele sie zu beruhigen, „aber willst du dich nicht mal an diesen Stapel machen? Die ganzen Berichte müssen doch noch ins Netz, wie sollen wir denn sonst unsere Statistiken machen?“

„Aber ihr wisst doch, dass ich das nicht kann!“ Rosa hatte sofort wieder Tränen in den Augen. Sonja platzte der Kragen. „Dann lass es. Und wenn die Pfister fragt, warum unsere Daten so aussagearm sind, dann sagen wir, weil du dein Zeug nicht eingearbeitet hast. Wir machen unsere Arbeit, mach du deine gefälligst auch. Wir haben dir oft genug gezeigt, wie es geht, aber wenn du außer Geheule nichts zustande bringst…“

„Du bist so gemein!“

„Nein, Rosa“, erklärte Nele, der es allmählich auch reichte, „wir sind nicht gemein, wenn wir uns weigern, deine Arbeit zu machen, weil du keine Lust darauf hast. Diesen Krempel einzugeben ist nicht schwieriger als einen stinknormalen Text zu schreiben, und das weißt du auch selbst. Also hör jetzt mal mit dem Seelchengetue auf und werd erwachsen, dann geht´s dir auch besser!“

Rosa angelte nach einem Taschentuch und verließ dann türenknallend das Zimmer.

Frau Dr. Pfister schaute herein. „Was ist denn hier los?“

„Die Rosa ist sauer“, petzte Sonja sofort, „weil wir gesagt haben, dass sie ihre Arbeit mal schön selber machen soll.“

„Nicht schon wieder! Ich werde versuchen, ihr noch einmal einen EDV-Kurs aufs Auge zu drücken. Aber ich hätte auch zwei neue Fälle. Einen überschuldeten Familienvater für Frau Garbrecht und eine Mutter mit zwei unverschämten Töchtern für Frau Zöpfl – Sie sind doch unsere Spezialistin für Erziehungs- und Familienberatung? Nach der Mittagspause tauchen die Klienten bei Ihnen auf.“

Beide nickten zufrieden und machten sich, sobald sich die Tür wieder geschlossen hatte, wieder über ihre Akten her. Nele schaffte immerhin praktisch alle, naja, bis auf drei, bevor sie beschloss, sich doch mal einen Tee zu machen.

Ihr Wutschrei, als sie die Küche sah, schallte durch die ganze Etage.

Sonja kam prompt herangestürzt. „Was ist passiert?“

„Schau dir diesen Saustall an!“ Neles Zeigefinger zitterte regelrecht, als er auf ungespülte Kaffeetassen, einen ganzen Haufen von leeren Pfandflaschen und jede Menge verbrauchter Kaffeekapseln wies.

Sonja kicherte. „Pass auf, wir nehmen uns jetzt jede einen Kaffeebecher und der bleibt im Büro. Dann kann der Saubär Thilo selbst spülen, wenn die Becher alle sind. Und die Pfandflaschen räumen wir beiseite. Wenn Thilo sie nicht vermisst, lösen wir sie ein und spenden den Erlös. Natürlich mit Erlaubnis der Pfister.“

„Gute Idee, aber ich würde Thilo echt gerne zwingen, diese blöden Kaffeekapseln aufzuessen. Das ist Aluminium, Himmel noch mal, dieser Ökodrecksack!“

„Nicht aufregen, sondern Rache üben!“, riet Sonja und angelte eine hässliche, aber riesige Recycling-Tasche hinter den Stühlen rund um den Tisch hervor und begann, die leeren Flaschen hineinzuschichten. „Achtzehn Stück zu je 25 Cent, das sind vier fünfzig. Ich glaube, das geht an die Tafel. Ist doch okay, oder?“

„Aber zuerst verstecken wir die Tasche oder fragen die Pfister, ob wir das dürfen. Nachher werden wir noch gefeuert, weil wir vier Euro fünfzig unterschlagen haben!“

„Stimmt. Dann fragen wir!“

Frau Dr. Pfister war sogar einverstanden, die Tasche mit den Flaschen vorübergehend in einem ihrer Schränke zu beherbergen und einen Aushang zu machen, dass herrenlos herumstehende Pfandflaschen ab sofort eingesammelt und weggespendet würden. „Aber Sie glauben nicht ernsthaft, dass er daraus etwas lernt?“

„Wenn wir nichts mehr abspülen, vielleicht doch“, hoffte Nele. Die Chefin lachte. „Dann bringt er seinen Kaffee in Pappbechern mit und wir haben hier noch mehr Müllberge. Na gut, ich werde mit ihm sprechen. Und mit Frau Pallmark auch, diese Hilflosigkeit auf Kosten der anderen ist unmöglich!“

Tot im Wohnwagen

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