Читать книгу Nach vorn - Elisabeth Etz - Страница 10

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ANSTATT mein neues Leben zu feiern, feiern wir Lunas Geburtstag bei mir zuhause. Ich habe mir gedacht, dass das eine gute Idee wäre. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Meine Eltern lernen meine Freundinnen kennen und wir bringen Lunas Geburtstag hinter uns. Am Ende des Tages könnte ich erleichtert aufatmen und hätte es hinter mich gebracht. Nicht dass Lunas Geburtstag an sich eine schlechte Sache wäre. Aber sie hat sich von ihren Eltern einen Smoothie-Mixer gewünscht. Einen von diesen teuren. Mit Ice-Crush und Turbo-Funktion, Soft-Step-Geschwindigkeitsregulierung, integriertem Messbecher, Anti-Rutsch-Füßen und einem patentierten Öffnungsmechanismus zur leichten Reinigung.

Ich weiß das so genau, weil sie uns ausführlich davon erzählt hat. Luna will nämlich Grüne Smoothies machen. Alle wollen Grüne Smoothies machen. Alle sind plötzlich ganz wild darauf, Grünkohl, Brennesseln und Sellerie in ihre Getränke zu mischen.

Der Plan ist, dass Luna zuerst mit ihren Eltern essen geht und sich dann mit dem Mixer unter dem Arm geklemmt auf den Weg in unsere Wohnung macht. Shirin und Julia sind schon zwei Stunden vorher bei mir. Wir wollen eine Torte backen und Geburtstagsdeko aufhängen. Dann wollen wir ihr ein Buch über Grüne Smoothies überreichen. Wilde Grüne Smoothies. Also welche, wo man sich davor durch die Büsche schlagen und Kräuter sammeln muss. Oder zum Biomarkt gehen, wenn man Geld hat.

Meine Eltern habe ich vorgewarnt, sie freuen sich. Ich suche noch das Regal mit den Kochbüchern ab, um sicherzugehen, dass meine Mutter das Himbeerbuch und die anderen Scheißbücher auch tatsächlich weggeworfen hat. Bin beruhigt, dass ich sie nicht finde. Dann klingeln Shirin und Julia auch schon. Ich höre sie im Stiegenhaus lachen und dann stehen sie außer Atem vor der Wohnungstür.

Julia stützt sich an Shirin ab und keucht. „Vierter Stock ohne Lift ist echt hart.“

„Aber gutes Workout.“ Shirin deutet auf mich. „Die macht das jeden Tag“, sagt sie zu Julia. „Kein Wunder, dass die so schlank ist.“

Ich küsse die beiden auf die Wangen und sage nichts, mache nur die Tür so weit auf wie möglich, so dass die beiden nebeneinander hereinkommen können.

Vierter Stock ohne Lift, das fällt dir so richtig auf, wenn du im Rollstuhl sitzt, weil du so schwach bist, dass du nicht mal mehr gehen kannst. Wenn deine Eltern dich rauf- und runtertragen müssen. Deine Eltern. Mit sechzehn.

Zum Glück war das zeitlich begrenzt, aber seither frage ich mich immer wieder, wie das Leute machen, die ständig im Rollstuhl sitzen. Die alte Frau Cermak über uns geht schon seit langem nicht mehr raus. Dabei ist die in meiner Kindheit noch durch den Park gejoggt, da kann ich mich dran erinnern. Es kann so schnell gehen, dass man plötzlich nicht mehr kann. Aber niemand will daran denken.

Ich auch nicht, nicht mehr. Mit einer Kopfbewegung schüttle ich mir die Haare aus der Stirn und die Gedanken aus dem Kopf, und Shirin und Julia schütteln artig die Hand meiner Mutter, die sich wie vereinbart nur kurz blicken lässt.

„Es ist peinlich, wenn du dich mit meinen Freundinnen unterhalten willst“, hab ich gesagt und ihren traurigen Blick ignoriert. Sie hört uns in der Küche hantieren, reden und lachen, das muss ihr reichen als Information darüber, dass mein Leben sich normalisiert hat, dass alles okay ist, dass sie sich jetzt keine Sorgen mehr machen muss.

Julia packt Döschen und Beutelchen aus. Shirin und ich öffnen sie und inspizieren ihren Inhalt. Chia Samen. Goji Beeren. Acai Pulver.

Ich schnuppere an einer geöffneten Dose. Riecht nach nichts. Skeptisch sehe ich Julia an. „Bist du im Superfood-Store eingebrochen oder was?“

„Hab ich alles zuhause“, klärt mich Julia auf.

„Und das kommt alles in die Torte?“

„Je mehr, desto besser.“

Ich lache auf. „Einfach nur zusammen schmeckt sicher eklig.“ Ich hebe eine andere Dose an meine Nase und schnuppere wieder. „Oder einfach nach nichts.“

Shirin wischt auf ihrem Handy herum. „Keine Panik, wir haben ein Rezept.“ Sie hält mir den Display vor die Nase. Raw Goji Maca Cake.

„Vegan and gluten-free“, lese ich vor. „Ich wusste nicht, dass Luna ein Problem mit Gluten hat.“

„Hat sie nicht“, erklärt Julia. „Aber zum Geburtstag kann man schon mal was Besonderes kriegen.“

Ich seufze und mache mich daran, Schüsseln aus Laden und Kästen zu räumen, die brauchen wir vielleicht.

Brauchen wir dann aber gar nicht, denn Julia hat ganze Vorarbeit geleistet. Cashewnüsse über Nacht eingeweicht, Walnüsse und Datteln geschreddert. Wir müssen das Ganze nur noch zu einem Brei mischen. Was unser billiger Küchenmixer aber nicht kann. Ich verstehe nicht, warum wir Luna keinen Kuchen backen, sondern einen mixen, wo sie doch erst den Power-Mixer mitbringt.

Aber ich sage nichts und Shirin grinst nur und sagt, dass wir Luna extra deswegen einen Bröselkuchen machen, damit sie ihr Geburtstagsgeschenk erst richtig zu schätzen lernt. Nach mehereren erfolglosen Versuchen, aus Julias Zutaten eine zusammenhängende Masse zu machen, schmeißen wir das Ganze in den Tiefkühler und hoffen, dass alles zumindest so zusammenfriert, dass wir es als Torte dekorieren können.

Die Wartezeit, bis Luna kommt, verbringen wir damit, bunte Happy-Birthday-Fähnchen aufzuhängen und alte Zeitschriften zu lochen, um genug Konfetti zu bekommen. Noch während wir wie wild herumlochen, klingelt es. Luna.

Ich sehe auf die Uhr. „Verdammt, die Zeit vergeht schnell.“

„Scheiße.“ Shirin schlägt sich die Hand vor den Mund und reißt die Augen auf, bevor sie zu lachen beginnt. „Der Kuchen ist noch im Tiefkühler.“

Julia sieht sie verständnislos an. „Da soll er auch sein, oder?“

Shirin schüttelt den Kopf. „Eine halbe Stunde vor dem Essen muss man ihn rausstellen. Sonst ist er zu hart.“

Ich grinse. „Aber dann zerfällt er.“

Alle drei springen wir gleichzeitig auf, laufen in die Küche und holen den gefrorenen Dattel-Nuss-Block aus dem Eiskasten. Julia seufzt theatralisch und verdreht die Augen.

„Wir könnten ihn auftauen und mit Lunas Mixer zu einem Smoothie verarbeiten“, schlage ich vor.

„Wir könnten einfach jemanden damit erschlagen“, kommentiert Julia trocken. Bestimmt tut es ihr leid um die ganzen verschwendeten Superlebensmittel.

Vor lauter Kuchenaufregung habe ich gar nicht gemerkt, dass meine Mutter Luna bereits hereingelassen hat. Aus den Gesprächsfetzen schließe ich, dass sie sich über Lunas Lieblingsrestaurant unterhalten, wo sie vermutlich gerade mit ihren Eltern essen war.

„Hey!“ Luna bleibt im Türrahmen zur Küche stehen und winkt.

„Hey, Luna!“ Ich falle ihr um den Hals und drücke sie. „Happy Birthday!“

„To you …“, fallen Shirin und Julia ein und singen gleich weiter. „Marmelade im Schuh, Aprikose in der Hose, Happy Birthday to yooouuuu!!!“

Ich sehe, dass meine Mutter mitsingt. Sogar den Teil mit der Marmelade und der Hose. Ich kann spüren, wie sie sich freut.

Luna lächelt und verbeugt sich. „Und was ist das?“ Sie deutet an mir vorbei auf den Kuchen.

„Äh …“ Julia zögert. „Ein Geburtstagsklumpen von uns?“

„Yeah!“ Luna lacht und stellt ihren Mixer ab. „Einen Klumpen wollte ich schon immer haben.“

„Wir können ihn auftauen und mixen“, wiederhole ich meinen Vorschlag von vorhin. „Schmeckt sicher gut.“

Nach kurzer Diskussion tauen wir den Klumpen tatsächlich auf, mixen die Masse mit Lunas Powergerät und frieren das Ganze wieder ein. Am Abend ist daraus ein wirklich leckerer Kuchen geworden. Oder wie auch immer man das nennen soll. Bis dahin werfen wir alle möglichen Dinge, die wir in unserer Küche finden, zusammen und staunen, wie der Mixer sogar Orangenschalen und Karotten in einen cremigen Smoothie verwandeln kann. Einmal kippen wir unser Gebräu würgend ins Klo, nachdem wir versucht haben, auf Julias Vorschlag hin Avocadokerne und Bananenschalen als Zutaten zu verwenden.

Als Entschädigung mixt sie uns aus ihren magischen Zutaten einen Supershake. Mit Bananen, Mandelmilch, Maca Pulver und Chia Samen. Eigentlich hätte noch eine Prise Himalaya-Kristallsalz hineingehört, aber das hat Julia nicht mitgebracht und wir haben nur jodiertes Tafelsalz, das will Julia nicht. Sie will keine Produkte mit Zusatzstoffen, sie will pur und rein und gesund sein.

Jodmangel war eine häufige Ursache dafür, dass Menschen einen Kropf bekommen haben, aber das sage ich nicht. Auch nicht, dass es im Himalaya gar keine Salzbergwerke gibt. Außerdem geht in dem Moment der Mixer an und mich würde sowieso niemand hören.

Der letzte Shake ist okay, nur die Chia-Samen sind schleimig und nerven. Als alle gegangen sind, ist mir schlecht von den ganzen süßen Sachen. Ich öffne den Tiefkühler und nehme eine Packung Tiefkühlpizza heraus. Quattro Formaggi.

Ich konzentriere mich auf die Gorgonzolafäden, die sich zwischen meinem Mund und dem Pizzastück in meiner Hand ziehen, und versuche, mir nicht Julias vorwurfsvollen Blick vorzustellen. Selber schuld, dass du Krebs gekriegt hast, sagt der Blick. Wenn du solchen Junk frisst.

Als ich bei der Hälfte der Pizza angekommen bin, kommt meine Mutter in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. „Deine Freundinnen sind nett“, sagt sie.

Ich nicke mit vollem Mund. Ja. Nett sind sie.

Plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, Marc anzurufen. Ich habe mich erfolgreich drei Tage lang nicht bei ihm gemeldet und seine zahlreichen Anrufe und Nachrichten ignoriert. Die letzte war:

Gut, ich gebe dir Zeit

Für den Anruf schließe ich mich auf dem Klo ein. Marc hebt sofort ab.

„Lass uns einfach vergessen was passiert ist“, sage ich schnell, bevor er etwas sagen kann.

„Okay“, kommt es zögernd vom anderen Ende der Leitung. „Ich will aber, dass du weißt …“

„Passt schon.“ Ich will nichts hören. Will über nichts diskutieren. Ich brauche nur jemanden, der mit mir Tiefkühlpizza Quattro Formaggi isst. Und außer Marc fällt mir da momentan niemand ein.

Ich will auch nichts sagen, außer: „Hast du Zeit grad? Ja? Dann komm ich vorbei. Ich bring Pizza mit.“

Ich klappe die halbe Pizza zusammen, so dass Käse mit Käse verschmilzt, und packe sie in den Pizzakarton, den ich wieder aus dem Altpapier hole. „Ich fahr noch zu Marc, ja?“

Meine Mutter nickt. „Sonntag Brunch mit ihm steht noch?“, will sie wissen. „Ich möcht ihn wirklich gern kennenlernen.“

Ich nicke hastig. „Alles klar. Er kommt gerne.“

Ich muss mir schleunigst überlegen, wie ich Marc dazu kriege, am Sonntag bei uns aufzutauchen.

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