Читать книгу Nach vorn - Elisabeth Etz - Страница 12

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ANFANGS musste ich einmal im Monat zum Check-Up, inzwischen nur noch alle drei Monate. Blutüberprüfung, Urinkontrolle, das ganze Drum und Dran. Anfangs war ich extrem nervös, weil ich nicht glauben konnte, dass jetzt wirklich alles vorbei sein sollte. Jeweils eine Woche vor der Nachkontrolle waren meine Alpträume am schlimmsten. Auch untertags hatte ich Panik, dass sie mich wieder dabehalten würden.

War zum Glück aber nicht so. Annette lächelte jedes Mal, wenn sie mir meine Befunde zeigte. „Wunderbare Werte“, sagte sie. „Ich freu mich so.“

Einige Tage vor dem Termin bin ich noch immer nervös. Aber je mehr Zeit vergeht, umso mehr mischt sich auch ein anderes Gefühl hinein, das die Oberhand gewinnt, sobald ich Annette lächeln sehe. Ich freue mich. Irgendwie gehe ich da inzwischen sogar gerne hin. Weil Annette sich so freut. Weil wir uns beide freuen.

Eigentlich hätte ich auch regelmäßig mit der Psychologin sprechen sollen. Ist so der Plan, wenn man rauskommt. Aber die konnte ich schon auf der Station nicht leiden. Sie wollte über meinen Schulbesuch sprechen und mir helfen, Kontakte aufrechtzuerhalten. Gedächtnistraining machen und so Scheiß. Ich hatte aber keine neurologische Störung, die ein Gedächtnistraining erfordert hätte. Ich wollte auch nicht in die Schule gehen und schon gar keine Kontakte aufrechterhalten.

Dass ich jetzt im Nachhinein regelmäßig mit ihr reden sollte, schien mir absurd, und Annette hatte vorgeschlagen, dass ich bei den Nachsorgeuntersuchungen einfach mit ihr darüber reden sollte, wie es mir so ging. Das Angebot nahm ich dankend an. Mit Annette wollte ich reden. Auch wenn sie nie genug Zeit für mich hatte.

„Und, wie geht’s dir sonst?“, will Annette wissen, nachdem klar ist, dass mein Körper wieder drei Monate ohne Auffälligkeiten mitgemacht hat.

„Ich hab mit meinem Freund geschlafen“, platze ich heraus. Annette strahlt übers ganze Gesicht. „Schön.“

Endlich fühle ich mich so, wie ich immer sein wollte. Ich wäre gern die Vorzeigepatientin gewesen, die lächelnd reinkommt und lächelnd geht. Bei der die Therapien sofort anschlagen und über die sich die Ärzte bewundernd Notizen machen, wegen des unüblich schnellen Heilungsverlaufs. Die dann sagen kann, ja, das war bestimmt, weil ich mich schon seit meiner Kindheit bewusst ernähre und Stress vermeide und überhaupt ganz perfekt gelebt habe. Weil der Krebs sozusagen nur ein Irrtum der Natur war, der eigentlich ganz wen anderen treffen hätte sollen, jemanden, der nur fettes Zeug isst und raucht und nie Sport macht. Aber die Natur hat den Fehler gleich erkannt und mich schnell wieder gesund gemacht, seht ihr, ich war die Falsche. Notiert euch das gleich mal, damit ihr es später sofort erkennt, wenn wieder mal die Falsche vor euch sitzt.

Auch wenn alle Statistiken dagegen sprechen, man selbst ist natürlich die große Ausnahme.

Bloß: Nein.

Ist man nicht.

Reingegangen bin ich noch lächelnd. Mit dem festen Vorsatz, das alles schnell hinter mich zu bringen.

Der Krebs schert sich aber nicht um deine Vorsätze. Als die Chemo zum zweiten Mal nicht anschlug, hatte ich das Lächeln schon lange aufgegeben.

Als ich merkte, dass das mit Vorzeigepatientin nicht klappen würde, habe ich beschlossen, alle zu boykottieren. Was sollte das auch alles? Die Cliniclowns wegzuschicken, war ein Einfaches. Die Psychologin war schon hartnäckiger, die kam immer wieder und ich musste sie regelrecht anschreien, bis sie endlich verschwand. Ich verstand nicht, warum alle ständig etwas von mir wollten. Mich aufheitern, mich befragen, mich unterrichten. Wozu das alles? Ich würde doch sowieso sterben.

Ich schüttle mich und versuche, solche Gedanken wegzuwischen. Annette war die Einzige, die ich damals nicht gehasst habe, obwohl sie bestimmt für einen Teil meiner Schmerzen verantwortlich war. Aber sie war die Einzige, die mich nicht immer dazu aufforderte, positiv zu denken, weil das angeblich den Krankheitsverlauf beeinflusste. Sie war auch diejenige, die mir verriet, dass die Cliniclowns sogar manchmal zu ihr und dem restlichen Krankenhauspersonal kommen, um sie aufzuheitern.

Wenn’s mit der Vorzeigepatientin schon nicht geklappt hat, jetzt kann ich die Vorzeigepatientin der Nachsorge sein. Kann Annette zeigen, wie gut alles bei mir läuft. Es läuft auch tatsächlich gut. Es gibt allen Grund, sich zu freuen. Darüber, dass ich jetzt gesund bin, gesund- gesundgesund! Und darüber, dass ich wieder ein normales Leben aufgenommen habe. Freundinnen habe. Einen Freund. Mit ihm geschlafen habe. Mit einem Körper, der wieder funktioniert.

Annette freut sich auch, dass ich so schnell Anschluss gefunden habe. Ist gar nicht so selbstverständlich. Mobbing ist total verbreitet, anscheinend. Wenn sich die anderen in der Klasse plötzlich lustig machen über dich, weil dein Gesicht aufgedunsen ist vom Cortison, oder du total abgemagert bist und sonst auch nicht gerade so aussiehst, wie du aussehen solltest.

Wenn sie nicht neben dir sitzen wollen, aus Angst, sich anzustecken, obwohl sie sicher tausendmal gehört haben, dass Krebs nicht ansteckend ist und das auch bei jedem Biologietest so hinschreiben würden. Aber in Wirklichkeit glauben sie nicht so recht daran und wollen lieber auf Nummer sicher gehen. Wenn sie kichern, weil du dich schon wieder nicht erinnern kannst, was gestern besprochen wurde, und dir lieber gleich gar nichts mehr erzählen.

Kann dir alles passieren. Vielleicht war es also gut, dass ich mich schon früh ausgeklinkt habe aus meiner alten Klasse, weil einfach gar nichts mehr ging. Dass ich gar nicht erst versucht habe, in den therapiefreien Intervallen in die Schule zu gehen. Gar nicht versucht habe, dranzubleiben.

Zuerst haben meine Eltern Druck gemacht, dass ich es zumindest probieren soll. Doch dann gab es in meiner Schule Verdacht auf Masern, weil irgendwelche Idioten nicht geimpft waren. Da haben dann auch meine Eltern eingesehen, dass ich dort nicht hingehen kann. Ein Immunsystem wie meines wäre ja sofort tot umgefallen, wenn die Masern nur durch die Fensterscheibe Hallo gesagt hätten.

Ein bisschen Unterricht hatte ich in der Klinik. Deshalb hab ich nur ein Jahr verloren, obwohl ich eineinhalb Jahre weg war. Aber mehr wäre nicht gegangen. Echt nicht.

Doch jetzt kann ich mein neues Leben beginnen, mit Shirin, Julia, Luna, Marc und den anderen, die mich nie gesehen haben mit Augenringen, nicht im Rollstuhl, nicht beim Umkippen und Kotzen und Heulen und Aufgebenwollen.

Die mich nur so kennen, wie ich jetzt bin.

Wie ich gesund inmitten der Menschenmenge stehe und die Läufer anfeuere, allen voran Marc, meinen Freund. Wie ich schreie und juble, ohne außer Atem zu kommen. Wie meine Eltern neben mir mitrufen und mitjubeln, mehr mir zujubeln als denen auf der Bahn.

„Welcher ist es denn?“, fragt meine Mutter lachend, als ich aufgeregt der Gruppe der ersten Läufer zuwinke, die uns alle anlächeln.

„Der da!“ Ich zeige auf Marc, der ein paar Meter weiter über die Ziellinie läuft.

„Vierter!“, stellt mein Vater anerkennend fest. „Gerade das Podest verpasst, aber nicht schlecht.“

Marc hat sich eine Flasche Wasser über den Kopf gegossen und kommt mit tropfnassen Haaren auf uns zu. Er küsst mich auf die Wange und richtet dabei das Handy auf unsere Gesichter. Ich strahle mit ihm um die Wette, so gut ich kann. Nicht, dass ich mir diese Bilder irgendwann anschaue. Ich gehöre auch nicht zu Marcs Followern. Was er so postet, finde ich nicht besonders interessant.

Marc dreht sich zu meinen Eltern und strahlt weiter, jetzt ohne Fotos.

„Das ist Marc“, stelle ich ihn vor. „Das sind meine Eltern.“

Marc gibt ihnen die Hand, dann entschuldigt er sich. „Ich geh schnell duschen, dann komm ich wieder.“ Er verschwindet in der Menge in Richtung der Container, die für den Jugendlauf aufgestellt worden sind. Ich sehe, wie meine Eltern einander zulächeln und aufatmen.

Test bestanden.

Nach zwanzig Minuten kommt Marc trocken und mit einem Plastikbecher in der Hand zurück, gierig saugt er am Strohhalm.

„Was ist das?“ Ich öffne den Deckel und spähe hinein. Vanillegeruch schlägt mir entgegen.

Marc schiebt meine Hand beiseite und drückt den Deckel wieder fest. „Proteinshake. Ist gut für die Muskeln.“ Er sieht auf die Uhr und nickt. „Bis zu einer Stunde nach dem Sport kann’s der Körper am besten verarbeiten.“ Er macht noch einen tiefen Schluck, dann hält er mir den Strohhalm hin.

„Willst du mal kosten?“

Ich schüttle den Kopf, aber ich sage nichts. Sollen sie doch ihren Scheiß fressen und saufen und glauben, dass sie gesünder werden davon.

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