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Franz spricht

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Es ist nicht Eitelkeit, was ich Ihnen jetzt sag, aber glauben Sie mir, die Frauen sind mir nachgelaufen. Richtig nachgelaufen. Das hab ich schon bemerkt, als ich noch ganz jung war. Die Mädchen damals in unserer Siedlung, die haben es mir ganz deutlich gezeigt.

Die Mädchen aus dem Ort waren ein wenig anders, mehr stolz vielleicht. Aber genauso neugierig. Genauso bereit. Ich will nicht übertreiben, ich hab es aber genau erkannt. Wissen Sie, ich war nie stolz auf mein Aussehen, das war auch nicht so aufregend, aber eben anders als das von den Gymnasiasten oder das von den primitiven Burschen aus der Siedlung. Ich hab mich ja nie für was Besseres gehalten. Ich war eben immer der Franz und dieser Franz war ziemlich okay. Es war auch nicht so, dass ich ganz früh angefangen hab mit den Mädchen, ich wollt erst alles wissen, wie das so ist und ob man vorsichtig sein muß, wenn eine gleich den Rock aufhebt. Und Frauen. Die haben mich zwar interessiert, aber doch, eine Scheu hab ich gehabt vor ihnen. Das hat sich später dann alles gegeben, aber so früh dran, wie Sie vielleicht glauben, war ich nicht. Da war der Peter, der Bruder vom Paul anders. Wohl zwei Jahre älter als ich, aber ganz schön drauf aus, mit einer was anzufangen. In der Kirche war er jeden Sonntag, ja. Aber kein Heiliger war er. Da hat es eine Geschichte gegeben, ich glaub er war damals siebzehn, mit einem Mädchen aus der Siedlung. Katharina, Kathi. Normalerweise ist er durch unsere Siedlung dahingerauscht, ohne sich umzuschauen. Aber die Kathi hat er angeschaut. War auch sehr hübsch. Ein wenig rundlich, aber hübsch. Später war sie richtig dick, aber da war sie schon verheiratet. Also auf jeden Fall hat er sich was mit ihr angefangen. Ich hab das bemerkt, weil ich sie einmal im Wald gesehen hab, wo der Peter ja normalerweise nie hingegangen ist. Unter einem Busch sind sie gesessen, mich haben sie nicht bemerkt, aber ich sie, sie waren ziemlich beschäftigt. Ich will ja nicht sagen, dass es das Äußerste war, aber schon nah dran. Ich mich davongeschlichen und gleich dem Paul erzählt. Der wollte es mir zuerst nicht glauben. Hat es aber dann doch geglaubt. Der Paul hat gewusst, dass ich ihn niemals anlüge. Er hat gemeint, er würde mit dem Peter reden. Lass ihn doch, hab ich gesagt, aber wie passt das zu ihm, die Kathi aus der Siedlung. Gar nicht, hat der Paul gesagt, aber nicht wegen der Kathi ihrer Herkunft, sondern weil er nur seinen Spaß haben will mit ihr. Du willst doch nicht, dass er bei ihr bleibt, habe ich gefragt. Nein, hat der Paul geantwortet, aber es ist nicht fair, ihr vielleicht was zu vorzumachen. Damals hab ich nicht gewusst, was fair heißt. Heute weiß ich es. Nein, Peter war nicht fair. Paul war es. Immer, glaub ich.

Interessant ist, dass sich die Kathi später umgebracht hat. Da war sie bereits eine ganze Weile verheiratet. Ein Kind hat sie auch gehabt.

Man hat viel darüber geredet. Damals hab ich noch in der Fabrik gearbeitet. Aber wie das schon ist. Irgendwann ist Gras über den Tod von der Kathi gewachsen. Der Mann hat wieder geheiratet.

Seltsam, was einem alles wieder einfällt. Ist doch ganz interessant, was ich Ihnen so erzähle. Oder nicht?

Morgen hab ich ein Date mit meinem Anwalt. Langsam fang ich auch schon an mir solche Worte anzugewöhnen. Früher hat man Termin gesagt. Wahrscheinlich auch ein Fremdwort. Aber egal. Die Sache ist fast aussichtslos. Nur, ich geb nicht so leicht auf. Irgendwas muss meine geschiedene Frau noch herausrücken. Schließlich hab ich in diesem Haus gearbeitet wie ein Fremdarbeiter. Dass die Bude heute noch so in Schuss ist, hat sie mir zu verdanken.

Entschuldigen Sie, manchmal bin ich halt leicht verbittert. Das vergeht aber. Sie kommen doch wieder zu mir? Bald. Ja?

»

Eine Bank, ein Tisch in einer gottverlassenen Gegend. Rundherum Bäume, deren Stämme kahl, deren Wipfel vom Wind zerzaust sind. Sträucher, ineinander gewachsen, die Zweige zum Boden geneigt. Es ist später Herbst. Irgendwann ist bereits Schnee gefallen, seine Reste liegen auf der schwarzen Erde. Wer kommt hierher. Wer findet überhaupt diesen Platz. Wer ist jemals auf dieser Bank gesessen, wer hat sein Brot auf diesen Tisch gelegt.

Eva dreht sich um. Nur die Skizze in ihrer Hand hat ihr den Weg gewiesen. Nun ist sie angekommen und ist allein. Ihre Schuhe sind nicht für diesen Boden geeignet, auf dem Schnee rutscht sie, auf der Erde sinkt sie ein. Warum bin ich hier, denkt sie, was soll ich hier machen. Ich hätte mich nicht auf diese Zusammenkunft einlassen sollen. Immer wieder schaut sie auf ihre Uhr. Er kommt zu spät. Um sich mit ihr zu treffen, darf niemand zu spät kommen, so hat sie es immer gehalten. Ich gehe jetzt, denkt sie, ich verlasse diesen Platz, der nur unheimlich ist, sonst nichts. Wie ist er überhaupt auf die Idee gekommen, mich hierher zu bitten. Ich hätte nicht einwilligen müssen, ich habe es mir anders vorgestellt. Wenn schon nicht romantisch, so doch bedeutungsvoll. Hier kann es niemandem gefallen. Niemandem.

Sie zieht ihre Handschuhe an, die sie vorsorglich mitgenommen hat. Dann zieht sie die Handschuhe wieder aus, weil sie aus ihrer Tasche Make-up, Spiegel und Kamm nehmen will. Sie versucht, ihr Aussehen in Ordnung zu bringen. Die Nase ist rot, die Wangen sind rot von der Kälte. Ihr Haar ist feucht geworden, hat seine Form verloren.

Sie kann nichts reparieren. Wütend wirft sie alles in die Tasche zurück. Sie verlässt den Platz, geht ein Stück vor, um auf die Straße zu sehen. Dort steht nur ihr eigenes Auto. Kein anderes Fahrzeug ist da. Eva bewegt sich langsam zur Straße hin. Sie will nach Hause. Noch zögert sie. Da kommt ein Wagen, sie kennt ihn. Nun beeilt sie sich, auf den verhassten Platz zurückzukommen. Der Fahrer steigt erst aus, als sie schon an dem schwarz verholzten Tisch lehnt, anmutig, erwartungsvoll.

Endlich, sagt sie als Heinz K. erscheint, endlich, ich habe so gewartet. Wie gefällt es dir hier, fragt Heinz, als er sie mit einem Handkuss begrüßt hat. Unheimlich gut, sagt Eva. Ich habe nichts anders erwartet, meint Heinz, es ist mein Lieblingsplatz. Das kann ich gut verstehen, antwortet Eva. Ich habe eine Decke mitgebracht, sagt Heinz, wir können uns auf die Bank setzten. Eva streift ihren Mantel so weit es geht hinunter und blickt Heinz verträumt an.

In einem Karton hat er Essen mitgebracht. Exquisite Brötchen. Auch eine Flasche Wein nimmt er aus seiner Tasche, zwei Gläser. Sogar an ein Papiertischtuch hat er gedacht, an Servietten. Eifrig macht er sich an die Arbeit, stellt alles auf. Sie sieht ihm verwundert zu. Dass ein Mann sich so verhält, hat sie noch nie erlebt. Fast ist sie gerührt. Während des Essens ist er heiter, er spricht viel und sieht sie immer wieder bewundernd an. Sie fühlt sich plötzlich wohl, sie ist froh, auf ihn gewartet zu haben. Immer wieder fragt er sie, ob es ihr hier auch gefällt, trotz des schon kühlen Wetters. Sie nickt, sie findet ihn überaus sympathisch, sie kennt ihn noch nicht lang. Bisher haben sie einander nur in Gesellschaft gesehen. Eine gute Stunde sitzen sie an diesem Tisch, fast alles essen sie auf, die Flasche wird leer. Fahren wir zu dir, fragt er endlich, fast schüchtern. Sie nickt, sie ist darauf vorbereitet. Er weiß, dass sie ein Haus hat, er weiß nicht, dass es so schön, so elegant, so geräumig ist. In ihrem Schlafzimmer steht nur mehr ein Bett. Es ist weich, gut und warm. Sie ist sehr schön. Nach ihren Ehemännern, von denen einer tot ist, der andere hier schon lang nicht mehr lebt, fragt er nicht. Als sie nachher im Wohnraum sitzen, fragt sie ihn nach seiner Frau. Er bleibt lang still. Ich weiß nicht, sagt er dann.

Von da an traf sich Eva oft mit Heinz K. Manchmal blieb er über Nacht.

Manchmal macht mir das Wetter zu schaffen. Dann spüre ich, wie der Rheumatismus wie in Wellen durch meinen Körper läuft. Ich habe ja meine Medikamente, manchmal aber erfasst mich ein solcher Widerstand gegen sie, dass ich am liebsten alle Schachteln und Fläschchen in den Mist werfen würde. Darf man ja nicht. Mach ich auch nicht. Das Altwerden hat eben gewaltige Schattenseiten.

Schon wieder verfalle ich in den Fehler, von mir zu reden.

Aber es muss ja manchmal raus, was mich bedrückt. Oft sind es nur Kleinigkeiten, mit denen ich nicht fertig werde. Die Reinigung der Wohnung zum Beispiel. Ein Mal in der Woche habe ich eine Hilfe. Eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, kommt aus Kroatien, spricht aber relativ gut Deutsch, sie ist schon lang hier. Sie ist fleißig, ich muß es zugeben. Die ganze Wohnung wird geputzt, die kleine Wäsche wird gewaschen, was trocken ist, wird gebügelt. Wenn noch Zeit bleibt, kocht sie eine Kleinigkeit für mich. So weit, so gut. Aber sie hat eine Eigenschaft, die mich wirklich stört. Alle Sachen, die im Wohnzimmer sind und deren Platz für mich fix ist, stehen dauernd woanders. Die Bücher, die ich gerade lese, die Hefte, Zeitungen, die Vasen ob leer oder mit Blumen, alles durcheinander. Es erfüllt mich mit Zorn, manchmal auch mit Wut. Oft mit Verzweiflung. Ich stelle dann alles wieder an seinen gewohnten Platz. Aber kaum ist sie da, beginnt das Spiel von Neuem. Einige Male habe ich sie freundlich darauf hingewiesen. Sie hat gelacht und gesagt Herr Doktor, ist egal wo steht, Sie finden alles.

Seither sage ich nichts mehr. Es gibt noch vieles, was mich stört. Schuhe putzen zum Beispiel. Ich habe es früher nie gemacht, eigentlich ist es Frauensache. Ich finde es ein wenig unwürdig, wenn ich auf diesem Schemel sitze, die Bürste in der einen, den Schuh in der anderen Hand. Früher war ich eben beruflich aktiv. Und hatte meinen Status. Jetzt bin ich Pensionist.

Um auf Paul zurück zu kommen. Wenn es um Kleinigkeiten ging, haben wir uns ganz gut verstanden. Wenn es um anderes ging, zum Beispiel um Zukunftspläne, die mich als den Älteren bereits bewegten, gab es wenig Harmonie. Ich war ehrgeizig, zugegeben. Schon zu Beginn der Oberstufe des Gymnasiums stellte sich mir die Frage, welchen Beruf ich später ergreifen sollte. Für mich sah ich nur eine verwaltende oder beratende Tätigkeit als Möglichkeit an, Kunst als Beruf konnte ich mir nicht vorstellen. Noch vor der Matura hatte ich mich für das Studium der Rechtswissenschaften entschieden, was vor allem den Beifall meines Vaters fand. Er war überzeugt, ich sei dafür geeignet. Nach Beendigung des Studiums stünden mir dann mehrere Varianten der Berufswahl offen. Ich glaube, er hoffte, Paul würde sich für den Lehrberuf entscheiden. Aber Paul dachte nicht daran, das wusste ich. Manchmal, wenn wir abends schon im Bett waren und nicht gleich einschlafen wollten, Paul las immer lang, ich beendete bald meine Lektüre, unterhielten wir uns über die Zukunft. Ich kann mir genau vorstellen, wie du einmal sein wirst, wie du privat und beruflich leben wirst, sagte Paul einmal zu mir. Sag es, verlangte ich. Du wirst in den Staatsdienst gehen, du wirst heiraten und ein Kind haben, sagte Paul. Ich war verblüfft. Nicht, dass ich mir meine Zukunft so vorgestellt hätte. Aber die Entschiedenheit, mit der mich Paul in solcher Weise charakterisierte, erschreckte mich. Vielleicht wird mein Leben ganz anders verlaufen, widersprach ich. Nein, sagte Paul, so wird es sein. Willst du wetten. Ich wollte nicht. Und was wird aus dir, fragte ich. Die Antwort kannte ich bereits. Keine Ahnung, sagte Paul und drehte sich zur Wand.

Was die äußeren Umstände meines Lebens betrifft, ist es bei mir wirklich so gekommen. Was die private Atmosphäre betrifft hat Paul sich wahrscheinlich in Vielem geirrt. Davon bin ich überzeugt. Was mich an Paul als wir ungefähr sechzehn und achtzehn waren am meisten störte, was seine ungebrochene Freundschaft zu Franz. Die Wochenenden verbrachten sie fast immer gemeinsam. Nur wenn uns unser Vater zu einem Familienausflug kommandierte, begleitete uns Paul mit hängendem Kopf. Es war nicht aufmüpfig, aber seltsam traurig, nichts interessierte ihn, keine schöne Landschaft, kein Einkehrgasthaus. Er trottete als Letzter hinter uns her, oft riss er ganz ab und wir mussten nach ihm rufen. Sein Verhalten ärgerte besonders unsere Mutter, die von Paul immer wieder behauptete, er könne sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Damit brachte sie auch ihre Abneigung gegen Franz zum Ausdruck. Franz betrat selten unser Haus. Ich bin überzeugt, dass es ihm gleichgültig war, wie wir, außer Paul, über ihn dachten. Einmal kam er aber doch. Das war, als ich zum siebzehnten Geburtstag eine Eisenbahnanlage bekam. Schon lang hatte ich sie mir gewünscht, mein Vater meinte, es sollte kein Spielzeug sein, sondern ein Modell, das langsam erweitert würde. Ich nahm an, dass Paul dafür kein Interesse zeigen würde. Ich hatte mich geirrt. Paul bestaunte die noch bescheidene Anlage, er war begeistert und rief sofort: Die muß Franz sehen. Meine Eltern blickten einander verärgert an. Ich, in Geburtstagslaune und in Freude über das unerwartete Geschenk, überwand mich. Er soll kommen, sagte ich. Paul lief sofort weg, um Franz zu holen. Franz kam, freundlich lächelnd, als sei es selbstverständlich, unser Haus zu betreten. Seine ewigen Kniehosen schlotterten um seine braunen Beine, die Strümpfe hinuntergerollt auf die Schuhe, das ewige Haarbüschel in der Stirn, gaben ihm einen verwegenen Ausdruck. Er grüßte ordentlich, dann waren meine Eltern für ihn nicht mehr existent. Mit Paul und mir stand er vor der Anlage, bediente mit Selbstverständlichkeit den Trafo, fragte uns, welche Lok er nehmen dürfe, prüfte vorher sorgfältig das Fahrgestell und war Herr der Situation. Heute wundere ich mich, dass ich damals Franz so uneingeschränkt arbeiten ließ. Aber Paul und ich hatten ja von nichts eine Ahnung. Als die erste Lok fuhr, brüllten wir auf und veranstalteten einen Freudentanz.

Meine Eisenbahnanlage beschäftigte mich lang. Bis hinein in die Zeit meiner Ehe.

Langsam wurde sie größer und damit interessanter, ich sparte wie verrückt, um mir die eine oder andere Lokomotive oder einen Waggon kaufen zu können, die Umgebung der Fahrtstrecken weitete sich zu naturgetreuen Landschaften aus, winzige Figuren, unterschiedlichsten Berufen nachgebildet, belebten sie. Meine technischen Kenntnisse festigten sich. Manchmal aber, wenn mein Wissen nicht ausreichte, brauchte ich Franz. Ohne viel nachzudenken erkannte er Fehler, leitete Züge um und stellte Weichen neu ein. Nachher bedankte ich mich kühl bei ihm und wünschte heimlich, er möge nicht mehr wiederkommen.

Es war aber nicht zu vermeiden.

Wenn er mit seinen Arbeiten fertig war, rief er nach Paul. Der kam in das kleine Dachbodenabteil gestürmt, wo die Anlage stand. Wieder alles in Ordnung, was, sagte er zu mir und sah Franz bewundernd an. Der zuckte lässig die Schultern und ließ alle vorhandenen Züge in rascher, aber sicherer Fahrt über die Anlage sausen. Paul und ich standen dabei, stumm, fasziniert. Gibt es vielleicht eine Jause, fragte Franz nachher.

Wir gingen hinunter in die Küche, wo uns meine Mutter Saft und Brote richtete. Wie sie beides vor Franz hinstellte, das war einfach anders, als sie es bei Paul und mir tat. Es war ein rasches, fast zorniges Hinschieben zu dem Platz, wo er saß, während sie Paul und mir Glas und Teller mit sanften Handbewegungen zuwies. Manchmal dachte ich, Franz müsse es merken. Aber er aß und trank mit großem Appetit, es schien ihn nicht zu stören. War er fertig, stand er auf, bedankte sich bei meiner Mutter und verschwand. Mit spitzen Fingern legte sie seinen Teller in die Spüle.

Später gewöhnte ich mich an Franz’ Hilfe. Außerdem wurde auch ich ständig besser.

Und irgendwann brauchte ich Franz nicht mehr. Paul kam zuerst oft zu mir herauf und fragte, ob es vielleicht Probleme mit der Anlage gebe. Ich verneinte kühl. Als Paul erkannte, dass Franz’ Erscheinen überflüssig geworden war, kam auch er nicht mehr in das Dachbodenabteil.

Die Eisenbahnanlage gehörte nun mir allein. Aber was ist daraus geworden. Einige Kisten, die nun in dem mir zugewiesenen Keller stehen. Ihr Inhalt. Nicht mehr gebraucht. Verstaubt oder von der Feuchtigkeit beschädigt. Keinen Blick mag ich mehr hinein werfen. Wer interessiert sich heute noch für Modelleisenbahnen. Heute gibt es andere Möglichkeiten, die junge und auch ältere Menschen interessieren. High Tech und so. Nichts mehr für mich.

Womit Franz sich heute beschäftigen mag. Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen. Kann sein er lebt nicht mehr.

Miriam, ich habe da eine Idee. die ich dir gern verraten würde. Ja, bitte, wenn es nicht zu lang dauert.

Du weißt doch, ich hatte eine Eisenbahnanlage.

Ja. Ich kann mich noch an die Klagen meiner Mutter erinnern.

Bitte nichts davon. Aber vielleicht habe ich dazu einen guten Gedanken.

Schieß los.

Klara ist jetzt fünf. Und schon sehr vernünftig.

Ja?

Ich könnte ihr, natürlich nur, wenn es sie interessiert, eine kleine Anlage bauen.

Bitte Papa, sie ist ja kein Bub, hör auf.

Hör zu. Nur eine kleine. Eine hübsche Lok und zwei, drei Waggons. Ein paar Bäume, ein Tunnel.

Verzeih, ich glaube nicht, dass es Klara interessiert.

Ich könnte sie vielleicht in dein Wohnzimmer stellen, braucht ja nicht viel Platz.

Ausgeschlossen. So beengt, wie es bei uns ist.

Ich könnte auch bei mir …

Papa, hör auf. Manchmal hast du schon sonderbare Ideen.

Also nicht, meinst du.

Also nicht, meine ich.

Grüß bitte Klara vom Opa.

Mach ich.

Manchmal hatte Dagmar Zeiten, da wusste sie nichts mit sich anzufangen. Sie fühlte sich nicht wohl, sie glaubte sogar krank zu sein, irgendwas musste ihr fehlen. Dann lief sie in die Apotheke, versorgte sich mit Naturpräparaten, die nahm sie drei, vier Tage lang, dann fühlte sie sich wieder besser. Sie merkte es an dem Benehmen der Kinder, die wieder fröhlicher wurden und ihr nicht mehr verstört aus dem Weg gingen.

Wenn sie Zeit hatte, dachte sie darüber nach, was mit ihr los sein könnte. Sie dachte an Heinz K., seinen Tod hatte sie, wie sie überzeugt war, überwunden. Sie dachte an sein seltsames, unerklärliches Verhalten, an den gestohlenen Wagen, an sein gewolltes Sterben. Ich habe es verarbeitet, sagte sie sich, alles, was durch ihn geschehen ist, hat keinen Platz mehr in mir.

Als sie sich eines Tages wieder nicht gut fühlte, fasste sie den Entschluss, aufs Land zu fahren. Irgendwohin, wo es tiefe Wälder und weite Wiesen gab. Irgendwo übernachten, in einem bescheidenen Haus, einmal keine fordernden Kinderstimmen hören, ausschlafen, spazieren gehen, vielleicht abends ein ruhiges, unverfängliches Gespräch mit den Quartiergebern führen. Dagmar erklärte den Müttern, sie müsse weg, sie brauche einige Tage Erholung, ja, einige Tage nur. Die Mütter hatten Verständnis.

Dagmar packte die notwendigsten Sachen in eine große Tasche, setzte sich in ihr Auto und fuhr los.

Es war Herbst, eine ruhige Zeit. Die Straßenkarte lag neben ihr, sie sah sie nicht an.

Nur wenn sie irgendwo nicht weiter wüsste, wollte sie sie zu Hilfe nehmen. Sie schlug ein ruhiges Tempo ein und beschleunigte selten. Noch war das Laub von einem warmen Rot. An den Nadelbäumen erkannte man noch nicht die Zeichen des Herbstes. Die Luft war warm und frisch zugleich. Im Schatten blühten noch Zyklamen. Vielleicht will ich gar kein Ziel, dachte sie, vielleicht fahre ich nur um zu fahren. Wie sinnlos. Damit kann ich mein Leben nicht ausfüllen. Vielleicht fahre ich nur, um mich vollständig zu verirren. Was bringt das. Vielleicht fahre ich, um nicht mehr nach Hause zu kommen. Das wäre nicht gut. Ein Zuhause muss man haben. Ich dachte, ich hätte es.

Warum jetzt diese Unsicherheit, diese Flucht vor dem Alltäglichen. Irgendwas fehlt mir. Und ich weiß nicht, was. Vielleicht muß ich einen Menschen suchen, der sich für mich interessiert. Wo soll ich ihn finden. Vielleicht brauche ich nur neue Gedanken, eine Idee, die ich verfolgen kann. Vielleicht ist alles, was ich jetzt mache, ohne Sinn, diese Fahrt mit dem Auto, diese Fahrt im Herbst, diese Fahrt, von der ich nicht weiß, wohin sie mich bringt. Ich werde die nächste Abzweigung nehmen. Die nächste Abzweigung, ja. Egal wohin sie führt. Ich will es gar nicht wissen. Irgendwohin.

Sie bog ab und sah nicht auf das Schild, das den nächsten Ort anzeigte. Als sie ihn erreichte, sah sie nicht auf seinen Namen. Sie fuhr weiter und weiter. Die Landschaft veränderte sich, und sie wünschte, sie könnte sich mit ihr verändern. Die Zeit verging, plötzlich bemerkte sie, dass sie bald kein Benzin mehr haben würde. Ich will nicht stehen bleiben, dachte sie, warum muß ich machen, was ich nicht will.

Sie fuhr die nächste Tankstelle an und fragte den Tankwart, wo sie übernachten könne. Dort drüben sagt er und wies auf ein Gasthaus, das nicht aussah, als hätte es viele Gäste.

Ist es in Ordnung, fragte sie. Der Tankwart zuckte die Achseln. Das wollte ich nicht, dachte sie, ich wollte bei netten Leuten bleiben, bei Leuten, die ein einziges Zimmer vermieten, bei Leuten, mit denen ich reden kann.

Sie stieg aus, nahm ihre Tasche und betrat das Gasthaus. Der Schankraum war düster und leer. Aus der Küche kam ein Mann, der aussah, als wollte er keine Gäste. Sie fragte nach einem Zimmer. Er gab ihr den Schlüssel und verlangte sofortige Bezahlung. Das Zimmer hatte den Geruch von Einsamkeit und Leere. Dagmar legte ihre Tasche auf das Bett und wusste, sie würde die Decke nicht brauchen und in ihren Kleidern schlafen.

Eine Zeitlang saß sie auf dem einzigen Stuhl, sie bewegte sich nicht, alle Gedanken schaltete sie aus.

Warum bin ich nicht weitergefahren, fragte sie sich endlich. Sie wusste keine Antwort.

Am nächsten Tag war sie wieder zu Hause. Im Gasthaus hatte sie noch gefrühstückt, der Wirt war freundlich gewesen, freundlicher, als sie ihn vom Abend vorher in Erinnerung hatte. Wissen Sie, hatte er gesagt, Gasthäuser wie dieses sind nicht mehr gefragt. Zuwenig Komfort. Ich hoffe, Sie haben sich trotzdem wohl gefühlt. Ich habe was vergessen, sagte sie verlegen und lief noch einmal hinauf in das Zimmer. Dort zerknüllte sie die Bettwäsche, so, als hätte sie darin geschlafen.

Franz spricht

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