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Franz spricht

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Gut, dass Sie da sind. Wissen Sie, was passiert ist? Sie wissen es natürlich nicht. Also.

Ich gehe einkaufen. Nicht viel. Brot, Eier, Milch. Und Bitterschokolade, mein einziger Luxus. Kennen Sie diese Bitterschokolade in der roten Hülle, in dieser Hülle mit Goldbuchstaben? Wirklich, der einzige Luxus, den ich mir leiste. Also zwei Tafeln nehme ich mit. Sie kennen diese Bitterschokolade wirklich nicht? Die hat es schon in meiner Jugend, in meiner Kindheit gegeben. Ich gehe also mit meiner Plastiktasche, die nehme ich immer, denn mit einem Korb, nein. Am Sonntag, aber nicht an jedem Sonntag, hat mir meine Mutter ein paar Groschen gegeben. Die habe ich dann gespart, und wenn ich genug für eine Bitterschokolade beisammen hatte, habe ich sie gekauft. Im kleinen Keller unseres Siedlungshauses habe ich mich versteckt und sie dort gegessen. Wäre anders nicht gegangen. Bei den vielen Geschwistern. Einmal habe ich die Schokolade aus lauter Gier schon auf dem Weg nach Hause ausgepackt. Da ist der Peter vorbeigegangen, der mich sonst nie angeschaut hat. Dieses eine Mal hat er hergeschaut zu mir. Die esse ich auch gern, hat er gesagt. Und hat mir die Schokolade, ganz langsam, ganz sanft, aus der Hand genommen. Und ich habe es mir einfach gefallen lassen. Was sagen Sie dazu. Sie finden keine Worte. Kann ich verstehen. Ich habe es dem Paul erzählt, der hat mir eine neue Schokolade gekauft. Das hat mich ein wenig getröstet. Aber heute, auf dem Weg nach Hause, mit der Bitterschokolade in der Plastiktasche, ist mir das wieder eingefallen. Ganz kurz bin ich stehen geblieben, um Atem zu holen. Und ich habe gedacht, wenn jetzt der Peter vorbeikommt, gehe ich zu ihm hin und erzähle ihm die Geschichte. Das würde ich tun. Aber er ist nicht gekommen. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen? Ja, stimmt, Sie kennen ihn ja nicht.

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Jenes Mädchen, welches nach einer Urlaubswoche nicht mehr im Modegeschäft erschienen war, hieß Dagmar und war eine Freundin des tödlich verunfallten Heinz K.

Schon seit längerer Zeit hatte sie beobachtet, dass Heinz K. sich verändert hatte. Er war einsilbig, jähzornig und ging nicht mehr auf sie ein. Gerade seine Eigenschaft, sich ihr gegenüber interessiert und voller Anteilnahme zu zeigen, vor allem aber sein nicht nur sexuelles Interesse an ihrer Person, hatten ihr imponiert. Sie fühlte sich durch ihn aufgewertet. Das war, nach einer Reihe von eindeutig auf ihren Körper ausgerichteten Beziehungen, für sie besonders wichtig. Nachdem sie während ihrer Urlaubswoche vergeblich auf ihn gewartet hatte, konnte sie sich kaum aus ihrer Enttäuschung lösen.

Heinz K. hatte ihr verboten, ihn in seiner Firma oder zu Hause anzurufen. Manchmal hatte er sie vom Geschäft abgeholt. Aber nur, wenn er wusste, dass die Chefin nicht da war. Zu ihren von Mal zu Mal vereinbarten Treffen in Dagmars Wohnung war er stets pünktlich erschienen.

Erst als die Zeitung von seinem Unfalltod berichtete, wusste Dagmar, was geschehen war. Der gestohlene Wagen ging ihr nicht aus dem Sinn. Dieser Diebstahl lag, wenn sie an Heinz K. dachte, für sie außerhalb jeder Möglichkeit. Als die echte Trauer um seinen Verlust sich endlich etwas gemildert hatte, fasste sie den Entschluss, mehr über diesen seltsamen Tod erfahren zu wollen.

Wie sie es anstellen sollte, wusste sie nicht.

Es war ein ruhiger Nachmittag. Im Garten waren die Sommerblumen verblüht, der kommende Herbst zeigte sich im Fallen erster Blätter. Die Luft war klar und angenehm.

Eva, die Frau aus der Villa, hatte Besuch. Nette, gebildete Leute aus der Hauptstadt, die hier, in diesem Ort, ihr zweites Domizil hatten. Sie kamen meistens am Wochenende und zu den Feiertagen. Im Winter ließen sie ihre Häuser versperrt. Eva war eine perfekte Hausfrau. Wenn sie eine Jause richtete, hatte sie für Frühjahr, Sommer und Herbst jeweils das passende Geschirr. Diesmal deckte sie den Tisch noch auf der Terrasse, mit Steingut, auf dem bunte Blätter und späte Früchte zu sehen waren. Sie war nun allein, ohne Hilfe. Aber stets war alles bei ihr in Ordnung, immer gab es Blumen in den Vasen. Das war der Wunsch ihres ersten Mannes, Paul, gewesen, ihr war es zur Gewohnheit geworden.

Die Gäste kamen, ein Arzt mit seiner Frau, ein bekannter Musiker, die Besitzerin eines Restaurants, ein Rechtsanwalt mit seiner Freundin. Bei Tee und englischem Kuchen war die Unterhaltung noch förmlich, später, als Eva Wein und Gebäck reichte, wurden die Gespräche gelöster, fast vertraulich. Aus einem fernen Garten hörte man leise Musik.

Eva ging kurz ins Haus. Wie immer blickte sie im Vorbeigehen rasch in den großen Spiegel, der im Wohnraum hing. Sie wollte es nicht sehen, aber sie sah, dass die Falten um ihren Mund stärker geworden waren, sich tiefer eingegraben hatten. Im Badezimmer nahm sie einen Hauch von Puder und schloss während des Auftragens die Augen. Dabei hörte sie die laute Stimme des Anwalts, der von einem schwierigen Prozess erzählte.

Einen Augenblick lang glaubte sie, nicht mehr zu ihren Gästen hinausgehen zu können. Dann gab sie sich einen Ruck und ging mit festen Schritten zurück auf die Terrasse.

Der Anwalt erzählte später, dass er den so seltsam ums Leben gekommenen Heinz K. gut gekannt hatte. Von seinem Tod hörte Eva, die selten Zeitung las, zum ersten Mal.

Es gibt noch einige Kindheitserinnerungen, die mit Paul zu tun haben. Manches habe ich vielleicht vergessen, aber manches steht klar vor mir. Zum Beispiel. Die Mutter, die mich ihm meistens vorgezogen hat. Eines Tages sollte ich ein Paket von der Post abholen. Eifrig machte ich mich auf den Weg. Auch Paul wäre gern zur Post gelaufen. Die Mutter meinte, ich hätte mich zuerst für diesen Dienst angetragen, sein Angebot komme zu spät. Außerdem sei er ja oft auf der Gasse zu finden. Ich glaubte zu wissen, warum Paul das wollte. Wegen der kleinen Münze, die mir die Mutter dann gab.

In unserer Mansarde gab es nur einen einzigen Schrank, jeder von uns hatte ein Abteil zum Hängen für die Kleider, jeder eine Lade für die Wäsche. Diese Lade eignete sich gut, um gewisse Dinge zu verstecken, die verboten waren. Ein Messer, eine Schleuder, ein Feuerzeug und Ähnliches. Mich reizte es immer, in Pauls Lade nachzusehen, was es dort gab. Meistens gab es nichts Neues. Als ich mit dem Paket zurückkam und die Münze, wie aufgetragen, in mein Sparschwein geworfen hatte, bemerkte ich Paul, der im Garten herumtrödelte. Ich öffnete seine Lade. Ungeordnet lag seine Wäsche da. Bei mir lag sie, wie die Mutter es wollte, zu kleinen Stößen geschlichtet. Ich wühlte mich durch, um vielleicht ein neues, verbotenes Spielzeug zu finden. Nein, nicht dass ich ihn verraten wollte. Wirklich, nur aus Neugierde. Aber da war nichts. Gar nichts. Nicht einmal die alten Sachen waren da. Das hielt ich nicht aus. Ich musste ihn fragen und lief in den Garten. Paul saß auf einer Bank, den Kopf zurückgeworfen und schlenkerte mit den Beinen. Das tat er oft, und ich fragte ihn jedes Mal, was er dabei denke. Alles Mögliche, sagte er dann ohne mich anzusehen. Ich fand es lächerlich.

Erst als ich vor ihm stand, sah er auf. Wo sind deine Sachen, fragte ich. Welche, fragte er zurück. Die, die wir nicht haben sollen, antwortete ich. Die habe ich verschenkt, sagte er. An wen, fragte ich verblüfft. Franz, sagte er, als sei es selbstverständlich. Warum, fragte ich. Er ist mein Freund, sagte Paul. Aber der hat doch von diesen Sachen mehr als du, meinte ich. Jetzt hat er noch mehr, sagte Paul. Ich verstand ihn nicht. Und die Münze? fragte ich noch. Hättest du sie auch verschenkt? Klar, sagte Paul. Wieder an Franz? fragte ich. An wen sonst, sagte er.

Dieser Franz, dachte ich. Er nützt ihn aus. Er nützt meinen Bruder aus.

Er hätte ja auch mir alle diese Dinge geben können.

Ich will mich aber nicht schlecht machen. Kinder sind meistens Egoisten. Paul war vielleicht keiner. Paul war als Kind und später als Erwachsener nicht berechenbar. Niemals. Und nicht nur für mich. Ich muß jetzt abschweifen. Meine Enkelin Klara hat mich angerufen. Diese zarte Stimme am Telefon zu hören ist eine schöne Sache. Sie macht den Tag heller. Opa, sagte sie, wann kommst du uns besuchen. Wenn deine Mutter Zeit hat, antwortete ich. Aber ich habe immer Zeit, sagte sie. Das weiß ich, sagte ich, aber ihr müsst beide Zeit haben.

Kurze Stille. Ja, sagte sie dann. Die Mama ruft dich an. Gut, sagte ich und dachte vielleicht. Vielleicht.

Unlängst habe ich in den Sachen meiner Frau herumgestöbert. Viel ist nicht mehr da. Das meiste habe ich verschenkt, manches weggeworfen. Aber einige Kleider, die für mich eine besonders schöne Erinnerung bedeuten, habe ich aufgehoben. Ein Frühjahrskostüm – Kostüme sind heute lächerlich, ich weiß, ist aber schade – einen Bademantel, ein Nachthemd aus Seide, das sie immer mitnahm, wenn wir auf Urlaub fuhren, einen weißen Strohhut mit schwarzem Band. Den trug sie zur Hochzeit unserer Tochter. Sie verwendete stets ein bestimmtes Parfum, L’air du temps. Manchmal bilde ich mir ein, diesen Duft noch zu spüren.

Heute habe ich noch keinen Spaziergang gemacht. Ich müsste einmal die Richtung wechseln. Woanders hingehen. Ich frage mich aber wozu. Es geht um die Bewegung, die ich machen soll. Der Arzt verlangt es, meine Vernunft verlangt es. Vielleicht sollte ich versuchen, meine Vernunft auszuschalten. Ob das noch möglich ist. Wäre einen Versuch wert, aber nicht heute.

Ich sehe schon, ich schweife ab. Es soll nur ein Bericht werden, den ich schreibe, er soll von meinem Leben und von den Menschen, die es begleiteten, handeln. Ich müsste weiter über Paul berichten, der eine wichtige, nein, eine bedeutende Rolle für mich spielte. Er hat mein Leben stark beeinflusst. Auch durch seine Frau.

Es brennen zu viele Lichter in meiner Wohnung. Das ist nicht nötig. Ich werde sie ausschalten. Nur meine Bettlampe nicht, die brauche ich zum Lesen. Ich bin noch an Vielem interessiert. Was das betrifft, bin ich nicht nachlässig.

Meine Frau hat mich geliebt. Ich weiß es, sie hat mich geliebt.

Miriam fiel es in letzter Zeit immer schwerer, die Fragen ihrer Tochter zu beantworten. Warum habe ich keinen Papa, fragte Klara immer öfter. Seit sie den Kindergarten besuchte, wusste sie, dass die meisten Kinder einen Papa hatten. Du hast ja auch einen, sagte sie zu Miriam, ich weiß es, das ist der Opa. Die erste Antwort, die sie Klara gab, hielt nicht lang. Er sei auf Reisen, auf Reisen in sehr ferne Länder, hatte sie erklärt.

Wann kommt er zurück, hatte Klara gefragt. Noch lang nicht, hatte sie gesagt. Vor einigen Tagen hatte Klara gemeint, lang sei nun eigentlich vorbei. Die Antwort, es würde noch eine Weile dauern, hatte nicht die gewünschte Wirkung. Sie erkannte es an Klaras Blick. So geht es nicht weiter, dachte sie, nein, so geht es nicht weiter.

Seit Miriam dieser Anruf erreicht hatte, an jenem Abend, den sie nicht aus ihrer Erinnerung streichen konnte, dachte sie wieder öfter an ihren geschiedenen Mann. Die Scheidung lag nun zehn Jahre zurück. Schon bald nachher glaubte sie, sie hätte sich von ihm gelöst. Ganz gelöst, das wollte sie. So schien es auch zu sein, als sie Klaras Vater kennen lernte.

Es war eine stürmische Liebe, deren Ende sie voraussah. Als es dann kam, schneller als sie gedacht hatte, brach sie fast zusammen. Sie war schwanger.

Und allein in einer kleinen, ungemütlichen Wohnung. Der Freund war weg. Nicht mehr erreichbar. Zuerst sagte sie zu ihrem Vater, das Kind sei von ihrem geschiedenen Mann. Der Versuch einer Wiedervereinigung. Er glaubte ihr nicht. Sie gab es dann auf. Immer öfter sagte sie zu ihm vieles, was nicht stimmte. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass er mehr wusste, als sie dachte. Aber es war gut so. Für beide.

Ihre Ehe war in gegenseitigem Einverständnis gelöst worden. Auf Unterhaltszahlungen hatte sie verzichtet. Später tat es ihr leid. Als sie allein war, ging es. Als dann das Kind kam, konnten sie gerade durchkommen. Ihr Vater gab ihr monatlich einen kleinen Betrag mit der Auflage, dass sie aufschreiben sollte, wofür sie ihn ausgegeben hatte. Das schadete ihrer Beziehung. So nett er zu Klara war, so oft er ihr auch kleine Geschenke machte, dieses Verhalten konnte sie ihm nicht verzeihen.

Dass ihr Exmann tot war, hatte sie aus der Zeitung erfahren. Sie wusste, das Erbe würde ziemlich umfangreich sein. Fabrik, Immobilien, Geldwerte. Ich hätte damals anders handeln sollen, dachte sie.

Etwas hatte der Tod ihres Exmannes in ihr bewegt. Etwas, von dem sie noch nicht wusste, was es war. Vielleicht war es auch die Stimme dieser Frau am Telefon gewesen. Eine Stimme, kalt und überheblich.

Franz spricht

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