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Franz spricht

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Entschuldigung hab ich gesagt, als ich das Geschäft betreten habe. In der Auslage ist mir nämlich eine Krawatte ins Aug gestochen, rot mit weißen Punkten, ein schönes Rot, leuchtend. Nicht richtig auffallend, aber doch. Normaler Weise hab ich damals keine Krawatten gebraucht, ein zwei Mal höchstens, zu Weihnachten und vielleicht zu einer Hochzeit. Das Geschäft war nicht in unserem Ort, da bekommt man überhaupt keine Krawatten, sondern in der Hauptstadt, wohin es mich zufällig verschlagen hat.

Dummerweise hab ich mir den Preis in der Auslage nicht angeschaut. Als ich im Geschäft drinnen war, hab ich erst gesehen, was für ein Geschäft es ist. Fein. Nobel. Und teuer. Ich wollt gleich wieder hinaus. Sie müssen das verstehen. Wenn was nichts für mich ist, weiß ich das gleich. Ich hab also die Tür schon wieder in der Hand. Da ruft mich wer. Franz. Franz. Ich kenn doch die Stimme. Wer war’s. Paul natürlich. So ein Zufall. War mir nicht ganz recht, dass mich Paul so sieht, in dieser ländlichen Kleidung, und er so fein, in dunklem Anzug. Aber Paul sofort zu mir her, fast gesprungen ist er und hat mich umarmt. Ich hab mich sehr gefreut, aber gefreut hab ich mich auch, dass der Verkäufer das sieht, der mich schon beim Hereingehen verächtlich angeschaut hat.

Was machst du da, fragt Paul und ich: Nichts, ich wollte gerade wieder gehen. Du wolltest doch was kaufen, sag mir, was du kaufen wolltest. Nichts, ich wollte wieder gehen. Also, sagt Paul, ich mache dir jetzt ein kleines Geschenk, dann gehen wir was trinken. Ich wollte unbedingt mit Paul was trinken gehen, drum hab ich mich überwunden und auf die Krawatte gezeigt. Der Verkäufer hat sie unbedingt an mein Flanellhemd halten wollen, das war ein Theater. Wir waren dann lang in einer Weinstube. Paul hat mir viel erzählt. Ich habe nichts davon vergessen, das können Sie mir glauben. Zum Schluss hat er gesagt, dass er sich aus der Stadt zurückziehen will. Dass er sich ein Haus bauen will. In unserem Ort. Dort war ich dann oft. Dort hab ich auch seine Frau kennen gelernt.

Die Eva.

»

Nun war das Wetter feucht geworden, es regnete oft. Auch an trockenen Tagen war der Garten bereits unansehnlich, fast alle Blumen waren verblüht, die Zweige der Sträucher und Bäume zeigten sich kahl. Eva benutzte nur noch die gekiesten Wege. Wenn sie das Haus verlassen musste, um die Post zu holen oder dem Kaufmann zu öffnen, der die Lebensmittel zustellte, schlüpfte sie in alte, feste Schuhe. Alles, was mit Schmutz und Nässe zusammenhing, war ihr verhasst. Für den kommenden Tag hatte sie ein Treffen mit Freunden in der Stadt ausgemacht, sie freute sich darauf, die vergangene Woche hatte sie allein verbracht. Noch war es nicht schlimm gewesen, noch wusste sie sich zu beschäftigen. Schon oft hatte sie überlegt, eine kleine Wohnung in der Stadt zu nehmen, um dort den Winter zu verbringen. Aber sie hatte sich noch immer nicht dazu entschließen können. Vielleicht war es, um Franz nicht wieder zu begegnen. Das wollte sie sich nicht eingestehen.

Das Klavier stand in der Mitte des Wohnraumes. Es benötigte viel Platz, es war ein richtiger Flügel. Eva hatte es so gewollt. Man sollte sehen, dass hier, in diesem Haus, das sie stets Villa nannte, jemand war, der Klavierspielen konnte. Paul hatte ihr gern, sehr gern sogar, diesen Flügel geschenkt. Als sie ihm zum ersten Mal diese Idee unterbreitete, hatte er sie erstaunt angesehen, dann gefragt, ob sie wirklich Klavierspielen könne, er habe ja keine Ahnung gehabt. Ich kann, hatte Eva gesagt und gleich hinzugefügt: Ich konnte. Aber es wird nicht so schwer sein, wieder anzufangen.

Es war natürlich Unsinn, dass sie gleich mit Chopin-Etüden beginnen wollte, Etüde e-moll op. 25, nach der Paderewski-Ausgabe. Irgendwann, vor Jahren, hatte sie diese Etüde recht und schlecht gespielt, nach so langer Zeit wollten ihr ihre Finger nicht gehorchen. Das wird schon, hatte Paul gesagt, lass dir Zeit. Mit Chopin wurde sie allein nicht fertig. Sie wählte leichtere Stücke von anderen Komponisten, aber auch das ging nicht gut. Paul engagierte eine Klavierlehrerin. Immer wieder wurde Eva von zorniger Ungeduld erfasst. Endlich war es so weit, und sie spielte Paul die Etüde vor. Mit vielen Fehlern, aber sie kam bis zum Ende. Paul verhielt sich zuerst still. Ich bewundere deinen Willen, sagte er dann. Wenn du so weiter machst, wird aus dir noch eine Konzertpianistin. Sie wusste, dass er es nicht ehrlich meinte. Sie wusste, dass dieser Satz Kritik enthielt und die Überzeugung, sie sei für das Klavierspiel nicht begabt. Aber Paul hätte dieses Urteil niemals ausgesprochen.

Eva legte Chopins Etüden zur Seite. Sie spielte Unterhaltungsmusik, Operetten, Schlager und erntete von den Besuchern Applaus. Paul saß immer dabei, klatschte vor allen anderen und küsste sie dankbar vor dem Schlafengehen. Meine Frau gibt nie auf, sagte er mit einem Lächeln. Nein, deine Frau gibt nie auf, antwortete Eva. Nun stand der Flügel da, und seit Pauls Tod hatte sie nicht mehr gespielt. Alles Mögliche hatte sie versucht, um den Flügel auch ohne Noten zu beleben. Eine Schale aus Meißner Porzellan hatte sie hingestellt, Photographien von Freunden, von ihr selbst, nur keine von Paul. Große Vasen mit Blumen standen dort im Sommer, und ein kleiner, silberner Christbaum im Advent. Sie spielen? fragten oft ihre Besucher.

Nicht mehr, antwortete sie dann. Jedes Mal, wenn sie diese beiden Worte aussprach, hatte sie das Gefühl, etwas verloren zu haben, was sie eigentlich nicht bedauern sollte.

Sie überlegte in den Ort zu gehen, dorthin war es nicht weit. Die Villa lag etwas abseits, rundherum gab es keine Häuser. Aber hinter dem Garten war gleich der Wald, eine wilde Wiesenfläche, die nie gemäht wurde, breitete sich davor aus. Eva hasste diese Wiese. Im Sommer fürchtete sie sich vor Schlangen, vor Ungeziefer, vor den Bienen, die sich an den üppigen Blumen ernährten. Sie hatte Paul nie verstanden, der erklärte, er liebe diese Wiese, die irgendwie zu seinem Haus gehöre, er liebe den Wald, der sich so dunkel und stark an sie anschließe. Er sei überzeugt, dass Wiese und Wald sein Haus bewachen würden, sie seien wie ein Schutzwall für Eva und ihn. Er sagte das oft. Vor allem dann, wenn er verreisen musste und Eva allein zurückblieb. Die Haushaltshilfe, die bei ihnen wohnte war für Eva kein Trost. Die hatte selbst Angst. Sie wolle eine Alarmanlage, hatte Eva verlangt. Paul lehnte es ab, überraschenderweise.

Keiner aus dem Ort würde hier einbrechen. Und fremdes Gesindel, woher sollte es kommen. Es war unlogisch, was er sagte. Das wusste er, das wusste Eva. Aber er hielt an seinem Entschluss fest. Eva hatte dann in jedem Zimmer ein Telefon, später trug sie auch ihr Handy immer mit sich. Als sie wieder heiratete, verschwand ihre Angst.

Ihr neuer Mann war stark, er würde mit jedem Einbrecher fertig werden. Und er verreiste nie.

Als Eva dann endgültig allein war und entschlossen, es zu bleiben, kam die Alarmanlage ins Haus. Aber Evas Angst verlor sich nie.

Wie immer im Herbst strahlte der Ort eine Stille aus, die nicht erklärbar war. Die kleinen Geschäfte, es gab es nicht mehr viele, waren leer, im Supermarkt zeigten sich wenig Käufer. Eva trat ein ohne zu wissen, was sie kaufen sollte. Ratlos streifte sie durch die Gänge, begleitet von einem Geruch, der Essbares wie Ungenießbares in sich trug. Die Kassierin sah ihr nach und vergaß die Frau, deren Einkäufe sie gerade berechnete. Mit gespieltem Interesse betrachtete Eva den Inhalt von Etageren und Vitrinen, langsam ging sie daran vorbei, ihr Blick nahm das Sichtbare nicht auf. Frauen gingen vorüber, die sie vom Sehen kannte, deren Namen sie nicht wusste. Ihren Namen kannte man, man wusste, wo sie wohnte, man glaubte ihr Privatleben zu kennen, ihre Eigenschaften, ihre Vorlieben. Es war ihr klar, dass man ihr Verhaltensweisen zuschrieb, die nicht der Wahrheit entsprachen. Alles was sie tat, wurde mit Neugierde betrachtet, beredet und beurteilt. Als Paul noch lebte, hatte man ihr ein gewisses zweifelndes Wohlwollen entgegengebracht. Damit war es nach Pauls Tod vorbei. Ihre zweite Ehe, ihr Leben nachher allein in der Villa gaben Anlass zu vielen Spekulationen. Eva hatte sich entschlossen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Einkäufe, die sie ab und zu im Ort machte, sollten es beweisen. Sie wusste, dass dann, wenn man sie sah, wieder Gespräche begannen, die von Paul handelten. Von seinem tadellosen Charakter, von seiner Menschlichkeit, von seinem sozialen Handeln. Er war eben von hier, aus diesem Ort. Einer von ihnen. Und dann diese Heirat.

Eine Frau streifte an sie an. Entschuldigung, sagte sie und stellte sich so, dass sie Eva ins Gesicht sah. Aber ja, sagte Eva und ging weiter. Die Frau ging hinter ihr her, sie spürte ihre Blicke im Rücken. Sie nahm dann ein Shampoo und einen Haarlack und ging damit zur Kassa. Nichts mehr sonst, fragte die Kassierin. Nichts mehr sonst, antwortete Eva. Als sie den Supermarkt verließ, suchten ihre Augen nach der nächsten Mülltonne, um sich von ihren Einkäufen zu befreien.

Ich werde in die Stadt ziehen, ich will in die Stadt ziehen, dachte Eva, als sie heimging. Schließlich habe ich Franz vergessen, total vergessen.

Dagmar konnte in der Hauptstadt, wo Heinz K. und sie selbst zu Hause waren, den Namen und den Wohnort seiner geschiedenen Frau nicht finden. Trotz mühsamer Nachforschung in den Unterlagen von Meldeamt und Standesamt blieb ihre Suche ergebnislos. Sie konnte nicht wissen, dass die geschiedene Frau von Heinz K. nach der Geburt ihrer Tochter, deren Vater nicht Heinz K. war, ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte.

Wenn ich immer wieder über meinen Bruder Paul nachdenke, und das muss ich während meiner Aufzeichnungen, fällt mir vor allem jene Geschichte ein, in die Franz in unguter Weise verwickelt gewesen war. Mein Vater war, wie gesagt, Gymnasiallehrer in der nahe gelegenen Kreisstadt. Paul und ich saßen in jenen Parallelklassen, in denen mein Vater nicht unterrichtete. Es war schon schlimm genug, in derselben Schule wie Vater zu sein. Jede kleinste Unregelmäßigkeit von uns Brüdern wurde ihm berichtet. Aber Paul fiel in der Schule nicht auf, und ich wollte nicht auffallen. Mädchen gab es in unserer Schule nicht. Eine Haushaltsschule, in der auch Englisch unterrichtet wurde, war die einzige Möglichkeit für Mädchen aus der Kreisstadt. Aus unserem Ort waren es nur zwei. Eine war die Tochter des Volksschullehrers, die andere die Tochter des Betreibers der Fabrikskantine. Ich fand beide nicht interessant. Wenn ich zurückrechne, war Franz damals vierzehn Jahre alt, ja, ebenso alt wie Paul. In jenem Sommer sprachen die Leute wochenlang über Franz. Aber nicht in gutem Sinn.

Man muß sich vorstellen: Ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kennt. Noch dazu ein Ort mit einer mit Fabrik und einer Arbeitersiedlung. In unserer Familie war es selbstverständlich, dass es keine Standesunterschiede gab. Stets predigte uns der Vater, dass wir nichts Besseres seien, dass wir eben nur andere Möglichkeiten hätten, uns fortzubilden. Paul sah es auch so. Ich, zwei Jahre älter, hatte meine Zweifel. Für mich waren die Menschen aus der Siedlung anders als wir. Von ihrer Art her. Von ihrer Lebensweise. Und von ihrer Moral. Das sollte sich an Franz bestätigen.

Wir hatten Ferien, der Sommer war heiß. Fast jeden Tag fuhren meine Klassenkollegen und ich mit den Rädern zu dem kleinen Teich, der nicht weit entfernt in einer von Gras bewachsenen Mulde lag. Meistens war Paul mit, und wo Paul war, war auch Franz. Wir Sechzehnjährige kümmerten uns nicht um die Jüngeren. Schon gar nicht um Franz, der seine Hauptschule mit Müh und Not abgeschlossen hatte und im Herbst als Lehrling in der Fabrik anfangen würde. Trotzdem erweckte Franz unser Interesse. Wir wollten es nicht zugeben, aber wir beneideten ihn um sein Äußeres. Keiner von uns war so kräftig gewachsen wie er. Keiner von uns hatte wie er jene Hautfarbe, die auch im Winter noch aussah, als käme er gerade aus dem Süden. Keiner von uns hatte so helle blaue Augen.

Und keiner von uns war so stark. Es war klar, dass Franz es jederzeit darauf anlegte, vor uns zu paradieren. Dann führte er imaginäre Boxkämpfe auf der Wiese aus, schlug Räder und zog sich mit kräftigen Klimmzügen hinauf in die Wipfel der Bäume oder sprang kopfüber ins Wasser. Nur wenn er sprang, schäumte das Wasser wie eine Fontäne auf. Wir konnten es noch so oft versuchen, es kräuselten sich nur die Wellen.

Paul bewunderte Franz, er konnte es nicht verbergen. Franz wusste es. Trotzdem machte Franz den Eindruck, als sei er Paul untertan.

Es war in diesem Sommer, als die Geschichte mit dem Mädchen geschah.

Das Mädchen, ihren Namen habe ich vergessen, war die Tochter des Kantinenwirtes der Fabrik. Dieser Mensch, der die Arbeiter, vor allem was ihren Getränkebedarf betraf, ausbeutete, strebte nach Höherem. Deshalb schickte er seine Tochter in die Kreisstadt zur Schule. Uns Gymnasiasten war bekannt, dass sie mehr die Kaffeehäuser als den Unterricht besuchte. Sie war von einer etwas gewöhnlichen Hübschheit, die sie bewusst auszuspielen verstand. Mir gefiel sie nicht. Ich hatte für Reize dieser Art nichts übrig.

In unserem Ort sah man sie mit verschiedenen Burschen herumflanieren. Wenn sie in der Kantine bediente, verschlangen sie die Arbeiter mit gierigen Blicken.

An einem der Sonntage in diesem heißen Sommer trieb sie sich in der Nähe des Teiches herum. Es sah aus, als wollte sie Blumen pflücken, immer wieder bückte sie sich, ihr Rock rutschte hoch und gab ihre Schenkel frei. Die meisten von uns sahen immer wieder zu ihr hin, sie blieb in einiger Entfernung. Ich teilte dieses Interesse nicht. Aber an dem erst vierzehnjährigen Franz bemerkte ich eine sonderbare Unruhe. Das Mädchen entfernte sich von uns, kam wieder näher, tat, als hätte es was verloren. Der Blumenstrauß in ihrer Hand wurde nicht größer. Franz hatte sich nach einigen Darbietungen seiner Stärke wieder zu uns gesetzt. Die Nähe des Mädchens erfüllte uns alle mit einer seltsamen Unsicherheit, die wir mit Lachen und lautem Reden zu verbergen suchten. Sie ist nicht mehr da, sagte plötzlich einer, der wieder zu ihr hinsehen wollte. Franz, sagte ein anderer aufgeregt, Franz ist auch nicht mehr da. Wir konnten es nicht glauben. Aber es stimmte. Franz war verschwunden. Mein Bruder Paul, vierzehn Jahre alt, stand ruhig auf und sagte: Ich geh sie suchen. Wir, auch ich, fielen über ihn her. Lass sie doch, du bist verrückt, wer weiß, wo sie sind, was willst du tun, riefen wir alle durcheinander. Aber Paul war schon unterwegs. Erst nach einer Weile kam er allein zurück. Wir bestürmten ihn mit Fragen, er sagte, sie seien im Gras gesessen und Franz hätte das Mädchen gestreichelt. Nicht mehr sei gewesen. Zu Hause meinte er dann zu mir: Franz ist naiv. Nie denkt er, dass sein Verhalten Folgen haben könnte. Das Mädchen hat ein böses Mundwerk. Kann sein, sie hätte Franz gern in Schwierigkeiten gebracht. Ich hab mit ihr gesprochen. Sie wird nichts sagen. Typisch Paul.

Sie sagte wirklich nichts. Aber alle anderen, die beim Teich waren, die zwar nichts gesehen hatten, aber deren Phantasie ausuferte, redeten im Ort darüber. Der Kantinenwirt wendete sich an Franz’ Vater, der seinen Sohn verdrosch. Unser Vater verbot Paul die weitere Freundschaft mit Franz. Es war sinnlos. Paul hätte sie nie aufgegeben.

Als ich Franz wieder begegnete, gab er vor, mich nicht zu sehen. Bald aber war er wieder wie sonst, fröhlich, unbekümmert und stark. Damals dachte ich, Paul würde auch weiterhin auf ihn aufpassen müssen. Das tat er auch. Nur hörte er damit früher auf, als er es wollte.

Wenn ich heute an den kleinen Teich denke, an die Wiese, an die Bäume, werde ich fast melancholisch. Das gab es nur damals, das gab es nur nahe unserm Ort. Trotz der Engstirnigkeit, die im Ort selbst herrschte, fanden wir in seiner Umgebung eine Freiheit, die es später nie wieder für mich geben sollte.

Ich gehe jetzt meine Blumen gießen. Die Azalee ist mir eingegangen, wahrscheinlich habe ich sie zu feucht gehalten. Zu gern und zu oft nehme ich meine kleine Gießkanne zur Hand. Aber dem Schiefblatt tut es gut, es gedeiht, ich hab es schon lang.

Vater, lass Heinz in Ruhe, er ist tot, sagte Miriam.

Trotzdem, du sollst dich nicht kränken, Kind.

Ich kränke mich nicht.

Doch, du kränkst dich, ich sehe es dir an.

Gut, ich kränke mich also. Wenn du es so willst.

Du verstehst mich nicht. Wieder einmal.

Hör bitte auf, mir was einzureden.

Ich will nur, dass du dich nicht kränkst. Er verdient es nicht.

Was er verdient oder nicht verdient, weiß ich wohl am besten.

Ich denke, er wollte seinem Leben ein Ende setzen.

Wahrscheinlich. Ja. Traurig genug.

Sein Leben war ihm nichts mehr wert, glaube ich.

Man kann in einen anderen Menschen nicht hinein schauen, Papa.

Er war unglücklich.

Schwermütig war er, mein Kind. Das war er schon in eurer Ehe.

Wie willst du das wissen?

Ich mach mir eben über alles Gedanken. Über alles, Miriam.

Mach es dir leichter. Denk nicht soviel nach. Vor allem nicht über das Leben anderer.

Meine Gedanken lass ich mir nicht verbieten. Von niemandem.

Schon gut. Ich mach uns jetzt Kaffee.

Warum hast du Klara nicht mitgebracht?

Sie ist noch im Kindergarten. Ich hab mir früher frei genommen. Aber nächstes Mal bringst du sie mit, bitte. Ich warte darauf.

Dagmar hatte es nicht leicht, wieder einen Job zu finden. Sie wollte in der Stadt bleiben, sie wollte sich gern wieder mit Mode beschäftigen. Da sie aber ihren letzten Arbeitsplatz ohne Angabe von Gründen verlassen hatte, fehlte ihr ein Zeugnis. Jedes Geschäft, jedes Unternehmen fragte danach. Ohne Zeugnis gab es keine Vertrauensgrundlage, und die Vorstellungsgespräche wurden nach kurzer Zeit beendet.

Sie belegte Kurse zur Umschulung, sie vergaß die Mode und bekam schließlich die Genehmigung, als Tagesmutter zu arbeiten. Vieles musste in ihrer kleinen Wohnung umgestellt werden, das wenigste war kindergerecht. Dagmar hatte sich entschieden, nur Volksschulkinder aufzunehmen. Vor größeren Kindern hatte sie Angst, sie glaubte, mit ihnen nicht fertig zu werden. Der Anfang war schwierig. Wenn die berufstätigen Mütter am frühen Morgen ihre Kinder brachten, bekam sie von ihnen die vielfältigsten Anweisungen. Anfangs versuchte sie, alle zu erfüllen. Das war unmöglich. Sie machte es sich leichter. Die Mütter, zuerst empört, begannen sie langsam zu verstehen. Weil die Kinder gern zu ihr kamen.

Noch immer hatte sie es nicht aufgegeben, nach der Ursache des seltsamen Todes von Heinz K. zu suchen. Aber sie musste sich eingestehen, dass sie kaum noch Anhaltspunkte finden würde. Die geschiedene Frau von Heinz K. war für sie nicht auffindbar. Bei der Polizei war nicht viel mehr zu erfahren. Der Besitzer des gestohlenen Autos hatte ausgesagt, Heinz K. nicht gekannt zu haben. Das hatte man ihr nach drängenden Fragen noch mitgeteilt. Damit konnte sie nichts anfangen.

Allmählich wurde aus Dagmar, die mit größter Disziplin auf ihr Äußeres geachtet hatte und stets modisch gekleidet war, eine noch immer hübsche junge Frau, die sich praktisch anzog, die Haare zu einem Pferdeschwanz band, am Abend die übrig gebliebenen Mahlzeiten der Kinder aus Sparsamkeitsgründen aß und so ein wenig rundlicher wurde. Von einigen Unzulänglichkeiten abgesehen war sie glücklich.

Eva hatte zwei angenehme Tage in der Stadt erlebt, dort Freunde getroffen, im gewohnten guten Hotel übernachtet. Sie war Franz nicht begegnet. Diese sinnlose Angst, die immer in ihr aufbrach, wenn sie die Stadt besuchte, war vorbei, sie fühlte sich erleichtert.

Eben wollte sie ihr Auto aus der Parkgarage holen, als eine jüngere Frau neben ihr beim Zahlautomaten stand. Die Blicke dieser Frau ließen sie nicht los, nervös sammelte Eva das Wechselgeld ein, die Frau sah sie weiter an, sie vergaß, ihre Zeitkarte in den Automaten zu stecken. Verärgert fragte Eva, ob sie ihr helfen könne. Nein, sagte die Frau, helfen nicht, aber Sie sollen mich in Ruhe lassen. Dann erledigte sie ihre Zahlung und ging. Verblüfft stand Eva da, sie versuchte, sich aus der Unruhe, die sie ergriffen hatte, zu lösen, es war ihr jetzt klar, dass sie diese Frau kannte, aber lang nicht gesehen hatte. Sie war ihr nur einmal begegnet, ein einziges Mal, Jahre waren seither vergangen. So sieht sie also jetzt aus, dachte Eva, damals war sie viel hübscher, aber auch nicht sehr hübsch, verständlich, dass Heinz sie verlassen hat. Wahrscheinlich geht es ihr nicht besonders gut, dachte Eva weiter, als sie in ihrem Auto saß, sehr tüchtig scheint sie nie gewesen zu sein, sie hat zwar, bevor Heinz mit seinem Unternehmen Glück hatte, gearbeitet, aber was war sie, ein paar Fremdsprachen hat sie gekonnt, sonst nichts. Es war gut, dass ich sie sofort nach Heinz’ Tod angerufen habe, um ihr klarzumachen, dass sie von ihm nichts erwarten dürfe, eine geschiedene Frau, die von einem anderen ein Kind hat. Ich bin überzeugt, dass Heinz mich in seinem Testament bedacht hat, schließlich habe ich mich stets um ihn gekümmert, ich glaube, er hat mich geliebt. Und wenn nicht, so hat er gewusst, dass er mir einiges zu verdanken hat.

Miriam. Ich habe diesen Namen nie gemocht, noch bevor ich sie kannte.

Als Eva in ihrem Haus ankam, stellte sie die Pakete mit den Einkäufen im Vorzimmer ab und sah sie nicht, wie sonst, genau an. Sie wusste, sie würde jetzt keine Freude an ihnen haben. Morgen, dachte sie, morgen will ich alles prüfen, probieren. Während sie im Badezimmer stand und sich fertig machte für die Nacht, versuchte sie, sich wieder von Miriams Bild zu lösen. Sie scheint es nicht leicht zu haben, dachte sie, irgendwie wirkt sie verbittert. Sie muß wieder arbeiten, ein Kind hat sie auch. Wenn das mich getroffen hätte, unvorstellbar. Aber was geht es mich an. Da lebe ich lieber allein und habe keine Sorgen, kann machen, was ich will. Als ich ihr damals begegnete, mit Heinz an ihrer Seite, wusste ich gleich, diesen Mann will ich haben, es wird ein leichtes Spiel werden mit dieser Frau. Sie hatte unruhige Augen und hielt Heinz am Ärmel seines Sakkos fest, als wollte sie ihn nicht loslassen. Er schien gehemmt, irgendwie verzweifelt, auch als er ziemlich viel getrunken hatte, wurde er nicht locker. Trotzdem oder gerade deswegen hat er mich angerufen, zwei Tage später.

Bevor Eva schlafen ging, massierte sie ihre Füße, sie waren kalt, sie blieben auch kalt, als sie schon im Bett lag. In der Nacht träumte sie nicht von Heinz K., auch nicht von Paul, sie träumte von Franz. Er stand vor ihr, jung und kräftig und war dabei, sie zu umarmen.

Mama, fragte Klara, warum sagst du nichts.

Ich sage nichts, fragte Miriam zurück, das habe ich gar nicht bemerkt.

Sag wieder was, forderte Klara.

Wie war es heute im Kindergarten, fragte Miriam. Weiß nicht, sagte Klara.

Sie richtete das Abendessen für sie beide, wie immer war es eine einfache Speise, die das Kind liebte, an die auch sie sich gewöhnt hatte. Sie saßen dann bei Tisch, Miriam blieb still, Klara hatte ihre Hausschuhe ausgezogen und spielte immer wieder mit ihrem linken Strumpf, den sie von den Zehen wegzog. Sie schien keinen Hunger zu haben.

Während sie ihre Mutter immer wieder forschend ansah, fragte sie: Kennst du die Geschichte von dem kleinen Buben, der oft von zu Hause weggelaufen ist. Er ist immer wieder zurückgekommen, aber einmal nicht mehr.

Ich kenne sie, antwortete Miriam, vielleicht hat es ihm zu Hause nicht mehr gefallen.

Doch, sagte Klara, er hat sich nämlich verirrt. Er hat nicht mehr zurück gefunden.

So wird es wahrscheinlich gewesen sein, sagte Miriam.

Du musst nicht warten auf mich, Peter, sagte meine Frau Christine, die damals noch ein junges Mädchen war, als sie wieder einmal zu spät kam. Ich stand an der Straßenecke, wo wir einander immer trafen und schaute mir die Augen nach ihr aus. Sie kam dann an, ohne schlechtes Gewissen, es war ihr klar, dass ich schon lang auf sie gewartet hatte. Den Vorwurf, den ich ihr machen wollte, sprach ich nicht aus. Ich war zu glücklich, sie zu sehen. Sie umarmte mich flüchtig, küsste meine Nasenspitze und fragte unternehmungslustig: Was machen wir? Stets war es das gleiche Spiel. Sie wollte Neues, Aufregendes erleben, und ich hatte kein Geld. Der Vorschlag, wieder einen Spaziergang zu machen, wurde mit heftigem Kopfschütteln von ihr abgelehnt. Auslagen ansehen, fragte ich weiter. Das sei sinnlos, meinte sie, sie könne sich nichts kaufen. Dann Museum, schlug ich vor und rechnete rasch nach, ob es meine finanziellen Möglichkeiten erlauben würden. Ihr Nein hatte ich erwartet.

Eine Weile standen wir ratlos an jener Ecke, jeder von uns beiden dachte nach, ihr Mund wurde schmäler, sie sah von mir weg und hin auf die Straße und sagte, ohne sich umzudrehen: Warum ist das so? Schon oft hatte ich ihr zu erklären versucht, dass es eben so sei bei Studenten, die ein Stipendium hatten, kaum einen Zuschuss von zu Hause bekamen und die Miete im Heim bezahlen mussten. Andere haben es besser, meinte sie dann. Such dir einen Sohn reicher Eltern, hätte ich gern geantwortet, aber ich meinte es nicht ernst und rettete mich in das stereotype: Später wird es besser, du wirst sehen.

Wir gingen schließlich in einen Park, es war ein schöner Park, mit vielen alten Bäumen und gepflegtem Rasen. Ich legte meine Hand auf ihre Hand, und langsam bemerkte ich, dass ihre Laune sich besserte. Leute kamen vorbei, sie betrachtete sie genau, sagte manchmal: Der ist ein Arzt, die ist eine Friseurin, der kann nur ein Geschäftsmann sein, und die, schau die, die arbeitet nichts, die ist ungebildet und eine dumme Gans. Ich hatte schon damals für solche Beurteilungen nichts übrig, schon gar nicht, wenn man einen Menschen damit diffamierte. Aber so war sie eben. Ganz anders als ich. Wahrscheinlich habe ich sie deshalb geliebt.

Sie hat ihr Studium nicht fertig gemacht. Schade. Vielleicht wäre sonst alles anders gewesen.

Jetzt habe ich mich wieder verirrt, bin auf meine Ehe zurückgekommen und wollte ja von meinem Bruder Paul sprechen. Aber irgendwie gehören sie alle zusammen, diese Schicksale, die ich nun als alter Mann vor mir sehe und zwar, wie ich hoffe, ziemlich klar, ohne persönliches Urteil. Bei manchen Personen wird es mir vielleicht nicht gelingen. Bei Paul denke ich, schon.

Ich möchte vorerst noch auf Franz zurückkommen. Er war, wie bereits berichtet, bei uns Schülern nicht angesehen. Außer seiner Stärke, ja, auch außer seinem Aussehen gab es nichts, worum wir ihn hätten beneiden sollen. Die Familie war arm, der Vater ein einfacher Arbeiter, der sich meistens nach der wöchentlichen Lohnauszahlung betrank.

Es gab viele Geschwister, wie viele, ich weiß es nicht mehr. Manchmal sah man Franz mit einem der Kleineren herumziehen, es schien ihm nichts auszumachen, er hielt es immer streng an der Hand und gab acht, dass ihm nichts passierte. In dieser Hinsicht war er sehr gutmütig. Franz’ Mutter war eine große, magere Frau mit einem schütteren Haarknoten, wir fürchteten uns ein wenig vor ihr. Wenn wir bei der Siedlung vorbeigingen, sagte sie immer was von verwöhnten Nichtstuern, die mit Lernen ihre Zeit vergeudeten. Als wir jünger waren, riefen wir manchmal Prolet, Prolet zu ihr hinüber, aber da durfte Franz nicht in der Nähe sein, er wäre gleich über uns hergefallen.

Paul nahm mich einmal zur Seite und erklärte, Franz sei was Besonderes, auch seine Familie sei was Besonderes, auch wir seien was Besonderes, es gebe keinen Unterschied. Ähnliches hatte ich von unserem Vater gehört, aber von ihm glaube ich, dass er es nicht ganz ehrlich meinte, während Paul von seiner Meinung überzeugt war.

Ich erinnere mich, es war Franz’ fünfzehnter Geburtstag, als Paul erklärte, er wolle ein Fest für ihn veranstalten. Es war Frühling, er meinte, unser Garten sei dafür der richtige Platz. Unsere Mutter dachte zuerst, er mache einen Scherz, als sie merkte, dass er es ernst meinte, konnte sie es nicht glauben. Sie lehnte es strikt ab, genauso wie mein Vater, den Paul nachher, schon hoffnungslos, fragte. Ich wusste von Anfang an, dass daraus nichts werden würde. Dann mache er das Fest eben woanders, sagte Paul. Wie ihm das gelingen sollte, sagte er nicht. Du kannst auch kommen, sagte er zu mir. Ich schwankte. Ich war neugierig, ja. Andererseits wollte ich den Eltern, die von diesem Plan nichts wissen sollten, nicht in den Rücken fallen. Ich weiß noch nicht, sagte ich zu Paul, vielleicht.

Heute denke ich, dass es gut war, dass ich dann doch zu diesem Fest kam. Es fand nahe dem Koksplatz der Fabrik statt. Der Koks war dort in riesigen Haufen gelagert, dahinter war ein freier Platz, ungepflegt, schmutzig, von schwarzem Staub bedeckt. Fast niemand ging dort vorbei. Es war Franz’ Idee, auf diesem Platz zu feiern. Wahrscheinlich hatte er Paul unter ständigen Blödeleien zu diesem Wahnsinn überredet. Paul hatte mir größte Geheimhaltung auferlegt. Dann begann er zu sammeln. Keine Ahnung, wie es ihm gelungen ist, Fruchtsäfte, Mineralwasser, Salzgebäck und Kekse aufzutreiben. Wahrscheinlich hatte er seine Sparkasse ausgeräumt und zusätzlich einiges in den Kaufläden erbettelt.

Der Tag war voller Wolken und ziemlich kühl. Ich kam erst später hin, das Fest war in vollem Gang, ich hatte nicht so viele Besucher erwartet. Keiner kam aus dem Gymnasium. Nur Arbeiterkinder, Fußballfreunde. Mit lauten Rufen wurde ich begrüßt, ich glaube, Paul war irgendwie froh, mich zu sehen. Alle saßen auf Säcken, auf irgendwelchen Holzteilen auf diesem schmutzigen Platz, sie tranken aus den Flaschen, stopften sich voll mit Gebäck, riefen einander Worte und Sätze zu, die ich kaum verstand und schienen dieses seltsame Fest richtig zu genießen. Franz saß sichtlich stolz in ihrer Mitte, man boxte ihn in den Rücken, hob ihn auf und schubste ihn mit lautem Geschrei von einem zum andern. Auf einem alten Brett saß Paul, still und glücklich. Wahrscheinlich wäre alles gut ausgegangen, hätte nicht Einer Alkohol gebracht und hätte es nicht zu regnen begonnen. Woher der mit dem Alkohol kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war er älter als Franz und seine Freunde. In einer großen Plastikflasche befand sich ein undefinierbarer Fusel, den er unter großem Hallo herumreichte. Er bot mir davon an, ich lehnte sofort ab. Auch Paul wollte nicht trinken.

Du bist mein Freund, oder bist du es nicht, rief Franz, er stellte sich vor Paul hin, lachend, die Flasche schwenkend, fast war es wie eine Drohung. Paul, der wie ich noch nie Alkoholisches getrunken hatte, machte einen großen Schluck. Es schien ihn zu ekeln, er schob Franz weg, der ihm von neuem die Flasche reichen wollte. Franz ging, kam nach einer Weile wieder zurück, gespannt sahen alle zu Paul. Er drehte sich um, kehrte Franz den Rücken zu. Sofort herrschte Stille auf dem Platz. Franz stand da mit der Flasche, er schien weiter getrunken zu haben, er schwankte. Vielleicht ist er doch nicht dein Freund, rief Einer. Er glaubt, er ist wer besserer, rief ein Anderer. Er mag uns nicht. Er mag dich nicht, so riefen sie von allen Seiten. Wenn er wirklich dein Freund ist, soll er es beweisen. Paul rührte sich nicht. Franz, noch immer schwankend, legte ihm die Hand auf die Schulter. Paul drehte sich langsam um, hob die Flasche mit geschlossenen Augen an den Mund und trank. Der Zug war lang, der Zug war zuviel. Als ich Paul ansah, hatten seine Augen sich verändert.

Es begann bald zu regnen. Das Regenwasser vermischte sich mit dem Koksstaub zu schwärzlichem Brei. Die Burschen begannen sich diesen Brei in Gesicht und Haare zu schmieren, einige wälzten sich darin. Paul saß teilnahmslos da, Franz war verschwunden. Ich hatte Mühe, meinen Bruder hochzubringen, ich wollte mit ihm heimgehen, sofort. Ich schleppte ihn mehr als er ging, irgendwie kamen wir nach Hause, unbemerkt von den Eltern brachte ich ihn in die Mansarde. Wir hatten beide von der Koksschmiere was abgekriegt, mein Versuch, unsere Kleider zu waschen, hatte keinen Erfolg, die Flecken waren hartnäckig, nicht wegzubringen. Am nächsten Tag großes Theater mit den Eltern, Paul, der nach heftigem Erbrechen blass vor ihnen stand, sagte kein Wort. Ich versuchte das Geschehen zu verharmlosen. Unser Vater verbot Paul jeden weiteren Verkehr mit Franz, beide mussten wir an den nächsten Wochenenden zu Hause bleiben. Wenn ich mich richtig erinnere, bedankte sich Paul bei mir. Auf jeden Fall aber sagte er: Franz bleibt mein Freund, das verstehst du doch. Ich verstand es nicht, genauso wenig wie vieles andere, was Paul in seinem Leben noch tat.

In meinem Schlafzimmer schließt ein Fenster schlecht. Nachts, wenn ich aus meinem seichten Schlaf erwache, höre ich, wie der Wind durchzieht. Das ist unheimlich. Und nicht gut für meine Gesundheit. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, um das Fenster zu reparieren. Diese Frage geht mir ständig durch den Kopf und ich finde keine Antwort. Früher habe ich solche Probleme rasch gelöst. Jetzt werde ich damit nicht fertig. Ich werde meine Tochter fragen.

Ich weiß, dass Franz nun in dieser Stadt lebt. Aber ich will ihn nicht sehen. Nie mehr.

Franz spricht

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