Читать книгу Die unvollendete Geliebte - Elisabeth-Joe Harriet - Страница 10

Eine gefährliche Liebschaft Ein unerfüllter Sommer am Thalhof

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»Warum reden Sie von einem solchen Glück, das uns ja doch niemals werden kann?«

Schon zwei Wochen später, am 13. Juni 1886, dem Pfingstsonntag, findet sich der Verliebte ohne Voranmeldung zur Mittagszeit im Thalhof ein. Olga ist nicht erstaunt, scheint ihn erwartet zu haben, trägt sogar denselben Hut wie in Meran und man wechselt ein paar kurze, beiläufige Worte.

Am Nachmittag darf er die Wirtin in ihren Privatgemächern besuchen, wohin sie besondere Gäste, Bekannte und Freunde gerne zu Kartenpartien oder zum Tee einlädt. Hier trifft Arthur auch den Bruder seiner Mutter, den Rechtsanwalt Edmund Markbreiter, dessen von ihm nicht geschätzte und für dumm gehaltene Frau Marie sowie deren hübsche Schwester Dora Kohnberger, die im Verlauf der Beziehung von Olga und Arthur eine Vertraute beider werden sollte. Da Olgas Mann Charles, der am Gesellschaftsleben seiner Frau ungern teilnahm, nicht zugegen ist und die anderen ins Poker-Spiel vertieft, finden sich die beiden Verliebten recht unbeobachtet. Olga sucht eines von den auf dem Tisch ausgebreiteten Fotos von Meran heraus und reicht es Arthur. Beim gemeinsamen Anblick von St. Valentin, wohin sie der letzte Spaziergang geführt hat, treffen sich beider Blicke in sehnsüchtiger Erinnerung. Auch dieser elegische Moment geht schnell vorüber und man sieht sich erst nach dem Abendessen wieder.

Wie üblich promenieren die Gäste nach dem Diner entlang der Rosenlaubengänge vor dem Haus und Olga gesellt sich dazu. Arthur bemüht sich möglichst an ihrer Seite zu sein, was aber vom sporadisch auftauchenden Ehemann Olgas immer wieder gestört wird. Man weiß nie, wann er kommen wird, sich kurz ins Gespräch einklinkt und wieder verschwindet. Ist er im Saal, im Keller oder nur hinter einem Baum versteckt? Wie ein drohender Schatten verbreitet Charles Unruhe und beobachtet mit Argusaugen ganz genau, mit wem seine Frau spricht. Olga und Arthur können einander nur pantomimisch und mit Blicken vermitteln, dass sich an ihren Gefühlen seit Meran nichts geändert hat. In einem unbeobachteten Augenblick reicht ihr Arthur die Pelzquaste. Olga weiht sie mit einem neuen Kuss, den sich Arthur sogleich von derselben Stelle nimmt. Charles taucht wieder auf, sofort wenden sich die Liebenden anderen Gesprächspartnern zu. Olga und Charles ziehen sich bald darauf zurück.

Am darauffolgenden Tag sieht der sehnsüchtig Ausschau Haltende seine Angebetete nur flüchtig nach Tisch und gerät in eine Unterhaltung mit einem jungen Medizinstudenten, der sich mit Erzählungen über die diversen Verehrer Olgas wichtig macht. Peter Altenberg war kein Geheimnis für Schnitzler, von ihm hatte ja Olga selbst berichtet, nicht aber von einem anderen, in seinen Augen viel gefährlicheren Mann: »Nun aber tauchte noch eine andere Gestalt aus Olgas Vergangenheit empor, viel bedenklicher als jene des Neurasthenikers und Poeten, der sich nach einem platonischen Kuß auf die Hand der Angebeteten für immer aus ihrem Leben davongestohlen hatte (wenn er auch später wieder darin oder wenigstens im Thalhof oft genug gastlich aufgenommen wurde); – dieser andere aber war ein Lebemann, ein Kavalleriefreiwilliger, ein Schuldenmacher, ein Elegant, ein Duellant, wenn er auch vielleicht noch nie ein Duell gehabt hatte, – ein Jäger, der sogar mit Olga gemeinschaftlich gejagt hatte auf den steilen Wänden des Schneebergs und der Rax, schlank, hager, schneidig, mit keiner Wimper zuckend, zwar ein Jude, aber die täuschend geratene Kopie eines österreichischen Aristokraten, sich von einem solchen nur durch Verstand und Witz vorteilhaft unterscheidend, ein junger Herr, den ich kannte, mit dem ich sogar entfernt verwandt war, Rudi Pick mit einem Wort, des berühmten Gustav, der ein Vetter meiner Mutter war, jüngerer Sohn. Und nicht nur Richard Engländer, den Dichter, sondern auch sein Widerspiel, den Mann der Tat, Rudi Pick, hatte Olga geliebt, und auch dieses Jünglings weitere Besuche im Thalhof hatte sich der Gatte verbeten und wahrscheinlich mit mehr Recht als die des Dichters; und was das Schlimmste war, – von diesem Menschen hatte Olga kein Sterbenswörtchen zu mir gesprochen …«

Des feschen Rudi Picks Vater Gustav war ein allseits bekanntes Faktotum, Jurist, Schriftsteller, Komponist, Verfasser des berühmten Fiakerliedes und der humorigen Biografie Ich von mir. Er war von Kindheit an in Reichenau auf Urlaub und selbst ein großer Verehrer der schönen Thalhofwirtin. Sein Sohn Rudi war ein Bonvivant, der vorzugsweise verheirateten Frauen reihenweise den Kopf verdrehte. Dem eifersüchtigen Charles Waissnix muss er vor ein paar Jahren als Sohn des Stammgastes Gustav Pick nicht weiter verdächtig vorgekommen sein, denn er ließ ihn mit seiner Frau alleine auf die Jagd gehen. Die passionierte Waidfrau Olga sollte den jungen Mann in die Grundbegriffe der Jagd einführen und was sie dabei im Gegenzug vom ihm erhielt, darüber macht sich Arthur Schnitzler Gedanken und leidet unsäglich. Er wollte sich mit diesem Gespräch lediglich den Nachmittag verkürzen, doch nun entbrennen in ihm gleichermaßen Eifersucht und Zweifel an der geliebten Frau: »Denn daß Olgas Neigungen zwischen Geistigem und Sinnlichem, Künstlerischem und Mondänem, Romantischem und Sportlichem in beunruhigender Weise hin und her schwankten, daß diese feine, ja beinahe edle Frau den Lockungen des Snobismus zu widerstehen weder Kraft noch Lust besaß, darüber durfte ich mich keiner Täuschung hingeben; und auch die neugeweihte Pelzquaste, die ich krampfhaft zwischen den Fingern preßte, vermochte mir das verlorene Gefühl der Sicherheit nicht wiederzuverleihen. Abends aber, als ich mit Olga und Dora zusammensaß und die Unterhaltung sich leichter, vieldeutiger, anspielungsreicher emporschwang und die kupplerische Sorgfalt, mit der Frauen jede im Entstehen begriffene Liebesbeziehung zu hegen und einzuhüllen lieben, auch die unsre zu umschmeicheln begann, ward mir wieder wohler und hoffnungsvoller zumute. Nun war jedenfalls ich und kein andrer da; – Olgas Blicke, was immer in dieser dunkeln Augen Tiefe für Erinnerungen und Möglichkeiten träumen mochten, – nun sanken sie mit dem Ausdruck völligen Hingegebenseins in die meinen. Daß der Gatte immer in unserer Nähe umherschlich, schüchterte mich keineswegs ein, sondern erhöhte meine Stimmung, und ich fühlte mit Befriedigung, daß ich, wenn schon nicht einen glücklichen, so doch einen guten Abend hatte …«

Diese seine gute Laune sollte nicht lange anhalten, denn plötzlich wird Olga durch einen Dienstboten zu ihrem Gatten gerufen und taucht an jenem Abend nicht mehr auf. Am nächsten Morgen hört man, dass es ihr nicht gut gehe. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine der häuslichen Szenen gegeben hat. Der Liebeskranke wagt sich aus Angst, den kurzen Moment, in dem die Geliebte vielleicht doch auftauchen könnte, zu versäumen, nicht aus der Nähe des Hauses. Er trifft aber ständig nur auf Charles, der ihn mit bösen Blicken streift. Am Nachmittag reist er tief bedrückt nach Wien ab.

Etwa fünf Wochen später, am 18. Juli 1886, kommt Schnitzler wieder in den Thalhof, wo es nur sehr wenige kurze, unbelauschte und vom Gatten unbewachte Momente gibt, in denen Arthur Olga gesteht, dass seit den Tagen in Meran außer ihr nichts mehr für ihn existiere. Sie erwidert hastig, dass sie ihn bittet, vorsichtiger zu sein, man sei beobachtet und alle wüssten von ihren Gefühlen füreinander. Charles verhält sich ihm gegenüber äußerst frostig.

Am nächsten Morgen bringt der hauseigene Pferde-Omnibus nicht nur Schnitzler und andere Gäste, sondern auch Olga zur Bahn, da sie ihrer Schwester Gabriele, die ihren Besuch angekündigt hat, bis Gloggnitz entgegenfahren will. Beim Aussteigen flüstert sie ihm zu: »Leider geht auch eine solche Fahrt zu Ende!«

Nach zweiwöchiger Arbeitspause in Wien ist Schnitzler am Samstag, 31. Juli 1886, bereits wieder Gast im Thalhof; diesmal für längere Zeit, die nur ab und an von Wien-Aufenthalten und Besuchen bei seiner Familie in Bad Ischl unterbrochen sein wird. Bei seinem Anblick errötend empfängt ihn Olga herzlich und sehr schnell ergibt sich die Gelegenheit, sich der gegenseitigen Liebe zu versichern. Küssen darf er sie nicht. Den Grund dafür erklärt ihm die von Olga ins Vertrauen gezogene Dora Kohnberger bei einem abendlichen Spaziergang auf der Veranda – Arm in Arm, um den Gatten irrezuführen: Olga hatte ihrem Mann von allen Kurbekanntschaften in Meran erzählt, nur nicht von Schnitzler. Und nun hat Charles Waissnix zwischenzeitlich durch Zufall von dessen Anwesenheit im Kurort erfahren, ist rasend eifersüchtig geworden und hat geschrien, dass er diesen Menschen nicht ertragen könne.

Im Falle ehelicher Zwistigkeiten suchte der Ehemann gerne die Hilfe seines Schwiegervaters, dem er sogleich von der unleidlichen Angelegenheit schrieb. Ludwig Schneider reiste höchstpersönlich an, um seiner Tochter die Leviten zu lesen, und Olga wurde mit der doppelten Drohung eingeschüchtert, dass sie im Wiederholungsfalle der Gatte aus dem Hause jagen und der Vater nicht aufnehmen würde. Olga kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er nicht scherzte, und fügte sich scheinbar in ihr Schicksal. Hätte sie es wirklich getan, hätte sie Schnitzler auf der Stelle das Haus verbieten müssen. Das bringt sie jedoch nicht übers Herz, zu sehr liebt sie diesen Mann und fühlt sich magisch von ihm angezogen. Das gefährliche Spiel mit dem Feuer muss weitergehen, sie will ein bisschen Glück genießen, obwohl sie ahnt, dass sie Gefahr läuft, zu verbrennen.

Schnitzler kann durch Doras Erklärungen Olgas übergroße Vorsicht besser verstehen, er fühlt sich sogar geschmeichelt, dass die Geliebte all diese Gefahren auf sich nimmt, um ihn weiter in ihrer Nähe zu haben. An diesem Nachmittag ist er bereit, sich allein mit ihren tiefen, langen Blicken in seine Augen zufrieden zu geben. Indem er sich ans Klavier setzt und für sie spielt, kann er seine Leidenschaft besser als mit Worten ausdrücken und die beiden fühlen sich einander erneut so nahe wie in Meran.

Am nächsten Morgen musste Arthur wieder nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus, wo er die nächsten zwei Tage verbrachte. Seit 1. Juni 1886 war er hier provisorischer Sekundararzt. Am ersten Abend besuchte er die Familie Adler in Baden, mit deren Tochter Gisela er heiße Küsse tauschte und wo er bis 4 Uhr früh mit den Gästen pokerte. Um 8 Uhr früh war er bereits wieder in Wien im Krankenhaus. Wie ist es möglich, Olga so sehr zu lieben und eine andere zu küssen? Schnitzler versuchte sich abzulenken, holte sich, was er von Olga nicht in ausreichendem Maße bekommen konnte, um besser mit seinem Liebesleid umgehen zu können und sich seiner Männlichkeit zu vergewissern.

In Gesellschaft von Dora Kohnberger fährt er am Dienstag, dem 3. August, abends mit der Bahn nach Reichenau und erfährt von ihr, was sich in den zwei Tagen seiner Abwesenheit abgespielt hat:

Nachdem Schnitzler am Montag früh zu seinem Spitalsdienst abgefahren ist, bemerkt Charles bei einem Blick ins Reservierungsbuch, dass der verhasste Eindringling ab dem nächsten Abend ein Zimmer für längeren Aufenthalt bestellt hat. Er gerät in Wut, nennt Schnitzler einen Menschen, der mit seinem Klavierspiel den Weibern den Kopf verdrehe, und verlangt von seiner Frau, dass sie ihm sofort abtelegrafiert. Olga ist zutiefst verzweifelt und denkt darüber nach, ob es nicht besser sei, sich das Leben zu nehmen, als diese Szenen ihres Mannes weiter ertragen zu müssen. Nimmt sie, ohne weiter nachzudenken, etwas von dem Morphium, das sich in ihrer Hausapotheke befindet, oder ist sie sich dessen bewusst, dass die eingenommene Dosis nicht ausreichen wird, sie zu töten? Will sie ihrem Mann nur einen gehörigen Schreck versetzen, weil sie weiß, dass er sie nicht verlieren will? Will sie einfach Ruhe haben, tief schlafen und nicht mehr an ihre Probleme denken müssen? Schnitzler hält es für Kalkül, aber es zeitigt beim Ehemann die richtige Wirkung. Er findet seine bewusstlose Frau, ruft sofort den Arzt und fühlt sich schuldig.

Dora Kohnberger, die sich als Hüterin und Vertraute der Liebenden sieht, redet Charles ins Gewissen und macht ihm klar, dass von Schnitzler keine Gefahr drohe und er seiner Gattin vertrauen könne. Sie kann den Mann einigermaßen zur Vernunft bringen, sodass Schnitzlers weiterem Aufenthalt am Thalhof fürs Erste nichts im Wege steht. Am Abend seiner Ankunft tritt Charles sogar an seinen Tisch und begrüßt ihn mit aufgesetzter Höflichkeit.

»Auch der nächste Tag hob unter den günstigsten Zeichen an. Schon des Morgens, freilich ganz flüchtig, sprach ich die Geliebte, Gerettete, die durch ihren Selbstmordversuch, ob er nun ernst gemeint gewesen war oder nicht, für eine Weile die Oberhand gewonnen und mir so mit heiterer Unbefangenheit entgegentreten konnte. Am Nachmittag trafen wir uns auf neutralem Boden, in Frau Doras Salon, und ich erhielt von Olga ein kleines Medaillon mit einem vierblättrigen Kleeblatt, das sie selbst gepflückt hatte.« Anschließend gehen die beiden in Begleitung der Anstandsdame Dora Kohnberger und Marie Engländer, der Cousine von Peter Altenberg, spazieren. Die beiden Damen halten einen rücksichtsvollen Abstand ein und so haben Olga und Arthur Gelegenheit, ungestört zu plaudern. Sie schwelgen in Meraner Erinnerungen und Olga erzählt ihm ehrlich von den Vorfällen der letzten Tage. Bedingt durch seine Neigung, in der Liebe auch immer leiden zu wollen, und aus schlechtem Gewissen vermutet Arthur, dass es zwischen den Ehepartnern zu einer Versöhnung gekommen sein muss und diese als keine größere Treulosigkeit angesehen werden kann als seine nächtlichen Küsse in Baden mit Gisela Adler. Schnell verwirft er diese Gedanken wieder und genießt glückselig den Spaziergang mit Olga. Zum Hotel zurückgekehrt, verfliegt seine gute Laune jedoch wieder, als Gustav Pick mit seinen beiden Söhnen Alfred, einem Gerichtsadjunkten, und Rudi anreist. Rudis sportlich schlanker Körper – Schnitzler hat zeitlebens mit seinem Gewicht zu kämpfen –, seine Eleganz und Heiterkeit machen Schnitzler neidisch und eifersüchtig.

Noch am selben Abend begleitet man Alfred Pick zur Bahn nach Payerbach. »Auf dem dunkeln Perron schwebte die ganze Gesellschaft hin und her, und Olga hatte sogar die Kühnheit, mit mir Arm in Arm auf und ab zu spazieren. ›Was war das heute für ein glücklicher Tag, Arthur‹, sagte sie; worauf ich sie unverzüglich wegen Rudi zur Rede stellte. Sie schüttelte den Kopf, gekränkt, aber gütig. Es war nämlich kein Wort wahr. Wie mir nur so etwas einfallen könnte, und ob ich denn nicht wüßte, daß sie niemanden geliebt habe als mich? ›Wenn wir nur immer so weiterwandern könnten‹, sagte ich, als wir vom Perron aus auf der Bahnstrecke weiter ins Dunkel schritten, ohne uns um die andern zu kümmern. Und sie: ›Warum reden Sie von einem solchen Glück, das uns ja doch niemals werden kann.‹«

Als die Gesellschaft unter einem klaren Nachthimmel mit dem hoteleigenen Pferdewagen zurückfährt, fühlt sich Arthur als Sieger. Über Olgas pessimistischen Ausspruch denkt er an diesem Abend nicht weiter nach. Der Tag war insgesamt zu schön, um sich die Hoffnung auf die Verwirklichung seiner Liebe rauben zu lassen. Olga hingegen ist sich immer bewusst, dass diese Liebe unerfüllt bleiben muss, will aber wenigstens den leisen Hauch eines möglichen Glücks genießen.

Zwei Tage später trifft man sich wieder im bequemen Salon der Hausfrau zum schwarzen Kaffee. Während Gustav Pick Schnurren aus seinem Leben erzählt, denen alle andächtig lauschen, findet Olga Gelegenheit, Arthur ein rotgebundenes Buch von Paul Heyse zu übergeben. Der 1830 in Berlin geborene und später in München lebende Heyse war zu seiner Zeit einer der beliebtesten Schriftsteller und Dichter und zugleich der erste deutschsprachige Autor, der 1910 den Literaturnobelpreis verliehen bekam. Er verfasste 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Während der Kuren, die Heyses erste Frau in Meran genoss, entstanden seine Meraner Novellen, die Schnitzler nun in Händen hält. Eine von ihnen, mit dem Titel Gute Kameraden, weist viele Parallelen zur Beziehung von Olga und Arthur auf. Olga hat einige Stellen mehrmals unterstrichen, die ihm noch lange schmerzlich und zugleich beseligend im Sinn haften bleiben sollten: »O Schwesterherz, was ich ihm für weise Dinge gesagt habe, an die ich selbst nicht glaubte, was für rechtschaffene Gemeinplätze, während das arme gequälte Herz in mir stöhnte und schrie und alle diese tapferen Sprüche Lügen strafte.« – »Er war so liebenswürdig. Warum darf ich ihn nicht lieben? So unglücklich. Warum darf ich ihn nicht glücklich machen?« – »Ich habe dann meine heißgeweinten Augen an den Blumen gekühlt, die sind nun alles, was ich von ihm bewahren darf.« Diese Textstellen machen Arthur bewusst, dass er in Meran in Olgas Wunsch einer guten Kameradschaft eingewilligt hat, weil sie nicht mehr verbinden kann und darf. Kann sie das ernst gemeint haben, wenn sie ihm solche Blicke schenkt und ihm gesteht, dass sie nur ihn liebe? Schnitzler ist verwirrt, denkt aber nicht daran, aufzugeben.

Am darauffolgenden Nachmittag genießen Arthur und Olga beim Promenadenkonzert zumindest die Nähe des Zusammensitzens und am Abend tanzen sie beim Hausball, der zum Höhepunkt der Sommersaison im großen Speisesaal stattfindet, sogar eine Quadrille. Arthur, der sich mehr von diesem Abend erhofft hat, trinkt zu viel und begegnet Olga am nächsten Morgen verkatert und übellaunig. So hat sie ihn noch nie erlebt und zieht sich erschrocken zurück. Bei einem kurzen Gespräch am Nachmittag stellt sie ihn zur Rede und gesteht ihm, dass es die unglücklichste Stunde ihres Lebens gewesen sei, ihn so verstimmt zu sehen. Seinem Tagebuch vertraut Schnitzler ein paar Tage später dazu an: »Nach dem Souper saßen wir lang beisammen. In jedes ihrer Worte wußte sie etwas von ihren Gefühlen für mich hineinzulegen – sie war unermeßlich lieb – Am Morgen darauf mußt ich weg – Ists denn möglich, daß Sie fortgehn, fragte sie – ich kanns nicht glauben – es ist schrecklich –!«

In seinen Erinnerungen gesteht sich Schnitzler ein, dass die Seele ein recht weites Land sei, als er vermerkt, dass er gleich am ersten Abend, nachdem er den Thalhof verlassen hatte, wieder zur Familie Adler nach Baden fuhr, wo er mit den Töchtern Gisela und der noch hübscheren Emma erneut Zärtlichkeiten im Park austauschte. Immerhin war er seinem Tagebuch gegenüber ehrlich, auch wenn er sich selbst und sein stark ausgeprägtes Triebleben, das nach Befriedigung sucht, nicht versteht.

Am Folgeabend besuchte Schnitzler seine Eltern, die sich bei Familie Mandl in Vöslau aufhielten, bevor er am Mittwoch, dem 11. August, abends wieder am Thalhof eintraf. Lange plaudert er mit Olga und Dora Kohnberger auf der Terrasse und jedes Mal, wenn der misstrauische Charles Waissnix herumspioniert, flirtet Schnitzler ostentativ mit Dora.

Der nächste Tag ist regnerisch und schlägt Olga aufs Gemüt, weil er sie an den Abschiedsmorgen in Meran erinnert. Als bei Tisch jemand von einem Mädchen erzählt, dem Schnitzler im Winter des Vorjahres den Hof gemacht und mit dem man von einem Verlöbnis gemunkelt hat, wird sie sehr blass und beißt sich aus Eifersucht – wie sie Arthur später gesteht – so fest auf die Lippen, dass Blutströpfchen hervorquellen. Zu der eingeschworenen Gesellschaft, die die unsündige Liebe der beiden beschützt, hat sich inzwischen eine junge, hübsche Engländerin, Eveline, gesellt, die es durch Heirat mit dem Sohn der einflussreichen jüdischen Familie Brandeis-Weikersheim nach Wien verschlagen hat.

Am Nachmittag spielt ein weiblicher Gast im Klavierzimmer. Olga und Arthur stehen hinter der Pianistin, er hält ihre Hand und bedeckt sie mit heißen Küssen. Nach dem Souper gibt es den üblichen Spaziergang, an dem diesmal auch Charles Waissnix teilnimmt. Olga und Arthur sprechen gerade leise darüber, eine regelmäßige Korrespondenz zu beginnen, als der Ehemann plötzlich verschwunden ist. Dass er nicht kurz darauf wieder erscheint, erregt Olga sehr und sie begibt sich auf ihr Zimmer. Gleich darauf stürzt Charles an Arthur vorbei und hinter seiner Frau her. Beunruhigt begeben sich Dora und Arthur ebenfalls zur Nachtruhe.

Am nächsten Morgen erzählt Olga Dora, die es wiederum Arthur berichtet, was vorgefallen ist. Charles wollte gehört haben, wie Schnitzler mit Dora Kohnberger über eine Scheidung zwischen ihm und Olga geflüstert habe. Er machte Olga eine fürchterliche Szene und flehte sie an, ihn nicht zu verlassen. Wie ein Toter sei er vor ihr zusammengesunken, wobei er nach der Meinung Olgas und Doras diese Ohnmacht nur vortäuschte. Auch Schnitzler ist der Überzeugung, dass Charles nur Komödie gespielt hat. Er hätte sich auch von einer wirklichen Ohnmacht nicht rühren lassen: »Denn Liebende sind im allgemeinen nur gut, soweit es den Gegenstand ihrer Liebe betrifft; in Hinsicht auf alles andere und gar auf Menschen, von denen sich ihre Liebe irgendeiner Störung versehen muß, hart bis zur Grausamkeit. Und unbekümmert um den Komödianten, wie ich es für meinen Teil auch um den Toten gewesen wäre, spazierten wir abends im Mondenschein wieder auf und ab, Olga und ich …«

Bevor Olga sich nach diesem romantischen Spaziergang zurückzieht, gesteht sie Arthur, wann sie sich in ihn verliebt habe, was er in seinem Tagebuch festhält: »Sie sagte, sie habe die Liebe zu mir in dem Moment das erstemal empfunden, wo ich ihr in Meran nach der Partie in jenes Thal gesagt: Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, sie ist geweiht für alle Zeit – das war der elektrische Schlag, der coup de foudre – Nie hab ich einen Menschen so lieb gehabt wie Sie! … Was sie für jenen andern empfand … sei nichts gewesen!«

Auch wenn Dora erneut beruhigend auf Charles eingewirkt hat, spricht dieses Verhalten Olgas völlig gegen ihre so oft zum Ausdruck gebrachte Angst. Nahm sie Charles plötzlich nicht mehr ernst? Fühlte sie sich durch seine Schwäche mit einem Mal stark und bot ihm die Stirn? Oder nutzte sie nur die Gunst der Stunde, um so viel als irgendmöglich von ihrer unerlaubten Liebe genießen zu können?

Das Grunddilemma der Eheleute war ihre unterschiedliche soziale Herkunft. Olga war ein Kind der Stadt, kam aus der Wiener Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehörte, zu flirten und auch als verheiratete Frau von Männern umschwärmt zu werden. Was für sie nicht weiter bedeutungsvolle Alltäglichkeiten waren, wurde im ländlichen Raum nicht toleriert, als verwerflich und für den Mann erniedrigend angesehen. Es waren zwei Welten, die aufeinanderprallten. Charles beherbergte zwar die Wiener Gesellschaft in seinem Hotel, wollte mit ihren amoralischen Sitten aber nichts zu tun haben. Seine Frau hatte sich den Gebräuchen der ländlichen Gesellschaft, in die sie eingeheiratet hatte, entsprechend anzupassen.

Da Arthur in Kürze wieder abreist, weil er mit seiner Familie die alljährliche Sommerfrische in Ischl verbringen wird, lädt Dora Kohnberger die Liebenden am nächsten Tag zu sich ins Appartement ein, wo sie sie bald allein lässt. Sie fallen einander zu einem minutenlangen, leidenschaftlichen Kuss in die Arme. Olga sagt: »Wenn ich glaube, dass ich mich werde beherrschen können, komme ich morgen herunter.« Sie kommt und schenkt Arthur eine Rose. Charles steht daneben und dann begleiten ihn die Eheleute gemeinsam ein Stück des Weges zur Bahn. Schnitzler schreibt resümierend: »Sie war nicht am Morphium gestorben, er war nicht toll geworden vor Eifersucht, und auch ich befand mich am Ende für einen glücklich-unglücklichen Liebhaber nicht so übel, als man hätte denken sollen.« Wie eine Komödie erscheint diese Szene, die Charles’ Ablehnung der höflichen Oberflächlichkeit der High Society nachvollziehbar macht.

Schnitzler verbrachte die nächsten zehn Tage in Ischl, wo seine Eltern regelmäßig zur Sommerfrische waren. Bald erhält er von Olga, die seine Anwesenheit vermisst, eine Einladung, womit die Korrespondenz zwischen den beiden einsetzt.

18. August 86

Lieber Herr Doctor!

Der Reichenauer Verschönerungs-Verein im Allgemeinen & meine Wenigkeit im Besonderen senden Ihnen hiermit Ihre Einladung zu dem nächsten Sonntag bei den Eichen stattfindenden Wolthätigkeitsfest. Wir kennen ja Ihren milden Sinn und hoffen, daß auch Ihre Angehörigen Ihnen, lieber Herr Doctor, auf einen ganz kleinen Abstecher nach Reichenau Urlaub geben werden. Ich verkaufe bei den Cigarren und würde mich sehr freuen Ihnen eine anbieten zu dürfen.

Abends ist Kränzchen, alle anderen Aufklärungen mündlich. –

Ich hoffe Ischl hält Sie nicht so riesig fest & freut sich sehr Sie, lieber Herr Doctor, baldigst hier zu sehen

Olga Waißnix

Bitte kommen Sie aber erst Sonntag, denn Samstag dürfte es unmöglich sein Ihnen ein Zimmer zu verschaffen.

Dieses alljährliche Wohltätigkeitsfest rund um den Kaisergeburtstag fand 1886 auf der Eichenwiese oberhalb des Thalhofs statt. Die Einnahmen aus Verkäufen und Spenden kamen jedes Jahr anderen Bedürftigen oder sozialen Institutionen in Reichenau zugute. Die Organisation bis hin zu den Kostümentwürfen, passend zum jeweiligen Motto, lag in den Händen Olgas.

Die Einladung hält Schnitzler bereits – man lese und staune über die Geschwindigkeit der damaligen Postzustellung – einen Tag später in Händen und muss mit großem Bedauern absagen, da sein Vater seine Anwesenheit in Ischl wünscht.

Gleichzeitig sendet er einen humoristisch-sentimentalen Brief in Versen an Dora Kohnberger, der er damit für ihre liebevolle Unterstützung dankt. Darin kann er Olga versteckte Mitteilungen zukommen lassen, wie zum Beispiel, wann er wieder an den Thalhof kommen wird.

August 1886.

Verehrte würdige Freundin,

Geschätzte gnädige Frau,

Da sitz’ ich einsam in Ischl

Und träume von Reichenau.

An schwülem Sonntagsabend

Empfing mich das Rauschen der Traun,

Es lag ein Dunst und Nebel

Rings über den grünen Au’n.

(…)

Nach Montag kam Dienstag wie immer

– Die Wochen sind so trivial –,

Da fuhr ich nach Kammer hinüber

Mit Mutter und Schwester zumal.

(…)

Nun kam des Kaisers Geburtstag,

In Gmunden verbracht’ ich den;

Da hab’ ich manch holde Frouwe

Und Magedin gesehn.

Des Abends stand ich am Ufer,

Da wogten in bunter Reih’

Viel festlich leuchtende Kähne

Rotschimmernd an mir vorbei.

Und in dem mächtigen Nebel

Raketen stiegen hinan,

Die flirrten und knallten und starben, –

Wie Menschenglück und Wahn.

Sie sprühten so überlustig,

Schier jubelnd ertönte ihr Knall,

Dann stoben die Funken gen unten, –

Versanken ins Wasser all.

Da kam die Melancholia

Wie einem Fünfziger mir; –

Doch nein: wie einem Jüngling,

Vous savez, Madame, c’est pire.

[Sie wissen, Madame, das ist schlimm; Anm.]

So klagt der Träumer in Ischl,

Dieweil in Reichenau

Gewiß schon zum Feste sich rüstet

Gar manche schöne Frau.

Doch kommt zum Fest nicht der Träumer,

So kommt er später bestimmt;

Und längstens kommenden Dienstag

Schneedörfl er wieder erklimmt.

Das Leben ist wie ein Kreuzzug

In das gelobte Land –

Und bis ich es wieder erschaue

Grüß’ alles ich, was mir bekannt.

(…)

Der schönen Frau Eveline

Ergeben mein Grüßen gilt,

Ich küsse die Hände Frau Olga,

Der Wirtin wundermild.

Herrn Charles empfehl’ ich mich bestens,

Auch Rettinger sei gegrüßt,

Von einem, der all seine Sünden

Im öden Ischl büßt.

Ich schließe somit, denn in kurzem

Bin ich ja wieder retour –

Und mündlich sinkt Ihnen zu Füßen

Ihr treuer Freund Arthur.

Die Antwort aus Reichenau kommt prompt am Samstag, 21. August 1886, in Form des folgenden gedichteten Telegramms, das neben Olga und Dora auch von Eveline Brandeis-Weikersheim und Marie Engländer unterzeichnet ist:

Besten Dank fürs Grüßenlassen besten Dank für Ihr Gedicht doch wir können uns nicht fassen daß zum Fest Sie kommen nicht.

Dora Eveline Mitzi Olga

Wie Schnitzler später von Dora Kohnberger erfährt, hat Olga in ihrem Zorn über sein Nichterscheinen zum Fest wütend einen Teller zerschlagen.

Am Dienstag, dem 24. August, kann er sich von seiner Familie in Ischl loseisen und macht sich mit der Bahn auf den Weg nach Payerbach. Dort besteigt er einen Fiaker und fährt elegant am Thalhof vor. Hier hat sich der Kreis der Gäste inzwischen vergrößert – Olgas Schwestern Gabriele und Fanni sind zu Besuch –, aber die Grundsituation hat sich nicht geändert: »Das Mißtrauen des Gatten war während meines Fernseins offenbar noch gewachsen; und da ich meine Gefühle immer weniger zu verbergen vermochte, und da auch Olga es zuweilen, sooft sie mir auch, wenn Gefahr in der Nähe war, ein hastiges ›take care‹ zuflüsterte, an dauernder Vorsicht und Verstellungskunst fehlen ließ, so wurde die Atmosphäre immer schwüler und bedrohlicher; und wenn der Gatte und ich einander begegneten und mit stummen Blicken maßen, drängte sich mir das vielleicht etwas zu großartige Bild auf, daß sich zwei Tiger auf dem Sprung gegenüberlägen.«

Olga und Arthur sind nie mehr als eine Minute allein und der Schutzengel Dora Kohnberger ist mittlerweile abgereist. So müssen jene Gelegenheiten wahrgenommenen werden, bei denen man einander in langweiliger Gesellschaft, während ermüdender Lesungen oder dilettantischer Klaviervorträge wenigstens nahe sein oder sich in die Augen sehen kann. Weitere Möglichkeiten sind Spaziergänge, bei denen Olga so tut, als würde sie Arthur die umliegenden Berge erklären, ihm dabei aber zuflüstert: »Sagen Sie mir noch einmal, dass Sie mich lieben, – ich kann es tausendmal hören, – wenn Sie wüssten, wie ich Sie anbete.« Da Olga jederzeit irgendwo im Thalhof erscheinen könnte, wagt es Schnitzler nicht, sich auch nur eine Viertelstunde vom Hotel wegzubewegen. Dabei liegt er mitunter verzweifelt in seinem Zimmer, weil die Angebetete, ein feindseliges Verhalten ihres Gatten fürchtend, in kühlem Ton zu ihm gesprochen hat. Er ist von der anstrengenden Gesamtsituation und dem ewigen Komödienspiel entnervt.

Eines Tages kommen Olga und Arthur schließlich auf die Idee, Schach zu spielen, im kleinen Hof neben dem rückwärtigen Hoteleingang, der von allen Seiten zugänglich ist und damit quasi vor aller Augen liegt. Ständig gehen an dem Schachtisch Gäste, Bedienstete, Olgas Mann oder ihr Schwiegervater vorbei, verharren kurz, werfen einen flüchtigen Blick auf das Schachbrett und entfernen sich wieder. In aller Öffentlichkeit haben die beiden so die Möglichkeit, einander nahe zu sein, ohne allzu großes Aufsehen zu erregen. Es ist ein harmloses Spiel, bei dem die Finger der Spieler sich beim Rücken der Figuren flüchtig berühren können. Die dadurch entstehende Erregung kann durch das spannende Spiel erklärt werden. Selbst Charles kann nichts dagegen haben, dass seine Frau am späten Nachmittag mit einem pünktlich zahlenden Gast aus gutem Hause eine Partie Schach spielt.

Die Störung dieser Schach-Idylle sollte von unerwarteter Seite kommen. Am Morgen des 2. September fährt der fesche Kavallerieleutnant in Reserve, Rudi Pick, im Fiaker vor und bleibt für zwei Tage. Mit diesem Mann hat Schnitzler aus mehreren Gründen ein Problem. Nicht nur ist er ein Verehrer seiner Angebeteten gewesen, ist schlanker, blonder, eleganter als er selbst gekleidet und plaudert amüsanter. Mit ihm ist Olga alleine auf Gamsjagd gewesen, wo sich doch unvergleichlich bessere Gelegenheiten zur Liebe geboten haben müssen, als er sie hier mit ihr hat! Schnitzler wird völlig von seiner Eifersucht überrollt. Obwohl Olga während dieser zwei Tage alles Menschenmögliche tut, um ihn zu beruhigen, ihm verheißungsvolle Blicke und leidenschaftliche Worte zuflüstert, leidet Arthur unsäglich, was Olga wiederum beunruhigt: »Ich könnte weinen, wenn ich Sie traurig sehe«, sagt sie. »Wissen Sie denn, wie wahnsinnig ich Sie liebe? Jede Minute meines Lebens, meines Denkens gehört ja Ihnen nur allein«, entgegnet er. Nur Charles scheint die Situation zu genießen. Was soll schon passieren, wenn gleich zwei Verehrer seiner Frau zugegen sind?

Doch der Schein trügt. Am Abend nach Rudi Picks Abreise erscheint Olga nicht wie üblich im Speisesaal, da sie sich, wie man vernimmt, nicht wohlfühlt. Am nächsten Morgen erscheint sie sehr blass, winkt Arthur zu sich und bittet ihn, sich in fünf Minuten in ihrem Salon einzufinden. Als Arthur dort einlangt, steht sie, noch bleicher als vorher, am Klavier, sinkt in seine Arme, küsst ihn mit Inbrunst. Dann erzählt sie, dass sie Charles am Vorabend nur mit Mühe davon abhalten konnte, hinunterzustürmen und ihn zu erschlagen. Sie bittet Arthur, sofort abzureisen, um sich in Sicherheit zu bringen. Voller Überzeugung erklärt Arthur, dass er nicht daran denkt zu fliehen, sondern gerne für sie sterben will. Gemeinsam suchen sie nach einer Lösung, was immer wieder von zärtlichen Küssen unterbrochen wird. Arthur entwickelt einen Plan nach dem Motto, dass Angriff die beste Verteidigung sei.

Er lässt sich unverzüglich bei Charles melden und stellt ihn zu Rede. Fragt ihn, warum er seiner Frau das Leben mit seiner unbegründeten Eifersucht vergälle und harmlose freundschaftliche Unterhaltungen durch sein Misstrauen störe, erklärt ihm, dass eine verfrühte Abreise seinerseits peinlich auffallen und ihm in seinem Ansehen schaden würde. »Er erwiderte mir ziemlich ruhig, und nur seine zermarterten Züge, die schmalgewordnen Wangen, die rotgeränderten Augen mit den lefzenartig heruntersinkenden Mundwinkeln – Jagdhundgesichter pflegte später einer meiner Freunde solche eifersuchtverzerrte Physiognomien zu nennen – verrieten seine, mir freilich sehr gleichgültige oder gar lächerliche innere Pein. Er sei fern davon, sagte er, seine Frau ernstlich zu verdächtigen, und was ihr ›G’speanzel‹ mit mir anbelange, so solle ich ja nicht glauben, daß ihm das etwas Neues sei. ›Mit dem Richard Engländer und mit dem Rudi Pick‹, setzte er mit einem wohlgezielten Nebensatz hinzu, ›hat sie’s genauso getrieben wie mit Ihnen.‹ Es ist wohl denkbar, daß nun auch meine Züge ins Jagdhündische zu spielen anfingen.« Er habe auch nichts gegen Gespräche, die seine Frau mit den Gästen führe, erklärte Charles, was er sich allerdings nicht gefallen lassen wolle, sei das dadurch entstehende Gerede der Leute. Die beiden Männer trennen sich mit einem Händedruck und Schnitzler kann bleiben.

Er tanzt am Abend mit Olga, wobei sich ihre Wangen berühren und sie Zärtliches flüstert, als Sieger fühlt er sich dennoch nicht. Der Stachel von Charles’ Bemerkung, dass Olga es mit Altenberg und Pick genauso getrieben habe, sitzt tief. Bei der nächsten Schachpartie quält er Olga, indem er die hämischen Worte ihres Mannes wiederholt, ja sie ihr vorwirft. Sie erkennt darin die Rache ihres Ehemannes und geht nicht weiter darauf ein. Schnitzler hat nicht erreicht, was zum Grundmuster seiner Liebesbeziehungen gehört: Wenn er leidet, muss auch die Frau durch ihn leiden, denn ohne Leid und Eifersucht kann Liebe nicht wahre Liebe sein.

Noch vor Rudi Picks Ankunft hatte Schnitzler auf Bitten Olgas hin begonnen, ein Gelegenheitsstück zum Geburtstag der schönen Eveline Brandeis-Weikersheim zu verfassen. Er tat es umso lieber, als Olga sich bereit erklärt hatte, darin die Rolle des Thalhof-Genius zu übernehmen. Sich selbst als einzig mitwirkendem Herrn teilte er die Rolle des Genius von Wien zu. Am 4. September wird das Thalhof-Festspiel genannte Werk fertig und das erste Mal geprobt. Am Tag der Aufführung, dem letzten Tag von Schnitzlers Aufenthalt, gibt es vormittags eine weitere Probe. Nachmittags schreibt er in der Kanzlei des Hotels sitzend die Verse für den Souffleur ins Reine: »Diese sonst etwas langweilige Beschäftigung wurde mir dadurch versüßt, daß Olga von Zeit zu Zeit hereinkam, sich über die Blätter beugte und ich ihr die Hände küsste.«

Nur vor den engsten Freunden des Geburtstagskindes findet abends die Vorstellung im Teesalon statt. Die Damen in hübschen, von Olga entworfenen Kostümen, Schnitzler als Wiener Strizzi mit Strohhut. In seinen viele Jahre später geschriebenen Erinnerungen zu diesem Abend gesteht er Olga kein großes schauspielerisches Talent zu: »Olga sprach ihre Verse damenhaft mit dunkler Stimme und ohne Talent.« Nach der mit großem Beifall bedachten Premiere gibt es ein Geburtstagssouper und einen Schnitzler aufwühlenden Tanz, bei dem er seine Olga noch einmal vor dem Abschied im Arm halten kann, ihn aber auch sehr endzeitliche Gedanken ihre Beziehung betreffend beschleichen. Er zieht ein berührendes Resümee: »Heute war ja der letzte Abend meines Reichenauer Aufenthaltes, das Ende dieser wunderbaren glückselig-unglückseligen, sehnsucht- und leidenschafterfüllten Sommertage, in denen, wenn auch die letzten und heißesten Wünsche nicht gestillt waren, ich an Liebeserfahrung und Wissen um die Seele von Männern und Frauen und vor allem an Wissen um mich selbst weiter vorgeschritten war als in irgendeiner früheren Epoche meines Daseins. Wenn ich auch fühlte, daß es zwischen Olga und mir keineswegs für immer vorbei war, daß wir uns bald und vielleicht oft wiedersehen würden, und wenn sogar kühnste Hoffnungen für spätere Zeit in mir lebendig waren und lange blieben, – die Ahnung, daß das Schönste, das in einem tieferen Sinn Schönste, das Unwiederbringliche und Einzige dieser Beziehung mit dem heutigen Abend erledigt war, diese Ahnung umschattete meine Seele düsterer, als es irgendeine banale Abschiedsstimmung getan hätte; – und in dieser letzten Thalhof-Nacht weinte ich Tränen, die zu den bittersten, verzweiflungsvollsten meiner Jugend gehörten …«

Am nächsten Morgen fahren Arthur und Olga gemeinsam nach Wien, was nicht weiter auffällt, da sie oftmals ihren Vater besuchte und bei ihm am Südbahnhof wohnte. Im gleichen Coupé fährt Doras Mann, der Kaufmann Innocenz Kohnberger, der sich die gesamte Fahrt bis Mödling schlafend stellt, damit die Liebenden in einem langen, inbrünstigen Kuss versinken können.

Nach Wien zurückgekehrt, vertraute Schnitzler seinem Tagebuch am 7. September 1886 an: »Sie streichelte meine Wangen, meine Augen, meine Haare – dann küssten wir uns lang, lang … – es war uns beiden, als müßten wir vergehen –

– Und jetzt bin ich wirklich nicht mehr in ihrer Nähe. Wenn ich nur einen Moment einen andern Gedanken haben könnt als sie.«

Die unvollendete Geliebte

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