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2. Kapitel.

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Dann eines vormittags traf der neue Inspektor ein, ein grosser, schlanker Mann von festem Gliederbau mit einem energischen, etwas eckigen, hagern Gesicht und klugen, kühl kritisch blickenden Augen; das glatte braune Haar schlicht gescheitelt, der volle Schnurrbart kurz gehalten — auf den ersten, flüchtigen Blick der Typus eines intelligenten Landmannes. Seinem Äussern nach hätte man ihn zehn Jahre älter schätzen können, als er war.

„Kinder, vor dem können wir uns vorsehen,“ meinte Anton, der Kutscher, in der Gesindestube, „ich glaube, der lässt nicht mit sich spassen! Ehe er noch auf dem Bahnhof in den Wagen stieg, hatte er schon bei den paar Schritten, die ich bis zum Gepäckraum fuhr, weg, dass das Handpferd den rechten Hinterfuss schonte. Er hob ihn auf, ‚vernagelt‘, sagte er bloss und schüttelte den Kopf. Na, und über jeden Feldstreifen, an dem wir vorbeifuhren, liess er sich Rechenschaft geben. Das ist ein Neunmalkluger, passt auf!“

Hans Georg Müller stand inzwischen im Herrenzimmer vor dem alten Baron. Der hatte ihn freundlich mit Handschlag willkommen geheissen und die Bemerkung ausgesprochen, dass er auf ein gedeihliches Zusammenwirken mit ihm hoffe. Es war ganz konventionell geschehen, aber der andere war nicht willens, es so aufzufassen.

„Ich meinte, der Herr Baron habe mir die alleinige Verwaltung des Gutes übertragen, da kann von einem Zusammenwirken wohl nicht eigentlich die Rede sein“, sagte er ruhig.

„Nun ja — ja doch, natürlich!“ fiel der alte Herr etwas nervös ein, „aber es ist doch wohl selbstverständlich, dass bei wichtigen Fragen eine Verständigung zwischen uns stattfindet. Als Besitzer von Segendorf werde ich nicht unbedingt auszuschalten sein.“

„Dann bin ich unter falschen Voraussetzungen hierhergekommen, und ich glaube nicht, dass unsere Verbindung von langer Dauer sein wird. Ich habe aus dem Schreiben des Herrn Barons angenommen, dass das Majorat völlig für sich verwaltet werden sollte und der Herr Baron sich jedes Einspruchs in die Wirtschaftsführung enthalten wollte.“

„Sie sind sehr rasch, junger Herr!“ rief der Baron. „Es wird mir nicht einfallen, Ihnen bei Ihren wirtschaftlichen Anordnungen dreinzureden, wo es sich aber um vitale Interessen handelt, werden Sie mir wohl eine Stimme im Rat gestatten.“

„Es handelt sich, soviel ich verstanden habe, hier vor allen Dingen darum, Herr Baron, in kürzester Zeit aus einem vernachlässigten und heruntergewirtschafteten Betrieb ein wieder möglichst ertragfähiges Gut zu schaffen. Das ist keine leichte Aufgabe, und ich kann selbstverständlich vorläufig nicht wissen, ob es überhaupt möglich sein wird, sie zu lösen. In jedem Fall würde ich auch nicht einmal den versuch dazu machen, wenn mir nicht in dem, was meines Amtes ist, völlig freie Hand zugesichert wird. Dass ich die Grenzen meiner Befugnisse nicht überschreiten werde, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.“

Der Baron war ärgerlich, mehr als das, empört. Stand dieser junge Mann nicht vor ihm wie ein Gebieter, der seine Befehle erteilt? — Er war nicht gewöhnt, so mit sich reden zu lassen. Schon der ungeschminkte Hinweis auf die verrotteten Verhältnisse Segendorfs kränkte ihn tief. Und wie dieser Mensch sich aufs hohe Pferd setzte, als ob von seinem guten Willen allein das heil Segendorfs abhinge. — Hahaha! Der alte Herr hätte grimmig auflachen mögen. Man würde es ja erleben: in einigen Wochen, höchstens Monaten würde dieser selbstbewusste Herr sicher auch die Büchse ins Korn werfen, und man würde zufrieden sein können, wenn er Segendorf nicht noch ein bisschen mehr „heruntergewirtschaftet“ hätte. Aber einstweilen befand man sich in einer Zwangslage. Da musste man gute Miene zum bösen Spiel machen, so bitter schwer es einem wurde. So sagte er mit erzwungenem Gleichmut: „Ich habe Ihnen völlige Freiheit in dem, was Ihres Amtes ist, zugesichert, das genügt bei einem Segendorf.“

Hans Georg Müller verbeugte sich: „Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, Herr Baron, dass ich die Stellung zunächst auf Probe, für die Zeitdauer von sechs Monaten antrete.“

„Warum?“ fragte der alte Herr misstrauisch.

„Zuerst, weil ich die Verhältnisse hier schlimmer angetroffen habe, als ich fürchtete, und nicht weiss, ob meine Kraft ausreichen wird, mit den vorhandenen Mitteln das, was ich mir vorgenommen habe, auszuführen. Die Felder sind in miserabler Verfassung, ausgesogen bis zur letzten Möglichkeit, das Getreide steht, dass sich einem Landmann das Herz im Leibe umdreht; und auf dem Hof sieht es nicht besser aus, das hat mich ein Blick auf die Gebäude gelehrt. Es wird also harte Arbeit geben, und wenn ich mich vor dieser an sich nicht scheue, so liebe ich doch nicht, möglicherweise nutzlose Arbeit zu leisten. Und dann wird Ihnen vielleicht, oder wir können wohl getrost sagen, sicher,“ jetzt huschte das erstemal ein Lächeln über das Gesicht des Inspektors, „das neue Regiment nicht behagen, und Sie werden mich vielleicht gern, je eher desto lieber, wegschicken.“

„Ich fürchte, dass Sie in sechs Monaten Segendorf auch nicht umkrempeln können“, meinte der Baron sarkastisch.

„Nein, aber ich habe dann einen allgemeinen Überblick und kann beurteilen, ob mein Bleiben einen Zweck hat oder nicht. Ausserdem ist dann die Sommerarbeit vorüber, und Sie haben Musse, einen neuen Inspektor zu suchen.“

„Gut!“ sagte der alte Herr kühl; „die Sache wäre also abgemacht, und ich kann nur wünschen, dass Sie nicht bereuen, dem ‚verrotteten Segendorf‘ sechs Monate ihres Lebens geschenkt zu haben.“

Es klang hohnvoll und hätte den Inspektor beleidigen können; aber der schien den in den Worten enthaltenen Stachel nicht zu merken. Er verbeugte sich und ging.

„Wenn er so viel kann, wie er Selbstbewusstsein besitzt, wird es sehr gut für Segendorf sein“, erklärte der Baron seiner Enkelin und Frau von Siebenstein. „Er scheint reichlich anmassend, dieser Herr Müller. Nimm dich nur in acht, Kleine, dass du ihm nicht etwa in den Weg kommst und ihn in seiner freien Entschliessung behinderst.“

„Ich werde mich hüten, Grosspapa, ihm freiwillig in den Weg zu gehen“, meinte Mite beleidigt. „Ich habe ja gleich gesagt, er würde kein angenehmer Mensch sein“, triumphierte sie dann, und mit einem Seufzer fügte sie wie bekräftigend hinzu: „Und mit dem fortan zusammen leben zu müssen!“

Sie hatte sich umsonst gefürchtet, der Herr Inspektor sorgte selber dafür, dass kein Zusammenleben zustande kam. Gleich am ersten Tag, als man ihn zu Tisch rief, liess er bitten, dass er für seine Mahlzeiten allein sorgen dürfe, er könne sich nicht an bestimmte Essenszeit binden und möchte nicht stören.

„Er wird wohl selber empfinden, dass er nicht zu uns passt“, meinte Mite befriedigt; aber der alte Herr, der ein gemütliches Schwätzchen bei Tisch liebte, ärgerte sich. Das war doch fast eine Nichtachtung, und ausserdem, der Inspektor war mit freier Station angestellt, und wenn er für sein Essen allein sorgte, würde er eine entsprechende Vergütung dafür beanspruchen, eine unnütze Ausgabe.

„Ich möchte nur wissen, wie er sich allein beköstigen will,“ sagte Mite, „wer soll denn für ihn kochen? — Die Frau vom Vogt? ... Speckkartoffeln und Schlippermilch, puh!!“

Der alte Herr meinte geringschätzig: „Das soll nicht unsere Sorge sein.“

„Er wird wahrscheinlich im Krug essen“, sagte Frau von Siebenstein. „Die Wirtin ist eine propre Frau und kocht gut, wenn auch nicht gerade Delikatessen.“

„Na, an die wird der Herr Hans Georg Müller von zu Hause aus ja wohl auch nicht gewöhnt sein“, warf Mite mit gerümpftem Näschen hin. Bei ihr war es ausgemacht, dass der neue Inspektor ein Bauer war, und sie hatte ihn doch bisher nur gesehen und noch kein Wort mit ihm gewechselt. Denn als der Herr Müller pflichtschuldigst bald nach seinem Eintreffen den Damen des Hauses seine Aufwartung machen wollte, waren sie verhindert gewesen, ihn zu empfangen, und er schien der Ansicht, den Pflichten der Höflichkeit nun völlig genügt zu haben. Er machte keinen Versuch mehr, bei den Damen eingeführt zu werden.

Mite sah ihn dann und wann an den Fenstern des Schlosses vorübergehen, wenn er von den Wiesen kam, die sich an den Park anschlossen, und wo zurzeit geheut wurde. Der Wirtschaftshof lag seitwärts, und Mite, die vorher täglich die jungen Lämmer besucht hatte, empfand jetzt, seitdem der „Neue“ da war, eine eigene Scheu, ihn zu betreten. Vermied ihn doch sogar der Grosspapa, weil „er sich nicht dumm kommen lassen wollte“, wie er sich in seiner drastischen Art ausdrückte.

Ein paar Tage nach des Inspektors Ankunft traf sein Reitpferd ein. Der Baron, der es gesehen hatte, kam ganz aufgeregt ins Schloss: „Ein Tier! Donnerwetter! Wie ich es in meinen besten Zeiten als Offizier nicht im Stall gehabt habe! Reinste, edelste Rasse, ein Goldfuchs, einfach süperb — man muss sich seines Kleppers schämen. Wie kommt der Kerl zu solch einem prächtigen Pferd? Ein Reitpferd für zwanzigtausend Mark und ein jährliches Gehalt von kaum zweitausend Mark, wie reimt sich das zusammen?“

„Vielleicht ist er ein reicher Bauernsohn“, rief Frau von Siebenstein; aber der Baron winkte ab: die hätten doch keinen Sinn und Verstand für Rassepferde!

„Na, dann hat er es am Ende gestohlen oder in einer Wette gewonnen“, sagte Mite. Sie meinte es nicht im Ernst und wollte noch etwas Scherzhaftes hinzufügen, aber in diesem Augenblick trat plötzlich der, von dem sie sprachen, durch die offene Türe des Gartensaales auf die Terrasse hinaus, auf der die Herrschaften sich befanden. Mite erschrak, und auch der Baron blickte unangenehm überrascht und ein wenig unsicher. Wie leicht konnte der Inspektor gehört haben, was man von ihm sprach, es schickte sich auch nicht, so unangemeldet daherzukommen.

„Ich bitte um Verzeihung, Herr Baron, dass ich zu stören wage. Im ganzen Erdgeschoss habe ich keinen dienstbaren Geist gefunden, der mich hätte anmelden können, und ich möchte meinen Fuchs nicht gern noch länger der prallen Sonnenglut im Hofe aussetzen. Ich kann ihn nicht in dem Verschlag unterbringen, in dem das Pferd meines Vorgängers unter all den Pferden gestanden hat — das ist mir zu unsicher, und da erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie gestatten, dass ich eine Ecke in dem kleinen Herrschaftsstall, in dem ja nur die beiden Reitpferde stehen, für ihn herrichten lasse.“

„Selbstverständlich!“ rief der Baron rasch; ihm, dem alten Reiteroffizier, wäre es eine Todsünde gewesen, ein so kostbares Tier Ackergäulen zuzugesellen. Seine Gedanken waren so von dem schönen Pferde eingenommen, dass er ganz vergass, den Inspektor seinen Damen vorzustellen, und statt dessen fragte: „Woher haben Sie den Gaul? — Ein Prachttier!“

„Direkt aus dem königlichen Gestüt in Trakehnen, Herr Baron“, sagte der Inspektor ruhig und höflich, aber so knapp und kühl, dass dem alten Herrn die Lust zu weitern Fragen verging, und danach wollte er sich ebenso ruhig kühl verabschieden; aber da fiel dem Baron seine Unterlassungssünde ein.

„Verzeihen Sie, dass ich versäumt habe, Sie bei meinen Damen einzuführen: Unser neuer Herr Wirtschaftsbeamter.“

Mite grüsste ihn würdevoll steif wie eine Matrone und wurde gleich darauf glühend rot, denn es war ihr gewesen, als ob ein spöttisches Zucken um den Mund des „Herrn Wirtschaftsbeamten“ gegangen wäre. Frau von Siebenstein fand es für nötig, ein paar Worte des Bedauerns darüber zu sagen, dass der Herr Inspektor nicht an ihren Mahlzeiten teilnehmen könne, sie hoffe, dass er nicht Schwierigkeiten mit seiner Beköstigung habe.

O nein, er danke, er habe es bei der Krugwirtin recht gut getroffen, schmackhafte Hausmannskost, „wie unsereiner es gewöhnt ist“, fügte er hinzu, und wieder ging das Zucken um seine Lippen.

„Weisst du, Grosspapa, ich glaube, der macht sich lustig über uns“, meinte Mite ganz aufgebracht, nachdem er gegangen war. „Er hat einen so maliziösen Zug im Gesicht.“

„Ach, warum nicht gar!“ verwies sie der Grossvater um so energischer, als er selber ein unbehagliches Gefühl bei der Erinnerung an des Inspektors überlegen kühle Art empfand. „Ich möchte wissen, wie er dazu käme.“

„Aber du selber hast doch öfters schon gesagt, dass Emporkömmlinge zur Überhebung neigen.“

„Na, er soll sich unterstehen!“

„Ich meine, die Hauptsache ist, dass er tüchtig in seinem Fach ist“, warf Frau von Siebenstein in ihrer überlegt ruhigen Art ein. „Ich kann nur sagen, für mich hat sein bestimmtes, sicheres Auftreten etwas Vertrauenerweckendes. “

„Bestimmtes, sicheres Auftreten — da haben Sie recht!“ grollte der Baron. „Der Vogt hat mir geklagt, er drehe die ganze Wirtschaft um, nichts von der alten Ordnung findet Gnade vor seinen Augen, und von den alten Leuten, wie es scheint, auch keiner. Den Hanschek und den Fritsche hat er bereits ’rausgeworfen.“

„Nun,“ meinte Frau von Siebenstein, „der Fritsche ist doch schon wiederholt beim Stehlen ertappt worden, und der Hanschek ist ein Windhund, um die ist’s am Ende nicht schade.“

„Aber es sind alte, auf Segendorfer Verhältnisse eingearbeitete Leute, — was mache ich mit lauter neuem Volk, wenn es dem Herrn Inspektor behagen sollte, in sechs Monaten zu gehen? Wenn er sich auch im weitesten Masse Selbständigkeit des Handelns gesichert hat, aus einfacher Höflichkeitspflicht sollte er mich bei solchen wichtigen Sachen um Rat fragen. Aber ich glaube bestimmt, er hat nur deshalb das Speisen mit uns ausgeschlagen, damit er etwaigen Fragen von mir aus dem Wege geht — man bekommt den Herrn ja kaum den ganzen Tag einmal flüchtig zu Gesicht.“

„Ich verstehe nicht, Grosspapa, wie du einem Untergebenen so viele Freiheiten gestatten kannst“, sagte Mite altklug. „Es ist doch sonst nicht deine Art, und du hast immer verstanden, deine Soldaten in Respekt zu halten, trotzdem dir deine Vorgesetzten gerade deine allzu grosse Nachsicht zum Vorwurf machten.“

Der alte Herr brummte etwas in den Bart, was wie „der Knüppel liegt beim Hunde“ klang, und setzte dann laut hinzu: „Na, in jedem Fall sind wir ja nicht zusammen verheiratet! Wenn es mir zu bunt wird, werde ich den Ablauf des Probehalbjahrs nicht abwarten — es ist nun ein Bankrottmachen.“

Baron von Segendorf war ernstlich verstimmt über das Benehmen des jungen Mannes. Gewiss, er liess es nicht an persönlicher Höflichkeit fehlen, und er überschritt seine Befugnisse nicht um Haaresbreite; denn sobald es galt, für den Privathaushalt des Schlosses Bestimmungen zu treffen, erklärte er sich für nicht zuständig und zog sich völlig zurück; aber der Baron würde denselben Takt besitzen, wenn der junge Herr aus purer Höflichkeit den alten in seine Bestrebungen einweihen wollte. Und dann, der Baron war eine gesellige, häusliches Behagen liebende Natur, er hatte aus dem Briefwechsel mit dem neuen Inspektor die Überzeugung gewonnen, dass er es mit einem gebildeten Mann zu tun habe, und sich gefreut auf ruhige Plauderstündchen und ein gemütliches Kartenspiel nach Feierabend. Und nun war er wieder auf sich allein angewiesen wie bei dem verflossenen Inspektor, der wirklich ein Bauer und ein unsympathischer Mensch gewesen war.

Hans Georg Müller war ein Gentleman, der alte Herr musste es sich widerwillig eingestehen, sein Benehmen war ebenso tadellos wie sein Reitpferd, seine Wäsche, seine Kleider, die pflege seines äusseren Menschen. Bei allen Strapazen blieb er in seiner Erscheinung doch stets der Kavalier. Und die Strapazen, denen er sich unterzog, waren nicht gering. Er war früh der erste auf und des Abends der letzte im Bett, — ja es machte den alten Herrn, der zuzeiten an Schlaflosigkeit litt, geradezu nervös, wenn er bis tief in die Nacht hinein Licht aus den Fenstern der Inspektorwohnung zu seinem Zimmer hinüberscheinen sah. Und er, der doch sonst die Diskretion des seinen Mannes besass, brachte es dann fertig, seinen Krimstecher zu holen und mit dessen Hilfe festzustellen, dass Hans Georg Müller noch über den dicken Wirtschaftsbüchern sass, die des alten Herrn Entsetzen waren.

Welch ein seltsamer Mensch war das! Was zum Kuckuck hatte ihn veranlasst, sich in die Last und Arbeit von Segendorf zu stecken? Was konnte dem Mann, der über so kostspieliges Rüstzeug eines weltmännischen Daseins verfügte wie dieser Müller, ein Monatsgehalt von zweihundert Mark bedeuten? Das bezahlte er für einen einzigen seiner Anzüge. Der Gutsherr selber konnte sich keinen besonderen Reitknecht halten, der Diener aus dem Schloss musste dessen Befugnisse mitbesorgen, der Herr Inspektor aber hatte seinen eigenen Diener mitgebracht und beköstigte ihn aus seiner Tasche.

Das ganze Verhältnis passte dem alten Herrn nicht, drückte ihn nieder, beschämte ihn. Aber wenn er den Inspektor dafür verantwortlich machen wollte, musste er sich mit seiner Ehrlichkeit eingestehen, dass er ihm unrecht tun würde. Er trat ihm immer höflich, ja bescheiden entgegen, wie es sich für den Untergebenen dem Herrn gegenüber schickte, nur wo es sich um sein Amt handelte, zog er mit ruhiger Bestimmtheit eine Grenze: Bis hierher und nicht weiter. Ich habe die Verantwortung übernommen, ich lasse mich nicht stören.

Und was seine vornehmen Gewohnheiten anbetraf: da war nicht das geringste Protzige in seinem Auftreten. Man merkte, der junge Mann war gewöhnt, in dieser Art zu leben, eine gewisse, solide Eleganz war ihm einfach zur zweiten Natur geworden. Zweifelhaft allein blieb einstweilen seine Tüchtigkeit in seinem Beruf, und über diese konnte der alte Herr nach so kurzer Zeit noch nicht urteilen, und wollte es nicht. Er war zu gewissenhaft dazu, dem Inspektor möglicherweise unrecht zu tun. Denn bisher hatte er eigentlich nichts als Klagen über ihn gehört: von den Dienstleuten, denen der alte Schlendrian besser behagt hatte als das neue, straffe Regiment; — von den Lieferanten, die abgelehnt worden waren, weil der Inspektor ihre Waren minderwertig fand; — vom Dorfschmied, der wegen des vernagelten Hufes des Kutschpferdes einen tüchtigen Rüffel erhalten hatte.

Überall hiess es: der will mit dem Kopf durch die Wand, na, er wird sich ja bald eine hübsche Beule gerannt und die Sache satt haben. Der hält nicht länger aus als die andern. Der Baron meinte dasselbe, und er wusste nicht, ob er es wünschen oder fürchten sollte, Persönlich hätte er gern den Herrn Hans Georg Müller ins Pfefferland gewünscht, aber wenn er an Segendorf dachte, da wollte trotz aller Mutlosigkeit doch immer wieder ein leiser Hoffnungsschimmer vor ihm aufleuchten. Tatkraft besass der Neue und guten Willen, wie es schien, auch; also abwarten!

Rittmeister Segendorf

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