Читать книгу Rittmeister Segendorf - Elisabeth Krickeberg - Страница 8

6. Kapitel.

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Mite zürnte dem Grosspapa bitter. Es war doch fast, als ob er den fremden Menschen der eigenen Enkelin vorzöge. Und nun schämte sie sich nicht mehr vor dem Inspektor und fühlte sich nicht mehr bedrückt durch ihn. Wenn er ihr die Liebe des Grossvaters raubte, dann war all sein Verdienst wettgemacht. Der Trotz beherrschte sie nun ganz und gar. Jetzt würde sie ihm auch nicht mehr ausweichen, sondern mit erhobenem Kopf kalt, gleichgültig an ihm vorübergehen.

Und just am Nachmittag desselben Tages noch ereignete es sich, dass sie ihn traf.

Zu Mites Lehraufgabe gehörte es, dass sie sich um die kranken Gutsleute kümmerte, was bisher Tante Siebenstein allein getan hatte. Nun hatte das Stubenmädchen die Nachricht gebracht, dass die alte Siebeln sich schlecht befinde und zu Bett läge, und Mite machte sich sogleich auf, nach ihr zu sehen. Das Gesindehaus lag nur ein paar Schritte vom Wirtschaftshof entfernt; so ging Mite, wie sie da war, ohne Hut, das Körbchen mit Erfrischungen am Arm, über den Hof, den sie seit der Reitpferd-Angelegenheit nicht mehr betreten hatte. Ja, sie hatte nicht einmal die Schürze abgebunden — dieser Müller war jetzt Luft für sie.

Da, gerade als sie an der Türe des Gesindehauses angelangt war, trat er heraus. Er stutzte, als er sie sah, grüsste zögernd, wie überlegend, dann sah er ihr voll ins Gesicht und sagte entschlossen:

„Wie ich sehe, wollen Baronesse die kranke Siebeln besuchen — ich muss dringend davon abraten. Die Frau hat hohes Fieber, und ich habe den bestimmten Verdacht, dass es sich um eine Infektionskrankheit, wahrscheinlich wohl Typhus, handelt. Da liegt also die Gefahr der Ansteckung vor.“

Sie hatte es nicht verhindern können, dass sie bei seinem plötzlichen Erblicken glühend rot geworden war, aber sie nahm sich gewaltsam zusammen. „Ich fürchte mich nicht vor Ansteckung“, sagte sie kalt, mit einer hochmütig abweisenden Bewegung des Kopfes und wollte an ihm vorüber zur Türe.

Er aber versperrte ihr mit seiner vollen Breite den Eingang. „Ich bedaure, aber ich kann dem gnädigen Fräulein nicht gestatten, die Frau zu sehen.“

Da fuhr sie in flammender Erregung empor. „Sie ... können mir nicht gestatten —“

„Baronesse vergessen, dass das hier mein Bereich ist, in dem ich unumschränkter Herrscher bin.“ Er sagte es mit einem trüben Lächeln. „Gnädiges Fräulein können versichert sein, dass ich mir selber auf die Rolle, die ich spielen muss, nichts einbilde. Der Widerwille, dem ich bei dem gnädigen Fräulein bereits begegne, genügt mir vollkommen, und ich trage nicht Verlangen, ihn noch zu vermehren; aber das kann mich nicht dazu bewegen, meine Pflicht zu vernachlässigen, und die zwingt mich, Baronesse von dieser Schwelle zu weisen.“

Seine Pflicht, sagte er, also durchaus nicht etwa Besorgnis um sie, einer etwaigen Ansteckung wegen. Aber das war auch nicht einmal sein Pflichtgefühl, sondern lediglich der Wunsch, ihr wieder einmal seine Überlegenheit zu zeigen. Ihr Auge sprühte ihn an.

„Und meine Pflicht als Tochter der Gutsherrschaft ist es, mich um die kranken Untergebenen zu kümmern! Also Pflicht gegen Pflicht; es fragt sich nur, wer die seine mit dem grösseren Nachdruck behaupten wird. — Unzweifelhaft Sie, Sie sind ja der Herr, der Stärkere, da hat die Frau zu weichen.“

Ein eigentümliches, halb spöttisches, halb trauriges Lächeln spielte um seinen Mund, als er erwiderte:

„Allerdings, unzweifelhaft werde ich hier der Stärkere sein! — Was das gnädige Fräulein mir für Beweggründe unterlegen, darf mich nicht beirren, um so weniger, als ich mich des Einverständnisses des Herrn Barons sicher weiss. Ausserdem — es ist bereits alles für die Kranke geschehen, was geschehen konnte. Arzt und Krankenwagen sind bestellt, denn natürlich muss sie nach dem Krankenhaus geschafft werden, und was gnädiges Fräulein ihr da an Erfrischungen bringen möchten, dürfte und könnte sie vorläufig doch nicht geniessen. Baronesse können also über eine etwaige Pflichtversäumnis ganz beruhigt sein.“

Er hatte sie also wieder einmal geschlagen mit seiner kühl sichern, überlegenen Art, der gegenüber sie sich immer wie ein dummes Schulgör vorkam. Schon seine öde Art, sie nie direkt, sondern immer in der dritten Person anzureden, zehnmal in einem Satz „gnädiges Fräulein“ oder „Baronesse“ zu sagen, empörte sie. Er bewies ihr damit am deutlichsten seine Geringschätzung; denn wenn man über einen andern rechtschaffen ärgerlich ist, dann lässt man gern einmal die Etikette beiseite und redet als Mensch zum Menschen. Das Tun und Lassen der Baronesse Segendorf war ihm zu gleichgültig, um sich über sie zu erzürnen. Sie stand einen Augenblick ratlos, den Blick gesenkt, die Lippen fest aufeinandergepresst und die Stirn finster zusammengezogen.

Müller betrachtete sie schweigend, und dabei kam ein weicher Ausdruck in seine Züge, und sein Blick trübte sich.

„Ich weiss, dass gnädiges Fräulein mich für einen ungeschlachten Bauern halten, und mit Recht! — Ich stamme aus Bauernblut, aber ich bekenne es mit Stolz, denn es ist unverfälschtes, deutsches Blut, und mein Geschlecht ist so alt und so ehrenwert wie das der Freiherren von Segendorf. Wenn also, wie es scheint, untadelige Herkunft der Massstab für den Wert des Menschen in den Augen der Baronesse bildet, so braucht sich das gnädige Fräulein nicht bedrückt zu fühlen, einmal einem Bauern weichen zu müssen, da das Wörtchen ‚von‘ ja lediglich Zufallswert hat.“

Da hob sie den Kopf und sah ihn gross und furchtlos an:

„Es scheint doch nicht so, Herr Müller. Wenn das Wörtchen ‚von‘ ursprünglich auch eine Zufallserwerbung war, die ebensogut Ihre Vorfahren wie die meinen äusserlich erhöhen könnte, es hat daneben doch auch eine innere Bedeutung, die Mahnung und Pflicht zu verfeinerter Kultur. Sie wissen so gut wie ich, und sogar noch etwas länger als ich, dass einige meiner Vorfahren als Menschen schlimme Fehler gehabt haben, sie hätten aber sicher zu ritterlich empfunden, um eine Dame ihre Überlegenheit in dieser Art fühlen zu lassen und ihr durch einen Vergleich, der zu ihren Ungunsten ausfallen muss, die Röte der Scham ins Gesicht zu treiben. Grossvater sagt, wir sind Ihnen viel Dank schuldig, und ich müsste glücklich sein, dass mir Ihre aufopferungsvolle Tüchtigkeit mein dereinstiges Erbe erhält. Ich bin es nicht, ich kenne nichts Demütigenderes, als ein pekuniäres Geschenk aus fremden Händen annehmen zu müssen, und es wäre mir lieber, durch eigene Arbeit mir mein bescheidenes Brot erwerben zu dürfen, als zeitlebens gewissermassen von Almosen zu leben. Ich kann Ihnen also nicht so danken, wie ich es müsste,“ ihre Stimme wurde erregter, „ich kann’s um so weniger, als ich nicht besser als Grosspapa verstehe, warum Sie, gerade Sie, sich zu unserem Retter gemacht haben. Ein Mann wie Sie tut nichts ohne Grund, und welcher Grund könnte Sie dazu getrieben haben, das Ihnen gänzlich fremde Geschlecht der Segendorf vor einem schimpflichen Ruin zu bewahren, ohne dass Sie selber den geringsten Vorteil, ja eigentlich nichts weiter als Last und Mühe und womöglich zu allerletzt noch argen Undank dabei haben?“

„Also mit andern Worten, Sie wittern geheime egoistische Beweggründe hinter meinem Verhalten.“ Er sagte es kurz und hart, und jetzt redete er sie auch direkt an. „Eines Tages werde ich darauf antworten, nicht heute und nicht Ihnen. Eine Frau, die so unklug ist, aus verletzter Eitelkeit einem kleinlichen Zorn so viel Macht über sich selbst einzuräumen, dass sie sich nicht scheut, die ganze Zukunft ihrer Familie zu dessen Befriedigung aufs Spiel zu setzen, ist nicht reif genug, ernste Sachen ernsthaft mit ihr zu verhandeln. Nur so viel will ich Ihnen noch sagen, dass Sie mir gar keine grössere Beleidigung antun könnten, als wenn Sie je daran dächten, mir zu danken. Meine Hilfe leiste ich lediglich und nur ganz persönlich dem Herrn Baron, die Familie Segendorf geht mich nichts an, und ich werde ja doch für meine Arbeit bezahlt, so gut wie die Mägde und Knechte!“

Ein schneidender Hohn lag jetzt in seiner Stimme. War es nicht gerade, als ob dieser Mensch ihre Gedanken lesen könnte? Er lüftete seine Mütze, wandte sich, und ohne sich noch weiter um sie zu kümmern, ging er von dannen, hoch aufgerichtet, mit festen, energischen Schritten.

Nun war es gänzlich aus zwischen ihnen, und eine Versöhnung, ja nur ein gleichgültiges Nebeneinander für immer vorbei.

Mite lief umher „wie ein Kossäte, dem die Schoten verhagelt sind“, meinte der Grosspapa drastisch, aber im geheimen ruhten seine Augen mit Sorge auf ihr, wie die der Frau von Siebenstein. Das Mädel war blass und still, und sie hielt sich ganz für sich. Dabei lag auf ihrer Stirn ein finsterer Schatten, der ihre einst so sonnige Art sehr zum Nachteil veränderte.

Die Mite in ihrer taufrischen, strahlenden Blondheit war dazu geschaffen, Heiterkeit und Behaglichkeit um sich zu verbreiten, jetzt fröstelte es den Grosspapa in ihrer Nähe, und sie selber konnte nicht gedeihen in einer Umgebung, der es an Licht und Wärme fehlte.

War es denn wirklich möglich, dass der Inspektor Müller diese nachteilige Veränderung bei seinem Herzenskind hervorgerufen hatte? Hasste sie ihn so sehr, dass sie seelisch elend dabei wurde? Das war doch schier ein Unding, dazu lag doch kein einziger triftiger Grund vor — verletzte Mädcheneitelkeit pflegt sich doch sonst nicht so bitter tragisch zu äussern.

Er fragte Frau von Siebenstein, was sie davon halte. Die zuckte die Schultern. So etwas müsse man gehen lassen, wie es ginge, mit ungeschickten Fingern könnte man da viel Unheil anrichten, solch junges Mädchen habe eben manchmal seine Launen.

Launen! grollte der Baron, wenn ein alter Mensch Launen habe, so sei das allenfalls verzeihlich, aber ein junger, dem der Himmel noch voller Geigen hinge? Das wäre ja noch schöner! Und das glaube er auch nicht von seiner Mite. Er war ärgerlich, Frau von Siebenstein nahm das sehr leicht, möglicherweise war das Kind krank.

Dann kam ein Tag, da stieg dem alten Herrn doch auch einmal wieder ein Zorn gegen diesen Müller zu Kopf.

In der Umgegend war Manöver, die Einquartierung hatte sich jedoch nicht bis nach Segendorf hinziehen sollen, aber dann stellte sich plötzlich starker Regen ein, ein angesetztes Biwak konnte nicht stattfinden, und die Truppen bezogen Notquartiere. Auf Gut und Dorf Segendorf verteilte sich eine Schwadron Ulanen, ausserdem nahm der Regimentsstab auf Schloss Segendorf Unterkunft.

Müller war am Morgen, von diesem Überfall nichts ahnend, in Geschäften nach der Stadt geritten und noch nicht wieder daheim, als die Einquartierung einrückte.

Der Baron, hocherfreut über den unverhofften Besuch von Kameraden, bewillkommte eben den Oberst Grafen Bengerow auf der Rampe vor dem Schloss, als in höchster Eile Müller angaloppiert kam. Er hatte unterwegs von der Einquartierung gehört und ihr möglichst zuvorkommen wollen, um seine Anordnungen zu treffen.

„Donnerwetter, ein schönes Tier!“ rief der Oberst unwillkürlich, als der Inspektor von dem schweissgebadeten Goldfuchs sprang. „Was,“ unterbrach er sich erstaunt, „das ist ja Kamerad Müller, wie kommt der hierher?“

„Wer?“ fragte der Baron, „Kamerad Müller?“

„Freilich, Oberleutnant der Reserve in meinem Regiment, kennen Sie den Herrn nicht?“

„Ob ich ihn kenne! — Es ist mein Inspektor ... Kamerad Müller ... das muss ein Irrtum sein, Herr Graf.“

„Ich bin eher geneigt, es für einen Irrtum zu halten, dass dieser Herr Ihr Inspektor — Verzeihung; aber es scheint so unglaubhaft, sein Vater besitzt selber ausgedehnte Güter drüben in Ostpreussen ... schwer reich — ein Grossgrundbesitzer. Das Offizierskorps verkehrt viel draussen auf seinem Gut; ein jüngerer Sohn steht als Leutnant bei den Danziger Husaren, und seine Tochter ist mit Rittmeister Behrendahl verlobt, der mit seiner Schwadron drüben in Herbstwalde im Quartier liegt. Und Hans Georg ist Inspektor bei Ihnen?“

Der Baron starrte den Sprecher verständnislos an. „Das begreife, wer kann.“

„Ja, mein Gott, wissen Sie denn das alles nicht? — Übrigens wenn Sie es mir nicht glauben wollen, da sehen Sie, wie die jungen Offiziere ihn als Kameraden und Freund begrüssen!“

Der alte Herr schüttelte noch immer ratlos den Kopf. „Dann hat mich dieser Müller unverantwortlich hintergangen! — das heisst, verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Graf,“ lenkte er schnell ein, als er den misstrauisch erstaunten Blick des Obersten auffing, „er hat mir nicht etwa Falsches vorgeflunkert! Dieser Mensch ist ein Ehrenmann im wahren Sinn des Wortes, aber er hat mir jeglichen Aufschluss über seine Herkunft vorenthalten. Ich weiss nicht einmal, dass er noch einen Vater besitzt. Als simpler Wirtschaftsbeamter ist er für ein bescheidenes Gehalt bei mir eingetreten, und er hält sich ganz in den Schranken eines solchen, erhebt nicht die geringsten Ansprüche auf standesgemässe Behandlung und arbeitet dazu für zwei. Was bedeutet das? Was bezweckt er damit?“

„Das kann ich freilich nicht wissen, Herr Baron; aber ich meine, sein Reitpferd allein verrät, dass er kein simpler Inspektor sein kann.“

„Gewiss, das hat auch mich in Erstaunen gesetzt; aber da sein Besitzer so gar kein Aufhebens von der eigenen Person machte und seine untergeordnete Stellung durchaus in der Ordnung zu finden schien, habe ich mich schliesslich mit dem Gedanken abgefunden, dass er der Sohn irgendeines wohlhabenden einfachen Mannes vom Lande, eines Bauern, Schneidemüllers oder dergleichen sei, und da er aus Ostpreussen stammt, möglicherweise Beziehungen zu Trakehnen habe, mit deren Hilfe er dies kostbare Tier zu einem erschwingbaren Preis erlangen konnte. Es ist immer etwas an diesem Müller gewesen, was mir rätselhaft war, jetzt ist mir der ganze Mensch ein Rätsel.“

„Nun, vielleicht reizt es ihn, sich selber einmal zu beweisen, dass er sich so gut sein Brot verdienen kann, wie irgendein anderer auf den Erwerb angewiesener junger Mann. In jedem Fall kann man Ihnen Glück wünschen zu der Erwerbung dieses Inspektors, sein Vater führt eine Musterwirtschaft, und der Sohn tritt in seine Fusstapfen.“

Der Baron brach das Gespräch ab, die ganze Sache war ihm peinlich. In welch missliche Lage hatte ihn das unbegreifliche Schweigen dieses Müller dem Obersten gegenüber gebracht, was musste der über sein Verhältnis zu seinem Inspektor denken, wenn er nicht einmal die einfachsten Tatsachen von dessen Herkunft kannte.

Gewiss, Müller hatte ihn nicht belogen, ihm „nichts vorgeflunkert“. Als Hans Georg Müller aus Schwentien war er bei ihm eingetreten, und es lag keine Verpflichtung für ihn vor, ihm zu offenbaren, dass er Reserveoffizier und selber Grossgrundbesitzer sei; aber aus Gründen der Höflichkeit und des Taktes hätte er es ihm nicht verschweigen dürfen, um ihm Beschämungen und unangenehme Überraschungen zu ersparen.

Dem alten Herrn stieg jetzt das Blut zu Kopf, wenn er daran dachte, dass er diesen Müller in dem einfachen Dorfkrug speisen liess, dass er ihm in der ersten Zeit sein Misstrauen und seine gesellschaftliche Überlegenheit deutlich gezeigt, ihm die Schranken seiner untergeordneten Stellung genau gewiesen hatte. Wie mochte der junge Mann aus reichem, angesehenen Hause sich im geheimen über den verarmten, anmassenden Adeligen lustig gemacht haben, und dann das Benehmen Mites Müller gegenüber, Bombenelement, man musste sich die Augen aus dem Kopfe schämen! Aber das Mädel sollte ihm dafür büssen, — und die Siebenstein auch, weil sie ihr „Goldkind“ nicht zur Räson gebracht hatte.

Er lief noch immer aufgeregt in seinem Zimmer auf und ab, als ihm der, an den er mit so viel Eifer und Unmut dachte, gemeldet wurde. „Sie kommen wohl, um sich an meiner Verlegenheit zu weiden, Herr Müller,“ empfing er ihn, „und zu hören, wie es sich ausnimmt, wenn ein alter Mann einen jungen um Verzeihung bitten muss.“

„Ich wüsste nicht, Herr Baron, aus welchen Gründen Sie mich um Verzeihung zu bitten hätten! Im Gegenteil, ich bin gekommen, um Ihnen meine Bitte um Verzeihung zu sagen.“

„Haben’s auch nötig, das weiss der Deibel; denn solche Heuchelei — nehmen Sie es mir nicht übel —“

Müller unterbrach ihn: „Ich weiss, was Sie meinen, Herr Baron, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich aus bestimmten Gründen zu diesem Versteckspielen gezwungen war und auch jetzt noch nicht in der Lage bin, Ihnen über das Warum Aufklärung zu geben. Aber was liegt denn auch Besonderes vor? Ich habe vielleicht nicht nötig, eine Stellung anzunehmen und zu arbeiten, wie ich es hier tue. Das erstere ist geschehen aus einer Veranlassung, die ich Ihnen eines Tages auseinandersetzen, und die Sie dann sicher auch verstehen und billigen werden, und das zweite geht einfach notgedrungen aus dem ersten hervor. Denn wenn ich eine Pflicht übernommen habe, so pflege ich sie auch stets nach besten Kräften zu erfüllen.“

„Gut, Sie mögen einen Grund haben, eine Stellung anzunehmen; welchen Grund aber könnte es geben, durch Verschweigen gerechtfertigter Ansprüche freiwillig auf die Verbesserung eines ‚Dienstverhältnisses‘, nennen wir es beim rechten Namen, zu verzichten?“

„Herr Baron, ich bin auf Segendorf lediglich Inspektor, nichts weiter, und nebenbei, wie ich hoffe, ein anständiger Mensch, ich wünsche keine bessere Behandlung, als diesen beiden zukommt; was darüber hinausliegt, würde mich nur in meiner Bewegungsfreiheit hindern —“

„Die Ihnen allerdings sehr hoch steht“, unterbrach ihn der Baron.

„Gewiss! Die mir unbedingt notwendig ist —“

„Na und nun — da das Geheimnis Ihrer Person nun einmal teilweise gelüftet ist?“

„Das beklage ich tief, Herr Baron, aber ich wüsste nicht, dass es irgendeine Änderung des Bestehenden herbeiführen könnte.“

„Sie wollen doch nicht sagen, dass unser Verhältnis weiter wie bisher bestehen soll, dass Sie der Packesel bleiben wollen, das Mädchen für alles hier auf Segendorf, der simple Inspektor, der denkbar bescheiden wohnt, im Dorfkrug speist, mit den Knechten des Morgens aufsteht, ja, der ärger schuftet als ein Knecht?“

„Ich will das nicht nur sagen, Herr Baron, ich stelle es geradezu als Bedingung für mein ferneres Bleiben. Ich habe Ihnen versichert, Herr Baron, dass ich ausführe, was ich mir einmal vorgenommen habe. Ich setze meine Ehre darein, den Betrieb auf Gut Segendorf in ein ruhiges, gesichertes Fahrwasser zu leiten; ist mir das gelungen, trete ich ab — nicht eher, und bis dahin bitte ich Sie, mich frei gewähren zu lassen, wie Sie es mir ja kontraktlich zugesichert haben.“

„Das ist ja eine ganz verkehrte Welt“, rief der alte Herr. „Sie bitten mich, Ihnen zu gestatten, sich für mich, einen Ihnen fremden Menschen, abzuplagen, Ihr Wissen, Ihre Kraft für ein Trinkgeld zu opfern und dabei unbehaglicher zu leben, als Sie es je gewöhnt waren, sich von einem kleinen törichten Mädel schlecht behandeln zu lassen ...“

Da hob Müller, Einhalt gebietend, seine Hand: „Das bitte ich noch besonders, Herr Baron, dass Sie dem gnädigen Fräulein keine Aufschlüsse über meine Person geben und ihm um meinetwillen auch nicht den geringsten Vorwurf machen. Ich bitte Sie, Herr Baron, mir das zu versichern, es gehört mit zu den Bedingungen, die ich für mein Bleiben stelle.“

„Ich kann mir denken, dass Sie sich den Kuckuck um die Mite kümmern, und ihr selber ist eine Beschämung als Strafe wohl zu gönnen; aber es beschämt mich mit, und das ist für den alten Segendorf eine neue Lage, die ihm nicht beneidenswert erscheint, mein junger Freund.“

„Der Baron von Segendorf hat wahrhaftig nicht nötig, sich beschämt zu fühlen. Ich hatte gehofft, mein Geheimnis bis zu dem Augenblick bewahren zu können, da ich meine Aufgabe für abgeschlossen betrachten darf, weil ich die Skrupel voraussah, die Sie, Herr Baron, empfinden würden über die an sich so einfache und verständliche Tatsache, dass ein junger Mann in einer nicht ganz leichten Aufgabe seine Kräfte zu bewähren und zu stählen sucht. Er hat Ihnen zum mindesten so viel zu danken wie Sie ihm, und ein Grund, sich bedrückt zu fühlen, liegt für keinen von beiden vor. Also ich wiederhole meine Bitte, Herr Baron, alles beim alten zu belassen, oder ich sehe mich gezwungen, zu gehen.“

„Sie setzen mir das Messer an die Kehle, denn Sie wissen ganz genau, dass Sie mir unentbehrlich sind und ich tun muss, was Sie wollen. Also es sei denn, wie Sie es wünschen, und seien Sie versichert, dass ich mir in meinem ganzen Leben noch nicht so edel und grossmütig vorgekommen bin, wie in diesem Augenblick, da ich einem Mann, den ich hochschätze, die Erlaubnis erteile, meinetwegen in unwürdigen Verhältnissen zu verharren“ — er lachte bitter spöttisch auf — „hätte nicht geglaubt, dass ich noch im Alter lernen sollte, die Augen niederzuschlagen. — Na ...“, er machte eine verächtliche Gebärde mit der Hand, „es kommt nun auf eins heraus, lassen wir es für heut ...! Sie werden doch nachher unser Gast sein beim Essen?“

„Ich wollte mir eben Ihre Erlaubnis erbitten, nach Herbstwalde hinüberzureiten, wo mein zukünftiger Schwager im Quartier liegt.“

„Sie sind Ihr freier Herr, mein Lieber, ich gebe Ihnen aber zu bedenken, dass bei der Anwesenheit Ihrer Kameraden auf Segendorf Ihr Fernbleiben vom Essen mich den Herren gegenüber nicht gerade in ein besseres Licht setzen wird, als ich bei ihnen wegen Ihres Verhältnisses in meinem Hause ohnehin bereits stehe.“

Einen Augenblick noch schwankte Müller, dann sagte er: „Ich nehme mit Dank an und werde erscheinen.“

Rittmeister Segendorf

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