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Alles klar, Herr Kommissar?

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(Falco)


Für Commissaire Etienne Bruno begann der Tag nicht so angenehm. Neben ihm lagen keine Schönheiten, nicht mal eine davon - die andere Seite seines Bettes war seit mehr als einem Jahr verwaist. Seit Josephine nicht mehr da war, bestand sein Leben nur noch aus der Pflicht und die ließ keine Zeit für Vergnügungen. Natürlich gab es da noch Pierre, seinen zehnjährigen Sohn. Doch auch er war nicht gerade das, was sich ein Vater wünschen konnte. Jedenfalls in letzter Zeit. Der Junge hat es auch nicht leicht, so ganz ohne Mutter aufzuwachsen!, dachte Bruno und schleppte sich aus dem Bett. Das Bild von Josephine zeigte ihr auf Ewigkeiten eingefrorenes Lächeln. Während die Kaffeemaschine müde hustend den Kaffee in die Kanne spie, wollte Bruno seinen Sohn wecken. Wenigstens einer der schlafen konnte. Ihm selbst war das Schlafen nicht gegönnt, ohne dass ihn mindestens einmal in der Nacht dieser Albtraum mit den schrecklichen Bildern überfiel. Und jedes Mal war er so wehrlos und musste mit ansehen, wie dieser Vampir seine Josephine angriff. Nie zuvor glaubte er an so etwas wie Vampire, bis er einen sah. Nachdenklich versuchte er die Traumgebilde der letzten Nacht zu verscheuchen. Doch es half nicht, diese Bilder würden bis ans Ende der Zeit in seiner Hirnmatrix eingebrannt bleiben.

Er klopfte an die Tür. Neuerdings wollte es sein Sohn so und er als Vater, respektierte diesen Wunsch.

»Pierre? Aufwachen! Madame Rozier kommt gleich, bis dahin solltest du dich gewaschen haben«, ermahnte der Vater sanft seinen Sohn. »Ich weiß, dass die Rozier ist eine alte Hexe ist, aber mein Freund, sie ist die einzige die sich überhaupt bereit erklärt, auf dich ein Auge zu werfen. Alle anderen hast du schon vergrault. Man bekommt eben das, was man verdient. Auf, auf! Die Sonne lacht!«, meinte Bruno und dachte daran, dass es nur für die Sonne etwas zu lachen gab. Nochmals wollte Monsieur Bruno an die Tür klopfen, ließ es jedoch bleiben. Seinem Sohn die Zeit zu lassen die er brauchte, hielt er für richtig.

Da Pierre sein eigenes Badezimmer besaß, schlurfte Etienne in das seinige, warf einen Blick in den Spiegel und erschrak wie jedes Mal. Diese Bestie hatte ihm ein bleibendes Andenken verpasst. Zwar nicht körperlich schmerzhaft, doch erinnerten die drei Narben ihn jeden Tag daran, dass er, obwohl Polizist, als Beschützer ein Versager war. Auch das graue Haar war für ihn immer noch ungewohnt. Dafür fühlte er sich eindeutig zu jung. Nach dem Duschen und Rasieren begab er sich in die Küche und versuchte seinen Kaffee zu genießen. Jedenfalls gab er sich Mühe, doch die Plörre schmeckte schrecklich. So wie jeder Kaffee, der nicht von Josephine aufgebrüht worden war. Deprimiert versuchte sich Bruno auf die Zeitung zu konzentrieren, doch die Zeit reichte nicht, um auch nur einen Fetzen zu lesen. Dabei hätte er sich Zeit nehmen sollen, der Leitartikel handelte von ihm und der Pariser Polizei. Auch ein Foto von ihm war abgebildet, eher weniger schmeichelhaft zeigte es ihn bei der unschönen Tätigkeit, wie er aufgebracht einen seiner Schuhe auf den Pressefotografen abfeuerte. Im Bildhintergrund hielt ihn ein großer, dunkelhaariger Bursche an der Jacke fest. Letztendlich war es Bruno wieder einmal gelungen die Presse dermaßen zu erzürnen, dass sie die Frage stellte, in wieweit die Polizei noch fähig sei den Bürger zu schützen. Und was sie bei einer Invasion Außerirdischer tun wolle. Etwa mit Schuhen werfen?

Die Türklingel gab einen enervierenden Ton von sich. Der Commissaire seufzte und zündete sich eine Zigarette an, die er sofort ausdrückte, weil er seinem Sohn ein Versprechen gegeben hatte. Obwohl Madame Rozier einen Türschlüssel besaß, versäumte sie es nie ihre Anwesenheit durch einen langgezogenen Klingelton anzukündigen. Sie war eine ältere Dame und schätzte noch so etwas wie Diskretion.

»Bonjour, Monsieur Bruno! Haben Sie etwa wieder geraucht?«, krähte Madame Rozier, die lautstark ihren Schlüssel in die dafür vorgesehene Schale warf.

»Bonjour, Madame Rozier. Wer raucht denn hier?«, fragte Bruno und versuchte zu lächeln. Für ihn fühlte es sich falsch an und erreichte seine Augen nicht, die seltsam leer blieben. Kein Funke Freude war darin.

»Madame Rozier, was gibt es Neues?«, fragte Bruno, der es eigentlich gar nicht hören wollte. Wenn die Alte erst einmal gefragt wurde, betrachtete sie es als Freibrief für ihre Gebrechens-Sammlung, die sie ihm ungeschönt aufzählen würde. Doch diesmal war es anders.

»Wenn Pierre nicht sämtliche Busverbindungen in die Stadt kennen und seine Finger bei sich behalten würde, gäbe es nichts zu klagen, außer meiner Arthrose im Knie, die ist heute besonders schlimm.«

»Was?«, fragte Bruno entsetzt.

»Wenn Sie mit ihm im Wohnmobil fahren würden, würde er nicht immer schwarz mit dem Bus fahren! Wann fahren Sie endlich mit dem Wohnmobil in den Urlaub?«, brachte Madame Rozier zur Sprache.

»Wenn ich in der Lotterie gewonnen habe! Ich muss meinen Sohn etwas zu essen geben, ihm ein Dach über dem Kopf bieten und seine Hausdame bezahlen«, gab Bruno lahmer, als beabsichtigt, von sich.

»Wissen Sie was? Ich habe gehört, man wird eher von einem Blitz getroffen, als in der Lotterie gewinnen. Mir wäre es aber nicht recht, dass Sie vom Blitz getroffen werden, ich hätte es lieber, Sie würden vorher fahren! Außerdem würde ich selbst gern mal wieder Urlaub machen. Wissen Sie, was er gestern wieder angestellt hat?«

»Bitte Madame Rozier, bringen Sie es mir schonend bei«, seufzte Bruno.

Die ältere Dame setzte sich laut ächzend auf den Stuhl, erwähnte nochmals ihr Knie und legte los:

»Schonend, ja? Er war wieder in der Innenstadt und hat lange Finger gemacht. Sich diesmal einen MP3-Player unter den Nagel gerissen. Als ich fragte, woher er ihn hat, meinte er, der wäre ein Geschenk«, berichtete die alte Dame. Bruno bedeckte seine Augen und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Bitte, wer schenkt ihm - so mir nichts, dir nichts - einen MP3-Player? Warum tut er das nur? Ich bin Polizist und er ein Dieb? Dabei haben wir erst gestern über Diebstahl gesprochen. Noch ist er nicht alt genug, doch eines Tages wird er dafür ins Gefängnis kommen! Wo bleibt er eigentlich?«

Plötzlich ereilte ihn ein seltsames Gefühl, beinahe so etwas wie eine Panikattacke. Er rannte in Pierres Zimmer, diesmal ohne anzuklopfen. Das Bett war leer. Der Vogel ausgeflogen. Doch nicht dem Bett entrissen, sondern entflohen. Auf Pierres Kopfkissen grinste ein Blatt Papier mit einem Smilie. Das Fenster war nur angelehnt. Verdammt!, dachte Bruno, wenn das so weiter geht, wird mir die Erziehungsberechtigung entzogen!

»Madame Rozier? Er ist schon wieder getürmt! Ich sage meinen Kollegen Bescheid. Wenn sie ihn sehen, bringen sie Pierre nach Hause. Bitte passen Sie gut auf den Ausbrecherkönig auf, wenn er wieder hier ist, ja?«

»Als würde ich es nicht schon tun! Soll ich Ihr Jackett aufbügeln, es sieht aus, als hätten Sie darin geschlafen!«, beschwerte sich die Dame. Gerne hätte Commissaire Bruno weiter dieses Thema behandelt, genauso gern, wie er über die Behandlung seiner Jacke erfreut gewesen wäre, doch er musste zur Arbeit. Diesmal verzichtete er auf einen weiteren Kommentar und machte sich auf den Weg zum Louvre.

Als er aus seinem 57er Citroen DS ausstieg, wartete schon sein Kollege Commissaire Vincent Legrand auf ihn. Dieser trug seinen Nachnamen nicht von ungefähr, denn er war wirklich sehr groß. Mindestens einen Meter neunzig. Seine mandelförmigen Augen gaben ihm ein leicht exotisches Aussehen. Seine Kollegen neckten ihn damit, dass er dem Martial-Arts-Actor Mark Dacascos ähnlich sähe. Gut, er trainierte Selbstverteidigung und war in der Polizeihandballmannschaft; nur war er kein Crying Freeman, sondern ein frischgebackener Commissaire de Police aus Marseille. Seit dem schrecklichen Ereignis begleitete Legrand ihn als Anstands-Wauwau und Stittenwächter. Ohne ihn ging es nicht, weil die Dienstaufsicht der Meinung war, er, Commissaire Bruno, sei noch nicht so weit und bräuchte dringend jemanden, der ihn voll und ganz unterstützte. Und sein Chef? Dummerweise war er damals sein Partner. Doch als die schlimme Sache passierte, wurde Bruno beinahe für geisteskrank erklärt, mit der Beförderung übergangen und musste sich jetzt von seinem Ex-Partner sagen lassen, dass er im Fall von Josephine nicht ermitteln durfte. Leider, wie sein Chef, Lucas Perrier, bedauerte. Das brachte Bruno aber nicht davon ab, insgeheim seine eigenen, kleinen und äußerst privaten Untersuchungen zu leiten. Bisher allerdings mit wenig Erfolg.

Vincent Legrand trug seine ihm zugeteilte Aufgabe dagegen mit stoischer Ruhe. Er hatte sich freiwillig gemeldet, als es darum ging für Bruno einen neuen Partner zu finden. Doch Vincent meldete sich nicht nur, weil ihn das Schicksal von Etienne Bruno berührte, sondern auch aus persönlichen Gründen. Ihn interessierte der ganze Fall, ebenso die Tatsache, die sein Chef so peinlich unter den Teppich zu kehren versuchte.

Bruno nickte dem Dunkelhaarigen zu und schenkte dem Koleos, der so mutwillig an der Pyramide parkte, einen finsteren Blick. Interpol! Diese aufgeblasenen Wichtigtuer! Mit ihnen hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Nie wird er die spöttischen Blicke und das verständnisvolle Nicken vergessen. Dabei wollte er mit den Agenten über diese Vampir-Sache sprechen und drängen, dass dieses Problem von internationaler Bedeutung wäre; da sich die Vampire unbemerkt über alle Kontinente bewegen und für die gesamte Menschheit zu einer Bedrohung auswachsen könnten. Fazit, er musste zum Psychologischen Dienst und nachdem er gepeilt hatte, dass ihn jeder für verrückt halten könnte, dann schließlich doch klein beigeben und bestätigt, dass es wohl an einem abnormen Schockerlebnis gelegen habe, das seinen Sinnen einen Streich gespielt habe.

»Bist du nicht in der Zentrale gewesen? Perrier tobt wegen des Zeitungsartikels. Du weißt also gar nicht, dass es jetzt nicht mehr unser Fall ist? Du siehst doch, die Sache geht an die Interpol. Etienne, ich halte zu dir, aber du bringst uns mit deiner Sturheit um Kopf und Kragen«, meinte Vincent Legrand, der seinen verfrüht ergrauten und etwas unordentlich gekleideten Kollegen wirklich schätzte.

»Das soll mir Lucas selbst sagen.« Bruno hielt einen Gendarme an. »Lassen Sie den Falschparker da abschleppen!«

»Aber Commissaire, er hat einen Parkausweis, der ihn als Interpol-Wagen kennzeichnet!«, erwiderte der Uniformierte.

»Egal, ihr sagt alle, ich solle wieder etwas Spaß haben. Das ist Spaß, so ein kleiner Joke unter Kollegen!«

Zuerst warf der Gendarme einen Blick auf Vincent, der darauf nur mit den Schultern zuckte. Nun würde die Entscheidung an ihm selbst hängen bleiben.

»Geht in Ordnung, Monsieur Commissaire«, meinte der Polizist und machte sich schneller als gewöhnlich aus dem Staub.

»Warum dieser Aufstand? Der Fall ist nicht mehr unserer«, bemerkte Vincent.

»Das sagst du, aber daran ist etwas faul. Das habe ich im Urin.«

Nachdenklich rieb er sich die Narben, die seit gestern so unglaublich unangenehm juckten. Das betrachtete Bruno als ein untrügliches Zeichen, dass er einer heißen Spur folgen musste. Dies war garantiert kein Unfall gewesen, dass die alte Dame in den Tod gestürzt war. Auch wenn der Augenzeuge ziemlich unglaubwürdig war, glaubte er, ach was, wusste er, dass sie beabsichtigt zu Tode kam.

Sie betraten den Louvre, besahen sich noch einmal den Tatort und diskutierten, was es mit der Zeugenaussage auf sich hatte. Dann bemerkten sie Schritte und trafen auf die Interpol-Agenten. »Nun guck dir mal diese entzückenden Burschen an! Sag mal, haben wir schon Fasching?«, fragte Commissaire Bruno seinen Partner. Doch Vincent blieb seltsam still und schlug die Augen nieder. »Nicht so laut, sonst bekommen wir noch Probleme.«

»Lass mich das in die Hand nehmen und halt die Füße still!« Bruno kam auf die beiden zu, hob die Hand mit der Marke. Auch Vincent zeigte seinen Ausweis. Doch Bruno war wie ein Terrier. Wenn er sich erst einmal in etwas verbiss, blieb er dran, provozierte und zerrte.

»Moment, die Herren, was suchen Sie hier? Bitte verlassen Sie den Tatort, bevor Sie ihn verunreinigen und Spuren vernichten!«

***

Obwohl mein Handy endlich Ruhe gab, war meine Stimmung nicht gerade auf ihrem Höhepunkt. Dieses bescheuerte Museum nervte mich jetzt schon. Im Grunde genommen kann ich es einfach nicht fassen, dass Leute einen Haufen Geld bezahlen, nur um sich diesen bescheuerten, alten Schrott anzusehen. Und das Schlimmste an der Sache ist eigentlich, dass das Geld auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Nun will ich nicht unbedingt behaupten, früher sei alles besser gewesen, aber es gab wenigstens noch Gold- und Silbermünzen. Und jetzt? Heute bezahlen die Leute mit Papier! Ja, Papier, oder mit Plastik.

… Früher konnte man seinem Gegner prima eins aufs Maul hauen, indem man eine Rolle Silbermünzen in der Faust behielt. Versuch das mal mit Papier! Egal, es gibt immer noch Münzen, leider keine mehr aus Gold oder Silber. Es sei denn, man geht unter die Numismatiker ...

Neben mir lief Barbiel, während ich über das Pekuniäre nachdachte. Entgegen seiner üblichen Gewohnheit, war er still und in sich gekehrt. Er betrachtete die Bilder mit stiller Ehrfurcht und so gingen wir unseres Weges, um den vermeintlichen Tatort zu besichtigen. Die Bilder ignorierte ich im Großen und Ganzen, nur wenn nackte Schönheiten in Sicht kamen, schenkte ich ihnen einen Blick.

»Es geht mich ja nichts an, aber warum gehst du nicht ans Handy?«, fragte Barbiel ganz unerwartet.

»Du hast recht, es geht dich wirklich nichts an. Aber da du mir sowieso keine Ruhe lässt - es ist Molly«, log ich ganz unverblümt. »Und Molly nervt schlimmer als Zahnweh.«

Mein Begleiter schüttelte den Kopf. »Also ich finde, ist Molly eine sehr nette Person. Du weißt, sie ist etwas ganz Besonderes.«

… Aha. Wenn er sie so nett findet, kann er sie von mir aus haben, ich würde ihm sogar meinen Segen geben und zwölf Kamele obendrauf, wenn er beabsichtigen würde sie heiraten zu wollen ...

Verdrossen ließ ich die 13 Knotenschnur, in meiner Jackentasche, wie eine Gebetskette durch meine Finger gleiten. Falls ihr euch kein Bild davon machen könnt, was eine 13 Knotenschnur ist, will ich es eben kurz erläutern. Eigentlich ist die Knotenschnur ein mittelalterliches Allroundwerkzeug. Sie fungiert als Taschenrechner, Maßband und Winkelmesser. Außerdem kann man sie zum Fesseln benutzen, denn sie ist aus Leder und nicht so sperrig wie Handschellen. Tja, versucht das mal mit einem Taschenrechner, oder Zollstock.

Wieder durchquerten wir eine Galerie mit Bildern und Statuen. Überhaupt sah ich die ganze Zeit nichts anderes als Bilder und Statuen. Gerade, als ich auch nur ansatzweise aufatmete, weil wir eine weitere hinter uns lassen konnten, gab Brutus einen seltsamen Fiep-Ton von sich. Wir blieben stehen.

»Was war denn das für ein seltsames Geräusch?«, fragte Barbiel leicht irritiert.

So gänzlich ohne Meinung, zuckte ich lediglich mit den Schultern. Nochmals gingen wir zurück und wieder ertönte dieser seltsame Ton aus Brutus´ Kehle. Und ständig hielt der kleine Chihuahua den Kopf in die gleiche Richtung gewandt. Der Auslöser war ein Bild, das unserem Dämonensuchhund diesen seltsamen Ton entlockte. Ich las das Schild, welches neben dem recht großen Bild hing.

»Der Alchemist, frühes sechzehntes Jahrhundert, unbekannter Maler. - Hey, die wollen uns verarschen, auf dem Bild ist doch überhaupt kein Alchimist zu sehen!«

Wenn ich ein Museumsbesucher wäre, würde ich glatt das Eintrittsgeld zurückverlangen. Das Bild machte auf mich einen ziemlich verwirrenden Eindruck. Es wirkte nahezu plastisch. Nur vom Alchimisten war nichts zu sehen. Lediglich der Anblick seines Labors, in dem viele brodelnde Glaskolben über tropfenden Kerzen erhitzt wurden. Schalen mit Pülverchen, Mörsern und Stößeln, beschriftete Urnen mit Inhalt, alles angeordnet auf Anrichten. Über dem Kamin hing ein schwerer Kessel und in einer Ecke stand ein Kalzinierofen. Aber vom Meister nicht die Spur. Das Format des Bildes war recht ungewöhnlich. Etwa neunzig Zentimeter in der Breite und zwei Meter in der Höhe.

»Vielleicht ist er gerade in den Keller gegangen, oder holt Brennholz?«, war Barbiels Vermutung. Jedenfalls mochte unser Spürhund dieses Bild nicht - und mir erging es ebenso. »Ich glaube unser Brutus wird langsam alt, guck mal, er bekommt schon eine ganz graue Schnauze. Lass uns weitergehen, in einer halben Stunde werden die Besucher eingelassen, bis dahin muss der Tisch geputzt sein«, brummte ich, leicht ungehalten.

Als wenn diese ganze Sache nicht schon reichen würde, kamen die nächsten denkwürdigen Ereignisse auf mich zu. Und das auch noch in geballter Form. Da wir von Galerie zu Galerie gingen, konnte ich schon von Weitem sehen, was auf mich wartete. So langsam schenke ich der Theorie von den Chaosknotenpunkten, von der Sal mir erzählt hatte, meinen Glauben. Die Sonderausstellung, die auf dieser Etage den letzten Raum belegte, und so mit der Treppe in die weiteren Geschosse verbunden war, enthielt Exponate, die mich sofort Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit schleuderten. Der Schwerpunkt dieser Ausstellung war die Nordische Kunst. - Vom Altertum bis in die Moderne.

Und die beiden Leute, die in diesem abgeriegelten Raum standen, waren ebenso merkwürdig wie der Umstand, dass das Opfer ausgerechnet hier umgekommen ist. Da ich diese beiden Personen schon früh entdeckte, trat ich extra etwas fester auf, um so unser Kommen anzukündigen. Das mussten wohl die beiden ermittelnden Kommissare der Kriminalpolizei sein. Und noch ein seltsamer Umstand zog meine Aufmerksamkeit auf die beiden. Der schlanke, hochgewachsene Mann war ebenfalls ein Vampir und ein ausgemachter Heimlichtuer. Der Vampir hielt, so wie ich, seine Aura verborgen. Und er kam mir irgendwie bekannt vor. Nur wusste ich nicht, wo ich ihn einordnen sollte. Seine Partner dagegen, war ein seltsamer Vogel. Sein Haar war graumeliert und etwas zu lang, seine Gesichtszüge scharf, vielleicht ein wenig zu mager, doch seine braunen Augen verrieten, dass er einen wachen Verstand besaß. Seine Kleidung zeugte von einem gewisses Maß an Vernachlässigung. Entweder war er Junggeselle, oder ein Scheidungsopfer. Das Auffälligste an ihm war seine Narbe, und die ließ erkennen, dass es sich bei ihm um ein gebranntes Kind handelte.

Als die beiden unsere Anwesenheit bemerkten, verfielen sie gleich darin, ihre Verbalinjurien gegen uns zu richten. Untereinander, versteht sich. Sie gingen wohl davon aus, dass wir sie nicht hören, oder verstehen konnten. Nun, sollten sie denken was sie wollten, ich verstehe jedes Wort. Und als wir uns weiter auf sie zubewegten, kam der Ältere von beiden direkt auf uns zu und gab einen Wortschwall von sich - Wir hätten hier nichts zu suchen und würden die Beweise vernichten.

… Ja, natürlich, ich würde jetzt lieber jemanden anderen vernichten ...

Barbiel bemerkte meine gesteigerte Aggression und zückte gleich seinen Ausweis. »Interpol, mein Name ist Special Agent Marx und das ist mein Kollege Special Agent McClane. Es freut mich Sie und Ihren Hintern kennenzulernen.«

… Dieser Vollpfosten! Sobald er seinen Mund aufmachte um Französisch zu sprechen, bekam er seine Vokabeln nicht mehr auf die Reihe ... Ich nickte den anderen zu.

»Agent Marx«, brummte ich, »in mein Büro!«

Und so zog ich Barbiel hinter die sich mir nächst anbietende gepanzerte Vitrine, die einen ausgestopften Wolf oder Ähnliches enthielt. Wenn Baba sich gesträubt und mir nicht gefolgt wäre, hätte ich ihm seine blöde Unterhose durch seine dämliche Kimme gezogen, worauf er hätte folgen müssen.

»Barbiel, was sind das für Geräusche aus deinem Mund? Noch vor einem dreiviertel Jahr hätte ich so etwas gebracht, aber von dir? Ich bin entsetzt! Ich dachte, dass du das mit dem Französischen jetzt auf die Reihe bekommen würdest. Du hast gesagt, du würdest dich freuen seinen Hintern kennenzulernen!«

Mein Gegenüber nahm die Farbe einer Tomate an. »Ach, diese neuen Sprachen! Hebräisch, Aramäisch, Sumerisch, kein Problem, aber alles was nach Babel kommt, da bin ich noch nicht so fit. Eigentlich wollte ich nicht Hintern, sondern "Partner" sagen.«

Genervt verdrehte ich die Augen und drohte dem Engel mit dem Finger. »Ja, partitioniert ist ein Hintern auch! Kein Wort mehr von dir! Ist das klar? Überlasse das Reden mir, es gibt nämlich Probleme!«

Barbiel kratzte sich seinen Bürstenhaarschnitt. »Probleme bevor, oder nachdem du mit ihnen geredet hast?«

Wütend funkelte ich ihn an. Und so traten wir wieder hinter der Vitrine hervor, um weiter mit den Polizisten zu sprechen. Der dunkelhaarige Kerl hatte sich ebenfalls gut mit Aftershave einbalsamiert und seine Aura verborgen. Mir war es nicht möglich, seine wahre Identität zu entschlüsseln. Sogleich richtete ich mich zur vollen Größe auf, taxierte die beiden drohend, trat in ihren Personal Space und sprach zu ihnen, im gepflegtesten Französisch.

»So, so. Mir scheint, Sie sind schlecht, oder gar nicht informiert. Rufen Sie Ihren Vorgesetzten an! Interpol übernimmt ab sofort diesen Fall. Sie sind nicht mehr autorisiert, die Akten sind beschlagnahmt. Und noch etwas. Wenn Sie gehen - vergessen Sie nicht, Ihre Trachtentanz-Gruppe mitzunehmen«, und zeigte auf die uniformierten Flics.

Diese Äußerung fand er ziemlich verletzend. Da Bruno sich nicht so schnell geschlagen geben wollte, rückte er sich ebenso dominant in Szene, was ihm durch mangelnde Körpergröße nicht so recht gelingen wollte und hoffte, dass die ganze Sache nicht nach hinten losgehen würde. Doch er verfolgte einen Plan. »Sie gehen also davon aus, dass wir schlecht informiert seien. Erst einmal fordere ich Sie dazu auf, dass Ihr Kollege, dem es sowohl an Sprachkenntnissen, als auch an Manieren zu mangeln scheint, sich sofort und umgehend bei meinem Mitarbeiter zu entschuldigen hat. Und wenn Ihnen so viel daran liegt, dass wir hier das Feld räumen, rufen Sie doch meinen Vorgesetzten an! Ich finde es empörend, dass Sie in unserem Revier wildern. Haben Sie nichts Besseres zu tun? Vielleicht einen Serienkiller zu jagen? Und warum kümmern Sie sich ausgerechnet um die Belange hier in Paris?«

Wie ich erwartet hatte, kam als nächstes Stadium der Schockverarbeitung, die selbstgerechte Empörung. Und nun zog der Kerl vom Leder.

… So etwas nenne ich eindeutig einen Realitätsverlust ...

Und dann holte er einen gaaaanz alten Hut raus, indem er die alte Revier-Masche aufzog. So etwas veranlasst mich, ein Gähnen zu unterdrücken. Ja, Paris ist auch wirklich der Nabel der Welt! So ein Quatsch, ich sah schon Paris, da war es noch ein kleines, verkacktes, sumpfiges Dorf, hinter Wolken-Kuckucksheim. Er mag vielleicht für Paris zuständig sein, wir vom Ring hingegen retten die ganze Welt. So ein kleinkariertes Krämer-Denken von Seiten des Polizisten machte mich wirklich ziemlich sauer. Mein Therapeut, Herr Dr. Dr. Ferdinand Gütiger, riet mir, falls mich wieder einmal der rote Schleier der Wut übermannen sollte, folgende Methode anzuwenden: Bis Zehn zählen und mir dabei etwas Schönes vorstellen. Das tat ich dann auch, als mir dieser klein-geistigen Bulle erzählen wollte, was ich zu tun und lassen hätte. - Also stellte ich mir vor, wie ich beide tötete und ausweidete, und ihre Gedärme in ihre Münder stopfte und fühlte mich, nachdem ich zu Ende gezählt hatte, gleich viel besser. Ich setzte eine verständnisvolle Miene auf, nickte mit dem Kopf und sprach zu ihnen, wie man es normalerweise mit kleinen, dummen Kindern macht.

»Ich gebe Ihnen einen kostenlosen Rat. Sie sollten sich lieber doch unmittelbar mit Ihrem Vorgesetzten in Verbindung setzen. Wenn Sie allerdings lieber stattdessen uniformiert den Straßenverkehr regeln wollen, kann ich Sie nicht zu einem Telefonat zwingen.«

»Sie kommen hier her, behandeln uns wie den letzten Dreck, setzen ihren Fuß auf unseren Grund und Boden und sehen sich auch noch ermächtigt, uns einen kostenlosen Rat zu geben? Was soll bitte so wichtig an unserem Fall sein, dass sich die Zentrale in Lyon genötigt fühlt, Sie hier her zu beordern? Einen Wrestler mit Zöpfchenfrisur und einen wilden Komiker mit Schoßhund, der andere beleidigt? Mann, mir kommt es eher vor, als wären sie von der CIA, oder die Men in Black. Normalerweise arbeiten wir mit Interpol zusammen«, gab Commissaire Bruno zum Besten. Vincent, der vorher den großen Agenten gemustert hatte, gleich so, als wäre er innerlich eine Kartei mit Verdächtigen durchgegangen, trat näher, um gegebenenfalls Bruno aus der Schusslinie zu ziehen.

Barbiel und Brutus sahen zwischen mir und den beiden Polizisten hin und her. Als Barbarella den Mund öffnete, hielt ich lediglich die Hand in seine Richtung, was ihn sofort zum Verstummen brachte. So konnte ich in Ruhe fortfahren. »Nun, ich kann die Anfeindungen, die Sie uns so offen entgegenbringen nicht nachvollziehen. Mein Kollege und ich haben einen Auftrag von höchster Priorität, von ganz oben, versteht sich. Und den können wir nicht verweigern, zu Gunsten anderer. Ihr Auftrag hingegen, ist leider obsolet. Und ja, eigentlich arbeiten wir mit den örtlichen Behörden zusammen, aber nicht mit Ihnen, Commissaire Bruno.«

… Ja, so ein Rhetorik-Kurs, den man sich während eines Fluges per Kopfhörer reinziehen kann, ist wirklich nicht die schlechteste Sache ...

Aber ich war noch nicht fertig. »Und nun, Commissaire Bruno, setzen Sie Ihre Denkkappe auf und überdenken meine Worte. Wogegen mir Ihr Kollege vernünftiger erscheint, weil er sich vornehm zurückhält.«

Da gerade von Vincent die Rede war, griff er beherzt nach Brunos Schulter und wollte ihn zurückziehen, doch der machte sich frei und guckte uns feindselig an.

Wenn es nach mir ginge, könnten sie ihren blöden Auftrag behalten und damit selig werden. Sie waren wirklich ziemlich heiß auf diesen Mord. Mich hingegen ließ der Widerstand der beiden Commissaires ziemlich kalt. Der Kerl war wirklich hartnäckig, er strapazierte meine Geduld erheblich. Doch ich ließ mich nicht aus der Reserve locken. »Sie haben nicht die Befugnis zu erfahren, weshalb wir für diesen Fall autorisiert sind. Und vielleicht täte es Ihnen ganz gut, ein wenig an die frische Luft zu gehen. - Damit Sie Ihr Mütchen ein wenig kühlen können. Und vergessen Sie Ihre Denkkappe nicht, denn offensichtlich haben Sie sie nicht benutzt. Sie werden verstehen, dass wir über unseren Auftrag bestens informiert sind, Sie hingegen keinen blassen Dunst haben.«

Dies sagte ich immer noch in der verständnisvollen Tonlage eines Erziehers.

»Wieso sollte ich an die frische Luft gehen? Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Geben Sie mir die Telefonnummer Ihrer Zentrale, dann werde ich mit Ihrem Vorgesetzten telefonieren«, bot Bruno an und war sich sicher, dass er damit die beiden Pseudo-Agenten enttarnen würde. »Nein, warten Sie, ich habe selbst die Nummer, so kann ich davon ausgehen, dass sie mir nicht eins vom Pferd erzählen.«

Der Commissaire holte sein Handy hervor und drückte die Kurzwahltaste. Nach kurzer Wartezeit bekam er den gewünschten Gesprächspartner. Doch leider stellten sich die Agenten als wahre Interpol-Mitarbeiter heraus und ihm wurde klar, dass er womöglich den Bogen überspannt hatte. Verdammte Paranoia! Ich war mir so sicher, denn in der Anwesenheit dieses großen Kerls juckt meine Narbe!, dachte Bruno und steckte sein Handy enttäuscht ins Jackett zurück. Und nebenbei bekäme er von seinem Boss auch noch den Kopf gewaschen und würde den Vermutungen, die alle über ihn hegten, weiterhin Nahrung geben. Doch er würde nicht aufgeben, immerhin hatte er jetzt Gewissheit und wusste, dass er richtig lag. Hier war eindeutig etwas faul. Und wie es der Zufall so wollte, ertönte ein Klingeln aus Brunos Jackett. Unsicher suchte er, fingerte es heraus und nahm das Gespräch an.

»Etienne, du verdammter Vollidiot! Was fällt dir ein, in der Zentrale in Lyon anzurufen und an den Identitäten zweier Mitarbeiter zu zweifeln? Kannst du nicht lesen? Wo liegt dein Problem? Komm sofort in mein Büro. Herrgott, ich kann dir nicht ständig für deine Extratouren die Hand vor deinen eigenwilligen Arsch halten! Noch so ein Patzer und du bist raus aus dem Dienst! Lass die Interpol-Fritzen ihre Arbeit machen!«, fönte es aus dem Lautsprecher.

Vincent legte Bruno die Hand auf die Schulter, weil der völlig weggetreten in sein Telefon starrte und legte alles darin, die Agenten gnädig zu stimmen und das Ruder herumzureißen. »Meine Herren, ich nehme es Ihnen nicht übel, dass Sie mich als Hintern titulierten. Ich verstehe, dass Sie von außerhalb kommen und ohnehin heißt es, dass die Sprache ein Missverständnis ist. Wissen Sie, mein Kollege hat ein angeborenes Misstrauen allem gegenüber. Ich hoffe Sie nehmen unsere Entschuldigung an. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihren Ermittlungen. Kaugummi?«, bot Vincent als Friedensangebot an.

Junge, Junge ... Ich lehnte sein Kaugummi ab, weil sich hinter meiner Stirn eine saftige Migräne zusammenbraute. Doch nun tat sich endlich etwas in dieser festgefahrenen Situation: Leider schwafelte sich Commissaire Legrand jetzt ebenfalls in Rage, oder jedenfalls versuchte er sich für das Tun seines Kollegen zu rechtfertigen, weil dieser uns nicht abnehmen wollte, dass wir von Interpol seien. Dabei habe ich das blöde Handbuch bis zum Abwinken studiert. Die Commissaires waren schon reizende Früchtchen, doch ihr Chef toppte sie noch um Längen. Aber er brachte Licht in die Dunkelheit ihres Unwissens. Und das aber gehörig. Der Kerl machte Bruno regelrecht lang und anschließend platt. Er drohte Bruno mit der Suspendierung, wenn er nicht die Finger von unserem Fall ließ.

Der Jüngere entschuldigte sich also bei uns und schenkte Barbiel sogar ein Kaugummi. Mein Partner, der Engelbert, nahm diese Gabe entgegen, als hätte man ihm einen Orden verliehen. Seine Augen glimmerten nahezu vor Rührung. Leider konnte ich nicht verhindern, dass er sich bei ihm bedankte, dieser Geriatrie-Patient!

»Selbstverständlich...nehmen wir die, die...Entschuldigung an. Das, was vorhin, äh...passiert ist, tut mir...aufrichtig ... leid. Es lag nicht...in meiner...Absicht, Sie in...irgendeiner...Form zu... beleidigen. Vielen Dank, auch wir wünschen Ihnen viel...Erfolg bei Ihren...Ermittlungen.«

Boah, was für ein stammelnder Vollpfosten! Wenigstens hat er ihn nicht wieder beleidigt. Brutus wurde vom dunkelhaarigen Kommissar getätschelt. Und Barbiel sah ebenfalls so aus, als wäre er gegen etwas Getätschel von Seiten des Polizisten nicht abgeneigt. Mich beachtete er nicht, sondern sprach nur mit dem Engel. Dabei musterte ich ihn immer noch ausgiebig. Hm, diese Gesichtszüge. Wo hatte ich die schon mal gesehen? Und wieso war er nicht eher eingeschritten?

Da ich mit dem Commissaire Bruno abgeschlossen hatte und er im Moment auch mit der Welt, wandte ich mich an seinen Partner. »Sie werden verstehen müssen, dass unsereins auch seine kleinen Geheimnisse hat, die bewahrt werden müssen. Geheimnisse zu haben, muss nicht immer etwas Negatives sein. So manchem hat dieser Umstand schon das Leben gerettet. Das liegt sicherlich auch in Ihrem Interesse. Sie verstehen? - Leben zu retten. Und denken Sie daran, die Uniformierten mitzunehmen wenn Sie gehen.«

Diese eindeutig zweideutige Botschaft ließ ich im Raum stehen, damit sie noch eine kleine Weile wirken konnte. Wahrscheinlich verstand unser scharfsinniger Commissaire Vampir, was ich mit diesen Worten ausdrücken wollte. Frei nach Schnauze: Wenn du mich enttarnst, enttarne ich dich. Er konnte wirklich froh sein, dass ich nicht mehr für meinen alten Dienstherren, Lord Seraphim, arbeitete. Wenn dies der Fall gewesen wäre, lägen jetzt beide auf dem Bauch und ein Quacksalber müsste ihnen meine Stiefel aus dem Enddarm entfernen.

Der jüngere Polizist, sah mich skeptisch an und nickte. »Ja, ich verstehe, wir tun alle nur unseren Job und ich denke, wir stehen beide auf der selben Seite. Geht in Ordnung, ich sage meinen Kollegen Bescheid, dass sie alles stehen und liegen lassen. Sind Sie sicher, dass Sie kein Kaugummi wollen?«

Ich hingegen schüttelte den Kopf, als hätte er mir ein Glas mit Maden präsentiert.

Barbiel zuckte mit den Schultern. » … Er wirkt im Moment etwas ... sauertöpfisch, aber seien Sie froh, dass er ... nicht lacht, es ist nämlich ... kein schöner Anblick.«

… Dieser stammelnde Idiot, jetzt fällt er mir auch noch in den Rücken! ...

Gut, dann spielten wir eben "Sympathischer Cop und ganz, ganz sauertöpfischer Cop". Und mein aufgesagtes Sprüchlein wurde auch nicht so richtig registriert. Egal, ich kann die Kommissare gut verstehen. Wir kommen hier herein, jagen sie aus ihrem angestammten Revier, machen einen auf dicke Hose und anschließend werden sie auch noch von ihrem Vorgesetzten zur Schnecke gemacht. Commissaire Bruno erwachte langsam aus seiner Schockstarre. »Dann sollen wir Sie alleine lassen und die Uniformierten mitnehmen?«

»Ja, wir sind ja alle noch da. Und das ist das eigentliche Problem. Wenn ich Sie bitten dürfte? Ich möchte nicht, dass Ihr Vorgesetzter, der ohne Zweifel gut bei Stimme ist, Ihnen und Ihrem Partner diese schöne Pappe mit der Tricolore-Musterung abnimmt. Es freut uns, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, aber wenn ich Sie jetzt bitten dürfte?«

Meine Migräne verschlimmerte sich von Sekunde zu Sekunde. Und ich war mir wirklich nicht mehr sicher, wie lange ich noch diese aufgesetzte Freundlichkeit wahren konnte. Die Uhr würde bald Neun schlagen und wir hatten dem Kurator einen reibungslosen Museumsbetrieb zugesichert. Es wurde Zeit, dass die Commissaires endlich gingen, denn wir hatten auch noch unsere Arbeit zu machen. Wir mussten die letzten Spuren in Daten erfassen und an die Zentrale senden, wo diese ausgewertet werden konnten. Die Kommissare Bruno und Legrand sahen ein, dass sie wohl oder übel das Feld den blasierten Agenten überlassen mussten. Bruno, der seine Fassung wiedererlangt hatte, meinte: »In Ordnung, dann werde ich die Polizisten abziehen und ihnen den Louvre für Ihre Ermittlungen überlassen. Dann wünsche ich Ihnen und ihrem Kollegen einen netten Aufenthalt in Paris. Was sagten sie vorhin, Sie wären schon mal hier gewesen?«

Er griff in die Tasche seines Jacketts, holte eine Schachtel Zigaretten hervor, steckte sich eine davon in den Mund und meinte zu seinem Partner: »Vince? Wärst du so freundlich?«

Der wiederum machte ein unglückliches Gesicht und gab seinem Kollegen mit einem Streichholz Feuer.

Vorsichtig rieb ich mir meine schmerzende Stirn und überzeugte mich davon, dass mein Kopf nicht auf die doppelte Größe angeschwollen war. Monsieur Commissaire Bruno sagte irgend etwas zu mir. Jetzt war ich derjenige, der nicht mehr so ganz zugehört hatte. Was fragte er mich? Ob ich in schon mal in Paris war? Ich war schon mehr als 800 Jahre nicht mehr in Paris gewesen. Also ignorierte ich die Frage gekonnt. Eigentlich wollte ich sagen, dass ich bisher niemanden getroffen habe, der seit Miami Vice, Mitte der 80er Jahre, sein Sakko so knittrig trug, doch die verbalen Flapsigkeiten waren mir vergangen und so verkniff ich mir meine bissige Antwort. Ein unbekannter Tänzer steppte durch mein Hirn.

»Ja, es wäre sehr nett, wenn Sie die Uniformierten abziehen, der Kurator ist sicherlich schon schweißgebadet. Wir versprachen ihm einen reibungslosen Museumsbetrieb. Auf Wiedersehen.«

Als sich der Commissaire eine Kippe in den Mund steckte und diese auch noch anzünden ließ, wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich sagen sollte. Er rauchte in einem Museum! Wenn das der Kurator erfuhr, bekäme er doch noch einen Herzinfarkt. Leicht verwundert zeigte ich auf die Zigarette. »Monsieur, hier herrscht totales Rauchverbot!«

Ein Uniformierter kam in den Ausstellungsraum: »Bonjour, ich wollte nochmal nachfragen, ob der Koleos dort draußen wirklich abgeschleppt werden soll.«

Als ich das hörte, flippte ich beinahe aus. »Nein, er wird nicht abgeschleppt! Wir sind mit einem SUV Renault Koleos hier her gekommen. Der Parkausweis liegt hinter der Windschutzscheibe! Sind sie nicht nur blond, sondern auch noch blöd? Und wieso fragen Sie nochmal

***

Nun hatten es Bruno und sein Kollege ziemlich eilig. Sie verabschiedeten sich zügig und waren froh, diese Idioten erst einmal hinter sich zu lassen. Weniger froh waren sie darüber, dass Lucas Perrier ihnen eine mehr als gepfefferte Predigt halten würde.

»Sag mal, Etienne, was ist nur in dich gefahren? Du legst dich nicht nur mit unserem Boss, sondern auch noch mit Interpol an?«, fragte Vincent mehr als irritiert.

»Weißt du, was es mit Statistiken auf sich hat? Die Statistik sagt, dass man Augenzeugen nur bedingt Glauben schenken kann. Unsere Augenzeugin war sich nicht sicher, ob der Kerl mit Hut und Mantel, die Dame die Treppenstufen hinunter gestoßen hat, oder nur durch Zufall gerade vor Ort war«, erklärte Bruno.

»Ja, und was hat das jetzt mit den Agenten zu tun? Obwohl ich zugeben muss, dass mir beide mehr als verdächtig erscheinen. Vor allem der große Kerl, mit der Verbrechervisage«, sagte Vincent, der den Ausführungen seines Partners nicht ganz folgen konnte.

»Na, ist doch ganz einfach! Wenn es sich um einen Unfall handeln würde, wären nicht die Typen von Interpol gekommen und hätten einen Zwergenaufstand veranstaltet. Jetzt wissen wir, dass es eindeutig ein Mord, oder zumindest grobe Absicht war, Madame Tornier zu töten. Und glaube mir, da steckt noch weitaus mehr dahinter. Entweder handelt es sich um etwas Unheimliches, oder es ist eine politische Verschwörung. Wir sollten unbedingt die Sache ein wenig im Auge behalten.«

Vincent war schwer beeindruckt von seinem Kollegen. Es leuchtete ihm ein und er nickte. »Okay, kann nicht schaden ein wenig im Mithaufen zu stochern, aber zuerst sollten wir in der Präfektur unseren Anschiss abholen. Ach ja, deinen Sohnemann Pierre haben wir auch gefunden, er ist auf dem Weg nach Hause. Rate mal, wo er war.«

Bruno zuckte mit den Schultern. »Seitdem er Schulferien hat, geht er seine eigenen Wege. Wenn er so weiter macht, steht bald das Jugendamt vor der Tür. Wo war er und woher sollte ich das wissen?«

Legrand grinste.

»Und so etwas will Polizist sein. Na, wo war er wohl? Hier im Louvre!«

***

Der überstürzte Abgang der beiden Kommissare machte mich schon etwas misstrauisch. Im wilden Schweins-Galopp verließen sie uns. Mein Kollege trat an meine Seite und wollte gerade seinen frisch ergatterten Kaugummi auspacken und meinte: »Menschen sind wirklich schrecklich manipulativ, findest du nicht auch? Aber scheinbar habe ich jetzt die Pointe nicht verstanden.«

Schnell entriss ich ihm, trotz seines Protestes, den Streifen Kaugummi und gab ihm damit einen gezielten Schlag auf seine Igel-Frisur. »Den bekommst du heute Abend wieder, wenn du in deiner Freizeit Brocken lachen willst, bitte, aber nicht hier! Wir haben zu tun!«, entgegnete ich leicht gereizt. Schnell war der Streifen Kaugummi in meiner Tasche verschwunden. Außerdem trat ich ans Fenster und vergewisserte mich, dass mein Wagen nicht abgeschleppt wurde. Verdammt! Wieso meinte jeder Krethi und Plethi, sich an meinen Autos vergreifen zu müssen? Zum Glück hat mein Smartphone eine neue Application. Sie heißt SWIMA und bedeutet soviel wie: SCHEIßE, WO IST MEIN AUTO?

Es ist allerdings ärgerlich, wenn man sie in Anspruch nehmen muss. Es ist eine Prozedur der langen Wege. Denn dann ist das Auto auch schon eindeutig weg. Nun, in diesem Fall hatte ich das Schlimmste verhindert und schließlich stand mein Wagen immer noch an seinem angestammten Platz.


Nun zum Maulaffen feil halten hatten wir keine Zeit, die Arbeit rief.

*

Pariser Nächte

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