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Iss mit einem Freund, aber mach keine Geschäfte mit ihm

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(Armenisches Sprichwort)

»Warte, es hat geklopft«, meinte ich zu ihm und bewegte mich zur Tür. Waren meine Kontaktlinsen noch drin? Ja, ich hatte sie seit über 24 Stunden nicht mehr herausgenommen. Irgendwann wachsen sie mir noch an meinen Augäpfeln fest.

Als ich öffnete stand Sal vor der Tür. Schnell zog ich die Tür hinter mir zu, damit ich in Ruhe ein paar Takte mit ihm reden konnte. Er nickte mir zu. »Ragnor, du bist ja wieder sehr gesprächig. Und wie ist der Zustand von Cedric?«

Genervt verdrehte ich die Augen, diese blöden Sprüche gingen mir auf den Sack. »Du glaubst es nicht, wir haben ihn im Louvre gefunden, er war in einem Schaukasten ausgestellt. Er hat aber keinen Schaden genommen, jedenfalls nicht mehr, als er ohnehin schon einen hatte. Bei unserem Gespräch erfuhr ich, dass er ein paar Tage nach meinem Abgang die Biege gemacht hat und seitdem sich an nichts mehr erinnern kann. Du weißt, was das heißt, oder?«

Doch das war eine rein rhetorische Frage, also ergriff ich wieder das Wort. »Bis er fit für die Außenwelt ist, braucht er Monate! Du kennst Cedric, er flippt aus, wenn er mit etwas konfrontiert wird, das ihm fremd ist.«

Doch Sal lächelte wieder sein seltsames Lächeln. »Er wird schließlich kein Mitarbeiter, ich weiß da eine Lösung, mach dir keine Sorgen, sondern überlasse das einfach mir. Ich werde ihn auf mein Zimmer bringen und Amanda wird ihn untersuchen.«

Wir wollten gerade ins Zimmer, als er mich noch einmal ansprach. »Sag mal, hast du Molly erzählt, ich sei ein Vampir?«

Höchstwahrscheinlich glotzte ich wie ein Fisch, denn ich konnte nicht glauben, was mir zu Ohren kam. »Nein, ich habe ihr nichts erzählt, für wie doof hältst du mich? Du weißt doch, dass sie eine besondere Gabe hat. Ich habe jedenfalls kein Wort gesagt. Wieso?«

»Na ja, sagen wir mal so, durch ihre Bemerkung hat sie sich eine Reise nach Paris erpresst. Sie ist hier. Aber sie wollte schlafen gehen, weil sie vom langen Flug total geschafft war.«

… Na toll, jetzt war mein lästiger Vampir-Groupie auch noch hier! ...

Gut, es wurde Zeit, wir konnten Cedric nicht so lange allein lassen, sonst fraß er noch den kleinen Brutus.

Also ließ ich uns ins Zimmer und Sal grinste über alle Backen.

»Hallo, Cedric! Kennst du mich noch? Ich bin so froh, dass du wieder da bist!«

… Nun muss ich sagen, dass Cedric unseren Sal sehr gut kannte. Nachdem ich den Jungen aus der Festung in mein Haus am Fluss brachte, musste ich unverrichteter Dinge zurück an meinen Arbeitsplatz. Zu oft hatte ich mir schon Kapriolen geleistet, die meinem Arbeitgeber sauer aufstießen. Um den Jungen nicht unbeobachtet zu lassen, gab ich Cedric in Sals, alias Cornelius fürsorglichen Hände. Dieser kümmerte sich rührend um ihn, brachte ihm das Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Sogar die Pflanzen- und Heilkunde, als auch die Idee des Humanismus unterbreitete er ihm. So integrierte er Cedric in seine Jungvampir-Schule. Selbst dessen Dämonenhunger bekam der Heiler ganz gut in den Griff ...

»Cornelius! Oh, ich freue mich ja so! Deine Haare sind ja ganz dunkel!«, rief der Junge aus, machte einen Satz aus dem Bett, begrub den kleinen Brutus unter der Bettdecke und bestürmte Sal, den er heftig umarmte. Oder ihm eher in die Arme fiel, denn der Junge hatte schon ordentlich einen im Tee.

Sal konnte wirklich froh sein, dass Cedric ihm nicht auch noch durch das Gesicht schlabberte.

»Oh, Hilfe! Danke, mir geht es gut, aber bitte nenne mich doch Sal, das ist einfacher. Ja, mein Haar trage ich jetzt dunkel, das Grau macht mich so alt!«, lachte Sal und wurde von Cedric durchgewalkt wie ein Stück Wäsche. Sal war schwer gerührt.

»Komm, Cedric. Wir gehen auf mein Zimmer. Hab keine Angst. Ragnor begleitet uns, damit dir nichts passiert. Ich werde dir alles erklären.«

Schnüffelnd sog Sal die Luft ein und ließ einen schnellen Blick durch Zimmer schweifen. »Ragnor! Du hast dem Jungen doch nicht etwa Alkohol gegeben?«

»Klar, dann ist er wenigstens nicht so aufgekratzt und will den Hund fressen. Sein Dämonenhunger vergisst er dann auch, also was ist schon dabei? Und wenn er schon nicht wie ein Erwachsener bumsen kann, lass ihn wenigstens wie einen saufen!«

Mein Boss war sehr verärgert und schüttelte den Kopf. »Wie kannst du einem Kind Alkohol geben? Wie oft habe ich dir gesagt, dass im Dienst kein Alkohol getrunken wird. Vergiss nicht, du bist hier immer im Dienst!«

Gelassen zuckte ich mit den Schultern. »Geht klar, Cornelius, äh Sal!«, salutierte ich und grinste mir eins.

Zweifelsohne hätte Sal mir liebend gern länger eine Ansprache gehalten, doch er musste sich auf Cedric konzentrieren. Unser Pflegefall war sehr verunsichert und schwer angetrunken, als wir den Flur betraten. Ich ebnete ihnen den Weg zu Sals Suite. Leibwächtern kann ich nämlich bestens.

Nachdem Sal die Zimmertür öffnete, bat er Cedric hinein. Brutus, der diesen seltsamen Umzug wie ein Paradepony begleitete, nahm schon Kurs aufs Zimmer, doch ich rief ihn bei Fuß. Barbiel wollte Brutus abholen und wenn er das tat, sollten Cedric und Sal nicht gestört werden.

Sal wuchtete einen Koffer auf das Bett. »Hier Cedric, ich habe dir passende Sachen zum Anziehen mitgebracht, Schuhe sind auch dabei. Die Klamotten von Ragnor passen dir wirklich nicht besonders gut. Außerdem hat er dich viel zu warm eingepackt.« Während sich beide am Koffer zu schaffen machten, zog ich mich zurück. Nickend verabschiedete ich mich von den beiden. »Gut, ich lasse euch dann mal allein, ich muss noch einen Bericht schreiben. Ich sehe später noch einmal nach euch.«

Sal sah auf und nickte zurück. »Ja, mach das. Und bitte achte mal ein wenig auf deine Ausdrucksweise, sonst kann niemand deinen Bericht lesen, ohne rote Ohren zu bekommen. Überhaupt gehören solche Ausdrücke wie: "Dämlicher Bananenbieger ", oder "Glatzenföner " nicht in einen Bericht! Hebe dir das für dein Schimpfwörter-Lexikon auf!«

»Du willst mich wohl kastrieren!«, brummte ich und schloss die Tür.

»Wir sehen uns!«, hörte ich Cedric brüllen.

Ja, wenn Amanda ihn untersuchte, dann würde ich noch einmal einen Blick auf ihre äußerst ansehnliche Kehrseite werfen. So trollte ich mich mit Brutus, und wie der Zufall es so wollte, kam mir der herausgeputzte Frack-Engel entgegen.

»Hallo Brutus, hallo Ragnor. Schön euch zu treffen. Hier, das ist für dich!«

Wieso begrüßt er die Töle eigentlich immer zuerst? Scheiß drauf. Und was hatte er mir da mitgebracht?

»Du hast wohl einen Knall! Eierlikör? Das ist doch nur etwas für Lesben und Tucken! Ach, egal, gib her! Du solltest nochmal mit dem Hund raus, er hat vorhin ein riesige Steak weg gespachtelt.«

»Na ja, Eierlikör, wegen deines Witzes, den du über tanzende Hühner gerissen hast. Du sollst Brutus nicht immer so ein Zeug zum Fressen geben!«, meinte der Engel vorwurfsvoll.

»Ach so, deshalb. Ich dachte schon, der Eierlikör wäre aus selbst gelegten Eiern von dir, du sieht nämlich in diesem Anzug wie ein Pinguin aus.«

Von wegen ungesundes Zeug! Barbiel kann froh sein, dass ich beim Steak die Knoblauch-Butter weggelassen habe. Brutus würde uns sonst morgen früh den ganzen Wagen verpesten.

Schnell nahm ich die Flasche entgegen und trabte weiter. Von allein würde der Bericht sich jedenfalls nicht schreiben. Endlich hatte ich ein wenig Ruhe und kramte mein Notebook hervor, loggte mich in den Server ein und las, was unsere Experten herausgefunden hatten. Also doch ein Mord. Die Spuren verwiesen auf magische Aktivitäten und auch die restlichen Hinweise verdichteten sich zu einer klaren Aussage. Anbei war noch eine Computeranimation, die den Ablauf demonstrierte. Wenn die Dame ausgerutscht wäre, wäre der erste Aufprall weiter vorn auf der Treppe erfolgt. Sie wurde aber eindeutig gestoßen. Mit diesem Hintergrundwissen formulierte ich meinen Bericht. Ich erwähnte zuerst die Aussage des Kurators, die Schwierigkeiten, die wir mit der örtlichen Polizei hatten usw. Auch ließ ich nicht unerwähnt, dass ich eine achtfache Abreibung vom Belphegor beziehen musste. Ebenfalls erörterte ich, was danach geschah, nämlich, dass wir auf den vertrockneten Cedric trafen. Als der Bericht abgefasst war, schickte ich ihn auf den Server. Aber da war vieles, was ich nicht erwähnen konnte, weil es für diesen Fall eigentlich nicht ausreichend belegt war. Viele halten mich für ein wenig paranoid, oder misstrauisch. Wenn ich so ein seltsames Gefühl habe, gleich so, als würde mir jemand auf den Rücken blicken, kann ich mir nicht helfen, sondern vermute, dass dahinter weitaus mehr steckt als es scheint. Für meinen Geschmack handelte es sich bei dieser ganzen Geschichte um zu viele Zufälle. Ich glaube nicht an Zufälle, eher an das Schicksal, oder fehlendes Hintergrundwissen. Hier war etwas faul, ganz eindeutig faul, sodass es schon bis zum Himmel stank. Zuerst dieser seltsame Typ und sein Vampir-Commissaire, dann ausgerechnet diese nordische Kunstausstellung, mein lange vermisstes Bild, und anschließend auch noch der wiedergefundene Cedric. Es ist so, als hätte jemand ganz speziell für mich eine Fährte mit Brotkrumen ausgelegt. Alles hatte ein Muster, nur war ich einfach zu dumm, oder zu blind, dieses Muster zu entziffern. Also grübelte ich so lange vor mich in, bis es wieder Zeit wurde, nach Cedric zu sehen. Und nach Amanda …

***

Trotz Cedrics kindlicher Freude, als er den Koffer auskippte und sich über die vielen schönen Sachen freute, konnte Sals nicht wirklich daran teilhaben. Selbst als Cedric sich die Hose falsch herum anzog, fand er es nicht wirklich lustig. Sein Schützling war zwar arglos, doch er war auch ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Also nicht einmal als vollkommen harmlos einzustufen.

»Cedric? Würdest du dich bitte hinsetzen?«, fragte der Ring-Leiter.

»Oh ja! Mach ich doch gerne! Auf den Koffer?«

»Nein, setze dich einfach auf das Bett, ja? Hör zu. Du weißt doch, dass du keine menschlichen Speisen zu dir nehmen darfst. Und kannst du dich an die Medikamente erinnern, die ich damals für dich hergestellt habe?«

Cedric nickte brav. »Ja, ich darf keine Menschennahrung essen, weil dann, dann ... Weiß nicht so genau, dann passiert eben was. Genau, du gabst mir damals immer solche Dinger!«, meldete sich der Junge, begeistert darüber, dass sein Gedächtnisschwund nicht ganz so gravierend war.

»Richtig, mein Sohn, ich möchte, dass du jetzt brav eine von diesen Tabletten nimmst. Du musst verstehen, ich will nicht, dass etwas Schlimmes passiert. Du darfst niemandem weh tun.«

Wieder nickte der Junge, hielt die Hand auf und nahm eine Tablette entgegen. Verspielt wie er war, nahm er die Pille zwischen Zeigefinger und Daumen und betrachtete durch sie das Licht, welches ihm noch immer schrecklich fremd vorkam.

»Nun schlucke sie schon, und spiele nicht damit herum, hörst du?«, ermahnte ihn der Ältere sanft.

»Ich werde keinem weh tun. Schon weg!«, erwiderte Cedric, warf sie sich in den Schlund und zeigte die Zunge, die er auch anhob. »Siehst du, ich habe mein Medikament genommen. Bitte erzähl mir alles.«

»Was alles?«, fragte Sal und versuchte Cedrics flatternden Gedankengängen zu folgen.

»Na, eben alles! Alles ist so schön bunt, so anders und so sauber«, meinte der Junge mit ausholender Bewegung.«

»Ach so, das alles. Ich weiß, dass es damals nur sehr wenige Farben für Stoffe gab. Das Bunteste waren Purpurrot, das aus dem Farbstoff der Purpur-Schnecke gewonnen wurde und Blau, das aus dem Färberwaid entstand. Ansonsten herrschten eher Brauntöne vor. Nun Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen, Färbemittel chemischen Ursprungs zu entwickeln. Seitdem gibt es jede Farbe, die man sich nur wünschen kann.«

Weil Cedric so ein großes Interesse dem Fernseher entgegenbrachte, nahm Sal die Fernbedienung und schaltete das Gerät ein. »Dies ist ein Fernseher, er funktioniert mit Elektrizität. Einen Fernseher kann man in vielerlei Hinsicht benutzen. Einerseits als Informationsmedium, und andererseits zu Unterhaltungszwecken. Das hat nichts mit Magie zu tun, sondern mit Technik«, betonte Sal. »Elektrizität ist Energie, die aus diesem Ding gezapft wird. Sie entsteht in Kraftwerken, die den Strom durch Verteilernetze an die Haushalte liefern.«

Er zeigte auf die Steckdose. »Aber dort darfst du deinen Finger niemals hineinstecken, hörst du? Nur Stecker, das sind diese Teile mit einer Strippe dran!«, mahnte Sal eindringlich.

Cedric sah so erschrocken aus der Wäsche, dass er hoch und heilig schwor, unter gar keinen Umständen den Finger dort hineinzustecken.

Sal fuhr fort. »Dass alles so sauber ist, hat damit zu tun, dass es viele Mittel und Wege gibt, etwas sauber zu halten. Die Straßen sind durchgehend gepflastert, es werden keine Fäkalien mehr aus den Fenstern geschüttet, und das Wasser kommt direkt aus der Wand, man muss es nicht mehr aus dem Brunnen schöpfen. Zum Waschen der Wäsche gibt es Maschinen, die einem die schwere Arbeit abnehmen. Die Böden werden ebenfalls mit Maschinen gereinigt. Da gibt es den Staubsauger, außerdem gibt es auch Maschinen, die den Boden wischen können. Und da die Menschen von dem gesundheitlichem Risiko einer Ansteckung wissen, sind Läuse, Bettwanzen und Flöhe so gut wie nicht mehr vorhanden.«

Nachdenklich kraulte sich Sal den Bart. »Cedric ich werde dir gerne die Umgebung und die technischen Neuerungen zeigen.«

»Hurra! Oh, ja! Ich will dass du mir alles zeigst, auch was sich dort draußen befindet. Los lass uns gehen!«, rief der Kleine begeistert aus.

Nur zögerlich nickte Sal. »Ja, aber ehe wir dieses Abenteuer in Angriff nehmen, würde ich dich gerne von Amanda untersuchen lassen. Sie ist eine sehr liebe Person, sie wird dir nicht weh tun. Mir geht es vor allem um eine neurologische Untersuchung, du warst sehr lange fort, deshalb würde ich dich gerne gründlich untersuchen lassen.«

Da sich Cedric fertig bekleidet hatte und offensichtlich mit seinem Outfit sehr zufrieden, nahm Sal Kleiderbügel zur Hand, hängte ordentlich die Kleidungsstücke daran auf und verstaute sie im Schrank.

»Wenn du damit einverstanden bist, rufe ich Amanda an, damit sie hierher kommen kann.«

Die Enttäuschung stand Cedric ins Gesicht geschrieben. »Oh, na ja. Mein Kopf tut so weh. Soll ich sie rufen?… Amanda! Du kannst kommen!«

»Psscht! Cedric! Du kannst doch nicht so herum schreien! Das macht man heute ganz anders. Du warst eindeutig zu viel mit Ragnor zusammen.«

Bevor Cedric noch einmal rufen konnte, hatte Sal sein Handy aus dem Jackett gefischt und sprach leise zu jemanden, den Cedric vergeblich suchte.

»Ja, Amanda, aber sei nicht so ruppig zu ihm. Er ist ein sehr friedliebendes Wesen und noch ein Kind. Ich möchte ihn sehr sensibel behandelt wissen. Ja, bis gleich. Ach, und bring etwas gegen Kopfschmerzen mit.«

Kurz drauf klopfte es sachte an die Zimmertür. Erstaunlich schnell war Sal an der Tür und öffnete.

»Hallo Amanda, dort auf dem Bett, das ist dein neuer Patient, er heißt Cedric und ist eine ganz andere Art von Vampir, als du ihn sonst gewöhnt bist.«

Kritisch sah die Ärztin Sal an. »Er ist ja noch ein kleiner Junge! Also nicht dauerhaft notgeil und metzelt auch nicht mal eben zwischen dem Aufstehen und dem Frühstück elf Sträflinge nieder? Gut zu hören!«

Amanda trat an Wolfs Bett. »Hallo, ich bin Dr. Dr. Amanda Ferguson, du darfst mich Amanda nennen. Wo drückt der Schuh? Kopfweh? Ich habe hier etwas für dich«, sie reichte ihm ein Glas Blut und eine Tablette. »Bitte austrinken, danach müsste es dir viel besser gehen.«

Brav nahm der Kleine die Tablette und das Glas entgegen, schluckte die Pille und trank das Glas leer. Er wischte sich den Mund mit der Hand sauber.

»Wieso haben dich deine Eltern Doktor-Doktor genannt? Das ist ein wirklich komischer Name! Ich bin Cedric«, grinste der junge Vampir.

»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Cedric. Nenne mich einfach nur Amanda, okay? Doktor ist nicht mein Name, sondern ein Titel. Einer für Medizin und der andere für Molekularbiologie. Ich möchte eine kurze neurologische Untersuchung bei dir machen. Würdest du dich bitte wieder auf das Bett setzen?« Mit freundlicher Geste deutet ihre Hand auf das Bett. Sal war beruhigt, dass Amanda ihre sanfte Seite zeigte.

Cedric nickte eifrig und nahm auf dem Bett Platz und wirkte ein wenig verunsichert. Die Unsicherheit ihres jungen Patienten blieb Amanda nicht verborgen. Jetzt wurde es auf dem Bett ein wenig eng, denn sie setzte sich auf die anderes Seite, sodass Cedric zwischen Sal und Amanda saß.

»Es passiert jetzt nichts Schlimmes, ich werde dir weder Schmerzen zufügen, noch dich erschrecken, oder Ähnliches. Bitte, schließe deine Augen und führe erst den rechten, dann den linken Zeigefinger auf deine Nasenspitze.«

Gebannt wartete sie auf das Ergebnis. Leider holte der Junge etwas zu weit dabei aus und pikte mit seinem Finger in Sals Auge. Vielleicht war der ein oder andere in Cedrics Verwandtschaft ein Dirigent. Das zumindest dachte Amanda. Sal dachte im Moment gar nichts, außer, dass ihm sein Auge weh tat. Und als ob Cedrics Fingerzeig nicht schon reichte, war ihm auch noch die Kontaktlinse unter das Augenlid gerutscht. Schnell sprang er auf und verschwand im Bad. Und das alles ohne Ton, denn er wollte Cedric nicht verunsichern.

Amanda dagegen konnte sich kaum vor Lachen beherrschen. »Ja, das war schon mal ganz gut, nur war das nicht deine Nase, sondern Sals Auge. Gut, nun bitte mit der linken Hacke auf das rechte Schienbein, vom Knie bis zum Fuß streichen«, sie rutschte ein wenig zur Seite, damit Cedric ihr nicht aus Versehen ins Gesicht trat. Diese ganze Aktion war dem Kleinen mehr als peinlich. Verwirrt sah er Sal hinterher und bedauerte zutiefst, dass er ihm weh getan hatte. Er würde sich bei Sal entschuldigen. Verwirrt versuchte er Amandas Anweisungen zu folgen. Sollte er jetzt mit seiner Hacke auf sein Schienbein oder auf das von der Doktor-Doktor? Bevor er sie noch fragen konnte, klopfte es an die Tür …

***

Wie gesagt, es wurde Zeit, Amanda zu betrachten. Ich klopfte kurz an Sals Zimmertür und streckte den Kopf ins Zimmer. Und das war sie - und sie sah wieder einmal umwerfend aus ... Von vorn, genauso wie von hinten. Schnell legte ich mir ein lockeres Sprüchlein zurecht.

»Alles klar bei dir? Amanda? Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick? Oder soll ich noch einmal rausgehen und wieder reinkommen?«, fragte ich sie ganz charmant.

Sie warf mir nur einen vernichtenden Blick zu. »Alles klar, außer, dass ich wegen dieses kleinen Kerls ein Symposium über Meeresbiologie verpasst habe. Klar, geh doch noch einmal raus, dann auf die Straße und lass dich von einem Bus überfahren«, entgegnete sie schnippisch.

… Habe ich schon erwähnt, dass ich das mag? Vielleicht sollte ich sie mal fragen, ob sie mit mir einen Drink nehmen will. Wenn sie so auf Meeresbiologie steht, könnte ich sie zu mir ins Hotelzimmer einladen und mit ihr ein gemeinsames, anregendes Bad nehmen. Dann können wir "Free Willy" spielen und ich würde ihr einen glückselig machenden Ritt auf meinem Schwertwal spendieren, den sie nie wieder vergessen wird ...

»Okay, Amanda, meine Zimmernummer ist die 403, komm doch mal vorbei. Ach ja, weitermachen!« Diskret zog ich mich zurück.

Amanda grunzte. »So ein Idiot!«

»Äh, Amanda? Soll ich mit meiner Hacke mein, oder dein Schienbein berühren?«, fragte Cedric nach. Ihm war es anscheinend sehr wichtig.

Amanda schüttelte den Kopf. »Bemühe dich nicht, du bist okay, ich denke es ist kein neurologisches Problem, sondern hat eher etwas mit zu viel Alkohol und ungeschicktem Fleisch zu tun.«

»Was ist ein Bus, und warum sollte Ragnor sich davon überfahren lassen?«

»Er sollte sich wirklich nicht von einem Bus überfahren lassen. Er würde wahrscheinlich nur einen sehr großen Schaden anrichten. Dafür hat er nämlich ein echtes Händchen. Sal wird dir erklären, was ein Bus ist.«

Die Badezimmertür öffnete sich und Sal kam heraus. Sein Auge war leicht gerötet. Vorsichtig peilte er die Ärztin an. »Alles in Ordnung mit Cedric?«

Amanda nickte. »Eigentlich wollte ich ihn noch rückwärts von zwanzig minus drei zählen lassen, aber ich befürchte, dass er es genauso macht wie Ragnor. Der zählte nämlich: 20-3, 19-3, 18-3 und so weiter, außerdem kann ich es nicht verantworten, dass noch jemand verletzt wird. Er ist soweit okay, ich lasse euch jetzt allein«, sie nickte Cedric zu. »Gute Nacht, Cedric, wir sehen uns dann.«

Auch Sal nickte ihr zu. »Gute Nacht, Amanda.«

»Gute Nacht, Amanda! Schön dass ich dich kennenlernen durfte!«, winkte Cedric ihr hinterher.

Nun wandte er sich wieder Sal zu. »Oh, das wollte ich nicht, mein Finger ist einfach in dein Auge geflogen, tut es sehr weh?«

»Ach, ist halb so schlimm, mir war nur diese verfluchte Kontaktlinsen unter das Augenlid gerutscht, das artet immer in ein ziemliches Gefummel aus.« Sal setzte sich auf das Bett. Und natürlich war da noch dieser Anruf, der ihm zusetzte. Eine Horde Orks war spurlos verschwunden, einfach vom Radar verschollen, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Doch von dem Anruf, den er im Bad empfangen hatte, erwähnte er nichts, er wollte Cedric nicht beunruhigen, außerdem müsste er dann alles wieder erklären ...

»Wenn du bereit bist, dann können wir los ... Cedric?«, ratlos kratzte sich der Ältere am Kopf. »Wir können nicht einfach so auf die Gasse gehen. Ich dachte mir, dass ich dich hypnotisiere und dann werde ich dir alles erklären. Ist das in Ordnung für dich?«

»Hypnotwas?«, fragte der Junge. »Okay, wenn das nicht weh tut, machen wir es so. Wenn wir so nicht raus gehen können, müssen wir es eben so machen!«, überlegte er laut.

»Glaube mir, es wird gar nicht weh tun. Niemals würde ich dir weh tun. Also dann los.«

Als Magier und Thaumaturge hatte Sal schon seine Erfahrungen gemacht. Der alte Vampir löste seine Taschenuhr und hielt sie dem Jüngeren vor das Gesicht. »Du musst auf diese Uhr schauen und auf meine Stimme hören.«

Aufmerksam nickte Cedric und sah gebannt auf die Uhr, die Sal vor ihm hin und her pendeln ließ. »Du bist ganz entspannt, deine Muskeln werden schwerer und schwerer, und du fühlst dich trotz allem leicht wie eine Feder ...

Um dem Jungen nicht unnütz zu verängstigen, bega nnen sie ihre Reise dort, wo Cedric zuletzt gewesen war. In der Epoche des Mittelalters. Da die Straßen matschig und vom Regen durchnässt waren, hatte sich Sal ein paar Gummistiefel angezogen. Cedric stand neben ihm und betrachtete die Umgebung.

»Nimm meine Hand, ich werde dir alles zeigen, du brauchst keine Angst haben, denn mit mir an deiner Seite, wird dir nichts zustoßen.«

Vorsichtig griff Cedric nach Sals Hand. Sie gingen gemeinsam die mittelalterliche Straße hinauf.

»Wenn du genau beobachtest, wird dir die ein oder andere Neuerung auffallen, so wird es immer weitergehen, bis wir unsere jetzige Zeit erreicht haben. Fürchte dich nicht, denn es ist völlig normal, dass sich alles verändert, so etwas bringt der Fortschritt mit sich«, sagte Sal.

»Oh, ja! Ich sehe, dass dort keine Ochsen mehr vor dem Pflug gespannt sind, sondern Pferde!«, bemerkte der kleine Vampir und zeigte auf das Feld, das die Straße säumte. Er war so begeistert, dass ihm nicht einmal auffiel, dass sich das Feld inmitten der Stadt befand.

Mittlerweile hatte sich auch die Kleidung der Leute verändert. Menschen führten Krieg und das anscheinend sehr lange. Und sie hatten Waffen, die Lärm machten und qualmten. Überhaupt schien sich der Fortschritt darauf zu beschränken, wie ein Mensch den anderem am effizientesten das Licht ausblasen konnte. Das machte Cedric schon ein wenig Angst, sodass er Sals Hand beinahe zerdrückte. Es gab noch viele Kriege, doch auch Schönes. Sie blickten einem Mann über die Schulter, dem es gelang, aus Dampf Bewegung zu machen. Sahen, wie der Dampf diverse Maschinen betrieb. Webrahmen und sogar eine Druckerpresse. Und fast alle Menschen lernten Lesen und Schreiben. Wieder gab es Kriege. Sogar zwei große, denn der Mensch lernte das Fliegen. Doch es gab danach keinen weiteren großen Krieg mehr, dafür viele Autos. Die Menschen verzichteten weitestgehend auf Pferde und benutzten sie nur noch, um damit Sport zu treiben. Cedric wunderte sich sehr. Früher zogen die Pferde Kutschen in denen Menschen saßen und nun? Menschen saßen in Autos, die Anhänger mit Pferden hinter sich herzogen. Er kratzte sich ausgiebig seinen rotblonden Schopf. Und er stellte Sal sehr viele Fragen.

Sal kam sich vor, als wäre er vom Kinderkiller-Syndikat. Ein älterer Herr, mit einen Jungen im Schlepptau, das war schon mehr als verdächtig. Mittlerweile hatte er sein Mittelalter-Outfit wieder gegen seinen Nadelstreifenanzug getauscht.

»Ja, die Häuser sind schon mächtig groß, viele Menschen leben darin.«

Sal drückte auf die Fernbedienung seines Autos. Die Lichter eines Renault Grand Scenic, leuchteten auf.

»Bitte einsteigen, wir machen eine kleine Stadtrundfahrt. Und während ich dich durch die Gegend kutschiere, werde ich dir zu allen Fragen Rede und Antwort stehen. Ja, das ist ein Auto, aber nur der darf damit fahren, der auch einen Führerschein hat.«

Sie kurvten durch Paris mit allen seinen Sehenswürdigkeiten. Sahen den Eiffelturm, fuhren den Champs Elyseé entlang, winkten den Passagieren, die auf der Seine entlang schipperten. Cedric konnte sich am Arc de Triomphe gar nicht satt sehen und schlussendlich erreichten sie das Hotel.

»So, Cedric, jetzt weißt du alles, was du wissen musst, um diese Welt zu verstehen. Und ich bin froh, dass ich nicht mehr kursiv sprechen muss, davon bekomme ich nämlich immer Kopfschmerzen!«

Zuletzt lag Cedric schlafend auf dem Bett. Auch Sal war mit der Traumreise sehr zufrieden. Zwar drückten ihn die Sorgen um die verschwundenen Orks, doch Cedric hatte wenigstens keinen Grund mehr, sich vor der neuen Zeit und Umgebung zu fürchten. Sal lag auf dem Bett und wurde noch einmal kurz wach, wunderte sich darüber, wieso er gelbe Gummistiefel trug, grinste jedoch und fiel wieder in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf.

Pariser Nächte

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