Читать книгу Pariser Nächte - Elke Bulenda - Страница 5
Wo rohe Kräfte sinnlos walten...
Оглавление(Schiller, Lied von der Glocke)
Für die geheime Organisation "Salomons Ring" arbeiten nicht nur Hominiden. Wo man die Gattung der Orks nun genau einordnen kann, wird wahrscheinlich nicht einmal die seriöse Wissenschaft zu erklären wissen. Zumal diese der Meinung ist, so etwas wie ein Ork, entstamme lediglich einer anderen Geschichte, als der von Salomons Ring. Da die anerkannte Wissenschaft die Existenz von Orks leugnet, wissen wahrscheinlich nur die Orks selbst, zu welcher Gattung der Evolution sie zählen. Im Grunde ist es ihnen auch egal, denn diese Spezies hat wenig für Wissenschaft und Evolution übrig. Sie sind geistig eher simpel gestrickt und ihre Stärken liegen vielmehr auf dem Gebiet der körperlichen Arbeit, anstatt sich um Geisteswissenschaften zu scheren. Und wenn sie schon mit dem Kopf arbeiten, dann nur, um ihn als Rammbock für verschlossene Türen zu benutzen. Kopfarbeit der anderen Art, aber bei Gebrauch, sehr effektiv. Im Grunde sind die Orks des Rings recht arriviert. Sie beherrschen die menschliche Sprache, das menschliche Verhalten und essen sogar menschliche Speisen. Auch wenn die Gabel eher einer Mistforke gleicht, so essen sie wenigstens nicht mit den bloßen Fingern. Auch sind sie so gut erzogen, dass sie wissen: Man reißt niemanden den Kopf ab, nur weil er beim Kartenspielen schummelt. Ansonsten sind sie ganz normale Orks, wie sie im Buche stehen. Da der Ring international tätig ist, sind in Paris ebenfalls Ringmitglieder stationiert. In einer geheimen Filiale laufen alle Fäden zusammen und von dort werden die Einsätze in Paris und Umgebung koordiniert.
Und nun kommen die Orks ins Spiel. Größtenteils werden sie als Stoßtrupps und Antiterroreinheit eingesetzt. Oder bei Einsätzen, die zu gefährlich für die schwache Konstitution des Menschen sind. Eigentlich könnte man sie auch als Problemlöser betrachten. Wo ein Ork auftaucht, laufen die Probleme, solange sie noch dazu in der Lage sind, davon. Und wer nicht schnell genug läuft, hat bald keine Probleme mehr und wird auch nie wieder zu einem werden. Nie wieder. Pranke drauf!
Knorkim, Gurum, Trrrizzz und Bellum trieben sich in dem unterirdischen Liniennetz der Pariser Metro herum. Sie freuten sich wie immer darauf, die hundsgroßen Metro-Ratten zu jagen. Wenn ein Ork sich freut, will das schon etwas bedeuten. Immer wieder, in unbeobachteten Momenten, verschleppten die Metro-Ratten einen Fahrgast vom Bahnsteig, und ließen ihn auf nimmer wiedersehen verschwinden. Dieser Umstand macht die Jagd auf dieses raffinierte Wesen für die Orks gleich dreifach interessant. Zum Ersten, weil diese Monsterratten verdammt schwer aufzustöbern sind; zum Zweiten, weil sie ganz hervorragend schmecken und drittens, weil sie beim Erlegen einen dissonanten Quietsch-Laut von sich geben, der in den Ohren der Orks eher dem Klang einer Symphonie zuzuordnen ist. Und wenn sie sie in schneller Reihenfolge kurz hintereinander erlegten, kam sogar ein kleines Liedchen dabei heraus. Also sozusagen Ratto-Phone für Orks ... Und eine gute Tat am Menschen war dabei auch vollbracht.
Das Rattenräumungskommando war schon tagelang im 215 km langen U-Bahn-Netz der Pariser Metro unterwegs. Und das ohne an die Oberfläche zu müssen, denn sie hatten bei der erfolgreichen Jagd gleich Proviant dabei. Um nicht völlig für ihre Arbeitgeber unauffindbar zu sein, waren sie mit einem GPS Sender ausgestattet, der es der Zentrale erlaubte, jederzeit über den Verbleib des Quartetts Bescheid zu wissen. Auch hatte man sie mit Sprechfunk ausgestattet, der es ihnen ermöglichte, sich untereinander zu verständigen, ohne dass das Echo, welches ihr Gebrüll sonst auslösen würde, die Beute auf ihren Aufenthaltsort aufmerksam zu machen. So bewegten sie sich unauffällig zwischen den 301 Stationen der Metro, um dem Ungeziefer, das die Menschheit bedroht, den Garaus zu machen. Natürlich ist dieser Job nicht gänzlich ungefährlich, doch Orks lieben die Herausforderung, die diese Unternehmung bietet. Sie sind und bleiben Jäger. Außerdem wird das U-Bahn-Netz, im Abstand von 500 m, von der nächsten Haltestelle unterbrochen. Was die Metro keinesfalls in einen völlig finsteren Ort verwandelt. Um nicht in voller Montur durch die leicht panisch werdende Menschenmenge zu waten, nahmen sie vor jeder Station den Wartungszugang, um die Haltestellen zu umgehen; damit sie anschließend dezent hinter der Station wieder auftauchten, und ihre Beute auf dem Geleis weiterzuverfolgen.
»Ich empfinde unsere Arbeit als einen wahren Ritterschlag«, meinte Gurum, der von allen Orks des Trupps sozusagen der Denker war, und fing sich von Bellum, der neben ihm ging und auf seinen Tablet-PC schaute, einen Schlag auf den Helm ein.
»Autsch! Im eigentlichen Sinne, handeln wir nach dem Kant´schen, Kategorischen Imperativ«, setzte Gurum nach. Bellum starrte noch immer auf seinen Computer, der mit dem Zentralcomputer des Schienennetzes verbunden war. »Kant! Warum liest du nur so einen Schund!? Das Zeug ist doch schon mehr als 250 Jahre alt! Ich will nur mal wissen, wieso du dich so auf diesen Kant fixiert hast!?«
Gurum schob sich den Helm, der durch Bellums Schlag ins Gesicht gerutscht war, wieder hoch. Und blieb stehen.
»Ja, wie war das noch gleich? Das muss ich eben eruieren ...«
Dies wohlformulierte Aussage hatte zur Folge, dass er sich einen saftigen Tritt von Bellum einfing.
»Bist du verrückt? Du kannst doch nicht auf die stromführende Schiene pinkeln! Oder willst du tanzen?«
»Pinkeln? Tanzen? Reden wir noch vom gleichen Thema, oder sollte mir, in meiner Art und Weise zu denken, vielleicht doch im Angesicht der widrigen Umstände, irgend etwas entgangen sein?«, fragte Gurum nur leicht mokiert. Sein Gegenüber legte ihm die Pranke auf die Schulter. »Gurum, manchmal mag ich nicht glauben, was mein Ohr vernimmt. Bist du ein Ork, oder ein Weichei? Und wage es nicht wieder stehen zu bleiben.«
Der Pseudo-Intellektuelle sah seinen Mitstreiter fragend an. »Wieso?«
»Zug!«, grunzte Bellum und alle vier Orks, mit der Kleidung von Wartungsarbeitern ausstaffiert, traten von den Schienen zurück und drehten sich mit den Gesichtern zur Wand. Die U-Bahn rauschte an ihnen vorbei und der Sog, den sie dabei erzeugte, zerrte an ihren Sicherheitswesten.
»Übrigens, Bellum, auf Kant bin ich durch das Kinderbuch gestoßen, mit dem ich lesen lernte. Denn durch das Lesen eröffnen sich dir ganz neue Welten. Und noch etwas ... Die Pariser U-Bahnen haben gar keine stromführenden Schienen, die meisten der Bahnen fahren auf Pneus, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest«, berichtete Gurum.
»Verdammt!«, murmelte Bellum. »Dann habe ich die ganzen Jahre umsonst die Metallschienen gemieden und bin auf dem Holz gelaufen. Also, war ich sozusagen, auf dem Holzweg.«
Knorkim und Trrrizzz gaben ein kehliges Lachen von sich, als sie die Selbstgespräche ihres Leaders hörten. Sie warfen sich wissende Blicke zu und machten sich einen Spaß daraus, weil sie mehr als Bellum wussten.
»Dann habt ihr ja gut aufgepasst! Ich dachte schon, ihr erfahrt es nie!«, grummelte Bellum und verschaffte sich damit den Vorteil, wie ein Wissender zu wirken. Bevor die nächste Bahn kam, pinkelte er. Und tanzte … »ZZZ, ZZZ, Arrrrghhh! Ihr Schweine! Von wegen, es gibt keine Stromzufuhr in den Schienen! Na wartet! Wenn ich euch erwische, werde ich euch die Gleise fressen lassen!«
Bellum machte den anderen Mitstreitern Beine, indem er sie vor sich her jagte.
»Die Schienen sind viel zu hart, um sie zu fressen!«, bemerkte Trrrizzz.
»Halt die Klappe und lauf schneller! Da vorne kommt ´ne Weiche!«, antwortete Knorkim.
Trotz dieser Hatz mit Bellum im Rücken, hatten die Kämpfer ihren Spaß. Langsam beruhigte sich der Leader, ihm war bewusst, dass er die anderen beiden nicht ohne Weiteres einholen konnte, ihr Vorsprung war definitiv zu groß. Außerdem fühlte er sich vom Stromschlag seltsam erfrischt, seine Batterien wieder aufgeladen. Um seinen Unmut trotzdem etwas Luft zu machen, gab er Gurum ab und zu einen schmerzhaften Noggie, der wiederum ein vornehmes »Autsch!« von sich gab und seinen schmerzenden Oberarm rieb.
Trrrizzz und Knorkim, die die Vorhut bildeten, gaben durch, eine Metro-Ratte zu sichten.
»Ratte auf Zwölf Uhr!«
»Worauf wartet ihr? Knallt sie ab, aber vergesst nicht, diesmal bekomme ich die Augen. Die sind an den Viechern immer noch das Schmackhafteste!«, gab Bellum zu Protokoll. Die beiden Orks, die voraus gingen, verschwanden tiefer im Tunnel der eine Biegung machte und so Trrrizzz und Knorkim aus dem Sichtfeld der Nachhut verschwinden ließ.
»Verdammt, wenn wir mit der Säuberungsaktion durch sind, lasse ich mich auf ein einsames Atoll bringen, wo mir barbusige, mit Strohröcken bekleidete Schönheiten Mojitos mit Schirmchen servieren«, grummelte Bellum.
Er liebte Drinks mit Schirmchen, denn die Papierschirme knusperten immer so schön, wenn er sie kaute.
Schüsse ertönten und das Mündungsfeuer der Pistolen warf Lichtblitze an die Tunnelwand. Unheimlich verzerrte Schatten tauchten auf und verschwanden wieder.
»Habt ihr diese verdammte Kreatur?«, fragte Bellum seine beiden Kollegen.
Doch er erhielt keine Antwort.
»Die werden wohl schon ein kleines Feuer machen, um das Mittagessen vorzubereiten«, gab Gurum schulterzuckend zu Protokoll.
»Trrrrizzz, Knorkim? Meldet euch gefälligst!«, bellte Bellum. Doch keine Antwort. Als Bellum und Gurum dem Verlauf des Tunnels folgten, hockte vor ihnen eine Metro-Ratte mit gefletschten Zähnen. Von den beiden Mitstreitern war nichts zu sehen.
»Zum Teufel mit dir!«, fluchte Bellum und zog seine Pistole. Allerdings ließ er sie fallen, denn die Ratte wurde größer und größer. Ihre Gestalt änderte sich und während des Vorgangs sprang sie blitzschnell auf Bellum zu. Auch Gurum ging einen Schritt rückwärts, stolperte und fiel. Schreie ertönten, Lichtblitze zuckten und der Lärm der nächsten U-Bahn übertönte den Geräuschpegel eines Kampfes.
Danach folgten nur noch Dunkelheit und Stille.
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