Читать книгу Fatales Erwachen Epubli EPUB - Elke Bulenda - Страница 9

Lernen, ohne zu denken, ist eitel; denken, ohne zu lernen, gefährlich.

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( Konfuzius )

Mir war so, als hätte ich noch gar nicht lange geschlafen. Doch schon wieder ertönte das elendige Geklingel. Eine nervtötend fröhliche Stimme sprach folgende Durchsagen:

»Guten Morgen, sehr verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir hoffen, dass Sie eine geruhsame Nacht hatten. Es ist 6.00 Uhr, das Licht wird in wenigen Minuten eingeschaltet. Carpe diem!«

...Weckappell! ... Früher wurde wesentlich mehr dabei gebrüllt. Irgendwie ging mir diese morgens schon gut gelaunte Stimme mächtig auf den Nerv. Und wenn ich herausfand, wem sie gehörte, dem sollten die Götter gnädig sein! Ganz nebenbei beschloss ich einfach das Licht zu ignorieren und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Wenn jemand etwas von mir wollte, würde er sich schon melden. Nach und nach erwachte alles um mich herum zum Leben. Das Rauschen der Duschen, Schritte auf dem Gang. Eben das ganz normale Leben in dieser schönen neuen Welt. Wenig später kam Blondie ins Zimmer.

»Ragnor, warum liegst du noch im Bett? Steh auf, Dr. Ferguson erwartet dich. Und? Hast du gut geschlafen und etwas Schönes geträumt?«

Vorsichtig legte ich mein Gesicht frei, schirmte mit der Hand meine Augen gegen das grelle Licht ab.

»Ja, ich habe von einer Katze geträumt, wie ich mit ihr gespielt habe«, schnurrte ich.

Simon stieg sofort darauf ein. »Magst du Katzen? Wenn du sie so gern hast, könnte ich dir ein Kätzchen besorgen. Erzähl mal von deinem Traum. Wie hast du denn mit ihr gespielt? Mit einem Wollknäuel?«

»Nein, das ging so: Eine handliche Katze, eine Wand, etwas Ausdauer und ein zwergisches Putzkommando, das die Sauerei weg machte«, grinste ich hämisch.

Simon murmelte.

»Das mit dem Kätzchen, das lassen wir wohl doch lieber … Los steh jetzt auf! Ich habe dir deine Unterrichtsbücher mitgebracht.«

»Keine Katze? Nicht mal ein paar Lemminge? Die fliegen gut, sind sehr windschnittig, und das Sterben macht ihnen nicht das Geringste aus!«, bemerkte ich.

Simon legte den mörderisch großen Bücherstapel auf meinen Schreibtisch. Wohl oder übel musste ich aufstehen. Mein Quälgeist zuckte zusammen.

»Und zieh dir gefälligst etwas an!«

Ich steuerte auf das Bad zu und verschwand darin. In aller Ruhe rasierte ich mich, duschte gemütlich und kam blitzeblank wieder zum Vorschein.

»Was ist das da für eine kleine Bürste? Zum Haarebürsten ist sie wohl ein bisschen zu klein!«

Simon war wirklich geduldig, man lernt nie aus und ganz unter uns: mit einem frischen Pfefferminzgeschmack im Mund, sieht die Welt gleich viel freundlicher aus.

Frau Dr. Samenraub konnte ruhig noch etwas warten.

»Was soll ich denn anziehen?« Ratlos betrachtete ich den Inhalt meines Schrankes. Normalerweise habe ich keine Probleme mich zu bekleiden. Ein Kettenhemd, eine lederne Hose, Stiefel und eine Tunika, kein Problem. Zum Glück hatte Simon den Durchblick.

»Du musst zum Leistungstest. Zieh dir eine Unterhose, Jogginghose, ein T-Shirt und Socken an, dazu Laufschuhe.« Er holte die passenden Kleidungsstücke aus dem Schrank und warf sie mir auf mein Bett. »Los, zieh dich an!«

»Ich weiß gar nicht was du hast, ich bin doch längst angezogen!«

Simon guckte nicht schlecht. »Wie hast du das gemacht?«

Gelangweilt winkte ich ab. »Ach, das ist so eine alte Soldatenkiste. Was denn? Gibt es kein Frühstück, oder was?«

Kopfschütteln von Simons Seite. »Nein, du sollst nüchtern bleiben!«

… So ein Mist. Schon allein bei dem Wort "nüchtern" überfiel mich das Verlangen nach etwas Hochprozentigem. Nun ja, nützte ja nichts. Gehorsam schleppelte ich Simon hinterher, als er das Zimmer verließ. Meine beiden Freunde, Flimm und Flumm waren auch wieder da. Freudig begrüßte ich sie mit einem Kopfnicken. »...Ladys...«

Sie ignorierten diesen markigen Spruch geflissentlich und geleiteten Simon und mich durch verschiedene Gänge. Aufmerksam prägte ich mir die Route ein. Gähnende Leere überall. Wo waren nur all die anderen hin? Kurz darauf hatten wir unser Ziel erreicht. Seltsam nüchterne Buchstaben wiesen den Raum als "Leistungskontrolle" aus.

Irgendetwas musste sich, während meiner langen Abwesenheit, mit der Schrift getan haben. Die Schreiber hatten die kunstvollen Schnörkel vergessen.

Einmal angeklopft und Simon öffnete die Tür. Vorsichtig ließ ich meinen Blick schweifen. Speziell suchte ich nach dem Gerät, womit mich Mandelduft angegriffen hatte. Als die Luft rein war, entspannte ich mich. Dieser große Raum enthielt verschiedene Instrumente. Wieder sah ich Kästen mit blinkenden Lichtern. Und da saß sie, in ihrer vollen Schönheit.

»Simon, was hat bei euch so lange gedauert? Der Test sollte eigentlich schon seit einer viertel Stunde laufen.« Amanda erhob sich von ihrem Schreibtisch, nahm ein Clipboard mit und nickte mir unterkühlt zu.

»Als ich Ragnor abholen wollte, lag er noch in der Furzmulde!«, betonte Simon und warf mir einen leicht angesäuerten Blick zu.

Wölfisches Grinsen breitete sich über mein Gesicht aus.

»Hallo Mandy!«, winkte ich ihr galant. Leider ging sie wieder einmal nicht auf mich ein.

»So, so. Ragnor, komm her!«

Zu gern tat ich, wie mir geheißen.

»Hier siehst du verschiedene Geräte, mit denen wir den momentanen Stand deiner Fitness messen können.«

Ich nickte. Amanda fuhr fort. »Auf diesem Laufband testen wir deine Ausdauer, wie lang du laufen kannst, ohne zu ermüden.«

Nun zeigte sie auf ein anderes Instrument. »Hier testen wir die Kraft deines Schlages und deiner Tritte, eine hochauflösende Kamera misst die Geschwindigkeit. Und an diesem Gerät dort, wird ermittelt, wie viel Druck du mit der Faust und deinem Kiefer ausüben kannst. Wir messen den Druck in Pascal oder auch Pa. Das ist die Einheit, wie viel Newton auf einem Quadratmeter ausgeübt werden. Von unseren Mitarbeitern verlangen wir das Höchstmaß an Leistung. Nur wenn ihr fit genug seid, können wir euch in den Einsatz schicken.«

Das hatte sie so schön gesagt, obwohl ich das mit dem Pascal nicht so ganz verstanden habe. Ich kannte mal einen Pascal, und der war eine gottverdammte Schwuchtel.

Dr. Ferguson brachte mich zum Laufband. Simon setzte sich still in eine Ecke und blätterte in einem sehr dünnen Buch. International Journal of Medical Science. Später erzählte er mir, dass man so etwas eine Illustrierte nennt.

Bevor ich das Band betrat, ließ ich meinen Blick in Richtung Schreibtisch schweifen. Darauf stand ein kleiner Bilderrahmen, an dem ein zottiges, kleines Bärchen hing. Amanda sprach mit mir. »Ragnor, ich bitte um deine volle Aufmerksamkeit!«

Imponierend zuckte ich mit meiner Brustmuskulatur. Erst mit der linken, dann mit der rechten Brust.

Sie deutete auf ein Ding, dass sie als Display bezeichnete.

»Hier wird die Laufgeschwindigkeit angezeigt. Und diese Anzeige verrät dir, wie viele Kilometer du gelaufen bist. Das Programm ist eingestellt, verschiedene Schwierigkeitsgrade, wie z.B. Bergauf-Laufen.«

»In Ordnung«, war meine knappe Antwort. »Muss ich noch etwas wissen?«

Frau Doktor Doktor fuhr fort.

»Dieser rote Knopf ist der Sicherheitsschalter, oder auch Not Aus. Wenn du merken solltest, dass du nicht mehr kannst, dann drück diesen Knopf! Alles klar?«

… Ich verlor mich in ihren dunklen Augen, war ganz hin und weg. Sie hatte ihr fast schwarzes, seidiges Haar, so wie gestern, hochgesteckt. Ein paar neckische Strähnen widersetzten sich und hatten sich gelöst. Hinreißend.

»Ragnor? Hast du mir zugehört?«

»Geht klar, ich bin soweit.«

Die Ärztin nickte zufrieden. Sie drückte einen Knopf und das Band setzte sich in Bewegung. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu laufen, zu laufen, zu laufen und zu laufen. Wenn man läuft sieht man im Normalfall die Umgebung. Hier war nur dieser fensterlose Raum. Mir wurde sehr schnell langweilig. Ich schielte zu Amanda hinüber, die wieder an ihrem Schreibtisch saß und sich eifrig Notizen machte. Vielleicht würde sie gerne ein kleines Schwätzchen mit mir halten?

»Hast du Kinder?«, fragte ich sie einfach mal auf blauen Dunst.

Ein finsterer Blick traf mich.

»Das geht dich nichts an!«, war ihre Antwort.

»Ich hatte Kinder. Und nun sind einfach so weg. Drei Jungen und zwei Mädchen. Einen Jungen hatte ich mit meiner ersten Frau. Sie wurden beide niedergemetzelt. Die anderen Jungen waren Zwillinge. Als ich sie zuletzt sah, waren sie schon erwachsen. Mjøllnir hatte einen Sohn, Jesko. Gungnir mein anderer Sohn, hatte fünf Kinder. Ein Sohn hieß Bjarki. Na ja, und Rahan war eine Jugendsünde von ihm, ein ganz süßer Fratz. Die Drillinge hießen Tyra, Freya und Ulfric. Lustig, denn Ulfric steckte sich alles in die Nase, oder in die Ohren. Meine beiden Töchter hießen Jule und Mara. Sie waren süße, kleine Engel. Jule hatte blondes, lockiges Haar. Mara kam eher nach ihrer Mutter, sie war brünett.«

Wieso, fragte ich mich, stellte ich dieser herzlosen Person meine ganze Nachkommenschaft vor? Wahrscheinlich wollte ich ihr nur signalisieren, dass ein Opa auch ziemlich knackig und sexy sein konnte.

Wieder dieser weiche Ausdruck in ihrem Gesicht, den ich so gerne sehe. Amanda drehte den Bilderrahmen um.

»Das ist meine Tochter Alexandra, aber wir nennen sie Sascha. Sie ist jetzt acht Jahre alt.«

So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Es war kein Gemälde, sondern sah aus, als würde Sascha direkt im Bilderrahmen stecken. Sie hatte das dunkle Haar ihrer Mutter, aber ihre Augen waren heller. Und sie hatte viele, kleine Sommersprossen.

Langsam wurde das Laufen wirklich etwas anstrengend. Ich keuchte.

»Acht Jahre. .. das ist ein schwieriges Alter. Eigentlich sind sie in jedem Alter ... schwierig, richtige kleine Dickköpfe ... Liebenswürdige, kleine Dickköpfe.«

Mir fiel es immer schwerer, Schritt mit dem Band zu halten. Dann strauchelte ich, das Band riss mir die Beine weg und krachend transportierte es mich nach hinten. Ein quietschendes Geräusch erklang, als mir das Band unter der Nase durchlief und dabei versuchte, sie mir abzureißen.

...Wie peinlich ist das denn?...

Amanda hatte gute Reflexe. Sehr schnell war sie aufgesprungen und schaltete das Gerät ab.

»Nix passiert«, nuschelte ich.

Simon setzte sich, nachdem er von seinem Sitz in die Höhe katapultiert war.

Dr. Ferguson stemmte die Hände in die Hüften. »Ragnor? Wieso hast du nicht aufs Not Aus gedrückt?«

»Hä? Welches Not Aus?«

Verlegen rieb ich mir die Nase und meine erhitzte Oberlippe. Sie schnaubte wieder. Wie süß! Und dann verdrehte sie die Augen. Kritisch notierte sie sich meine Werte.

»Ganz schlecht! Jeder gut durchtrainierte Sportler schafft eine längere Strecke...«

Jetzt war ich aber wirklich schwer enttäuscht, ließ es mir jedoch nicht anmerken. Es folgten Test auf Test. Zumindest gab ich mir nicht die Blöße, wieder aufs Maul zu fallen. Ich drückte, schlug und biss, wurde gewogen und vermessen. Zwar wusste ich, dass ich ungefähr 7 Fuß groß bin. Aber jetzt bin ich 2,05 Meter groß … was mich sichtlich verwirrte. Wie viel ich wiege, dass wusste ich nicht. Nur, dass ich mich lieber auf stabile Bänke setzte, als auf einen Stuhl. Wenn ich in der Taverne etwas zu viel trank und nicht darauf achtete, worauf ich mich setzte, passierte es sehr schnell, dass der Wirt unfreiwillig Brennholz hatte. Und ich damit gleich eine wesentlich höhere Rechnung.

Zahlen leuchteten auf, als ich auf die Waage stieg. Im Hintergrund verstellte Simon die Stimme und piepste:

»Sie haben das Idealgewicht eines Einfamilienhauses, bitte steigen Sie unverzüglich ab, ich bekomme keine Luft mehr!«

Darauf hin ertönte ein röchelndes Geräusch.

Wütend warf ich ihm einen bohrenden Blick zu. Ich werde nicht gerne von jemanden hochgenommen, dessen Lebensinhalt es ist, sich von Pflanzen zu ernähren. Scheinbar fand Amanda den blöden Spruch lustiger, als ich. Sie lachte und meinte dann zu Simon: »Simon, du hast wohl heute einen Clown gefrühstückt?«

Als sie so lachte, keimte schiere Eifersucht in mir auf. Simon brachte sie zum Lachen, was mir bisher noch nicht gelungen war. Dabei hat sie doch so niedliche Grübchen. Wenn sie lacht geht die Sonne auf, oder auch der Mond, von mir aus auch alles beides. Wer romantischer ist, sollte sich hier noch ein paar Sterne und romantische Musik dazu denken ...

Die zweifache Doktorin drehte mir leicht den Hals zu, als sie das Display ablas. Sofort sog ich ihren Duft ein, hörte ihr Herz schlagen, ihr Blut durch ihre Adern rauschen. Selbst ihre Aura strahlte vor Vitalität. Knurren ertönte aus meinem Magen.

In Gegenwart eines Vampirs sollte man solche Sprüche wie "Einen Clown gefrühstückt" oder "Einen Narren an jemanden gefressen", verzichten. Das wirkt auf uns Vampire sehr Appetit anregend und könnte uns zu unüberlegten Handlungen provozieren.

»Knapp 140 Kilogramm. Ich schätze, wenn er austrainiert ist, werden es noch ein paar mehr sein.«

...Was war das denn? Ehrlich, ich hasste es, wenn sie über mich spricht, als wäre ich ein unmündiges Kind. Oder noch schlimmer, als wäre ich nicht einmal da ...

»Simon? Wir sind mit den Tests jetzt soweit durch«, wandte sie sich dem Lesenden zu. Endlich schenkte sie auch mir wieder Beachtung.

»Danke, Ragnor, das war es schon. Falls nichts dazwischen kommt, sehen wir uns dann zu den nächsten Tests, in einer Woche wieder.«

Ich nickte. Eine Woche? Wortlos verließ ich mit meinem Begleiter den Raum.

Eine Woche … So lange würde ich es nicht aushalten. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen...

*

Wir befanden uns auf dem Gang.

»Du hast doch bestimmt bestialischen Kohldampf, oder?«, fragte mein Begleiter. Man muss nun wirklich kein Hellseher sein, um mir das anzusehen, schließlich war es nicht mal zu überhören.

»Was denkst du denn? Ich bin 50 Kilometer gelaufen, habe verschiedene Instrumente verdroschen und du fragst mich, ob ich hungrig bin?«

Simon grinste. »Du bekommst wohl auch immer schlechte Laune, wenn du Hunger hast! Los, gehen wir in die Kantine, den Weg musst du dir eh einprägen.«

Die Anzeige meines Stimmungsbarometers hob sich schlagartig. Noch immer, von Flimm und Flumm begleitet, erreichten wir die Kantine. Sie war so ziemlich leer. War ja mal wieder typisch für mich. Ich hatte durch den elenden Test das Frühstück verpasst. In der Kantine wurde bereits das Mittagessen vorbereitet. Gemüse wurde geschnippelt, Fleisch paniert und angebraten; alles lief geschäftig von hier nach dort, rührte in Töpfen und wendete den Inhalt der Pfannen.

Jetzt endlich sah ich, dass ich hier nicht die einzige Abnormität war. Kleine, geflügelte Elfen wischten dort die Tische, wo die Zwerge nicht heranreichen konnten.

Damals wurde ich selbst zu einem Ehrenzwerg ernannt. Weil ich "Tony, die Fliege" gerettet hatte, der beinahe mit seiner Kutsche und den durchgehenden Pferden in den sicheren Tod gerast wäre. Seitdem kam ich immer prächtig mit den Zwergen aus. Aber Vorsicht! Niemals sollte sie jemand anderes als Zwerge bezeichnen, das ist sehr ungesund. Sie beherrschten die Axt, den Kriegshammer und ihre kleinen Messer, so wie weitere Hieb-und Stichwaffen so gut, dass man sich nicht wundern musste, wenn sie einem die Beine direkt über den Knien absäbelten. Sie selbst betrachteten sich eher als unter-groß, nannten sich lieber die Kleinwüchsigen und alle anderen dagegen - zu groß geratene Hohlköpfe.

Meine kleinen Freunde, die, nachdem ihre Heimat – Die Zwergenkanne - abgebrannt war, das Angebot angenommen hatten, mit meiner Familie und mir, gemeinsam in unserer herrschaftlichen Villa zu wohnen, waren immer für eine Überraschung gut.

Nie brauchte ich weit zu gehen, wenn mir nach einer Partie Knobeln, oder Kartenspielen zumute war. Im Gesinde-Raum, mit seinem zerkratzten Tisch, knallten die Becher, Karten und Ohrfeigen. Ein sehr temperamentvolles Völkchen. Außerdem verstanden sie es, ganz hervorragende Getränke zu brauen. Die Spirituosen waren so gut, dass man nie viel trinken musste, um mal eine ordentliche Dröhnung zu bekommen. Wenn etwas im Haus benötigt wurde, war es im Handumdrehen organisiert - und das auch noch umsonst. Die Kleinwüchsigen nannten ein ausgeklügeltes Logistik-und Informationssystem ihr Eigen. Der Begriff "Kleinkriminalität" bekam unter diesen Umständen eine völlig neue Bedeutung.

Im Moment war Simon vergessen, als ich an den Tisch trat und vor einem Zwerg in die Knie ging, was ein lautes Knacken zur Folge hatte. Die eigentlichen Zwerge sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wie ich aus Erfahrung wusste, waren sie schon immer sehr fortschrittlich. Schon unsere Mitbewohner hatten darauf geachtet, keine Zipfelmützen und lange Bärte zu tragen. Eigentlich taten sie alles, um nicht nach "Zwerg" auszusehen.

Auch dieser machte keine Ausnahme, denn er trug eine gelbe Mütze mit einem Schirm. Auf der Mütze selbst prangte ein Lakers Emblem. Zwar wusste ich nicht, wer oder was "Lakers" bedeuten sollte, aber das Abzeichen war fast genauso groß, wie der Kopf des Zwerges selbst. Der Bart war nicht lang, er reichte nur bis zu seinem Hemdkragen.

»Warum müsst ihr die Tische wischen, mein Freund? Geht der Bergbau so schlecht? ... Und gehören die Elfen nicht in den Wald?«

Ich bemühte mich, nicht zusammenzuzucken, als eine eindeutig weibliche Stimme erklang.

...Oh! Tja, ich vergaß. Alle Zwerge hatten einen Bartwuchs. Die Zwergen-Frauen auch. Viele trugen einen Bart, außer Mama Zwerg, die sich nicht im typischen Kettenhemd kleidete. Jetzt, im Nachhinein wird mir vieles klar...-das hat sie also immer mit meinem Rasiermesser angestellt!...

»Nö, der Bergbau lohnt sich nicht mehr! Viele erkrankten an einer Staublunge und seit wir die Unfall-Verhütungs-Vorschriften haben, kurz UVV, die bei zu hoher Arbeitsplatzbelastung einen Arbeitsschutz, in Form einer Atemschutzmaske vorsehen, ist es auch nicht mehr so wie früher! MAK! Maximale Arbeitsplatz-Konzentration! Pah! Früher konnte man sich wenigstens mit seiner Staublunge in die Frührente verabschieden! Egal, jetzt haben wir hier einen besseren Job; weniger Stunden klopfen, und wenn wir gebraucht werden, holen wir den Radbagger raus, oder den Tunnelbohrer. Die Arbeit hier in der Kantine machen wir freiwillig! Die Trolle sind wieder aus dem Einsatz zurück und haben Langeweile. Da missbrauchen sie uns gerne mal für dem Zwergen - Weitwurf!«, zeterte die Zwergin erregt. »Und die Elfen ... Ja, es ist traurig! Das Waldsterben und diese schrecklichen Autobahnen! Weißt du wie viele von ihnen an einer Windschutzscheibe sterben? Es ist ein Jammer! Aber hier sind sie sicher, mit uns in der Putzkolonne passiert ihnen nichts, die Zusammenarbeit ist soweit okay.«

Das sah man, sie ergänzten sich prächtig. Eine Elfe im Haus, erspart dem Zwerg die Fußbank.

»Oh, das wusste ich nicht, dann seid ihr gerne hier?«, fragte ich erstaunt. Sowohl die Elfe, als auch die Zwergin nickten energisch. Da ich nicht weiter stören wollte, überließ ich sie wieder ihrer Arbeit.

»Komm mit«, sagte Simon. »Ich will dich der Diätberaterin vorstellen.«

… Diät? Ein wenig fühlte ich mich gekränkt. Dabei bin ich doch gar nicht dick!... Da es sich nicht verhindern ließ, trottete ich hinter ihm her.

»Das ist Ragnor«, stellte er mich der älteren Dame vor. »Ragnor, das ist Anna Stolz, unsere Diätberaterin.«

Nicken meinerseits. Die Dame war zwar Diätberaterin, doch hielt sie persönlich wohl nur sehr wenig vom gemäßigtem Essen. Rotbackig und drall war sie, genauso wie man sich jede gute Küchenmagd vorstellt.

»Da haben wir aber einen strammen Burschen!«, bemerkte sie erfreut.

Vorsichtshalber drehte ich mich mal kurz um, merkte aber schnell, dass sie mich gemeint haben musste.

»Ja«, erwiderte Simon. »In Zukunft bekommt er die V-Diät.«

Ah, jetzt ja … Der Groschen war gefallen ... V - wie Vampir.

War ja auch klar, dass sie mich nicht mit Erbsensuppe abfüttern konnten. Die stolze Anna lief los und kam wenig später mit einem vollen Krug warmen Blutes zurück. »Und was kann ich für dich tun, Simon?« Anna ist eine Perle und ich schloss sie sofort in mein kaltes Herz.

»`N` Kaffee wäre nicht schlecht!«

Ratzfatz hatte Simon ebenfalls eine Kanne in der Hand. Wir setzten uns an einen Tisch. Simon deutete auf die Ecke, gleich hinter dem Eingang.

»Da drüben ist ein Regal, dort gibt es Tabletts, Teller, Tassen, Becher, Gläser, Besteck und Servietten. Wenn du hier in Zukunft deine Nahrung aufnimmst, musst du dich vorher dort bedienen. Tablett brauchst du ja keins.«

...Würde das bedeuten, dass ich mich hier bald frei bewegen konnte?...

Nachdem ich mir das Regal angesehen und für Simon einen Becher und für mich ein Glas besorgt hatte, pfriemelte ich ungeschickt an der Kanne herum. Simon zeigte mir, dass man nur auf einen Knopf drücken musste. Überhaupt funktionierte hier scheinbar alles nur per Knopfdruck. Während ich mir mein Blut in Rekordzeit einverleibte, rührte Simon in seiner Tasse herum. Von ihr stieg ein wirklich herrlicher Duft auf.

»Kaffee! Das erfrischt und belebt, gerade am frühen Morgen!«

Schnellstens besorgte ich mir ebenfalls einen Becher und trank meinen ersten Kaffee. Er war gut, ein wenig bitter, doch mit Zucker gleich viel besser. Ein anderes Süßmittel als Honig kannte ich nicht, scheinbar war der ihnen wohl ausgegangen? Oder zum Met brauen entwendet? So etwas wie Hoffnung keimte in mir auf.

»Du bist ein seltsamer Vampir, ich dachte ihr trinkt nur Blut?«, fragte Simon.

»Nein, trinken kann ich alles, es macht natürlich nicht satt. Essen vertrage ich nicht, davon muss ich mich erbrechen, aber trinken geht schon in Ordnung.«

Simon nickte.

»Hör zu, dem Blut haben wir eine hohe Dosis Beta Karotin beigemengt. Das belebt etwas deine Hautfarbe. Wenn wir hier fertig sind, werden wir verschiedene Fotos für deine Papiere machen. Für den Außeneinsatz brauchst du Pässe, Ausweise und Führerscheine. Und das von jedem Land, in dem wir einen Einsatz haben. Sie werden aber erst erstellt, wenn wir unser Ziel wissen. Wir arbeiten zwar mit jeder Behörde zusammen, doch können wir es nicht gebrauchen, wenn ein kleiner Dorfsheriff unsere Mitarbeiter verhaftet, weil sie ohne Papiere fahren. Nicht jeder weiß über unsere Aktionen Bescheid. Vieles wird gar nicht bis dort durchdringen, allein schon, um die Bevölkerung nicht zu verängstigen. Obendrein bekommst du einen Firmenausweis mit eingebauter Schlüsselkarte, die dir zu verschiedenen Türen Zugang verschafft. Je besser du lernst, desto schneller steigt die Stufe deiner Priorität, also auch mehr Freiheiten.«

Das klang verdammt gut. Jedenfalls würde ich nicht bis ans Ende meiner Tage hier verrotten. Und wenn er mir mehr Freiheiten in Aussicht stellte, dürfte ich vielleicht auch länger fernsehen. Dieser Gedanke gefiel mir.

Simon zeigte mir seine Karte. »Deine musst du gut sichtbar tragen, sie wird mit einem Clip befestigt.«

Auch gut. Ich las, was auf Simons Karte stand.

Simon Friday. Er war schon 30 Jahre alt. Wir waren fast gleichaltrig, ich wurde etwa in seinem Alter zum Vampir gewandelt. Man sah ihm sein Alter überhaupt nicht an, er wirkte auf mich wie ein Knabe. Zu meiner Zeit war man mit 30 Jahren schon fast alt. Falls man das Kindesalter überstand, erwartete einen ein Leben, das von harter Arbeit geprägt wurde. Damals, war das Leben wesentlich anstrengender, so ganz ohne Knöpfe.

Er nahm die Karte wieder an sich und guckte auf sein Handgelenk.

»Gehen wir los, wir haben ein volles Pensum, denn heute bekommst du eine Einführung in deinen Stundenplan. Ich stelle dir die Lehrer und deine Mitarbeiter vor. Ihr seid die Gruppe R, das R steht für Rehabilitation.«

Beim Verlassen der Kantine hörte ich die Zwergin schimpfen:

»Verdammt! Sagt mal diesen bekloppten Zentauren, sie sollen nicht immer unter den Tisch scheißen!«

*

Zum Fotografen ging es zuerst. Simon stellte ihn mir vor.

»Das ist Stuart Richardson, er ist unser Hausfotograf.«

Stuart nickte mir zu und machte dabei den Eindruck, als wolle er vor mir davonlaufen. Nachdenklich stierte er auf meine Zöpfchenfrisur.

»Hm, Simon, vielleicht sollten wir etwas mit seinen Haaren machen. Wenn er so mit dem Auto fährt, halten sie ihn sofort an, um ihn auf Haschisch, oder andere Drogen zu filzen.«

Fragend warf mir Simon einen kritischen Blick zu. Missmutig schüttelte ich den Kopf. »Das kommt gar nicht infrage!«

»Machen wir die Fotos,« bekundete Simon. »Falls Ragnor es sich anders überlegt, machen wir eben ein paar neue. Für den Internen reicht es erst mal.«

Stuart drehte an einem Hocker, bis er niedrig genug war, damit ich darauf Platz nehmen konnte. Das Fotografieren empfand ich als sehr unangenehm und wir schossen mehrere Fotos, weil ich, wenn es blitzte, ständig die Augen zukniff. Wir entschieden doch, ein paar Fotos mehr zu machen. Leider musste ich mich dafür ein paar mal umziehen, damit die Bilder verschieden alt aussahen.

Stuart hatte einen schier unerschöpflichen Fundus an Kleidung in allen Größen. Ich ließ es bleiben, mein Haar hinter die Ohren zu schieben. Meine Ohren sehen alles andere als menschlich aus, sie sind oben nicht mehr rund, sondern haben eine zugespitzte Form. Das will und soll nun wirklich niemand sehen.

Denkt nicht einmal daran, sie Elfenohren zu nennen! Klar?

Hinterher konnte ich mir die Fotos, halb blind vom elendigen Geblitze, in einem Kasten ansehen, den Simon Computer nannte. Tatsächlich sah meine Gesichtsfarbe jetzt wesentlich gesünder aus.

Trotzdem...Was für eine Verbrechervisage!...

Stuart bearbeitete meine Augenfarbe. Wieso pfuschten sie an meinen Augen herum? Ungehalten knurrte ich.

»Im Einsatz wirst du farbige Kontaktlinsen tragen, ihr dürft so wenig wie möglich auffallen«, erklärte mir Simon.

»An so einem PC ist alles möglich«, sagte mein Begleiter. Dann lachte er. »Hey, Stuart, Ragnor will die Queen durchvögeln! Los google mal nach der englischen Königin!«

Dieses Gekicher machte mich äußerst misstrauisch. Auf dem Monitor erschien das Bild einer seeehr alten Dame mit Krone. Ich schnappte nach Luft und gab einen entsetzen Laut von mir.

»Und? Immer noch buschig?«, fragte Simon und kicherte wie ein Kobold.

»Kannste knicken! Mir ist die Lust irgendwie vergangen, da sehen ihre Hunde sogar noch besser aus«, war meine Antwort.

Schließlich habe ich auch meinen Stolz. Dabei bin auch noch ziemlich wählerisch, was meine Bettpartnerinnen angeht. Bei nicht ganz so hübschen Weibern mache ich schon mal eine Ausnahme. Schließlich gibt es kein Frauengesicht, das größer ist als ein Herrentaschentuch. Also, kein Problem kann so schlimm nicht sein; aber die Queen? Die war mir doch etwas zu reif. Nachdem das geklärt war, fragte mich Simon nach meinem Namen.

»Wieso fragst du? Du weißt doch wie ich heiße, Ragnor!- Hey, Simon, ich bin es! Fühlst du dich nicht gut?«

Simon schnaubte. »Danke, mir geht es gut. Nur wenn du einen Ausweis bekommst, brauchst du mehr als einen Vornamen. Auch einen Zunamen, oder Nachnamen.«

Ach so.

»Ich bin Ragnor invictus belliperitus emigrare barbarus nuc cornus! Äh, das "nuc cornus" können wir jetzt ja wohl streichen!«

Schließlich hatten sie mir eigenhändig meine Hörner abgenommen.

Leicht genervt, zeigte Simon noch einmal seinen Ausweis.

»Guck dir mal einen Ausweis an. Den kann man nicht von oben bis unten mit seinem Namen vollschreiben! Da stehen auch Geburtsdatum, Größe, Augenfarbe und so weiter, drauf.«

Das sah ich ein, wohl oder übel musste ich ihm recht geben.

»Hör mal, Ragnor, ich weiß, dass man sich früher selbst einen Namen gab, oder den Namen von seinem Vater annahm, oder was weiß ich. Wir sollten dir einen anständigen Namen geben.«

Giftige Blicke meinerseits.

»Nun guck mich doch nicht so an, ich kann es doch auch nicht ändern. Denk dir einen aus, so schwer wird das für dich nicht sein, aber einen Normalen. Keinen lateinischen, heute ist englisch die Hauptsprache.«

Woher sollte ich mir jetzt einen neuen Namen holen? Mir fiel sofort der Kerl aus dem Fernsehen ein.

»McClane?«

Simon versuchte mir auf die Schulter zu klopfen.

»Hey, das ist cool! Stirb langsam, richtig? Mit Bruce Willis! Du hast wirklich Humor, Mr. McClane!«

*

Wie trampelnde Rinds-Viecher, folgten uns die Sicherheitsleute auf den Fuß. Vor einem Raum blieb Simon stehen und wollte die Türklinke drücken, doch er verharrte.

»Der Fitnessraum, wir müssen erst die Spiegel austauschen, sonst gibt es gleich wieder eine Katastrophe, den sehen wir uns ein anderes Mal an.«

Sogleich gingen wir weiter. Und nun traten wir ein, ins Reich von Meister Chen. Misstrauisch beäugte ich die vielen Menschen, die sich wie Tänzer bewegten, ruckartig ausholten, und dabei wilde Schreie ausstießen. Auf mich wirkte das Herumgehopse irgendwie schwul. Vor der Menge stand ein kleiner Mann, der völlig schwarz gekleidet war. Freudig wurde er von Simon begrüßt.

»Meister Chen, das ist unser Neuzugang, Ragnor.«

Der Meister hatte schmal geschnittene Augen, fast so wie die meiner Mutter. Und er schaute auch so, genauso, als hätte ich etwas Schlimmes ausgefressen.

An Simon gewandt meinte er: »Simon, der Kerl ist ein großer, weißer Trampel! Und er ist klobig wie ein Ork! Ich glaube nicht, dass ich ihm etwas beibringen kann!«

Seine Worte kamen mir ziemlich recht, denn ich beabsichtigte nicht im Geringsten, mich diesem seltsamen Getanze anzuschließen. Schlitzauge war noch immer aufgebracht. So trat er an mich heran, reichte mir einen Stock und meinte: »Du bist viel zu langsam!« Dabei stach er mir seinen Zeigefinger in die Brust. »Schlag mich!«

Hilflos guckte ich zu Simon rüber. Dieser zuckte mit den Achseln.

»Hör zu, Meister Chen, ich weiß wirklich nicht, wie du drauf bist, aber ich halte das für keine wirklich gute Idee...«

Meine Weigerung führte nur dazu, dass mir der kleine Mann, noch ein paar Male seinen Zeigefinger in die Brust pikste und immer wütender wurde.

»Du sollst mich angreifen! Los, du großer, roter Barbar! Das ist ein Befehl!«

Na, wenn sein Wort Befehl ist?... Dann schlug ich zu.

*

Wir waren wieder auf dem Gang.

»Er hat es ja nicht anders gewollt! Hast du gesehen, wie er mich immer und immer wieder gepikt hat?«

Simon war nicht gerade begeistert, tröstete mich aber.

»Er hatte ja keine Ahnung, wie schnell du bist. Ist schon okay, Ragnor, dann machst du eben keinen Asiatischen Kampfsport. Das ist ja auch nicht schlimm, so bleibt dir mehr Zeit fürs Lernen und die moderne Fortbewegung.«

Abrupt blieb ich stehen. »Du meinst doch nicht etwa reiten? Oder? Ich hasse Pferde wie die Pest, sie sind schlimmer als Zahnschmerzen! Vorne beißen sie, hinten treten sie und in der Mitte sind sie unbequem!«

Obwohl meine Mutter einem östlichen Reitervolk angehörte, konnte ich die Liebe zu Pferden nie mit ihr teilen. Für mich machte es keinen Sinn, auf einem Tier zu reiten, das einen Fluchtreflex besitzt. Dieser machte sich auch sofort bemerkbar, sobald ich einen Fuß in den Steigbügel setzte.

Blondie schüttelte den Kopf. »Nein, wir reiten seit über hundert Jahren nicht mehr. Wir fahren Auto.«

Da war ich aber beruhigt. Keine Bestien, die einem ein Stück Sitzfleisch aus der Backe bissen.

»Ach, das sind diese fahrenden Kisten, die ich im Fernseher gesehen habe. Okay, klingt doch gut!«

Hinter der nächsten Tür vermutete ich die rasanten Verkehrsmittel, wurde jedoch enttäuscht, als sich der Raum als riesige Sporthalle entpuppte. In der Mitte des Raumes stand ein Kerl mit einer seltsam, kantigen Frisur; groß, drahtig, militärisches Auftreten. Abwechselnd in die Trillerpfeife blasend, dann wieder, wie ein Wilder schreiend, war schnell klar – eindeutig ein Schleifer. Während sich der Kerl die Seele aus dem Leib schrie und pfiff, kam ein hochgewachsener Mann, in sehr kurzen Hosen, auf Simon zu geschlendert. Mit so kurzen Hosen, dass es auch ein Gürtel hätte sein können.

»Simon, wir haben dich gestern schon vermisst!«, flötete er.

Als sich der Mann zu Simon drehte, sah ich, dass er schwarze Flügel auf dem Rücken trug. Wie er da so mit meinem Begleiter herumschäkerte, überkam mich wieder die Eifersucht. Aha, ich war also nicht Simons einziger Schützling. Und der Typ da, schien eine männliche Engelshure zu sein.

Simon unterhielt sich mit dem Engel und trat zu dem trillernden Schreihals. Dann winkte er mir, ich solle ihm folgen.

»Ragnor, das ist Alex Kowalsky, euer Trainer für Fitness, Nahkampf, und Waffenkunde. Du kannst ruhig mal deine Mitschüler beschnuppern, ich unterhalte mich noch ein wenig mit Alex.«

Simon ließ mich einfach so stehen ...

Kritisch standen Alex und Simon zusammen, blickten zu den anderen rüber.

»Verdammt Simon, was für eine jämmerliche Gurken-Truppe! Jetzt kommt auch noch Conan, der Barbar! Scheiß der Hund drauf ... Jedenfalls sind sie jetzt wieder zu viert.«

Laut Simon sollte ich meine Mitschüler beschnuppern. Also sondierte ich die Lage. Außer dem dunklen Engel, war da noch ein Typ, der aussah, als hätte ihn jemand gerade aus dem Ofen gezogen. Dunkelgrüne, ledrige Haut bedeckte seinen Körper. Bei genauerer Betrachtung waren es Schuppen, wie die eines Drachen. Und da war noch ein anderes Ding. Fragt mich nicht was es darstellen sollte. Es wechselte ständig Form und Farbe. Gut, ich versuchte ein bisschen freundlich zu sein.

»Hallo, ich bin Ragnor.«

Der Engel schlenderte auf mich zu. Schlenderten eigentlich alle Engel? Bei den Göttern, ich bin nicht anders herum, aber Engel sind nun einmal schöne Wesen. Neben ihm wirke ich wie eine hässliche Kröte. Kurzerhand beschloss ich, ihn dafür zu hassen.

»Ich dachte, Engel haben lange Locken und spielen den ganzen Tag Harfe?«, fragte ich ihn, nicht ohne einen gewissen Sarkasmus in meinen Satz zu legen. Seinen Kopf hatte er mit einer stacheligen Kurzhaarfrisur verziert. Wild, schwarz und steif, stand ihm sein Haar von Kopf ab. Nur in der Stirn trug er ein paar Fransen.

»Mein Name ist Barbiel. Und ich bin nicht derjenige, der eine Frisur wie ein Barbar trägt! Langhaarfrisuren sind nur etwas für Schwuchteln, oder Transen!«

Wütend funkelte ich ihn an ... »Schwuchtel? Transe? Soviel ich weiß, haben Engel kein Geschlecht! Na? Wer ist hier jetzt die Transe? He? Ist das da eine zusammengerollte Socke in deiner Hose?« Wir standen fast Nase an Nase, aber nur fast, er ist kleiner als ich. »Ich frage mich, wieso du nicht einfach die Flatter machst, du Mädchen!«

Darauf mein gefiederter Freund: »Ach, das sagt gerade jemand, der Ohrringe trägt! Du Tucke!«

Das ließ ich nicht auf mir sitzen. Also bekam er dies:

»Flieg, flieg davon, bevor ich dir die Flügel, wie einem Brathuhn ausreiße!«, provozierte ich ihn weiter. Als Nächstes würde ich eine alte Wikinger-Spezialität aufs Tapet werfen. Den Blutadler.

Ganz eindeutig bahnte sich eine saftige Schlägerei an. Doch ehe es soweit kam, trillerte es laut und lang. Meine Trommelfelle drohten zu zerreißen.

»Was ist hier los? Hat euch jemand ins Hirn geschissen? Seid ihr jetzt fertig mit eurem Schwanz-Vergleich? Gebt sofort Ruhe, oder ihr macht mir auf der Stelle 200 Liegestützen! Vertragt euch!«, brüllte der Schleifer.

Scheinbar machte Barbiel genauso gerne Liegestützen wie ich, denn wir beschlossen beide, uns zu beherrschen.

»Jawohl, Sir!«, salutierte der Engel stramm.

»Was? Ragnor? Ich höre nichts! Nimm Haltung ein, oder ich trete dir in den Arsch, dass du Eier spuckst!«, brüllte der Schleifer.

»Jawohl, Sir!«, tat ich es dem Engel nach.

Schnaubend drehte sich Schleifer Kowalsky um und ging zurück zu Simon.

Barbiel war scheinbar nicht nachtragend, zuckte mit den Schultern und war locker, gelassen und freundlich.

»Okay, Ragnor. Der Schuppige, das ist Dracon, die Betonung liegt auf dem O, er ist ein Franzose. Seine Mutter ist jedenfalls Französin, sein Vater ist ein waschechter Drache.«

Dracon nickte und sagte, »Très contents!«

Auch ich nickte ihm zu. Der dunkle Engel fuhr fort. »Und das, was ständig die Farbe und Form ändert ist ein: Incompositas Exo Creaturus.«

Das Ding bildete einen menschenähnlichen Kopf, und eine Hand kam aus seiner Masse hervor. Ich unterließ es, sie zu schütteln und hob lediglich meine Hand zum Gruß.

»Hy, wie soll ich dich nennen? Ich kann mir keine Namen merken, vor allem, wenn sie mehr als fünf Buchstaben haben.«

Incompositas Exo Creaturus steckte mit Dracon den Kopf zusammen. Er, oder es blubberte, der Drachenmensch nickte und antwortete mit starkem Akzent.

»Wir nennen ihn Silent Blobb, oder Bob. Das darfst du auch, ist okay für ihn.«

War wirklich mächtig nett von ihm, dem, oder das Bob.

»Okay, ich nenne dich erst mal Bob, wenn du nichts dagegen hast.Und warum seid ihr hier?«

Sie guckten sich an und kicherten, nur Bob nicht, der blubberte. Barbiel, der wohl so eine Art Wortführer für die anderen war, antwortete.

»Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen? Weißt du nicht was diese Gruppe bedeutet? Sie sagen zwar Rehabilitation dazu, es ist aber im Grunde eine Umerziehungsmaßnahme. Die anderen nennen uns spöttisch "Die Knackies". Dracon lief mitten in Paris mit einem Flammenwerfer Amok, und rief: ›Isch bin ein Drache!‹, er kann nämlich kein Feuer spucken und Flügel hat er auch keine. Silent Blobb wurde von der Umweltbehörde entdeckt, weil er sich als Luftmatratze getarnt hatte … An einem FKK- Strand. Nein? Das sagt dir nichts, gut, das ist ein Nackt-Badestrand.«

Der Engel hüstelte amüsiert. »Na und ich...«, er zeigte auf sich, »habe damals mit Luzifer, gegen den Boss rebelliert.«

Jetzt war es an mir, mich zu erklären. Eigentlich wusste ich nicht, warum ich hier war. Also antworte ich lakonisch:

»Ich habe wohl eindeutig zu lange geschlafen.«

Wieder dieses Kichern. Nun schaute ich mir Barbiel etwas genauer an.

»Du hast doch Flügel, wieso bist du nicht längst abgehauen?«

Mit der Hand griff er sich einen Flügel und zog ihn auseinander. Ihm fehlten die Hälfte seiner Schwungfedern. Er war gestutzt, ganz so wie ein Ziervogel im Park, damit das Tier nicht davon fliegen konnte.

»Sie haben mir die Federn genommen, und dort Hülsen eingesetzt. Meine Federn bekomme ich erst im Einsatz wieder. Außerdem sage ich nur: „Arschbombe“ und damit meine ich nicht das Hallenbad!«

Die anderen nickten.

Dracon ergriff das Wort.

»Dein Vorgänger `at die Biege gemacht, er war ein Lykanthrop, ein fürschterlischer Bursche, ständig lagen seine Klamotten `erum, es `at ihn zerrissen!«

Alle nickten und sagten wie aus einem Mund:

»Bäng!«

Es gibt ein Sprichwort, das lautet:

»Meine Vögel erkenne ich an ihren Federn.«

Das waren dann wohl ganz eindeutig meine Vögel.

Simon rief mich, ich nickte der Herrenrunde zu und wir machten uns wieder auf den Weg, um weiter die schöne, neue Welt zu erkunden.

*

Fatales Erwachen Epubli EPUB

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