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Das Nullmorphem ist Thema des soziolinguistischen Proseminars, auf das Berts vergrämter Blick unwillkürlich fällt, als er die Damentoilette der Lehrkörper der Philosophischen Fakultät verlässt. Die studentische Überpopulation hockt vor der Toilettentür, Stühle werden in den Sanitärbereich gerückt, der Soziolinguistikdozent, in der Tiefe des Seminarraums auf der anderen Seite des Flures, ist kaum zu erkennen. Seine Stimme wird durch technische Verstärker in die Labyrinthik der Universitätsschnellbaugänge getrieben.

Das Nullmorphem, doziert der lautsprechende Dozent, ist ein inhaltlich vorhandenes, aber lautlich nicht ausgedrücktes Morphem (z.B. bei der Bildung des Genitivs Singular Femininum). Der Frau.

Berts Genitalien vibrieren bei der Bildung des Genitivs Singular Femininum. Frau, Frau, Frau morst es unablässig im nachtschwarzen Inneren seines Morpheusschädels, in dem er einen rosa Spitzenschlüpfer und ein Paar schwarzer Netzstrümpfe aufbewahrt.

Casus obliquus, schwächt der Lautsprecher ab, abhängiger Fall.

In Berts sprachlichem Epizentrum triumphiert der unbestimmte Casus rectus Frau, die studentische Überpopulation rekelt sich der Pause entgegen, ein paar pausblonde Studentinnen stricken einen lila Schal, der Bert an ein wichtiges Tagesziel erinnert: Er will Petra anrufen, er will ihr Glöckchen läuten, er will bei ihr anbimmeln, er will in ihren siebten Himmel.


Das Proseminar bimmelt und blökt, es teilt sich in der Flurmitte und gibt einer Herde schafskäsekauender Dolly-Experten den Weg frei zur naturwissenschaftlichen Fakultät. Da schleust der Rektor der traditionslosen Universität eine Gruppe ägyptischer Austauschstudentinnen einer traditionslosen Schwesteruniversität durch die Hörermassen. Allein die Kopftücher der Frauen und die Führerfigur ihres spiritus rector sind traditionsreich. Und Berts Fährtenschritt. Denn Bert stellt instinktiv dem Plural Femininum nach, der das soziolinguistische Seminar rasch hinter sich lässt.

Wie Moses mit dem Volk Israel durch die Wüste zog, so zieht der Rektor mit den ägyptischen Austauschdamen durch eine abgenutzte Teppichflurlandschaft, vorbei an weit geöffneten Seminarräumen, in denen Herren sich einzeln, paarweise oder in Gruppen gymnastischen Streck- und Beugeübungen hingeben.

Liebe, Sex und andere Kleinigkeiten: Zur Konstruktion intimer Systeme heißt es an einer Wegkreuzung. Und als gäbe es dort das lebenserhaltende Wasser, das auf entbehrungsreicher Wanderung gefehlt hätte, bleiben Rektor, Damengruppe und Bert wie ein Mensch vor der Hörsaalöffnung stehen.

2 Liebende = 2 Systeme, so die Botschaft, die die neue Hörerschaft wie einen kräftigenden Bissen auf der Rast aufschnappt, inkompatibel, intim, zuweilen indifferent. Die Ägypterinnen blättern eiligst in riesigen Wörterbüchern, Berts Hirn ist dumpfgestellt, der Rektor nickt dem Kollegensoziologen wortlos zu.

2 Systeme, so der Soziologe weiter, gewissermaßen kommunikativ miteinander verkettet, während er ein bisschen Habermas mit einer Prise Adorno zu sich nimmt, romantisch, hoch sensibel, allergisch gegen Korrekturvorschläge, die fremdreferentiell sind, aufklärerisch, also an der Information orientiert. Die Ägypterinnen, fremdreferentiell, aufgeklärt, also an der Information orientiert, nicken, gewissermaßen kommunikativ miteinander verkettet, im Takt der Wortfolge. Bert, romantisch, hoch sensibel, allergisch gegen Korrekturvorschläge, kann den Worten nicht folgen. Wieder einmal wird deutlich, dass Frauen und Männer nicht wie ein Mensch sind.


Die Liebe, säuselt der Dozent, ist limitierter Wahnsinn, das Resultat einer Kommunikationsstruktur, die in die Untiefe des Einzelnen hinabrechnet, um sie gänzlich zu erfassen, um sie als 1 zu konstruieren. Der Rektor berechnet in seiner Untiefe das Resultat einer Kommunikationsstruktur, die Ägypterinnen konstruieren sich eins, Bert erfasst gänzlich der limitierte Wahnsinn, die Liebe fühlt sich vernachlässigt, sie ist beleidigt, schürzt die Lippen, will gehen.

Irgendwie geht’s um die 1 der 2! ruft der Soziologe der Liebe hinterher. Wir 2 und andere Kleinigkeiten! rasselt er im Laufschritt, ohne mit der Liebe Schritt halten zu können. Irgendwie geht’s um die kommunikative Vermittlung maximaler Relevanz, hechelt er. Irgendwie geht’s um die komplette Akzeptanz der 1 des Anderen, röchelt er, die sich auf kommunikative Weise realisiert, wobei gewisse Wahrnehmungen nicht kommuniziert sondern sublimiert, transformiert oder ignoriert werden! Schwer atmend bleibt er weit hinter der Liebe zurück. So konstruieren sich Systeme, die nicht resistent sind gegen Krisen, ruft er noch, denn dies ist das wahre Wesen der Liebe: Sie ist und macht verrückt!

Die Liebe grinst wie verrückt, ihr Grinsen bleibt in der Luft stehen wie das Grinsen einer verrückten Katze.

Sex ist, folgert der geschwächte Dozent auf Luhmann gestützt, der Symbioseautomatismus intimer Systeme, eine Art Parallelreferenz auf die physische Basis, deren heftiges Agieren die Krise offenbart (... er löst sich in Luft auf ...), etwa wie Gewalt (... wie die Grinsekatze ...), wenn Macht als Medium scheitert.

Berts physische Basis droht, mit Gewalt die Krise zu offenbaren, so dass er sich zum Medium seiner Macht begibt, der Spielplan-Redaktion, ohne Parallelreferenz auf die Ägypterinnen und den derzeit führenden Rektor.

Denn Bert will nicht Liebe. Bert will Macht. Und Bert will Petra. Denn Petra macht Bert an.

Der Spielplan

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