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Zur selben Zeit schaltet Bert den redaktionseigenen Fernseher ein, um Berufliches mit Privatem zu verbinden, Pflicht mit Vergnügen zu vergelten, Anstrengung mit Spaß zu vergessen. Das wohngemeinschaftseigene Telefon, über das Petra gemeinsam mit ihren Wohngemeinschaftsmitbewohnern verfügt, ist seit Stunden besetzt. Und Bert kennt nur die Nummer des Wohngemeinschaftstelefons, nicht aber die wohngemeinschaftseigene Adresse. So wacht er allein, von allen guten Praktikanten verlassen, über das televisionäre Abendprogramm. Besonders die internationalen Tittensender zappt Bert gern durch auf der Suche nach Anregungen für eine psychoanalytisch fundierte, semiotisch versierte, ästhetisch-ethische Medienrevolution, der er in einer nicht allzu fernen Zukunft zur Geburt zu verhelfen hofft.

Und da ist ja schon ein mütterlicher Schoß in Großaufnahme, ein bisschen zerrupft, wie der Mann zu genau sieht. Und darüber ein zerfurchtes Gesicht, das zu dem Fernsehzuschauer spricht. Es behauptet, es hieße Gisela, sei Sparkassenkassiererin und seit zehn Jahren im Swinger-Club. Dazu swingt die Großaufnahme des zerrupften Mutterschoßes, bis Bert ihn abschießt. Im nächsten Programm erklärt eine Fratze in Ekstase, sie trainiere seit zehn Jahren im Fitness-Studio, um Pornostar zu werden. Bert schießt die Fratze ab, und es erscheint an ihrer Stelle Wolfgangs Schwanz, der in Gisela hineinstößt, die sich in Annegret schraubt, und während dieser artistischen Höchstleistung plaudern alle über den Spaß, den sie dabei haben.


Ich freue mich, Sie begrüßen zu können, sagt im nächsten Programm die Moderatorin der Sendung lieber sünden, die tiefe Einblicke in ein gefülltes Dekolleté gewährt. Heute wollen wir mit dem beliebten Böse-Wörter-Ratespiel beginnen, sagt das Dekolleté. Wir wollen Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „A“ raten. Schon will Bert mitmachen, als das redaktionseigene Telefon klingelt.

Bert greift zum Hörer, denkt flüchtig an Petra, zu flüchtig.

Bert sagt das böse Wort mit „A“, aus Versehen.

Aus Versehen, sagt Bert.

Aber zu spät.

Auweia, denkt Bert, aufgelegt.

Aber Petra hat Bert nicht angerufen, denn sie telefoniert noch immer mit Karlheinz. Karlheinz ist Petras Ex-Freund. Gestern war er noch Petras Freund. Heute kann Karlheinz sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, nur noch Petras Ex-Freund zu sein. Davon handelt das Telefonat seit mehreren Stunden.

Diese Welt, die Karlheinz nun nicht mehr versteht, diese Welt, die für ihn immer noch Petra heißt, diese Welt, deren theoretische Grundlagen und praktische Übungen er immer noch determinieren, analysieren und präformieren will. Aber Petra wirft seinen Willen einfach aus ihrer Welt wie eine abgenagte Fischgräte. Verzweifelt grätscht Karlheinz zwischen seiner Vorstellung und ihrem Willen. Petra will eine eigene Welt. Das kann Karlheinz sich nicht vorstellen, nein, das kann Petra nicht wollen. Das ist eine falsche Vorstellung, sagt Karlheinz, wir wollen unterscheiden zwischen falschen und richtigen Vorstellungen. Die falschen Vorstellungen gibt es im Theater.


Petra: Dann will ich ins Theater.

Karlheinz: Das stellst du dir nur vor.

Petra: Dann stelle ich mir vor, dass ich ins Theater will, und dann will ich ins Theater.

Karlheinz: Du willst dir vorstellen, dass du ins Theater willst, aber eigentlich willst du nicht ins Theater, sondern du willst es dir nur vorstellen.

Petra: Du kannst dir gar nicht vorstellen, in welche Vorstellung ich will.

Karlheinz: Stell dir vor, du willst dir vorstellen, dass du mich willst.

Petra: Das kann ich mir nicht vorstellen.

Karlheinz: Du musst es wollen.

Petra: Ich will nicht.

Karlheinz: Ich will dich.

Petra: Ich will dich nicht.

Petra legt den Hörer auf. Das Telefon klingelt. Petra nimmt den Hörer ab.

Brigitte sagt, Petra, weißt du, wen ich gerade gehört habe? Karlheinz, sagt Petra.

Bert, sagt Brigitte.

KarlheinzBert? fragen Brigitte und Petra.

Karlheinz liegt in seinem Bett. Karlheinz kann nicht schlafen. Karlheinz kann nicht träumen. Karlheinz kann sich nicht selbst befriedigen. Es ist eine dunkle, stürmische Nacht.

Bert liegt in seinem Bett. Bert kann nicht schlafen. Bert kann nicht träumen. Bert kann sich nicht selbst befriedigen. Es ist eine dunkle, stürmische Nacht.

Petra liegt in ihrem Bett. Petra will nicht schlafen. Petra liest führende Frauenfachzeitschriften: Welcher Typ sind Sie? Petra hat den Fragebogen richtig ausgefüllt: 1000 Punkte! Gute Nacht!


Brigitte liegt in ihrem Bett. Brigitte will nicht schlafen. Brigitte liest führende Frauenfachzeitschriften: Entdecken Sie Ihren Typ! Brigitte träumt: Bert ist mein Typ!

Aber wo ist das Metaphysische?

Das Metaphysische möge sich einstellen, nur einen unvergänglichen Augenblick lang. Aber Brigitte verstellt ihm den Weg, indem sie selbst im Traum ihr Augenmerk auf das vergängliche Physische richtet. Brigitte will eine bessere Zitrusblonde werden, als Petra sie jemals darstellen könnte. Brigitte will sich ein paar bessere Augenblicke in das Gesicht schminken, als Petra sie jemals haben könnte. Und dann will Brigitte die Kochrezepte der Mama alle nacheinander kochen, denn die Liebe ist physisch, sie geht durch den Magen. Rezepte, für die man geheiratet wird, Brigitte, Rezepte, für die ein Mann heiratet! Die Mama hat dem Kind dieses gute Buch schon lange vor allen anderen immer wieder nachdrücklich empfohlen. Eine weise Mutter weiß doch am besten, welche Lektüre sich für eine Frau mit eindeutigen Absichten eignet. Brigitte wird das Metaphysische in Kreuzworträtseln und Horoskopen suchen: Der Wassermann der ersten Dekade ist extrem fischefrauorientiert, männliches Haustier mit fünf Buchstaben, Reizleiter, Maul des Wildes, die Krebsdame schnappt gern nach Stierhoden, Stierhoden werden von Toreros geröstet verzehrt. Brigitte denkt an Berts Stierhoden und wäscht das Zitrusblond zu spät aus, der Hennagrundton hat sich gehalten und wird von pinkfarbenen Strähnen durchzogen, auf dem Herd verschmoren die Stierhoden zu einem schwarzen Kohlestück. Brigitte zerschlägt den Spiegel mit der leeren Flasche Zitrusblond, Brigitte hat kein Gesicht mehr, kein noch so schön!, nur noch Scherben, Brigitte! Brigitte wirft die Gesichtsscherben, das Zitrusblond und die Stierhodenkohle schnell ins Klo, bevor die Mama hereinkommt. Brigitte ist eine gesichtslose Gestalt, Wut &Scham lodern auf in ihrem angeschlagenen Hirn. Ich liebe dich! Der letzte Satz wird von den Flammen erfasst, dann vernichten Wut &Scham alles um sich herum.

Der Spielplan

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