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Pünktlich um sechs Uhr dreißig rasselte der Wecker. Christine krauste im Schlaf die Stirn. Sie ging gerade mit Klaus über eine blühende Sommerwiese, Schwalben schossen durch den blauen Himmel, die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen. „Sieh nur, wie schön!“ sagte die träumende Christine zu Klaus, aber das Zirpen der Grillen wurde stärker und stärker, es schwoll zu einem ohrenbetäubenden Geräusch an. Christine riß entsetzt die Augen auf; sie konnte sich nicht länger der Erkenntnis verschließen, daß sie sich nicht auf einer blühenden Wiese, sondern in ihrem Bett in der Dirrmoserschen Wohnung befand und zwar in der einzigen Gesellschaft eines Weckers, von dem sie nicht begriff, daß seine mißtönende Stimme sie auch nur einen Augenblick an das Zirpen von Grillen hatte denken lassen. Sie streckte die Hand aus, um den Wecker zum Schweigen zu bringen, aber tückisch, wie Dinge zuweilen sind, verstummte er mit einem letzten röchelnden Laut von selbst.

Christine legte sich zurück, ein wenig ärgerlich, weil sie aus Gewohnheit am Abend zuvor den Wecker auf sechs Uhr dreißig gestellt hatte, obwohl es nicht mehr so eilte mit dem Aufstehen, seitdem sie den vertretungsweise übernommenen Posten in der Leihbücherei wieder an ihre Freundin Mimi abgegeben hatte. Die Arme hinter dem Köpf verschränkt, versuchte sie geschlossenen Auges zur Sommerwiese zurückzufinden, aber nun machte ein auf der Straße vorbeidröhnender Lastwagen die Scheiben erklirren, während sich im Nebenzimmer das Erwachen der Eheleute Dirrmoser unter mannigfachen Geräuschen vollzog. Da die Wände im Hause dünn waren, wurde Christine zur unfreiwilligen Zeugin des Dirrmoserschen Ehelebens, das zu einem erheblichen Teil aus langen vorwurfsvollen Ansprachen bestand, die Frau Dirrmoser an ihren wortkargen Gatten richtete. Den Rest bildeten die allnächtlichen Schnarchduette, ein akustischer Wettbewerb, aus dem Herr Dirrmoser als unbestrittener Sieger hervorging.

Tagsüber war er mit einem schmucken Taxi, dessen Besitzer er war, am Odeonsplatz zu finden. Rechtschaffenheit und Biedersinn standen ihm im Gesicht geschrieben; er sei durch nichts „aus dem Häusl zu bringen“, wie seine Frau behauptete, eine Eigenschaft, die seinem verantwortungsvollen Beruf nur zum Vorteil gereichen konnte. Unbegreiflicherweise fand Frau Dirrmoser hierin einen Grund zur Klage; sie beantwortete Christines Einwand, es müsse doch angenehmer sein, einen ruhigen Mann zu haben als einen, der die Wohnung mit den Ausbrüchen eines überschäumenden Temperaments erfülle, mit einem „O mei, Fräulein!“, das tiefes Mitleid mit Christines Unbewandertheit in ehelichen Dingen verriet.

Christine hatte das Zimmer bei Dirrmosers, das in der Zeitung als „Couchzimmer mit modernem Komfort“ angepriesen worden war, gemietet, weil es den Vorzug der Billigkeit mit einem Ausblick auf unbebaute Grünflächen verband, auf denen zu Christines Entzücken manchmal eine Schafherde weidete. Was den Komfort betraf, so verstand Frau Dirrmoser darunter wohl den alten Rohrsessel mit dem kreuzstichbestickten Polster sowie ein Bärenfell, das sie auf einer Auktion ersteigert hatte, ohne zu ahnen, daß Motten darin hausten. Der Ärger über diese Entdeckung hatte sie veranlaßt, den Bären von seinem Platz vor dem Sofa in der Wohnstube fort in Christines Zimmer zu verbannen, wo er sich, quer über das Linoleum gebreitet, sehr wohlhabend ausnahm. Über der Couch hing ein schwarz gerahmter Stahlstich: „Napoleon auf der Flucht über die Beresina“. Er zeigte den großen Korsen, wie er im Schlitten eine verschneite und äußerst unwirtliche Landschaft durcheilte. Zu seinen Häupten kreisten einige Raben, wodurch wohl symbolisch der nahende Untergang angedeutet werden sollte.

„Schauderhaft!“ hatte Klaus beeindruckt ausgerufen, als er Christine zum erstenmal in ihrem Domizil besuchte. Aber Christine ließ sich nicht entmutigen. Sie fand, daß Männer sehr leicht dem Schein erliegen, und begab sich tapfer daran, den Dirrmoserschen Scheußlichkeiten mit Decken, Kissen und Büchern aus eigenem Besitz zu Leibe zu gehen. Als Klaus das nächste Mal gekommen war, hatte er die Augen aufgerissen und etwas von Feenhänden gemurmelt. Im Gedanken daran lächelte Christine. Es war so komisch, wenn Klaus versuchte, sich poetisch auszudrücken. Nicht etwa, als mangle es ihm an Phantasie, aber seine Phantasie äußerte sich weniger auf geistigem als auf praktischem Gebiet.

Klaus, Elektroingenieur von Beruf, war in erster Linie und mit Leib und Seele Erfinder. Zwar ging es ihm nicht um weltbewegende Neuerungen wie Raketenflugzeuge oder Unterseetunnels; er fühlte nur den unbezwinglichen Drang, die Welt im kleinen zu verbessern, indem er Dinge erfand, die der Erleichterung des täglichen Lebens dienen sollten. Im Anfang ihrer Bekanntschaft hatte er Christine erzählt, wie es ihn als halbwüchsigen Jungen beeindruckt habe, seine Mutter morgens, mittags und abends Berge von Geschirr abwaschen zu sehen. Nicht mit Unrecht vermutete Christine, daß dieser Eindruck weniger stark gewesen wäre, wenn Klaus nicht zur Hilfeleistung beim Geschirrabwaschen und sonstigen Aufgaben in dem kinderreichen Haushalt befohlen worden wäre. Offenbar hatte seine Tätigkeit als Tellerwäscher den Wunsch in ihm reifen lassen, menschliche Hände durch Maschinen ersetzt zu sehen. Schon als Vierzehnjähriger hatte er an einem Apparat gebastelt, der Geschirr selbsttätig reinigen sollte. Damals war er ausgelacht und mit Ohrfeigen in die Wirklichkeit der mütterlichen Küche zurückgetrieben worden. Aber das hinderte ihn nicht, den Plan später wieder aufzunehmen. Er verbrachte seine ganze Freizeit und die halben Nächte mit der Konstruktion eines Apparates, der, elektrisch betrieben, die Hausfrau davor bewahren würde, kostbare Stunden ihres Lebens mit Geschirrabwaschen zu verlieren. Als er damit fertig war, mußte er zu seinem Leidwesen erfahren, daß schon andere Tellerwäscher auf denselben Gedanken gekommen waren. Hotels und Krankenhäuser bedienten sich dieser Erfindung, während sie sich für den heimischen Herd als zu kostspielig erwies. Klaus jedoch, von echtem Erfindergeist beseelt, warf die Flinte nicht ins Korn.

„Die Zeit schreit nach Fortschritt!“ eröffnete er Christine auf ihrem ersten gemeinsamen Spaziergang, und später, als sie schon vertrauter miteinander waren: „Ich will nicht, daß meine Frau einmal den ganzen Tag im Haushalt wurschtelt!“

Es war dies ein Idealismus, den Christine schön und löblich fand, aber inzwischen hatte Klaus ein Patentbügeleisen und einen elektrischen Stopfapparat erfunden, ohne daß beides ihm etwas eingebracht hätte außer der Erkenntnis, daß es offenbar nichts auf der Welt gab, was es nicht schon gegeben hätte, und Christine begann zu hoffen, Klaus möge aus dieser Erkenntnis Nutzen ziehen und sein Sinnen und Trachten auf erreichbare Ziele richten. Nur sagen durfte sie ihm das nicht. Klaus war sehr empfindlich in diesem Punkt und würde sogleich behauptet haben, Christine glaube nicht an ihn. Womit er ihr bitter unrecht getan hätte, denn Christine glaubte mit der ganzen Kraft ihres einundzwanzigjährigen verliebten Herzens an Klaus. Sie bewunderte seine unleugbaren Fähigkeiten ebenso wie seinen zähen Fleiß, und wenn sie etwas wünschte, so war es höchstens, daß er beides stärker in den Dienst der Firma Kienagl & Eisenmann, Elektrische Artikel en gros, stellen möge, anstatt alles von seinen Erfindungen zu erwarten.

Im Nebenzimmer war es still geworden. Frau Dirrmoser hantierte jetzt geräuschvoll in der Küche, und der Duft von Malzkaffee stahl sich unverkennbar durch alle Ritzen.

Christine stand auf. Ein paar Freiübungen am offenen Fenster bewirkten, daß ihre Gedanken von Klaus und dem Sommerwiesentraum fort zu den Gegebenheiten des Tages gelenkt wurden. Eine davon war die Notwendigkeit, sich nach einer neuen Stellung umzusehen, da es sich bei dem Posten in der Leihbücherei ja um ein Provisorium gehandelt hatte. Christine hing an ihrem Beruf. Sie hatte ihn aus freien Stücken erwählt und die Wahl noch nie bereut. Aber nun, da es wieder einmal auf den Sommer zuging, graute ihr ein wenig vor einer Tätigkeit, die sie tagaus, tagein an einen dumpfen Raum fesselte. Auf dem Lande aufgewachsen, hatte sie ein starkes Bedürfnis nach frischer Luft und körperlicher Bewegung. Es geschah bisweilen, daß während der Arbeit eine fast unbezwingliche Sehnsucht nach dem Duft der Erde im Frühjahr sie überfiel, nach der lieblichen Vorgebirgslandschaft, in die das väterliche Gut gebettet war, nach Haus und Hof und allem, was darin lebte. Wenn sie daheim wüßten, daß sie dieses Zimmer gemietet hatte, um ein Stück unbebautes Land und ab und zu eine Schafherde zu sehen!

Christine, in ihrem dünnen Hemdchen am offenen Fenster, war nahe daran, Mitleid mit sich selbst zu bekommen. Grundstücke als Ersatz für blumenbestickte Wiesen und grünende Felder! Aber dann rief sie sich zur Vernunft. Niemand würde sie hindern, eine Zeitlang nach Hause zu fahren, falls sie sich entschließen könnte, von Klaus getrennt zu sein. Das aber konnte sie keinesfalls. Wenn sie auch als vernünftiges, jedem Überschwang abgeneigtes Mädchen niemals zugegeben haben würde, daß die Welt ohne Klaus eine Wüste, mit ihm jedoch ein Paradies sei, so war es doch genau das, was sie im Grunde ihres Herzens empfand.

Sie schloß das Fenster, zog ihr Hemdchen über den Kopf und wusch sich tapfer von Kopf bis Fuß mit kaltem Wasser. Dann schlüpfte sie in ihren Morgenrock und begab sich in die Küche, wo das Ehepaar Dirrmoser beim Frühstück saß. Der Taxibesitzer blinzelte ihr über seiner Kaffeetasse wohlwollend zu, während seine Gattin, fünfzigjährig, mit beträchtlichen Rundungen unter der Kittelschürze, sie mit einem Wortschwall empfing. Ihm war zu entnehmen, daß Frau Dirrmoser von einem Traum heimgesucht worden war, in dem eine schwarze Katze die Hauptrolle gespielt hatte.

„Ausgerechnet a schwarze!“ klagte Frau Dirrmoser. Sie hatte im Traumbuch geblättert und herausgefunden, daß schwarze Katzen Trennung und Verlust bedeuteten.

„Schau nur, daß di net derrennst!“ sagte sie drohend zu ihrem Gatten, eine Mahnung, die Herrn Dirrmoser zu einem zweiten Blinzeln an Christines Adresse und dem Stoßseufzer „O mei, die Weiber“ veranlaßte.

„I bring Eahna glei Ihren Kaffee!“ verhieß Frau Dirrmoser. Sie rannte in der Küche umher und schuf Lärm und Aufruhr, wo vorher warme kaffeeduftende Behaglichkeit gewesen war.

„Danke schön“, sagte Christine. „Und wenn ich einen Blick in die Morgenzeitung tun darf, nachdem Herr Dirrmoser sie gelesen hat!“

„Hot scho!“ sagte Herr Dirrmoser gutmütig und schob die Zeitung über den Küchentisch Christine zu. „Vertiefens Eahna nur in den Roman, Fräulein.“

„Es is ja gar nicht zwegn den Roman“, verwies ihm seine Frau, „a neue Stellung sucht das Fräulein Christel, gelt?“

„Ja“, sagte Christine, die Zeitung unter den Arm geklemmt.

„Und was is nacha mit’n Herrn Inschenieer?“ erkundigte sich Frau Dirrmoser boshaft.

„Wieso?“ fragte Christine, obwohl sie genau wußte, wohin Frau Dirrmosers Frage zielte. Die Gattin des Taxibesitzers standKlaus und seinen Erfindungen durchaus skeptisch gegenüber. Sie war überzeugt, daß Klaus „nie nicht“ auf einen grünen Zweig gelangen würde, und versäumte nicht, Christine bei jeder Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen.

„I moan, hot er no immer nix erfunden, auf das hin er Sie heiraten kennt?“ beharrte sie unerbittlich. Doch nun griff Herr Dirrmoser ein.

„A Schloß sollt er derfinden, daß die Weiber’s Maul halten“, kam er Christine zu Hilfe, und sie lächelte ihm dankbar zu. Dann nahm sie das Tablett mit dem Frühstück und trug es in ihr Zimmer hinüber. Sie rückte den Rohrsessel vor den Tisch und kauerte sich mit hochgezogenen Knien hinein. Während sie eine Semmel mit Butter bestrich, überflogen ihre Augen den Anzeigenteil der Zeitung. Buchhalterin gesucht! Sekretärin, perfekt in Kurz- und Maschinenschrift! Direktrice für führende Modenwerkstatt! Schon wieder eine Sekretärin, diesmal mit Sprachkenntnissen! ,Lauter Stubenberufe‘, dachte Christine enttäuscht.

Was wollte sie eigentlich? Sie liebte doch den Umgang mit Büchern. Sie setzte ihren Stolz darein, und es machte ihr Freude, das richtige Buch an den richtigen Menschen zu bringen. Der Einwand, daß es ihr im Winter mehr Freude mache als im Sommer, hatte natürlich nicht den geringsten Anspruch darauf, ernst genommen zu werden.

,Ich werde nachher bei Schellhorn hineinschauen‘, beschloß sie. Schellhorn war eine der größten Buchhandlungen der Stadt, und Mimi glaubte zu wissen, daß dort der Posten einer Gehilfin frei wurde.

Christine faltete die Zeitung zusammen, dabei fiel ihr Blick auf eine Anzeige in Sperrdruck rechts unten in der Ecke:

Junge selbständige Person, ge -

scheit und tierliebend, zur Füh -

rung eines frauenlosen Haus -

halts tagsüber gesucht. Vorzu -

stellen bei Sommerhoff, Waldham

bei München, Alpenstraße 4.

Christine las die Anzeige einmal, zweimal, Wort für Wort. Sie mußte lachen. Dies war die sonderbarste Anzeige, die ihr jemals vorgekommen war! Ein Mensch, der an Stelle von Ehrlichkeit, Fleiß, Erfahrung im Kochen und sonstigen Eigenschaften, die man gemeinhin von einer Haushälterin erwartet, Gescheitheit und Tierliebe verlangte, reizte ihre Neugier. Wer war Sommerhoff? Vielleicht ein Silberfuchszüchter oder ein Forschungsreisender, der sich Affen und allerlei exotisches Getier aus fernen Ländern mitgebracht hatte. Auf jeden Fall aber jemand, der auf dem Lande wohnte und vom Herkömmlichen abweichende. Wünsche hatte. Man könnte hingehen und sich ihn und seine Menagerie einmal ansehen, dachte Christine übermütig. Ansehen verpflichtete zu nichts. Aber während sie ihr Frühstück beendete, dachte sie darüber nach, wie weit sich die in der Anzeige geforderten Eigenschaften auf ihre Person beziehen ließen. Jung? Das war sie zweifellos. Selbständig? Nun, bisher hatte sie immer ganz ordentlich ihren Mann gestanden, wenn auch der Haushalt nicht gerade zum Tummelplatz ihrer Fähigkeiten geworden war. Immerhin hatte sie daheim während einer Krankheit der Mutter einmal eine Zeitlang gekocht, und niemand war dabei verhungert! Gescheit? Was das betraf, so kam es darauf an, was man darunter verstand. Klaus hatte sie neulich kurzerhand für dumm erklärt, weil sie sich nicht in den Punischen Kriegen auskannte. Aber es war nicht anzunehmen, daß ein Forschungsreisender ausgerechnet auf Geschichtskenntnisse erpicht war. Und tierliebend? Ja, ja und nochmals ja! Es wurde ihr ja schon warm ums Herz, wenn sie die Schafe auf dem Bauplatz weiden sah! Sie war mit Tieren aufgewachsen und liebte sie alle, die braunweißen Kühe und die schweren Ackerpferde, die Schweine, Enten und Hühner, Muschi die Katze, und Wackerl den Hofhund! Sie würde auch Herrn Sommerhoffs Tiere lieben, mochte es sich um Silberfüchse, Affen oder was sonst immer handeln! Ein Sommer auf dem Lande, und doch nicht so weit von der Stadt entfernt, daß es eine Trennung von Klaus bedeutet hätte! Der Gedanke gewann immer mehr an Reiz!

Natürlich mußte sie mit Klaus darüber sprechen, aber ihm konnte es ja nur recht sein, wenn sie sich im Haushalt vervollkommnete. Am besten rief sie ihn gleich an und fuhr dann nachmittags nach Waldham hinaus. Dieser Entschluß bewirkte, daß sie sich mit dem Anziehen beeilte. Im Hinblick auf den Nachmittag wählte sie ihr Kostüm und eine weiße Hemdbluse. Nichts erweckt so überzeugend den Eindruck anspruchsloser Gediegenheit wie Hemdblusen. Christine fand diesen Eindruck bestätigt, als sie zum Ausgehen fertig ihr Bild ein letztes Mal im Spiegel überprüfte. Übrigens war es ein Kreuz mit dem Spiegel. Er besaß die Eigenschaft, alles, was er spiegelte, ungebührlich in die Länge zu ziehen. Vielleicht hatte gerade dieser Umstand Frau Dirrmoser zum Kauf gereizt, denn der Spiegel ließ ihre ausladenden Rundungen oval erscheinen, was ihr das Recht gab, sich vollschlank zu nennen. Christine hingegen verlieh er etwas Präraffaelitisches. Klaus, dem künstlerische Vergleiche fernlagen, behauptete, sie sehe aus wie jemand, der an Auszehrung leide.

Wie dem auch sein mochte, Christine fand sich an diesem Morgen sogar im Dirrmoserschen Spiegel ganz in Ordnung, gut ausgeschlafen mit rosigen Wangen und blanken Augen, mit einem frischen Mund, der noch keinen Lippenstift brauchte, und mit dem hellblonden Gelock, das dicht und weich unter dem blauen Filzhut hervorquoll.

„Auf Wiedersehen, Frau Dirrmoser!“ rief sie ins Nebenzimmer, wo ihre Wirtin die Ehebetten mit stickereibesetzten Paradekissen versah.

„No, habns was gefunden, Fräulein Christel?“ Die Gattin des Taxibesitzers trat in die Tür, zu längerem Gedankenaustausch bereit. Aber Christine hatte schon die Korridortür geöffnet.

„Vielleicht!“ rief sie fröhlich. Die Korridortür fiel ins Schloß und Frau Dirrmoser kehrte in einem Zustand qualvoller Ungewißheit zu ihren Paradekissen zurück.

Die stolze Nymphe

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