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Nach Tisch setzte sie sich auf ihr Rad und fuhr nach Waldham hinaus. Wenn der Morgen mit Sonnenschein und Frühlingsduft verfrühte Hoffnungen hatte keimen lassen, rief der Nachmittag die Tatsache, daß man April schrieb, unbarmherzig ins Gedächtnis zurück. Ein frischer Westwind trieb bedrohliche Wolken vor sich her, es sah aus, als könne es jeden Augenblick beginnen zu regnen, und Christine, in Cape und Kapuze aus mohnrotem Ölstoff, kämpfte sich tapfer gegen die Unbilden der Witterung vorwärts.

Obwohl sie schon zwei Jahre in München lebte, war sie sich der Ausdehnung dieser schönen Stadt noch nie so bewußt geworden wie an diesem Tage, wo sie sie von einem Ende zum änderen durchqueren mußte, um endlich in eine Gegend zu gelangen, in der die langen eintönigen Straßenzeilen in Grünflächen übergingen. Hier gab es nur noch kleine Siedlungshäuser, reihenweise ins Grüne hineingestellt und umgeben von Gärtchen, in denen es zaghaft zu sprießen begann. Hinter ihnen stand wie eine schwarze Kulisse der Wald.

Christine freute sich, als sie die letzten Stätten menschlichen Siedlungswillens hinter sich hatte und auf einem moosigen Weg zwischen hochstämmigen Tannen dahinradelte. Leider begann es nun auf eine stille und beharrliche Weise zu regnen, eine Tatsache, die, verbunden mit der Aussicht, diese Entfernung nun womöglich täglich überwinden zu müssen, Christine ein wenig nachdenklich stimmte. Aber ging es nicht auf den Sommer zu, und waren nicht Luft und Bewegung gerade das, wonach sie sich gesehnt hatte? Beides würde sie nun reichlich bekommen. Und wenn wirklich einmal ein Hundewetter war, so konnte sie mit der Bahn herausfahren. Der Vorortverkehr bewältigte die Strecke in einer Viertelstunde. Nein, in diesem Punkt lag keine Schwierigkeit, vorausgesetzt, daß überhaupt etwas aus der Sache wurde. Wenn Christine auch Klaus’ Furcht vor Hintergedanken keineswegs teilte, so konnte es sich bei dem Marin mit der sonderbaren Anzeige doch um einen unangenehmen alten Knaben handeln, dessen Haushalt zu führen nichts Verlockendes hatte.

Christine entschloß sich, keine Erwägungen theoretischer Natur über etwas anzustellen, von dem sie sich in Kürze praktisch überzeugen konnte. Aber sie verspürte eine gewisse Spannung, als sie nun Waldham vor sich sah. Ihre wachsamen Augen stellten fest, daß es sich um einen hübschen geräumigen Ort handle, halb Dorf, halb Siedlung mit netten kleinen Häusern, die alle aussahen, als seien sie von Rentnern bewohnt. Die einschlägigen Geschäfte, Metzgerei, Bäckerei und Gemischtwarenhandlung, lagen an der Hauptstraße. Christine vermerkte es mit Befriedigung, als gehe es sie schon etwas an. Aber nachdem sie die Hauptstraße durchfahren hätte, sah sie sich genötigt, abzusteigen und nach der Alpenstraße zu fragen. Eine Frau erteilte bereitwillig Auskunft.

„Da müssens durch die Bahnunterführung durch“, erläuterte sie, „und dann gleich rechts. Zu wem wollens denn?“

Christine verspürte keine Lust, müßige Neugier zu befriedigen, sie dankte und schwang sich wieder auf ihr Rad. Sie fuhr am Wirtshaus „Zum Wilden Mann“, ausgeübt von Michael Schmiededer, vorbei, dann kam die Unterführung. Sie flitzte hindurch, auf der änderen Seite ging es wieder ein Stückchen bergauf, und endlich fand sie sich vor einem kleinen weißgetünchten Haus mit grünen Fensterläden und einem Giebel aus dunklem Holz. Es stand mitten in einem Stück eingezäunten Waldes, ein paar Leberblümchen blühten im Tannenschatten, über der Gartenpforte wölbte sich ein Bogen aus Rosen, die noch in einer winterlichen Umhüllung steckten. Als Christine auf die Klingel drückte, neben der sich ein Messingschild mit dem Namen Gregor Sommerhoff befand, erscholl im Innern des Hauses unverzüglich die Baßstimme eines großen Hundes, übertönt von einem hysterischen Zetern, wie es Schoßhündchen von sich geben.

,Hunde!‘ dachte Christine beglückt. Daß sie darauf nicht gekommen war!

Die IIaustür wurde geöffnet, ein helles zappelndes Etwas schoß hervor, gefolgt von einem schwarzen Neufundländer im Zockeltrab, und in der Tür erschien ein untersetzter breitschultriger Mann in einem weißen Kittel, wie ihn Ärzte tragen, Nur war der Kittel nicht so sauber.

„Kommen Sie nur herein!“ rief eine unwirsche Stimme. „Die Gartentür ist offen. Kaspar, Bibi hierher!“

Der Neufundländer gab ein letztes pflichtbewußtes Bellen von sich, bevor er schweifwedelnd zu dem Mann in der Haustür zurückkehrte. Das zappelnde Etwas aber hörte nicht auf zu kläffen und zu zetern. Während Christine den kurzen Weg zum Hause zurücklegte, sprang es an ihr hoch in dem hoffnungslosen Bemühen, ihren Rocksaum zu erwischen.

„Bibi!“ donnerte der Mann in der Tür.

„Lassen Sie nur!“ sagte Christine lachend. „Er wird mich nicht fressen.“

Sie lehnte ihr Rad gegen die Hauswand. Dann stand sie vor dem Mann im weißen Kittel und sah in ein großes, ziemlich verwittertes Gesicht mit hellen durchdringenden Augen unter buschigen Brauen. Es war nicht zu verkennen, daß diese Augen sie mit unverhohlenem Mißvergnügen betrachteten.

„Was wünschen Sie?“ fragte Sommerhoff mürrisch.

„Ich komme wegen der Anzeige.“ Christine kramte aus ihrer Tasche den Zeitungsausschnitt als Beweisstück hervor. ,Er sieht mich an, als halte er mich für eine Hochstaplerin‘, dachte sie beklommen, aber nun schien er sich zu erinnern.

„Kommen Sie herein“, sagte er, und, während er die Haustür hinter ihr schloß: „Es sind heute schon zwei dagewesen.“

„So?“ sagte Christine töricht. Sie wünschte sehr, Bibi möchte aufhören zu bellen. Sein durchdringendes Organ zwang sie beide zu einem Stimmaufwand, der einer Verständigung nicht förderlich sein konnte. Man mußte schon gute Nerven haben, um dieses Gezeter ohne Wutausbruch zu ertragen. Vielleicht war es das, was Herr Sommerhoff unter Tierliebe verstand? Gottseidank schien er ebenfalls genug zu haben, denn er ergriff Bibi kurzerhand beim Wickel und beförderte ihn in ein Gemach, dessen Tür er schnell wieder schloß, jedoch nicht, ohne daß Christine einen Blick auf einen Tisch, vollbepackt mit Töpfen und Geschirr, hätte werfen können. Dann öffnete er eine zweite Tür und ließ sie eintreten.

Staunend überschritt Christine die Schwelle zu einem großen weiß getünchten Raum, der sein Licht durch ein Atelierfenster empfing. Der erste Eindruck vermittelte Kühle und Nüchternheit. Ein großer Tisch mit vielerlei Werkzeug nahm die Mitte ein, daneben erhob sich auf hölzernem Sockel die unvollendete Tonplastik eines Kinderkopfes. Statuetten in Bronze und Gips standen herum, das kalte Weiß einer Wand war durch einen herrlichen Wandteppich in leuchtenden Farben gemildert. An Möbeln gab es nur das Nötigste: ein paar Stühle, eine schöne alte Truhe, ein Regal mit Büchern und ein Tischchen mit Rauchgerät vor dem breiten Diwan in der Ecke, der das einzige Zugeständnis an Bequemlichkeit zu sein schien, das der Bildhauer Sommerhoff sich gestattete.

„Setzen Sie sich“, forderte er Christine mit einer Handbewegung zum Diwan hin auf.

Christine ließ sich unter dem feindseligen Blick einer hellblonden Angorakatze auf einer Ecke des Diwans nieder. Dabei entdeckte sie neben den Büchern einen Käfig mit einem türkisfarbenen Wellensittich.

„Idomeneo!“ sagte Sommerhoff, der ihrem Blick gefolgt war, und unter Hinweis auf die Katze: „Agathe!“ Er stand breitbeinig vor ihr, die Hände in den Taschen seines Kittels, und sah sie unter gerunzelten Brauen prüfend an. Neben ihm saß der Neufundländer Kaspar und hielt ebenfalls den Blick seiner goldgelben Augen wachsam auf sie gerichtet.

Christine lächelte. Zwei Hunde, eine Katze, ein Wellensittich! Und sie hatte an Affen, Papageien und Silberfüchse gedacht! Nun, auch so war es eine nette kleine Menagerie!

„Haben Sie Zeugnisse?“ fragte die unwirsche Stimme.

Das Lächeln erstarb auf Christines Lippen. Sie besaß keine Zeugnisse, außer einem, das ihre Leistungen im Buchhandel würdigte. Aber damit dürfte ihr in diesem Fall kaum gedient sein.

„Ich bin — ich habe —“ stotterte sie.

Sommerhoff winkte ungeduldig ab. „Was können Sie?“ wollte er kategorisch wissen.

Christines Verwirrung wuchs. Seine Art, einem die Pistole auf die Brust zu setzen, hatte etwas Atemraubendes. „Ich kenne mich ziemlich gut im Haushalt aus“, sagte sie vorsichtig, „und —“ ihre Stimme wurde sicherer: „ich liebe Tiere.“

Nun zog Sommerhoff einen Schemel heran und ließ sich darauf nieder. Sein bemerkenswerter Kopf, von wirrem graublondem Haar umstanden, war dicht vor Christines Augen. Sie versuchte sein Alter einzuschätzen und kam zu dem Ergebnis, daß er ebenso gut fünfzig wie sechzig Jahre zählen könne.

„Es kommt mir darauf an“, sagte er, „jemand zu bekommen, der dies alles —“ er wies mit einer ausladenden Gebärde um sich — „in Ordnung hält, ohne mich zu behelligen. Ich habe genug von den Putzweibern“, fügte er mit Abscheu hinzu.

Christine nickte teilnehmend. Er sah verdrossen und verbittert aus, ganz wie ein Mensch, der schlechte Erfahrungen gemacht hat.

„Sie arbeiten ohne Sinn und Verstand, bringen alles durcheinander und verstehen nicht, mit Tieren umzugehen“, faßte Sommerhoff sein Urteil über die „Putzweiber“ zusammen. „Obwohl es wahrhaftig kein Kunststück ist, Idomeneos Käfig geschlossen zu halten, so lange das Fenster offen steht. Dreimal hatte ich die größte Mühe, ihn wiederzubekommen. Und was die Hunde betrifft — nur Dummheit kann sie dafür verantwortlich machen wollen, daß sie Schmutz ins Haus bringen.“ Er lachte grimmig. „Ich für meine Person will nichts als in Ruhe gelassen werden. Aber das ist Putzweibern nicht beizubringen. Sie kommen mit ihren Eimern herein und setzen das Atelier unter Wasser. Ich möchte wirklich wissen“, schloß er erbittert, „ob es unmöglich ist, Ordnung zu schaffen, ohne vorher ein Chaos zu entfesseln!“

„Ich würde mich bemühen —“ begann Christine, aber er schnitt ihr das Wort ab.

„Die erste, die sich heute früh vorstellte, war wieder so eine Besen-Amazone. Sie sah aus, als brenne sie darauf, mit hochgekrempelten Ärmeln loszulegen. Dafür war die zweite auf getakelt wie eine Fregatte am Sonntag und duftete zehn Kilometer gegen den Wind. Offenbar hatte sie die Anzeige für eine verkappte Heiratsannonce gehalten. Und nun kommen Sie daher —“ sein Blick ruhte gedankenvoll auf Christine — „Zeugnisse haben Sie nicht, aber Sie behaupten, sich im Haushalt auszukennen. Sie sehen leidlich vernünftig aus und haben sich durch Bibis Gezeter nicht aus der Fassung bringen lassen.“

Die Tatsache, daß sie sich durch Bibi nicht aus der Fassung hatte bringen lassen, schien ihr Ansehen in seinen Augen zu erhöhen.

„Ich habe Tiere sehr gern“, wiederholte Christine, obwohl sie für zeternde kleine Biester von Bibis Art wenig übrig hatte.

„Wie heißen Sie?“ fragte Sommerhoff inquisitorisch.

„Christine Reisinger.“

„Alter?“

„Einundzwanzig Jahre.“

Er stand auf und ging mit großen Schritten im Atelier auf und ab. Die Angorakatze erhob sich ebenfalls von ihrem blauen Kissen, sie machte einen krummen Rücken und beantwortete einen schüchternen Annäherungsversuch Christines mit einem unbeschreiblich hochmütigen Blick.

„Man könnte ja einmal einen Versuch machen —“ Sommerhoff blieb stehen und sah Christine ungewiß an. „Glauben Sie, daß Sie mehr als ein paar Stunden täglich brauchen würden, um den ganzen Krempel in Ordnung zu halten?

Christine sah sich um. Was das Atelier betraf, so war es übersichtlich und leicht aufzuräumen, vorausgesetzt, daß er sie überhaupt heranließ.

„Hat das Haus viele Räume?“ erkundigte sie sich vorsichtig.

„Ob das Haus — ach ja, das müssen Sie natürlich wissen. Kommen Sie, ich werde es Ihnen zeigen.“ Und schon war er, gefolgt von Kaspar, an der Tür.

Während der folgenden zehn Minuten gewann Christine den Eindruck eines chaotischen Durcheinanders, dessen Herr zu werden schier übermenschliche Kräfte erfordern würde. In der Küche, die der eingesperrte Bibi mit dem vollen Zauber seiner Stimme erfüllte, türmten sich Kochtöpfe und Geschirr zu Bergen. Christine fragte sich beklommen, wie es möglich sei, daß ein Mensch für sich allein so viel Geschirr benötige. Sommerhoffs unwirsche Erläuterung, daß er das letzte Putzweib vor zehn Tagen an die Luft gesetzt habe, brachte zwar etwas Licht in die Sache, aber erst, als er sagte, er verabscheue den Wirtshausfraß und habe sich infolgedessen selber etwas zusammengekocht, wurde ihr das Ganze klar.

Das Schlafzimmer war die hoffnungslos verwilderte Bude eines Junggesellen. Es gab zwar einen Schrank, aber er schien nicht zur Aufnahme von Kleidungsstükken bestimmt, denn die trieben sich auf allen Möbeln unter besonderer Berücksichtigung des Bettes herum. Christine sah, wie die Katze Agathe an Sommerhoff vorbei das Bett gewann und sich wohlig schnurrend in einen Pullover schmiegte, der im trauten Verein mit einem Pyjama und etlichen Krawatten das Kopfkissen zierte. Es sei ihr Lieblingsplatz, erklärte Sommerhoff, er selbst ziehe es vor, auf dem Diwan im Atelier zu schlafen. Das begriff Christine. Es konnte kein Vergnügen sein, das Nachtlager allabendlich von einem Wust von Gegenständen zu befreien, um es dann mit einer Katze zu teilen.

Sommerhoff drückte die Klinke einer Tür nieder, die ins Nebenzimmer führte, und fand sie, offenbar zu seiner Befriedigung, verschlossen. Um dieses Zimmer brauche Christine sich nicht zu kümmern, erklärte er, es sei unbewohnt. Dann stiegen sie schweigend die Treppe wieder herunter, und Christine konnte nicht umhin, festzustellen, daß auch auf dem Treppengeländer der Staub fingerdick lag.

„Nun?“ fragte Sommerhoff, als sie wieder im Atelier waren. Es klang nicht sehr hoffnungsvoll.

„Ich glaube, ich werde es schaffen“, sagte Christine zuversichtlich. Ihr Ehrgeiz war erwacht. Es reizte sie geradezu, Ordnung in das Chaos zu bringen. Am liebsten hätte sie gleich angefangen.

Auch ihr zukünftiger Arbeitgeber sah um eine Schattierung weniger düster drein, obwohl von Zuversicht bei ihm noch nicht die Rede sein konnte. Christine fand es nach den vielen schlechten Erfahrungen begreiflich. Sie nahm sich vor, zu tun, was in ihren Kräften stand, um seinen verschütteten Glauben an weibliche Tüchtigkeit zu neuem Leben zu erwecken.

„In ein paar Tagen wird es hier schon ganz anders aussehen“, sagte sie und lächelte ihn ermutigend an.

„Hm —“ machte er. Es konnte ebenso gut Zweifel wie Zustimmung bedeuten. Christine neigte eher dazu, es für Zweifel zu halten, denn er äußerte noch einmal nachdrücklich seine Abneigung gegen Säuberungsaktionen im Atelier. Anschließend bat er sie, ihre Arbeit so geräuschlos wie möglich zu verrichten.

„Ich hasse Lärm“, sagte er, „und vor allem eins: belästigen Sie mich nicht mit Haushaltfragen! Ich lasse Ihnen freie Hand, und wenn Sie wirklich gescheit sind, werden Sie Ihre Sache schon richtig machen.“

„Ich werde mich bemühen“, sagte Christine. Das hatte sie schon einmal gesagt, und sie war durchaus gewillt, den Worten die Tat folgen zu lassen. Der Appell an ihre Gescheitheit sollte nicht ins Leere gerichtet sein! Sie sah ihm zu, wie er seine Wanderung durch das Atelier wieder aufnahm. Seine Hosen hatten es nötig, aufgebügelt zu werden. Das, was von ihnen unter dem Kittel zu sehen war, war verbeult und zerknittert und ohne die geringste Bügelfalte. Und am Kittel selbst fehlte ein Knopf. Dabei sah er nicht etwa verwahrlost aus. Was er auf dem Leibe trug, verriet Sinn für Qualität, wenn auch keinen für Ordnung. Nach dem Zustand der Kleider zu schließen, mußten seine Strümpfe voller Löcher sein. Christine ahnte, daß Sommerhoffs Strümpfe zum dunklen Punkt in ihrer neuen Tätigkeit werden würden. Aber wer A gesagt hat, muß auch B sagen. Entschlossen, B zu sagen, erhob sie sich, um sich von ihrem zukünftigen Arbeitgeber zu verabschieden.

„Wann soll ich antreten?“ fragte sie fröhlich.

Sommerhoff blieb stehen Und richtete den Blick seiner durchdringenden Augen auf sie. „Da wäre noch —“ sagte er zögernd, „die Frage des Honorars zu klären.“ Er war sich bewußt, daß das Wort Honorar in diesem Falle ungewöhnlich klang, aber es widerstrebte ihm, dem netten gutgekleideten Mädchen vor ihm von Lohn oder Gehalt zu sprechen. Wer konnte wissen, welche Umstände sie zwangen, sich des verlotterten Hauswesens eines einsamen alten Knaben anzunehmen! Sie sah so hübsch und adrett aus. Wenn er sie irgendwo gesehen hätte, würde er sie für eine Sekretärin oder etwas dergleichen gehalten haben. Ihre Augen hatten einen hellen wachsamen Blick, sie machte einen gescheiten Eindruck, und Gescheitheit war gerade das, was er brauchte. Der Gedanke an die Putzweiber und ihr sinnloses Walten ließ ihn schaudern. Er war kein Krösus, aber es sollte ihm auf ein paar Mark nicht ankommen, wenn er dafür Ruhe und Ordnung bekam.

„Wie haben Sie es sich gedacht?“ fragte er.

Christine errötete. Von dieser Seite hatte sie die Sache noch gar nicht betrachtet. Nicht, als könne sie es sich leisten, die Frage des Gehalts außer acht zu lassen. Sie war ebenso darauf angewiesen wie die meisten ihrer Berufskameradinnen, und die zwanzig Mark Taschengeld, die der Vater monatlich beisteuerte, waren nicht mehr als eine willkommene Dreingabe. Aber sie hatte, fasziniert durch das Neuartige der Aufgabe, die finanzielle Seite in den Hintergrund geschoben. Was konnte sie fordern? Sie besaß weder Zeugnisse noch sonstige Beweise häuslicher Fähigkeiten. Sommerhoff verpflichtete sie gewissermaßen auf Treu und Glauben. Eigentlich mußte man es ihm hoch anrechnen nach dem Fegefeuer trüber Erfahrungen, durch das er gegangen war.

„Bitte, machen Sie es so, wie Sie es bisher gemacht haben“, sagte sie und errötete noch mehr.

„Wie bisher?“ Er rang sichtlich mit sich. Dann sagte er: „Die Putzweiber bekamen Stundenlohn und das Essen natürlich.“

„Na also!“ sagte Christine fröhlich. „Ich werde mir alle Mühe geben, ein ordentliches Putzweib zu werden.“

Ein Schmunzeln erschien auf seinem Gesicht. „Sie dürfen das nicht so auffassen, als verachte ich die Zunft der Putzweiber“, sagte er. „Wahrscheinlich tun sie ihr Bestes. Nur ist ihr Bestes leider nicht das meine.“

Christine mußte lachen. Er besaß einen grimmigen Humor, und wenn er lächelte, sah er gleich um zehn Jahre jünger aus.

„Ist es Ihnen recht, wenn ich gleich morgen anfange?“ fragte sie.

„Je eher, desto besser!“ Er streckte ihr die Hand entgegen, und Christine legte die ihre einen Augenblick hinein. Dann begleitete er sie hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, die Hunde wälzten sich jaulend im feuchten Gras. Christine rollte ihr Ölcape zusammen, stopfte es in die Kapuze und verstaute beides auf dem Gepäckträger ihres Rades.

„Sehr praktisch!“ lobte Sommerhoff, der in der Tür stehend ihrem Aufbruch beiwohnte. „Gedenken Sie immer mit dem Rad herauszufahren?“

„Bei schlechtem Wetter fahre ich mit dem Vorortverkehr“, sagte Christine und schob ihr Rad zur Gartenpforte. „Bis morgen also, Herr Sommerhoff!“

„Bis morgen, Fräulein — darf ich Fräulein Christine sagen?“

„Sagen Sie ruhig Christel!“ Christine schwang sich auf ihr Rad, als ein dröhnendes „Hallo“ sie veranlaßte, noch einmal abzusteigen. Sommerhoff stand mit windzerzaustem Haar am Zaun und rief: „Das Fahrgeld vergüte ich Ihnen selbstverständlich!“

„Danke schön!“ rief Christine zurück.

Ihr neuer Arbeitgeber war ein Sonderling, soviel stand fest. Es würde nicht ganz einfach sein, es ihm recht zu machen, aber im Grunde — das spürte sie — war er viel gutmütiger , als er sich gab. Hätte er ihr das mit dem Fahrgeld zum Beispiel nicht ebenso gut morgen sagen können?

Während sie die nun schon bekannte Hauptstraße gewann, fand Christine, es spreche für ihn, daß er es schon heute getan hatte.

Die stolze Nymphe

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