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Menopause Turbosause

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Freitagabend. Wir hängen in Kirstens Wohnzimmer herum, Kirsten, Lisa, ich und vier leere Flaschen Burgunder. Ich liege in den flauschigen Kissen des Sofas und komme nicht mehr heraus.

»Wie wäre es, wir machen mal wieder was Verrücktes?«, durchbricht Lisa die schläfrige Stille und richtet sich in ihrem Sofakissen auf.

»Was?«, fragt Kirsten. Ihr linkes Auge schimmert durch ihr Weinglas.

»Etwas, das wir schon immer tun wollten«, sagt Lisa. »Etwas, nach dem wir uns immer gesehnt haben.«

»Ein abbezahltes Eigenheim«, haucht Kirsten.

»Globaler Kommunismus«, rufe ich.

Lisa schüttelt den Kopf.

»Wir gründen eine Punkband«, sagt sie. »Das wollten wir doch immer. Damals, in der Schule, da waren wir kurz davor. Bis sich Ella in diesen bibeltreuen Christen verknallt hat, und aus war’s mit dem Traum.«

Kirstens Auge guckt jetzt über ihr Weinglas. Ich sinke noch tiefer in mein Kissen. Die Bandpläne, die hatte ich ganz vergessen. Den bibeltreuen Christen hatte ich auch ganz vergessen, aber jetzt kommt alles wieder hoch.

»Ich bin dabei«, sagt Kirsten und hebt einen Arm. »Ich bin die Sängerin.«

»Ich bin auch die Sängerin«, sage ich.

»Mist. Ich bin auch die Sängerin«, sagt Lisa.

Wir schweigen.

»Ist Punk nicht tot?«, frage ich.

Lisa stellt ihr Weinglas ab. Ihre Wangen geraten ins Glühen.

»Nicht Punk leicht verblühter Akademikerinnen«, sagt Lisa, »die teilweise sogar Kinder haben.«

Was da für Potenzial drinstecke. Für Radikalität, für Wut, für überschüssige Energie, die sich in unseren Texten freisetze und in unseren Kopfsprüngen in die pogende Menge. Ein innerer Aufruhr, der sich in unserem heiseren Brüllgesang Bahn bricht und als wütender Speichel ins Mikro tropft. Der all unsere verworrenen Sehnsüchte herunterbricht in dreckige Dreitonakkorde.

Ob man auch seinen Ärger mit der Autoversicherung in dreckige Dreitonakkorde gießen könne, fragt Kirsten, und Lisa sagt: »Das kann man.«

Wo wir auftreten sollen und in welchen Intervallen, auf welche Körperteile wir die Büroklammern stecken, in welcher Sprache wir singen, ob Deutsch, Englisch oder in irgendeinem radikalen Anarchodialekt, Plattdeutsch oder Nordhessisch, und wer die Instrumental-CD einlegt, wenn wir zu dritt ins Mikro grölen, dass der Speichel spritzt: All das denken wir an, aber nicht zu Ende.

»Wir brauchen Sicherheitsnadeln«, sagt Lisa. »Und wir brauchen richtig steile Iros.«

»Der Punker, den ich mal kannte«, sage ich, »hat seinen Iro immer mit Sperma in Form gebracht.«

Das bringt uns ins Grübeln.

»Wir brauchen Sperma«, sagt Lisa. »Und wir brauchen einen guten Bandnamen, der klassisch-anarchisch ist und doch mit unserer realen Lebenssituation irgendwie verwoben.«

»Eiternde Kaiserschnittnarbe«, schlägt Kirsten vor.

»Tod im Eigenheim«, lege ich nach.

»Kommando Klitoris«, erweitert Lisa die Liste. Lisa sagt, sie habe die aktuellen deutschen Punkbands gegoogelt, Zwangsentsamung hießen die oder Erigiert ist der größer. Nun gälte es, verkrustete patriarchale Strukturen aufzubrechen.

»Oder wie wäre es mit Menopause Turbosause

Dann rufen alle durcheinander: Frau Hölle, Blitzkrieg in der Baugemeinschaft, Einstürzende Drittstaaten, Rostige Rosenbüsche, Ausgeleierte Poporitze, Moshende Mütter

»Mütter, wieso denn Mütter«, mault Lisa. Warum wir sie andauernd diskriminierten, nur weil sie als Einzige von uns keine Kinder hätte. Man könne auch ohne Kinder keine Lebensfreude haben. Man könne auch ohne Kinder richtig scheiße drauf sein.

Ich schließe die Augen. Bildgewaltige Szenen schießen mir durch den Kopf wie der Alkohol durch die Venen. Ja, wir gründen eine Punkband. Wir werden auf rotzigen Festivals spielen, dort, wo die Bratwürste fünfzig Cent kosten und das Bier aus verbeulten Dosen schießt. In rostigen Kupferkesseln blubbert gammeliges Chili sin Carne, während die männlichen Punker uns zaudernd zulächeln. In zerfetzten Leggins und Netzhemden toben wir über die Bühne, und am Ende tritt Kirsten an den Bühnenrand und zeigt allen ihre Kaiserschnittnarbe.

Kirsten holt eine neue Weinflasche, ein guter Grauburgunder.

»Schlechter Grauburgunder«, sage ich, »auch ein guter Bandname.«

Jetzt geraten wir richtig in Wallung. Jetzt ist alles auf einmal klar. Wir werden auf Reisen gehen, in unserem Tourbus, wir sausen durch Rostock, Krakau, Minsk bis hinein in Putins Kreml. Wir werden Sex haben, mit zahnlosen Hausbesetzern und den Leitern der Goethe-Institute, beschwört Lisa.

»Wieso denn Goethe-Institute?«, frage ich.

»Weil eine A-cappella-Punkband von Frauen mit universitärer Bildung total in deren Förderkonzept passt«, erklärt Lisa.

Ob wir nicht lieber die FSJler der Goethe-Institute nehmen könnten, schlage ich vor, und alle sind einverstanden.

Ob ihre Kinder mitkommen dürften, will Kirsten wissen.

»Ja, die Kinder dürfen mit«, sagt Lisa, »aber nur im Gepäckfach.«

Und ihr Mann auch, denn irgendwoher bräuchten wir ja das viele Sperma.

Plötzlich scheint sich alles zu fügen. Plötzlich ist mir klar, warum ich meine Doktorarbeit hingeschmissen habe und warum ich den abgebrochenen Mercedes-Stern am Lederband immer noch besitze. Wir haben genug Kulturjobs gemacht, Windeln gewechselt und Softjazz gehört.

»Ich will nicht mehr jeden Tag die Fußbodenheizung spüren«, verkünde ich, ehe ich mein sechstes Weinglas exe. »Ich will mich nicht mehr fühlen wie in einem Song von Tocotronic

»Du hast gar keine Fußbodenheizung«, sagt Kirsten.

»Und natürlich schreibe ich die Texte«, rufe ich, nun kann mich nichts mehr halten.

»Mach richtig dreckige Metaphern rein«, beflügelt mich Kirsten, und Lisa lärmt: »Richtig gute Texte schreiben, das wolltest du doch immer!«

»Das wollte ich immer«, sage ich.

Anarchisches Liedgut spinnt sich in meinem Kopf wie von selbst, Songtitel kommen mir in den Sinn von nie da gewesener Wucht.

»Per Taxi in die Hölle«, »Fußpilz in Flensburg«, »Macht aus dem Staat – Couscoussalat« …

Kirsten sitzt stumm da, schaut auf ihre Socken.

»Eigentlich mag ich den Staat ganz gern«, sagt sie.

»Dumpfbacke«, sagt Lisa. »Das ist doch nur metaphorisch gemeint. Wir wollen aufrütteln, provozieren, sabotieren!«

Ich höre kaum zu, ganze Mitgrölrefrains brechen sich in meinem Kopf Bahn mit ungeahnter Wucht: »Hey, ihr Spießer, unsere Lieder brennen eure Städte nieder«, »Sie fiepen laut, sie kriechen raus – Ratten im Schauspielhaus«, oder Reformhaus? Dürfen sich Punkverse überhaupt reimen? Egal, wüste Liedzeilen fügen sich aneinander, brutaler als Battle-Rap, unappetitlicher als die Geburt meiner Tochter. Und ab und an ein bisschen Diskurs-Punk, aber nur für die Goethe-Institute. Ansonsten: dreckige, eingängige Zeilen, die sämtliche bürgerlichen Werte schreddern.

»Ich mag die bürgerlichen Werte eigentlich ganz gern«, sagt Kirsten.

»Scheiße Mann, ich mag die bürgerlichen Werte auch ganz gern«, sagt Lisa. »Das kann ja ruhig deine faschistische Privatmeinung sein, das musst du ja nicht gerade ins Mikro grölen.«

Kirsten sagt, Lisas Ton sei ihr jetzt zu schroff. Gewalt befürwortende Songtexte gern, aber in dem Ton nicht untereinander. Und wenn sie darüber nachdenke, sei es ihr irgendwie doch zu intim, wenn Lisa und ich das Sperma ihres Mannes im Haar trügen. Überhaupt sei sie sich gerade gar nicht mehr so sicher. Wie solle das mit der Tournee denn laufen, ihre Söhne müssten dienstags zum Hockey.

»Dann nehmen wir halt Analogsperma«, lenkt Lisa ein. »Dann kommt der Hockeylehrer halt mit. Jetzt darf nicht alles wieder platzen. Jetzt, wo wir so weit sind.«

»Analogsperma«, rufe ich. »Auch ein guter Bandname!«

»Wir kündigen unsere Jobs«, glüht Lisa. »Wir kündigen die Kitaplätze, den Generationenvertrag und den bürgerlichen Wertekanon. Fangen wir einfach an.«

»Jetzt gleich?«, frage ich. Lisa nickt. Sie habe dieses Wochenende sonst nichts Wichtiges vor.

»Okay«, sage ich.

»Okay«, sagt Kirsten. »Fangen wir damit an, Löcher in unsere Strickjacken zu schneiden.«

Ich stehe auf, wanke durchs Wohnzimmer.

»Weißt du, wo die Küchenschere liegt?«, ruft Kirsten.

»Ich glaube schon«, sage ich.

Der Untergang des Abendkleides

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