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Vierzig

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Gut, dass ich bald vierzig bin. Mit vierzig kann man Dinge tun, die man sich mit zwanzig nicht traut. Zum Beispiel Tassen mit passenden Untertassen kaufen. Ich liebe Tassen mit passenden Untertassen, aber sag das mal mit zwanzig den Leuten in deiner verranzten WG-Küche.

Mit vierzig kann man sich um die Rente sorgen. Den ganzen Tag um die Rente sorgen, herrlich. Mit zwanzig kann man das nicht, da wäre man sogar aus der Jungen Union rausgeflogen.

Mit vierzig kann man unbehelligt seine Träume träumen, von einer Karriere als Primaballerina oder Klaviervirtuosin, und niemand ruft: »Ja geil, mach doch! Die Welt steht dir offen.«

Mit vierzig steht dir die Welt überhaupt nicht mehr offen, das ist das Gute. Das nimmt den Druck raus, entspannt.

Mit vierzig muss man nicht mehr »fuckable« sein. Verflucht, war das anstrengend, immer dieses »Fuckable«-Sein, in den Schulpausen, in der Unimensa, auch wenn es das Wort früher noch gar nicht gab. »Bumskompatibel« hieß das damals, wenn ich mich recht erinnere: »Ella, du musst bumskompatibel sein«, lagen mir meine Tanten in den Ohren, jeden Tag.

Mit vierzig muss man als Frau nicht mehr andauernd nach einem Stift suchen. Den kann man sich jetzt unter die Brust klemmen, und er fällt nicht mehr runter. Das ist praktisch. Alternativ geht auch eine Filterzigarette oder ein Schokoriegel. Man kann auch zwei Stifte nehmen, um sich von anderen abzugrenzen. »Oh, da kommt Ella Carina Werner, die mit den zwei Stiften«, wird es von überall tönen.

Mit vierzig kann man Foxtrott tanzen und makellos Bridge spielen. Dafür braucht man keinen Kurs zu belegen, das kann man dann von selbst.

Mit vierzig kann man sich einen Jahrzehnte jüngeren Partner angeln, so wie diese coole Sau Brigitte Macron. Mit zwanzig ist das nach unten hin begrenzt.

Zwanzig war schlimm. Ich darf gar nicht daran denken. Mit zwanzig musste man immer Tomate-Mozzarella zu Partys mitbringen, sonst kam man gar nicht rein. Tablettweise aufgeschichtetes Tomate-Mozzarella, balanciert auf dem Gepäckträger des klapprigen Hollandrads. Fiel das Tablett auf halber Strecke herunter, galt es, die balsamicodurchtränkten Scheiben vom Bordstein zu kratzen, neu zu platzieren und die schwarzen Geröllsteinchen als grobkörnigen Pfeffer auszugeben.

Mit zwanzig muss man Sachen sagen wie »Portugal soll echt schön sein«, »Schon mal Rucola gegessen?« oder »Wie geil ist das denn!«. Mit vierzig muss man überhaupt nichts mehr sagen. Mit vierzig sitzt man einfach da, schädelt einen Eierlikör nach dem anderen, studiert die ZEIT-Bildungsreisen-Angebote und wartet auf den Tod. Okay, das habe ich auch schon mit zwanzig gemacht, aber jetzt ist es legitimiert.

Mit vierzig sind viele große Fragen oftmals schon gelöst. Zum Beispiel die Verhütungsfrage.

»Pille? Spirale?«, fragt mein 25-jähriger Fantasieverehrer.

»Nee, FUB. Finale Unfruchtbarkeit.«

»Wie geil ist das denn!«, ruft der Grünschnabel. »By the way, hast du schon mal Rucola gegessen?«

Mit vierzig muss man nicht mehr seine Eltern brauchen. Die brauchen jetzt dich. Guter Egoschub.

Mit vierzig kriegt man die ganzen guten Charakterrollen, in Spielfilmen und auf Familienfeiern.

Mit vierzig darf man die Dinge verniedlichen, darf »Stößchen« sagen und »Weinchen« und »noch ein Weinchen« und »Nahostkonfliktchen«.

Mit vierzig kann man alles, aber wirklich alles auf die nahenden Wechseljahre schieben, auch die neue SPD-Mitgliedschaft.

Mit vierzig kann man einen Platz im Seniorenstift vorreservieren. Das ist albern, aber immer noch weniger albern, als ungeborene Kinder in Kitas anzumelden.

Ab vierzig ist jede Geburtstagsfeier ein Bergfest.

Mit vierzig kann man in der Schweiz Sterbehilfe beantragen.

Mit vierzig ist man so alt, wie Marilyn Monroe nie war.

Mit vierzig kann man zu Fasching als Ursula von der Leyen gehen oder Ulrike Meinhof.

Mit vierzig muss man nicht mehr Cola-Rum trinken. Mit vierzig lässt man die Cola einfach weg.

»Ella, was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?«, fragt meine Schwester. Meine Schwester ist noch jung, sechsunddreißig.

»Stifte. Nur Stifte«, sage ich gedankenschwer. »Am liebsten zwei silberne Füllfederhalter. Und Schokoriegel, Filterzigaretten, eine Meinhof-Perücke und ein Fläschchen Rumchen.«

Herrlich. Ich freue mich darauf. Nur noch ein paar Tage.

Der Untergang des Abendkleides

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