Читать книгу Es kommt schon alles, wie es soll - Elli Poletti - Страница 8
Оглавление4 - Die Sonne ruft
Mein Handy klingelte und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Ich war verwirrt und musste mich kurz sammeln, als ich so professionell wie möglich antwortete.
„Weber?“
„Mensch Feli, was ist mit dir denn los? Biste noch nicht ganz fit?“ Typisch Franzi! Sie war die absolute Powerfrau. Wahrscheinlich hatte sie heute auch schon eine Sporteinheit hinter sich. Weiß der Geier, wie sie das schaffte.
„Sorry, ich dachte, du bist jemand für eine Besichtigung.“
„Es ist SONNTAG!“
„Jaja, ich habe aber nicht nur Geschäftskunden, die sich für Gewerbeflächen interessieren. Familien rufen eben eher am Wochenende an, wenn sie selbst nicht arbeiten müssen.“, erinnerte ich sie in gespieltem Entsetzen und freute mich gleichzeitig riesig, ihre Stimme zu hören.
Erst jetzt bemerkte ich die Tränen, die über meine Wange liefen. Oh Mann, dieser Typ muss mich doch endlich mal kalt lassen. Es war nicht so, dass ich noch oft an ihn dachte. Aber wenn ich es tat, warf es mich regelmäßig aus der Bahn. Nicht, dass ich ihn zurückwollte, um Gottes Willen. Trotzdem machte mich der Gedanke an diese Zeit immer noch fertig. Umso mehr freute ich mich über Franzis Anruf und die willkommene Ablenkung.
„Streber!“, lachte Franzi, die nicht verstehen konnte, dass ich immer für meine Kunden da war und auch noch Spaß daran hatte. „Also was ist, Feli? Lust auf einen Kaffee mit Mara und mir, oder lässt das dein Zustand noch nicht zu? Das Wetter ist viel zu schön, um den ganzen Tag auf der Couch zu hängen und deine Kunden können dich auch unterwegs erreichen, wenn es denn unbedingt sein muss.“
Das stimmte. Trotzdem hätte ich nichts Anderes unternommen, als auf der Couch zu arbeiten und vermutlich weiter meinen trüben Gedanken nachzuhängen. Deshalb kam Franzis Anruf wie bestellt!
Tatsächlich haben mir Franzi und Mara nicht zum ersten Mal, ohne es zu wissen, dabei geholfen, aus einem Loch zu kommen. Heute war es nur ein kleines, damals ein viel größeres! Ich war so dankbar, die beiden kennengelernt zu haben. Ohne sie würde ich mich in Bielefeld sicher noch nicht so wohl fühlen.
Bielefeld ist zwar nicht weit weg von meinem Heimatdorf und ich konnte meine Familie und meine Freunde immer noch regelmäßig sehen. Dennoch wäre mir mein Neustart ohne die beiden nicht so gut gelungen.
Wir lernten uns gleich in meinen ersten Wochen hier kennen. Bevor ich nach Bielefeld kam, arbeitete ich als Immobilienkauffrau in einer Hausverwaltung. Ich mochte meinen Job und mit Senna war es auch wirklich immer ein schönes Arbeiten. Trotzdem hatten alle meine Kollegen hauptsächlich den Anspruch, viel Freizeit zu haben, und nicht den Anspruch, in irgendeiner Art neue Ideen umzusetzen. Ich hatte schon länger das Gefühl, dass mich, obwohl ich die Immobilienbranche mochte, Wohnungseigentümerversammlungen und die Prüfung von Betriebskostenabrechnungen nicht mehr ausfüllten und ich gerne etwas Anderes ausprobieren würde. Aber so richtig getraut, etwas zu ändern, hatte ich mich auch nicht. Zumal solche Pläne in meinem Umfeld auch nicht gerade auf offene Ohren stießen. Ich war schließlich auch nicht unglücklich und der Bereich Immobilien interessierte mich nach wie vor. Bis zu der Sache mit Mirko. Nach der Trennung wusste ich mir nicht anders zu helfen, um Abstand zu gewinnen. Ich hatte das Gefühl, einfach mal raus zu müssen. Bevor ich wirklich wusste, was ich tat, hatte ich mich zu einem Immobilienmakler-Lehrgang angemeldet. Die Wochen in Frankfurt taten mir unglaublich gut. Der Abstand und die Gespräche mit den anderen Kursteilnehmern gaben mir genug Motivation für einen Neustart.
Obwohl meine Liebsten mir nach der Trennung blinden Aktionismus andichteten und nicht wirklich nachvollziehen konnten, warum ich unbedingt etwas Neues ausprobieren wollte, war ich unglaublich glücklich mit meiner Entscheidung, diese Weiterbildung zu machen und mich anschließend in anderen Städten umzuschauen.
Selbstständig zu sein, brachte natürlich immer ein gewisses Risiko mit sich, aber mit einem der bekanntesten Maklerbüros Bielefelds im Rücken war ich überzeugt, den Schritt wagen zu können. Letzteres war übrigens auch das ausschlaggebende Argument, mit dem ich meine Familie von meinen – zugegeben für sie spontan wirkenden – Plänen überzeugen konnte. Es nahm ihnen die Angst, dass ich vollkommen den Verstand verloren hatte und mich in den Ruin stürzen würde. Aber auch Bielefeld erschien mir sehr vielversprechend, die Innenstadt wurde in den letzten Jahren immer attraktiver. Natürlich gab es auch weniger gute Gebiete. Aber generell galten viele der zehn Stadtbezirke als lukrativ, gerade im Bereich Wohnen, nicht zuletzt, weil die Bielefelder Uni immer mehr Studenten anlockte und sich viele namenhafte Firmen in der Region zu beliebten Arbeitgebern entwickelt hatten. Zum einen gab es hier die typischen Studentengegenden, zum anderen aber auch die, die grün, teuer, idyllisch, vorstädtisch und exklusiv waren. Für mich klang das alles super-interessant und die Nähe zu meiner Heimat war natürlich auch ein Pluspunkt. Ich wollte schließlich nicht auswandern, sondern nur neu starten.
Aber meine ambitionierten Pläne reichten nicht aus, das war mir klar. Ich musste mir auch neue Kontakte aufbauen, beruflich und privat! Facebook sei Dank fand ich auch relativ schnell eine Möglichkeit. Jeden zweiten Dienstag im Monat gab es einen Immobilienstammtisch. Laut meinen neuen Kollegen „reine Zeitverschwendung“, aber ich wollte der ganzen Sache wenigstens eine Chance geben. Also machte ich mich an jenem Dienstag alleine auf den Weg ins The Berstein, einem coolen Bistro über den Dächern der Stadt im Herzen Bielefelds. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch und fühlte mich direkt wie eine der Businessfrauen aus den amerikanischen Filmen, als ein „Ping“ meinen gewünschten Halt ankündigte und mich die Fahrstuhltüren direkt in das beeindruckende Restaurant entließen.
Ich war beeindruckt von dem stylischen Ambiente, hatte aber zugegeben ein etwas mulmiges Gefühl, weil ich nicht wirklich wusste, was mich nun erwartete. Laut Gruppenbeschreibung wurden immerhin regelmäßig 60 Teilnehmer erwartet.
Als ich zum Tisch kam, war ich erleichtert, dass das wohl maßlos übertrieben war. Mich musterten lediglich zehn Augenpaare, als ich mich dazusetzte. Die Neugier auf neue Mitglieder trat in dieser bis dahin männlichen Runde schnell in den Hintergrund und ich fand mich in Prahlereien über Bestandsgrößen und berufliche Erfolge wieder. Tatsächlich hätte ich das alles sogar super-interessant gefunden, wäre nicht jedes Gespräch von einem herablassenden Blick begleitet worden.
Daran war ich selbst schuld. Meine natürliche Gutgläubigkeit ließ mich natürlich direkt alle Karten auf den Tisch legen und ich stellte mich als neue Kollegin vor, die sehr gespannt war, was das Immobilienmakler-Dasein in Bielefeld bereithielt.
Anfänger und gleichzeitig Frau zu sein, schien in diesen Kreisen nicht so förderlich. Mein Ausschnitt dafür eher. Innerlich wurde ich bereits sauer auf mich selbst, dass ich wirklich so naiv an die Sache rangegangen war und dass meine Familie offensichtlich doch recht hatte, dass hier niemand darauf wartete, um mich mit offenen Armen zu empfangen.
Es würde nicht einfach werden, sich in meiner neuen Welt zu behaupten und das auch noch mit einem angeschlagenen Selbstbewusstsein. Letzteres wurde durch solche Situationen natürlich nicht wirklich gefördert. Aber ich schwor mir, wenigstens diesen Abend durchzuziehen, ohne mir jegliche Unsicherheit anmerken zu lassen, und zuhause könnte ich mich dann nochmal neu sortieren.
Mit diesem Plan im Kopf stürzte ich mich tapfer in das nächste unangenehme Gespräch mit meinem Sitznachbarn und war froh, als mein Getränk endlich kam. Nun hatte ich kurz Zeit zum Durchatmen. Wenigstens das Ambiente war schön und ließ meinen Blick vorbei an meinem Gesprächspartner aus dem großen Fenster schweifen. Die Sonne ging gerade unter und verlieh dem abendlichen Treiben, welches sich ungefähr 25 Meter unter mir abspielte, etwas Entspanntes. Ich nahm einen Schluck von meinem Wein und versuchte, diese Entspannung zu übernehmen, als die Tür aufging und zwei junge Frauen Kurs auf unsere Gruppe nahmen. Die beiden fielen sofort auf. Die eine war groß und schlank und sah aus wie ein Bond-Girl. Ihre langen schwarzen Haare glänzten und fielen ihr über die Schultern. Die andere war kleiner und fülliger. Sie hatte eine Haarfarbe, die ich nicht definieren konnte, die ihr aber unglaublich gut stand. In diesem Moment war mir allerdings vollkommen egal, wie die beiden aussahen, ich war einfach erleichtert, nicht mehr allein in dieser Männerrunde zu sitzen. Endlich Leidensgenossen. Im nächsten Moment wurde ich aber direkt wieder unsicher. Ich war wirklich zu gutgläubig. Schließlich bestand genauso die realistische Möglichkeit auf ausgeprägtes Konkurrenzverhalten, und es gab eindeutig nichts Schlimmeres als Stutenbissigkeit. Egal, diesen Abend würde ich jetzt einfach aushalten.
Glücklicherweise täuschte mich mein guter Glaube dieses Mal nicht und so lernte ich Mara und Franzi kennen. Wir lachten noch oft über diesen Abend und die schrägen Typen! Seitdem waren wir auch nicht wieder bei einem der Stammtische gewesen, aber dieses eine Mal hatte sich vollkommen gelohnt.
Ich hatte nicht nur eindrucksvoll gesehen, auf welche entfernten Kollegen beziehungsweise Konkurrenten ich mich einstellen musste, sondern direkt auch neue Freundinnen gefunden. Ein absoluter Glücksgriff! Seitdem ging es bergauf mit mir und meinem Selbstwertgefühl und ich genoss mein neues Leben in vollen Zügen.
Der Frühling tat nun auch noch sein Übriges dazu.
Auch heute war wieder herrlichstes Frühlingswetter. Ich liebte diese Zeit. Wenn man langsam die dicken Pullis nach hinten in den Schrank schob und anfangen konnte, ordentlich Vitamin D zu tanken, war gleich alles so viel schöner und die schlechten Gedanken waren wie verflogen. Ich denke auch, das war ein Grund, warum ich mich gerade nicht wirklich mit meinen Lebensplänen auseinandersetzte, sondern einfach genoss, was ich hatte.
Franzi und Mara begrüßten mich mit einem mitleidigen Blick, als ich im „Schlößchen“ ankam. Das kleine Café am Rande der Altstadt war zu unserem absoluten Lieblingscafé an Sonnentagen geworden. Es war total klein, aber gerade das machte es so gemütlich. Auf der einen Seite war es irgendwie abgerockt, auf der anderen Seite mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass man sich direkt wohlfühlte. Keine Spur mehr davon, dass es ursprünglich als Toilettenhäuschen gebaut wurde. Es war eine tolle Atmosphäre und es gab den besten Kuchen der Stadt. Letzteres war wohl das schlagende Argument.
„Du siehst schrecklich aus“, bemerkte Franzi, die natürlich schon wieder frisch geduscht aus dem Fitnessstudio kam und somit meine Vermutung bestätigte.
„Na vielen Dank auch!“, gab ich gespielt beleidigt zurück.
„Ist das der Kater oder das Alter?“, zwinkerte Mara mir zu und ich musste zugeben, dass es sich wahrscheinlich um eine Mischung aus beidem handelte. Wir bestellten Cappuccino und Schokoladen-Tarte und suchten uns ein schönes Sonnenplätzchen. Meine Sonnenbrille konnte ich leider noch nicht abnehmen, dafür schmeckte der Kaffee wieder gut. Mara und Franzi waren aus irgendeinem unerfindlichen Grund topfit. Sie quatschten aufgeregt über die Party und ich musste Mara und Franzi noch genaustens erklären, wie wir Dorf-Mädels zueinander standen.
Ich war immer noch froh, dass meine Sorge unbegründet war, dass sich die Mädels untereinander vielleicht nicht so gut verstehen würden und sich zwei Lager bildeten, zwischen denen ich vermitteln musste. Aber Mara und Franzi hatten meine Mädels ordentlich aufgemischt, was diese auch sehr unterhaltsam fanden. Noch auf dem Heimweg schrieb Eva mir eine Nachricht, wie schön sie die Feier fand und wie glücklich sie war, dass es mir gut ging. Als ich die Nachricht nach dem Aufstehen las, freute ich mich besonders über die lieben Worte meiner alten Freundin. In letzter Zeit hatte ich sie alle viel zu selten gesehen. Ich musste mich erst einmal in meiner neuen Heimat zurechtfinden und brauchte etwas Abstand zu meinem alten Leben, wo mich immer noch alles an Mirko erinnerte. Und die Mädels aus dem Dorf zu locken war schon immer schwer gewesen. So war unser Kontakt gerade etwas eingeschlafen, was meine Liebe zu ihnen natürlich nicht veränderte.
Obwohl ich gerade Eva sehr vermisste. Nach meiner Trennung war ich oft bei ihr. Wenn die Kinder im Bett waren, tranken wir zusammen Tee und sie hörte mir einfach nur zu. Ich wusste nicht, warum, aber in dieser Zeit konnte ich mit ihr am besten reden. Auch wenn eigentlich Becci meine und Lena Evas beste Freundin war. Aber Eva verstand mich in diesem Punkt einfach, was die beiden anderen nicht wirklich taten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Becci und Lena mich unterschwellig verurteilten, mein Leben mit Mirko leichtfertig weggeschmissen zu haben. In ihren Augen hätten wir uns einfach nochmal ordentlich aussprechen und es dann noch einmal miteinander versuchen sollen. Ich fand allerdings eindeutig, dass ich mehr als genug versucht und dass kein Mensch der Welt eine derartige Demütigung verdient hatte, die Mirko mir angetan hatte. Eva verstand mich da besser. Auch wenn sie meine Entscheidung zu gehen, traurig fand und sie sich das für sich selbst nie vorstellen konnte, hat sie mich immer unterstützt. An unseren gemeinsamen Abenden vertraute auch sie sich mir an. Sie würde sich neben ihrer Mutterrolle auch gerne ein bisschen mehr auf ihre Rolle als Frau konzentrieren.
Aus diesem Grund freute ich mich besonders, dass auch Eva offensichtlich eine schöne Zeit auf der Party hatte und auch einfach mal abschalten und Spaß haben konnte.
Ich merkte, dass Stille herrschte, während ich meinen Gedanken nachhing und wir alle lächelnd in unseren Kaffeetassen herumrührten. Die Sonne wärmte unsere Gesichter und die kühle Luft sorgte dafür, dass es meinem Kopf gleich besser ging.
„Herrlich!“, seufzte ich in die Stille. „Genau das, was ich heute brauchte!“
„Eindeutig“, pflichteten mir beide bei und wir genossen weiter glücklich schweigend unser kleines Nachmittagsfestmahl.
„Sagt mal, Mädels“, unterbrach ich die wohlige Stille. „Habt ihr eigentlich einen richtigen Plan? Also ich meine, wisst ihr genau, was ihr wollt vom Leben?“ Ich hatte kurz Zweifel, ob das wirklich das richtige Gesprächsthema für uns war. Über so etwas hatten wir uns bis jetzt noch nie unterhalten und ich hatte plötzlich Bedenken, die beiden würden mich auslachen wegen meiner plötzlichen Zukunftsgedanken. Aber ich war wohl noch so in meiner Kater-Melancholie gefangen, dass ich die Frage schon ausgesprochen hatte, bevor ich darüber nachdachte. Meine Sorge war auch, wie so oft, unbegründet.
„Ja, eigentlich schon“, kam es prompt von Mara. Mara würde im Herbst ihre Jugendliebe John heiraten. Und es überraschte mich weniger, dass sie meine Frage bejahte. Als Paar machte man sich ja wahrscheinlich schon mal eher Gedanken über die gemeinsame Zukunft.
„Oh, erzähl, Mara, werden wir bald Tanten?“, war jetzt auch Franzi interessiert.
Mara lachte. „Nein, sorry, da muss ich euch enttäuschen.“
„Wie?“, fragte Franzi schockiert. „Wollt ihr etwa keine Kinder?“
„Doch natürlich, aber wir sind uns einig, dass das noch ein paar Jahre Zeit hat. Wir lieben Bielefeld, es ist toll hier. Wir möchten erst noch hier bleiben und das Stadtleben genießen. Wir wollen erstmal noch die Nächte durchtanzen und so viel wie möglich verreisen. Über kurz oder lang wollen wir aber schon wieder zurück aufs Dorf. So in fünf bis sechs Jahren vielleicht. Mal schauen, wie es läuft.“
„Wow, Mara, das hört sich nach einem filmreifen Plan an“, kam es von der verblüfften Franzi.
Mara lachte. „Naja, mal sehen, wie es wirklich kommt. Was ist denn eurer?“
„Ich will, so schnell es geht, hier weg.“, antwortete Franzi wie aus der Pistole geschossen und Mara und ich sahen uns an und mussten grinsen. Seit ich Franzi kannte, träumte sie von einem Leben am Strand. Sie wollte Sonne, Meer und Surferboys. Da ihr Lebensstil aber ähnlich ausschweifend war wie ihre Pläne, fehlte ihr noch das nötige Kleingeld dazu.
„Ach, Mädels, ich kann es gar nicht abwarten, bis ich auf meiner Terrasse mit Meerblick liege und den Wellen zuhören kann.“
„Und wann soll das sein?“, schmunzelte Mara.
Franzi bewarf sie für diesen Seitenhieb mit der Serviette und lachte. „So schnell wie möglich halt“, sagte sie mit einem Achselzucken.
„Jaja, ich weiß, dass ihr das für eine Spinnerei haltet. Aber ihr werdet schon sehen. Irgendwann werdet ihr mich in Portugal besuchen können und mich um meinen heißen Latino und unser kleines Strandhaus beneiden. Und dann werde ich als Personal Trainer durchstarten und muss niemandem mehr Büroräume aufquatschen.“
Franzi war im Gegensatz zu Mara und mir nicht so überzeugt von ihrem Job. Sie hatte sich auf den Verkauf und die Vermietung von Gewerbe- und Industrie-Immobilien spezialisiert. Sie war an sich auch eher der rationale Typ. Sie brauchte Bewegung und Sportklamotten, keine schicken Anzüge. Als wir uns kennenlernten, erzählte sie mir direkt, dass Wohnflächen als Objekte für sie nie infrage gekommen wären. Sie hatte keine Lust, ständig irgendwelche Wohnträume erfüllen zu müssen oder sich Familiengeschichten anzuhören. Sie wollte Abschlüsse haben und Geld verdienen, mehr nicht. Für sie war es die beste Möglichkeit, ausreichend zu verdienen, um weiter von ihren Auswanderplänen träumen zu können. Ich war da etwas anders gestrickt. Für mich waren die Geschichten meiner Kunden tatsächlich das, was ich so an meinem Job liebte.
„Auch kein schlechter Plan“, grinste Mara. „Was ist mit dir, Feli?“
„Ja, hört sich klasse an“, pflichtete ich ihr bei. „Ich kann es euch bei mir leider nicht sagen. Ich bin gerade glücklich so, wie es ist. Ich habe keinen weiteren Plan.“
„Aber ist das denn so schlimm?“, gab Franzi zu bedenken.
Für Franzi sicherlich nicht. Sie nahm das Leben locker und machte sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft, außer darüber, wie sie so schnell wie möglich von hier wegkommen konnte.
Aber war das bei mir auch so?
Für mich waren der Umzug nach Bielefeld und der Jobwechsel eine so krasse Veränderung in meinem bisherigen Leben, dass ich noch gar nicht viel weiter gedacht hatte. Die beiden wussten zwar auch von Mirko und der unschönen Trennung, aber Details hatte ich bisher nicht erzählt. Zum einen wollte ich die Zeit einfach vergessen, zum anderen glaubte ich immer noch nicht daran, dass irgendjemand verstehen konnte, wie schlimm diese Situation damals wirklich für mich war und was das alles mit mir und meinem Selbstbewusstsein gemacht hatte. Ich konnte es schließlich nach außen auch ganz gut verbergen.
Wir machten uns noch zu einem kleinen Schaufensterbummel durch die Altstadt auf und philosophierten über unsere Zukunft. Am frühen Abend verabschiedeten wir uns. Nach dem Partywochenende hatten wir dann doch alle ein festes Date mit unserem Sofa.
Als ich später im Bett lag, musste ich noch einmal über unser Gespräch nachdenken. Mara und Franzi waren wirklich so ganz anders als meine anderen Freundinnen. Ich mochte die beiden wirklich sehr und sie waren in der kurzen Zeit, die ich in Bielefeld lebte, schon unheimlich wichtig für mich geworden. Ich verbrachte sehr gerne Zeit mit ihnen und beneidete sie um ihre Coolness und ihre Leichtigkeit.
Mara war eine richtige Frohnatur. Sie war etwas kleiner als ich, fiel aber im Gegensatz zu mir überall auf. Sie hatte fast jede Woche eine andere Haarfarbe, die sie immer wieder anders aussehen ließ. Sie hatte den außergewöhnlichsten Geschmack, den ich kannte. Egal was sie trug, es war immer ein auffälliges Accessoire dabei. Wenn sie arbeitete, riss sie sich etwas zusammen, aber auch da war sie eher ein Paradiesvogel. Ein unglaublich intelligenter Paradiesvogel. Sie hätte tragen können, was sie wollte, sie würde aufgrund ihres Knowhows und ihres unglaublichen Wissens immer für voll genommen werden. Obwohl ich solche Klischees hasste, musste ich zugeben, dass ich nie gedacht hätte, dass auch sie vom Dorf kam und noch weniger, dass sie Ambitionen hatte, dahin zurückzugehen. Dazu kam sie mir viel zu lässig, zu draufgängerisch und auch ein bisschen zu alternativ vor. Irgendwie beneidete ich sie für ihre starke Persönlichkeit. Genauso wie Franzi. Franzi war ebenfalls locker und total tough. Sie war groß, hatte lange schwarze Haare und sah aus wie ein Model. Eine Rassefrau, würde mein Opa sagen. Sie kümmerte sich wenig darum, was andere von ihr erwarteten, und noch weniger, was sie von ihr hielten. In ihrem Businessoutfit sah sie aus wie dem Forbes-Magazin entsprungen und in ihrer Freizeit, als würde sie gleich auf eine coole Beachparty gehen. In jedem Fall aber absolut atemberaubend. Sie war eine richtige Sportskanone und verbrachte ihre Freizeit hauptsächlich im Fitnessstudio oder beim Beachvolleyball am See.
Mit meinem angeschlagenen Ego hätte ich mich niemals getraut, die beiden anzusprechen und auch nicht erwartet, dass sie es bei mir tun. Aber mittlerweile waren wir Freunde und dafür war ich sehr dankbar.
Auch was ihre Zukunftsplanung anging, hatten die beiden eine andere Einstellung als die, die ich von Zuhause kannte. Der grundlegendste Unterschied war der, dass ihre Pläne so zwanglos waren. Klar machten sie sich auch Gedanken und hatten Ziele, doch sie gingen die ganze Sache positiv an. Das war wirklich entspannend. Wenn ich den beiden zuhörte, wie sie über ihre Pläne sprachen, war ich hin- und hergerissen. Ich konnte mir beide Lebensweisen dann auch so für mich vorstellen. Sich wie Mara erst noch auszuleben, aber langfristig zurück nach Hause zu gehen, wo meine Freunde und meine Familie waren, schien mir logisch und vereinte alles, was ich bisher eigentlich so liebte. Wenn ich dann aber Franzis verrückten Träumereien zuhörte, wurde ich irgendwie unruhig und dachte, dass mein Leben vielleicht zu langweilig wäre, wenn ich nicht auch so krasse Auslandspläne aufzuweisen hatte. Obwohl ich mein Leben eigentlich ganz und gar nicht langweilig fand, verwirrte mich das alles etwas. Bei meinen Mädels zuhause hingegen gab es diese Verwirrung nicht. Von da kannte ich nur eine Option: Heirat und Kinder und das am besten so schnell wie möglich. Bei ihnen war es immer klar, was sie wollten. Ich fand es toll, wenn sie ihr persönliches Glückskonzept gefunden hatten. Oder zumindest glaubten, es zu haben. Ich konnte mich aber damit nicht wirklich identifizieren. Manchmal glaubte ich sogar, zumindest bei Becci, dass auch ihr vielleicht ein anderes Glückskonzept besser stehen würde, sie aber gar keine Optionen zulassen wollte. Sie war schon immer speziell und etwas egoistisch. In letzter Zeit kam sie mir aber einfach nur noch verbittert vor. Sie führte sich ständig vor Augen, dass sie gerade nicht das Leben führte, das sie sich eigentlich ausgemalt hatte. Dabei lebte sie nur noch in Vergleichen und fand immer wieder welche, bei denen sie schlechter dastand als andere. Ich konnte nicht verstehen, wie man sich selbst so in sein Unglück stürzen konnten und war ehrlich gesagt auch froh, dass ich von diesen Ansichten gerade etwas Abstand nehmen konnte. Meine eigene Zukunftsvision machte das allerdings nicht klarer.