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Der Regionalzug gondelte nach Norden. Schneller wäre sie natürlich gewesen, wenn sie den Zug nach Udine genommen und dort in den IC nach Österreich umgestiegen wäre, der als letzte Station vor der Grenze in Ciusaforte hielt, aber dort hätte sie jemand abholen müssen, was ihr Vater sicher gemacht hätte.

Wie sah das denn aus, wenn sie vom Papa zur Polizei gebracht wurde? Sie wäre sofort bei ihren Kollegen unten durch und das wollte sie absolut nicht, sie war definitiv nicht mehr das kleine Mädchen der Familie Malverde.

Daher nahm sie die zwei Stunden Zugreise gerne in Kauf. Die Carabinieri wusste Bescheid und würde sie am Bahnhof von Gemona erwarten.

Normaler Weise wäre so eine ruhige Zugfahrt der richtige Zeitpunkt um in Ruhe zu lesen, doch sie schaffte während der gesamten Strecke nicht einmal drei Seiten aus dem zweiten Kapitel der ‚Sonntagsfrau’.

Zunächst wurde sie von einem jungen, schlaksigen Kerl gestört, der eher unfreiwillig komisch, als wirklich ernsthaft versuchte, die Malverde in breiten kalabresischen Dialekt aufzureißen.

Er riet ihr, besser ihm Gesellschaft zu leisten, als diesen schmalzigen Schmöker zu lesen, der dem kitschigen Cover zu schließen nichts taugen konnte. Wenn sie schon Krokodilstränen vergießen wollte, dann sollte sie doch bitte fernsehen, dort lief ja nur noch der romantische Schmarren, auf den die Weiber stünden, oder, wenn ihr TV-Gerät der Gerichtsvollzieher abgeholt hatte, dann könnte sie von ihm aus auch ins Kino gehen und sich einen dieser stinklangweiligen indischen Schinken anschauen, oder falls sie vom Tuten und Blasen keine Ahnung hätte, sich ihm anvertrauen.

Nicht einmal ignorieren, dachte die Malverde, die mit der Versuchung spielte dem Kalabresen ihre Polizeimarke unter die Nase zu halten, aber sie unterstand sich.

Der Kerl schimpfte sie eine frigide Fregatte und stieg in Udine aus, hier würde er sich im nächsten Puff eine echte Mieze leisten, das wäre effizienter als so einer langweiligen Kuh den Hof zu machen, wie der Kalabrese lautstark verkündete.

Weg war er, vorerst zumindest.

Danach sorgten zwei Bälger für Unruhe, die ihr ein überforderter Familienvater kurzfristig anvertraute, weil er alle Hände voll zu tun hatte, seiner Ehefrau den Kopf zu waschen, die ihm gerade wieder einmal Ehebruch vorwarf und mit Scheidung drohte.

„Nur ganz kurz. Bitte. Ich verspreche, ich regle das mit Maria. Bitte kümmern sie sich um die beiden Kleine“, sprachs und stritt die nächsten fünfundvierzig Minuten mit seiner besseren Hälfte auf dem Durchgang zwischen den Abteilen herum.

Die beiden Geschwister, ein Junge und ein Mädchen, sorgten für Wirbel, aber die Malverde hatte das Autoritäre der Polizei und so gelang es ihr spielend mit ein paar Taschenspielertricks und ein wenig Bauchreden, das sie in einem Anfall von Schwäche während eines kurzen, aber intensiven Schauspielkurses in Rom gelernt hatte, die beiden Kinder in Staunen zu versetzen, was natürlich sofort wirkte und für heilige Ruhe, aber auch für größte Beunruhigung der Eltern sorgte, als sie, nach dem beide ganz kräftig Luft abgelassen hatten, ihre, wie verwandelten Kinder, abholten.

„Was ist denn mit den beiden passiert? Was haben Sie nur mit ihnen gemacht?“

„Das sind nicht mein Matteo und meine Carla!“

„Sie werden die Kinder doch nicht verhext haben?“

Unglücklicher Weise saß ein Jesuit im Abteil, an den sich die aufgebrachte Mutter mit der Bitte wandte, doch einen scharfen katholischen Blick auf das junge Mädchen dahinten im Abteil zu werfen, die ihre unermüdlichen Wonnebrocken in ferngesteuerte Marionetten verwandelt hatte.

Tatsächlich ließ sich der Jesuit überreden mit der Malverde zu sprechen, doch sie verwickelte ihn sofort in eine Diskussion über die Häresie, auf die er, der Jesuit nicht vorbereitet war und schon gar nicht darauf, mit einer jungen Italienerin von heute über ein so heikles Thema zu sprechen, so bekreuzigte er sich und ging wieder auf seinen Platz zurück.

Kurz vor Gemona stoppte ein Hagelsturm den Regionalzug, der Durchsage nach, wäre es zu gefährlich bei dieser Sintflut weiterzufahren, der Streckenposten müsste erst den Bahndamm auf mögliche Unterspülungen absuchen, was auch gemacht wurde, schließlich mussten, nach einer weiteren guten Stunde die Reisenden in einen Bus umsteigen und den Rest der Fahrt auf der Straße fortsetzen.

Es war also stockdunkel, als die Malverde in Gemona ankam und dort von zwei Carabinieri in einem Polizeijeep erwartet wurde.

Interessanter Weise war Gemona auch das Reiseziel des Jesuiten, der so Zeuge wurde, wie die redegewandte und theologisch bestens versierte Signorina, die aussah wie aus einer Hochglanzillustrierten von den Carabinieri in Gewahrsam genommen wurde.

Doch seine Schlussfolgerung dürfte fragwürdig sein, denn der Jesuit bekreuzigte sich ein zweites Mals vor der Malverde, die er höchstwahrscheinlich wegen Betrugs oder eines Sittlichkeitsdelikts in Haft vermutete, wo eine, wie sie, die wenig katholisch aussah, auch hingehörte.

Sie wäre die ideale Betrügerin, wie der Jesuit fälschlicher Weise meinte.

Die beiden Unteroffiziere der Carabinieri waren angenehm überrascht vom eleganten Äußeren der neuen Kollegin, die sofort geduzt wurde.

„Wir hätten dich früher erwartet und der General ist schon ziemlich ungehalten, weil du jetzt erst kommst“ sagte der Brigadiere Emilio Gadda, seiner Tonlage und Aussprache eindeutig ein Sizilianer, ohne kompromittierenden Ring an den Fingern, hatte er das ungeschriebene Vorrecht in der Mannschaft, als erster mit der Malverde anbandeln zu können.

„Natürlich, die Unwetter, die seit Tagen im Friaul wüten, sind eine gute Erklärung für die Verspätung“, beschwichtiget der Oberstabsgefreiter Bollodi, der den Passato Remoto der Neapolitaner so selbstverständlich pflegte, wie er den Verlobungsring an der linken Hand trug, von ihm drohte die geringste Gefahr angebaggert zu werden, vorläufig zumindest.

„Wieso habt ihr hier einen General“ fragte die Malverde auf der Fahrt zum Polizeirevier, den Rängen nach lenkte der Oberstabsgefreiter, während der Brigadiere die angenehme Konversation führte, natürlich war der Kollegin ein Platz hinten im Jeep zugewiesen worden.

„Der General Mattei kommt aus Genua, er ist nach den Ereignissen rund um den G8 Gipfel vor einigen Jahren hier her strafversetzt worden, was ihn irrsinnig wurmt, das kann man ja verstehen. Seine Karriere ist jedenfalls im Eimer und er wird wohl bis zu seiner Pensionierung hier in Gemona abdienen müssen, da hilft nichts. Aber General ist er immer noch, auch wenn sie ihm, ob der Vorfälle von damals, einen Teil seiner Bezüge gestrichen haben“, erklärte der Brigadiere.

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