Читать книгу Unter Wölfen - Elmar Weihsmann - Страница 8

6. Was tun?

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Natürlich machten die ungewöhnlichen Fähigkeiten der jungen Kriminalbeamtin gleich die Runde in den umliegenden Polizeirevieren.

Carabinieri kamen aus Tolmezzo, San Daniele, Pontebba und Tarvisio Città unter den fadenscheinigsten Vorwänden auf einen Abstecher in Gemona vorbei, um die neue Kollegin mit der ruhige Hand zu besuchen, die ab dem ersten Tag im Revier Uniform trug, was sie nicht musste, aber dem General zusagte, außerdem machte sie sich gut im Innendienst nützlich.

Sie kannte Gemona genau, man musste sie niemanden vorstellen. Sie fuhr im Streifenwagen mit und wusste Schleichwege, die nur den Einheimischen bekannt waren und so manchen fröhlichen Trinker am Steuer als Fluchtweg nach durchzechten Nächten diente, spazierte im Ort herum und verteilte ein paar Strafzettel zum Einstand, kannte die Zonen, an denen sich praktisch keiner an die 30 Kilometer Geschwindigkeitsbegrenzung hielt, führte die Ladendiebe in den Großmärkten ab und überwachte auch Nachts, ohne den Befehl anzuzweifeln, den Verkehr auf der Autobahn.

Es lief gut mit der Malverde in Gemona, bis an den Abend, als sie ins Kino ging, um den polizeikritischen Film „Diaz“ anzusehen, der von den Ereignissen in Genua berichtete, die letztendlich dem General sein Kommando in der Stadt kosteten.

Das gefiel dem General ganz und gar nicht und wenn er es sich recht überlegte, dann gefiel ihm so einiges nicht, wie sich die Malverde zu entwickeln pflegte, zum Beispiel ging sie jeden Donnerstagabend ins Kino, immer dann, wenn die so genannten, künstlerisch wertvollen Filme gezeigt wurden und sie ließ keinen aus, immerhin waren viele Streifen aus Italien dabei, aber genau das war das Problem: Diese Filme befassten sich offen mit den gesellschaftlichen Konflikten im Land und war das nicht genau die Aufgabe der Polizei, die gesellschaftlichen Konflikte im Zaum und wann immer nötig auch unter Kontrolle zu halten?

Außerdem schöpfte der General langsam Verdacht, dass die Malverde der politischen Linken zuzurechnen wäre, womöglich sympathisierte sie mit Pepe Grillo, was innerhalb der Polizei absolut unmöglich wäre.

Das fesche Mädchen las ausschließlich kritische, um nicht zu sagen linke Zeitungen und Zeitschriften und nie den unverfänglichen Corriere della sera, außerdem hatte sie die unangenehme Eigenschaft Bücher mit ins Revier zu nehmen, um in ihren Mittagspausen oder auf ihren Streifen zwischendurch einige Seiten zu lesen, was sie besonders verdächtig machte.

In seiner ganzen Laufbahn hatte der General noch nie einen Carabinere etwas anderes als Berichte und Gesetzestexte lesen gesehen, aber wer las schon bei der Polizei freiwillig einen Roman oder noch schlimmer, die Malverde wurde gesehen, wie sie, allerdings nicht im Dienst, „Empire“ von diesem unmöglichen Toni Negri las.

Dieses sympathische, junge Mädchen musste total verrückt geworden sein, um als Polizeibeamte solche kompromittierende Literatur zu konsumieren.

Schuld an dieser besorgniserregenden Entwicklung waren nach Meinung des Generals die zweifelhaften Bekanntschaften der Malverde, was sie leider zusätzlich verdächtig machte.

Gleich nach ihrer Ankunft hatte sie sich mit Gianni Argento, dem Sohn des Kinobesitzers angefreundet. Angeblich kannte sie ihn noch aus dem Liceo, was durchaus möglich wäre, er hatte so eben die Uni mit cum laude abgeschlossen und bewarb sich nun landesweit um einen Lehrerposten, was dauern konnte, in der Zwischenzeit half er im Familienbetrieb aus, hatte den Filmclub eingeführt, der die so genannte gehobene Unterhaltung nach Gemona brachte, die linke Vögel aus dem ganzen Kanaltal anzog, gab Nachhilfestunden und schrieb gelegentlich für den Gazzettino.

Dieses suspekte Subjekt war einer, der eindeutig ganz weit links von der Mitte stand, das war nicht diskutierbar und sich mit Journalisten einzulassen galt bei den Carabinieri als geradezu skandalös.

Dem General gefiel das nicht, ganz und gar nicht. Aber was sollte er tun? Sollte er die junge Kollegin zur Seite nehmen und ihr väterliche Ratschläge geben?

Der General verwarf sofort wieder den Gedanken.

Nach nur zwei Wochen im Dienst hatte die Malverde ob ihrer ruhigen Hand und ihrer scharfen Zunge den Spitznahmen ‚Flintenweib’ verliehen bekommen, was sie gar nicht störte.

Im Gegenteil, dem frechen Ding gefiel das und verwendete ihn im Funkverkehr oft als Decknamen, außerdem wurden ihre Röcke immer kürzer, wenn sie ihren kriminalpolizeilichen Pflichten nachging.

Gut es war Sommer. Gut sie überwachte das Treiben in der Großdisco La grotta, dort hatte sie sich entsprechend zu kleiden, aber ihr Aufzug gefiel ihm nicht.

Doch was sollte er tun? Er, der General? Sollte er ihr dienstliche Anweisungen geben?

Es war noch nichts vorgefallen.

Im Gegenteil, die junge Kollegin war beliebt, sie ging viel in Gemona herum, sprach mit den Leute, forderte sie auch mit Nachdruck auf, doch bitte wo anders zu parken, verteilte den einen oder anderen Strafzettel, ließ mit sich reden, wenn es nötig war, sie konnte, wie man so sagt mit den Leuten, was für eine Polizistin gut war, wer könnte auch dem Charme von so einem feschen Mädchen widerstehen?

Wenn sie nicht im Kino saß, half sie in ihrer Freizeit durchaus in der Osteria ihrer Eltern aus, was den Umsatz nach oben trieb, er wusste, dass immer öfter dort angerufen wurde ob Clara heute Abend bediente, nein, heute Abend leider nicht, heute ist sie im Dienst, war nur zu oft zu hören, aber wenn sie dort war, dann sprach sich das schnell herum und die Osteria war bis zur Sperrstunde besetzt, dabei trank die junge Dame des Hauses keinen Tropfen Alkohol, was sie zusätzlich auszeichnete, sie konnte ja nie wissen, wann sie den italienischen Staat zu vertreten hatte, Subversive gab es genug, wie sie spitzbübisch bemerkte, was für zusätzliches Gelächter unter den Herren sorgte und die Verehrer standen um ein Date Schlange.

Nur leider, soweit dem General bekannt, gab es keinen wirklichen Favoriten in den Reihen der Carabinieri, obwohl viele die junge Kollegin umgarnten, bleib sie aus irgendeinem, völlig im Dunkel liegenden Grund, ihrem Vorsatz standhaft, vorerst nicht mit einem Kollegen anzubandeln.

Was wusste so ein junges Ding schon von Leben, geschweige denn von den subversiven, die Sicherheit des Staates gefährdende Subjekte?

Nichts. Absolut gar nichts!

Aber woher kannte sie diesen Begriff?

Keinem seiner Männer war so ein Begriff wirklich geläufig. Hatte sie etwa Kontakt zur Digos?

Der General verstand die Welt nicht mehr.

Nein, er würde vorerst nichts unternehmen. Es gab ja auch keinen dienstlichen Grund dazu, er entschloss sich eher behutsam korrigierend einzugreifen, was ihm schwer fiel, da er zu befehlen gewohnt war, aber hier in der tiefsten Provinz wäre der raue Ton der Hierarchie völlig fehl am Platz.

Wenn nur endlich Gadda die Malverde abschleppen würde, aber diese Flasche war ja wohl für solche delikaten Einsätze nicht zu gebrauchen.

Früher, ja früher, in den 1970er Jahren, als er noch als einfacher Carabinere auf Streife ging, da hätte er nicht lange gefackelt und so eine wie die Malverde spätestens nach drei Tagen im Streifenwagen flachgelegt und so richtig gevögelt.

Zum ersten Mal fühlte sich der General alt. Sollte er doch um seine Pensionierung ansuchen?

Vielleicht sollte er demnächst Gadda oder auch Bollodi in den Hintern treten, übertragen natürlich, damit sie endlich bei der Malverde aktiv wurden, wie er hörte lief es seit Neuestem nicht gut mit Bollodis Verlobter, da wäre vielleicht etwas Konkurrenz genau das Richtige, um wieder Pfeffer in die Beziehung zu bringen.

Je mehr der General ins Grübeln kam, wurde ihm klar, dass die alten Rezepte und Regeln bei den Carabinieri einfach nicht mehr zeitgemäß waren.

Ja, er fühlte sich alt, wirklich alt.

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