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5. Der General

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Dem General widerstrebte es zutiefst warten zu müssen.

Natürlich, die junge Kollegin hatte eine gute Erklärung, das Unwetter hatte ihre Ankunft verzögert, dafür könne sie nichts, das sah er ein, aber sie hätte auch schon den Mittagszug nehmen können, dann wäre sie dem Sturm entgangen, doch was noch schlimmer wog und die Vorbehalte des Generals gegen die Kollegin noch vor ihrem Dienstantritt verstärkte, war, dass sie es wagte in Zivil unter seine Augen zu treten.

Natürlich sie war Mitglied der Kriminalabteilung und musste daher keine Uniform tragen, aber sie war Mitglied der Polizei und nicht irgendein daher gelaufener Zivilist oder noch schlimmer eine von diesen großmäuligen Sensationsjournalisten, die in jeder Pressemeldung der Polizei einen noch so grotesken Skandal hineininterpretierten.

Einem General der Carabinieri in Zivil gegenüber zutreten war so, wie wenn sich einer erfechte nackt vor dem Papst zu erscheinen, was ebenfalls nicht zu dulden wäre.

Er nahm sich Zeit, sagte lange nichts, sah die junge Kollegin an. So ein junges Ding sollte so eine heikle Aufgabe wie Ermittlungen im ungeklärten Mordfall von Don Mario übernehmen, den er natürlich selbst nur aus den Akten kannte.

Der Geistliche war lange vor seiner Versetzung nach Gemona auf derart abscheuliche Art umgebracht worden, wie er sie in seiner Laufbahn bei den Carabinieri nur selten erlebt hatte.

Unmöglich.

So ein karrieregeiles, junges Ding würde nur für Unfrieden sorgen, mutmaßte der General, er spielte mit dem Gedanken sie gleich wieder unter irgendeinem belanglosen Vorwand nach Triest zurückzuschicken.

Dort an der Küste würde die junge Dame schnell ihre ersten Sporen bei der Kripo verdienen.

Hier an so einem ruhigen Ort am Fuß der Berge, wäre so ein Persönchen einfach nur fehl am Platz. So eine gehörte in die Stadt, dorthin, wo die schweren Verbrechen begangen und die großen Karrieren gestartet wurden.

Nein, es war seine Pflicht als General, den Staat vor Schaden zu bewahren und so würde er sie nach höchstens einer Woche gleich wieder dorthin zurück schicken, wo sie hergekommen war. Letztendlich würde mit seiner Entscheidung wertvolles Steuergeld eingespart werden.

„Hier in Gemona ist nicht gerade viel los, in erster Linie haben wir es mit einfachen Kapitaldelikten, Suche nach Vermissten, Berg- und Badeunfällen zu tun, daher müssen sie damit rechnen, dass sie auch, zumindest an den verkehrsreichen Sommerwochenenden, bei der Verkehrsabteilung aushelfen werden.“

„Damit habe ich kein Problem“, sagte die Malverde.

Der General sah sie über den Brillenrand an.

„Ich trage gerne Uniform.“

Der General sah zu den beiden Untergebenen hinüber, beide jung, nicht viel älter als dieses Traummädchen, die der Teufel hier her geschickt haben mochte.

Beide grinsten, beide waren schon jetzt bis über die Ohren in die Zuckerpuppe verknallt, das sah er ihnen an und diesbezüglich irrte er sich nicht. Er, der General, wusste Bescheid, was in den Kasernen so läuft, unzählige Rekruten waren unter seinem Kommando gewesen.

Wieso geistere dieses Traummädchen nicht als Topmodel über die Laufstege in Mailand?

Zumindest der Oberstabsgefreite Bollodi würde bald wieder zur Vernunft kommen, er war immerhin verlobt und kein Dummkopf, der seine Verlobung für dieses berechnende Luder aufs Spiel setzte würde.

Jeder, der halbwegs bei Trost war, wusste, dass ihre Tage schon vor Dienstbeginn gezählt waren, da sie zum schnellstmöglichen Zeitpunkt um ihre Versetzung in eine der Metropolen ansuchen würde, dorthin, wo man wirklich Karriere bei der Polizei machen konnte.

Der Brigadiere Gadda war da schon ein schwerer Fall, ehrgeizig, selbstbewusst, unverheiratet, unverlobt, keine bekannten Verbindungen mit Frauen oder Mädchen im Ort, selten Weibergeschichten, einer der ebenfalls nach oben kommen wollte, einer, der zurück nach Palermo wollte, um dort Karriere zu machen.

Gadda und die Malverde, das könnte ein explosives Gemisch werde.

„Wissen sie, wo sie hier in Gemona wohnen werden? Wenn nicht, die einzige Dienstwohnung ist bereits besetzt, aber es gibt hier einige Privatzimmervermieter. Billige Pensionen wie in Genua oder in Rom haben wir hier nicht“, sagte der General, vielleicht würde die Kollegin, die sicher als Mädchen verwöhnt worden war, ob des wenig komfortablen Lebens am Land gleich von selbst die Flucht nach Triest ergreifen.

„Ich wohne natürlich zu Hause.“

„Zu Hause?“

Der General zog die Augenbrauen hoch, er sah wieder über den Brillenrand hinweg.

„Meine Eltern wohnen hier, wir haben ein Haus ganz in der Nähe von Gemona.“

Der General schlug die Akte der Malverde auf, nirgends war vermerkt, dass sie aus dem Friaul, schlimmer noch direkt von hier aus Gemona, stammte.

„Wir sind aus Osoppo, meine Eltern betreiben dort das einzige Hotel, vielleicht haben sie einmal in unserer Trattoria gegessen, sie ist bekannt für ihre Fischgerichte, die Fische kommen direkt aus dem Tagliamento“, sagte die Malverde.

Natürlich kannte der General die Trattoria in Osoppo, natürlich aß er dort oft und gerne, einmal die Woche gönnte er sich die unwiderstehlichen Forellen auf typisch friulanische Art.

Der General atmete tief durch, der Punkt war erreicht, der das Maß voll machte.

Jetzt würde dieses Früchtchen ihm auch eines seiner Lieblingslokale abspenstig machen, denn es war für einen Mann in seiner Position unmöglich in einem Lokal zu verkehren, in dem womöglich an ihren dienstfreien Tagen seine Untergebene servierte.

Nie und nimmer, würde er das dulden, geschweige denn durchgehen lassen!

Der General sah zu Gadda und Bollodi hinüber, die beiden Idioten grinsten noch unverschämter als vorhin.

„Bellodi. Gadda. Seit ihr noch immer hier?“

„Wir hatten Befehl uns zu ihrer Verfügung zu halten“, sagte Gadda.

„Na gut. Stimmt. Also sie werden in Osoppo wohnen und kommen jeden Tag zum Dienstbeginn nach Gemona“, fasste der General zusammen.

„Vorerst, bestimmt.“

„Gut. Diensteinteilung und Gruppenbesprechung ist jeden Montagvormittag. Einmal im Monat müssen sie an den Gefechtsstand, wenn sie wollen, können sie das gleich morgen erledigen, dann haben sie es hinter sich. Sie können, an den Tagen, an denen Sie Dienst haben, das Dienstauto auch privat nutzen, außer sie haben selbst ein Auto, dann können das Kilometergeld verrechnen. Ihr erster Dienst beginnt morgen früh um sieben Uhr. Noch Fragen?“

„Kann ich noch heute an den Schießstand?“

Der General zog die Augenbrauen hoch.

„Noch heute?“

„Ja. Wenn ich schon einmal hier bin, oder ist der Schießstand weit entfernt?“

„Nein. Er liegt genau genommen auf dem Weg nach Osoppo“, sagte der General.

„Also, wenn sie nichts dagegen haben, würde ich noch vor dem Abendessen eine Serie absolvieren.“

Der General sah zu Gadda und Bolloti hinüber, beide schienen nichts gegen ein abendliches Wettschießen zu haben.

„Gut. Einverstanden. Eine Kollegin mit Schneid, das gefällt mir. Aber ich werde dabei sein und es mir nicht nehmen lassen, selbst eine Serie zu schießen. Aufsitzen! Vorwärts! Marsch!“

Sie standen stramm, salutierten, marschierten wie in einem ‚de Funes-Film’ aus dem Büro und fuhren direkt zum Schießstand hinaus.

Die Stimmung des Generals verbesserte sich im offenen Jeep, vielleicht musste er einfach wieder mehr hinaus zu den Einsätzen, draußen sein bei der Truppe, direkt vor Ort, den ewigen Bürokram konnte wirklich ein anderer erledigen, es gab genug Bürohengste in den eigenen Reihen, die sich vor jeder Aufgabe drückten, nur um eine ruhige Kugel zu schieben. Aber so eine wie die Malverde, die noch vor dem Schlafengehen ihre Treffsicherheit unter Beweis stellen wollte, gefiel ihm, natürlich würde er es sich nicht nehmen lassen, dieses Großmaul persönlich mit seiner Erfahrung an der Beretta 92 sprichwörtlich aus dem Schießstand zu feuern.

Aber immerhin, dass eine Kollegin, noch dazu äußerst jung und gerade ausgemustert, es wagte, drei gestandene Carabinieri, davon einen General, zu einem Wettschießen herauszufordern, das zollte Respekt. Das traute sich von 1000 Kollegen (na gut, es gab ab und zu auch Kolleginnen) höchstens eine, und ausgerechnet diese eine, war jetzt unser seinem Kommando.

Sie erreichten den Schießstand und natürlich war die Malverde als erste an der Reihe. Sie setzte die Kopfhörer auf, der General bestimmte die 10 Meter Distanz zum Warmschießen und gab das Kommando: „Feuer frei!“

Die Malverde zielte und ballerte los. Die Distanz wurde auf 25 Meter und gleich darauf auf 50 Meter erhöht.

Bolloti bediente die automatische Scheibenanlage und ließ die Scheiben an den Stand fahren.

Der General und die niederen Ränge trauten ihren Augen nicht. Die Malverde hatte ausschließlich ins Schwarze getroffen.

„Unglaublich.“

„Sagenhaft.“

„Unvorstellbar.“

„Wo haben sie so zu schießen gelernt, Inspektor?“ fragte der General.

„Hier im örtlichen Schützenverein. Papa war der Meinung, dass eine ruhige Hand auf keinen Fall schaden kann, wenn man zur Polizei will“, sagte die Malverde.

Ihr Lächeln. Was für ein Lächeln. Sie war bezaubernd die neue Kollegin, das war undiskutierbar, aber ihr Lächeln, das würde sich dem General einprägen. Nein, diese junge Kollegin würde er nicht so schnell wieder zeihen lassen, er würde schon seine Kontakte nach Mailand und nach Rom spielen lassen, um sie hier unter seinem Kommando zu halten, da könne kommen wer wolle.

Die drei Männer feuerten ihre Serien ab, aber keiner kam auch nur annähernd an die Leistung der Malverde heran, die zur Freude des Generals und der beiden niederen Rangträger zum Abschluss der Schießübung die Scheibe auf 100 Meter ausfahren ließ, die Beretta durchlud, entsicherte, auf Kommando zielte und 9 Treffer ins Schwarze abfeuerte.

Der General, der Brigadiere und der Oberstabsgefreite waren begeistert, natürlich ließ es sich der General nicht nehmen die neue Kollegin nach Hause zu begleiten und dort den verblüfften Eltern der jungen Dame, zu ihrer Tochter zu gratulieren, die schon äußerst besorgt Clara erwarteten, die längst überfällig war und zum allen Überfluss noch von der Polizei zu Hause abgeliefert wurde.

Clara verabschiedete sich vorschriftsmäßig mit Haltung, gut gelaunt ließ sich der General von seinen Männern nach Hause fahren.

Ja, solche Leute, wie die Malverde, würde er brauchen, eine mit einer ordentlichen Portion Courage und noch mehr Pfeffer im Hintern, ein, im besten Sinn des Wortes, echtes Flintenweib, und so eine versauerte bei der Kripo.

Was für ein Verlust für die Carabinieri!

Aber er würde schon dafür sorgen, dass die junge Kollegin wieder die richtige Uniform anzog, das zu arrangieren wäre genau die richtige Aufgabe für einen General der Carabinieri.

Die Malverde war im Friaul angekommen.

Unter Wölfen

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